Im Europaparlament haben wir in dieser Woche über die Kriminalisierung von Seenotrettung und humanitärer Hilfe diskutiert. Meine Rede findet ihr hier. Mehr erfahrt ihr in unserer Studie zur Kriminalisierung in Europa.
Am 18. Dezember 1990 wurde die UN-Wanderarbeitnehmerkonvention von der UN-Vollversammlung angenommen. Sie ist der primäre internationale Standard, mit dem Regierungen ihre nationalen gesetzlichen Schutzmechanismen messen sollten. Deutschland hat die Konvention leider noch nicht ratifiziert.
Am 10. Dezember 2022 habe ich gemeinsam mit PxP Embassy e. V. eine Konferenz über die Situation der Drittstaatsangehörigen in Deutschland und den Bundesländern veranstaltet. Den Livestream findet ihr hier. Wir haben zusammen mit Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, der Politik, sowie betroffenen BIPoC Menschen aus der Ukraine über die aktuelle Situation diskutiert, sowie über mögliche Lösungsansätze und Zukunftsperspektiven.
Die EU hat 4,7 Millionen Geflüchtete aufgenommen
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine haben sich mittlerweile über eine Million Menschen in Deutschland in Sicherheit bringen können. Durch die erstmalige Aktivierung der “Massenzustromrichtlinie” des Europäischen Rates hat die EU eine gemeinsame Lösung für Menschen auf der Flucht vor dem Krieg schaffen können, damit sie schnell und unbürokratisch eine sichere Aufenthaltsperspektive und Versorgung haben. Diese Richtlinie zum temporären Schutz existiert bereits seit 2001, wurde vorher jedoch noch nie aktiviert. Die Richtlinie ermöglicht Geflüchteten einen unbürokratischen Zugang zu Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung, Arbeitsmarktzugang und freier Wohnortwahl. Dank ihrer Anwendung gilt die Dublin-Verordnung nicht, wodurch Geflüchtete nicht wie sonst einen Asylantrag in dem Land stellen, wo sie als erstes einreisen, sondern sie können sich frei in der EU bewegen. Dies ist ein großer Erfolg für die EU und zeigt, dass, wenn politischer Wille vorhanden ist, schnell unkomplizierte Lösungen gefunden werden. Die EU hat einen enormen Kraftakt vollbracht und über 4,7 Millionen Menschen aus der Ukraine aufgenommen.
Drittstaatsangehörige werden ausgeschlossen
Eine Personengruppe ist dabei jedoch ausgenommen worden: die sogenannten Drittstaatsangehörigen. Für diese Menschen ohne ukrainischen Pass aber mit Wohnsitz in der Ukraine wurden andere Regelungen geschaffen – viele sollen abgeschoben werden. Sie werden vom temporären Schutz für Kriegsvertriebene ausgeschlossen, und das, obwohl sie vor demselben Krieg fliehen mussten. Laut IOM sind unter den fast fünf Millionen Geflüchteten ca. 500.000 Drittstaatsangehörige, welche aus der Ukraine geflohen sind. Sie haben oft sehr andere Erfahrungen gemacht als ukrainische Geflüchtete und mussten bereits an den Grenzen traumatische rassistische und diskriminierende Erfahrungen machen. Viele von ihnen wurden als einzige PoC aus Zügen rausgezogen und ihnen wurden Grenzübertritte verweigert. Denn die Massenzustromrichtlinie sieht primär den Schutz von ukrainischen Staatsangehörigen vor, jedoch gibt es eine explizite Empfehlung des Rates den Kreis der Schutzberechtigten auch auf Drittstaatsangehörige und Staatenlose auszuweiten. Da die EU jedoch keinen Aufenthaltsstatus für Geflüchtete vergeben kann, müssen die nationalen Behörden die Richtlinie in Nationales Recht umsetzen; in Deutschland ist das das BMI.
Umsetzung der Massenzustromrichtline in Deutschland
Mit der Anwendung des Paragraphen 24 Aufenhaltsrecht hat Deutschland die Massenzustromrichtline fast 1:1 umgesetzt; außer der Empfehlung, den Personenkreis der Schutzberechtigten auch auf Drittstaatsangehörige und Staatenlose auszuweiten. Drittstaatsangehörige können sich auch für temporären Schutz bewerben, jedoch wird, anders als bei Ukrainer:innen, geprüft, ob sie in ihr Herkunftsland sicher zurückkehren können, unabhängig davon, ob ihr Lebensmittelpunkt in der Ukraine lag oder nicht. Wird entschieden, dass eine Rückkehr ins Herkunftsland möglich ist, bekommen Betroffene einen negativen Aufenthaltsentscheid und sind somit Ausreisepflichtig. Ihnen droht die Abschiebung und Illegalisierung, obwohl sie vor dem gleichen Krieg wie alle anderen geflohen sind
Die Niederlande macht es anders
Die meisten EU Länder hab die Massenzustromrichtline ähnlich umgesetzt wie Deutschland. Dass es jedoch auch anders geht sieht man am Beispiel der Niederlande: hier fällt auch jede:r, der/die nur einen temporären Aufenthaltstitel in der Ukraine hatte, wie zum Beispiel Student:innen-Visa, unter den Schutz der Massenzustromrichtline. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen und eine rassistische Einteilung von zwei Klassen an Geflüchteten kreiert. Es sollte eigentlich gleiches Recht für alle Menschen gelten, die vor dem selben Krieg in der Ukraine fliehen.
Weil eine Regelung vom Bund ausbleibt, kreiert Berlin eine Übergangslösung
Die Berliner Landesregierung, sowie Hamburg und Bremen, hat versucht eine Übergangslösung für Drittstaatsangehörige zu schaffen. Durch eine Verlängerung des Aufenthaltsrechts von 90 Tagen auf weitere sechs Monate sollen Drittstaatsangehörige die Möglichkeit bekommen, die Qualifikationen für andere Visa zu erfüllen, z.B.: Studierendenvisa. Dies ist bereits ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch ist der Zeitraum zu gering, um für viele Menschen eine echte Chance auf einen anderen Aufenthaltstitel zu sein. Für ein Studierenden-Visa ist zum Beispiel ein Sprachniveau C1 nötig, sowie ein Sperrbetrag von ca. 10.000€, schwer zu schaffen in sechs Monaten. Außerdem haben unsere Diskussionen gezeigt, dass hier eine enorme Differenz zwischen politischem Willen und der Realität auf den Behörden herrscht.
Behördenwahnsinn
Betroffene beschreiben ein Hin- und Hergeschicke von Behörde zu Behörde, Mitarbeitende, die nicht auf dem neuesten Stand der Regularien sind und Abschiebebescheide, die zugestellt werden, obwohl eine Verlängerung um sechs Monate bereits ausgestellt wurde. Außerdem werden oftmals Unterlagen im Original gefordert, welche jedoch durch die Flucht verloren gegangen sind oder nicht zu beschaffen sind, da die ukrainischen Behörden nicht wie sonst arbeiten; Kopien und Scans werden oft nicht akzeptiert. Würde man §24 für alle Geflüchteten aus der Ukraine anwenden, würden enorm viele Ressourcen auf den Seiten der deutschen Behörden und NGOs frei werden. Diese könnten die Geflüchteten bei ihrer Ankunft und Integration unterstützen, anstatt ihre Energie für die Navigierung im bürokratischen Dschungel zu verbrauchen. Außerdem würde es für die Menschen, die gerade vor einem Krieg geflohen sind, eine große Reduktion der psychischen Belastung bedeuten, sowie Ihnen die Chance geben, in Deutschland anzukommen. Jian Omar, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, hat uns jedoch auf dem Panel klargemacht, dass es sich gerade jetzt schon für eine Anschlusslösung stark macht im Landtag. Misbah Khan und Hakan Demir, Mitglieder des Bundestages, haben zugesichert, dass sie auf Bundesebene weiter Druck machen werden, damit eine Lösung für die Situation gefunden werden kann.
Doppelstandard – Warum?
Laut UNHCR haben 4,776,606 Menschen sich für vorübergehenden Schutz in EU Ländern registriert. Deutschland hat davon über eine Millionen Geflüchtete aufgenommen. Laut BMI sind davon ca. 29.000 Drittstaatsangehörige. Das bedeutet, dass keine 3% der Menschen aus der Ukraine in Deutschland Drittstaatsangehörige sind. Wir reden hier also von einer sehr geringen Anzahl an Menschen, für die das Leben sehr sehr schwer gemacht wird. Außerdem sind die meisten davon Studierende in der Ukraine gewesen. Viele von Ihnen im medizinischen Bereich – ein Bereich, der dringend Fachkräfte braucht. Man fragt sich also, warum man hierbei unterscheiden muss. Eine Übersicht über das Programm, die Gäste und die Inhalte findet ihr hier. Die Konferenz wurde live übertragen und aufgezeichnet.
Gemeinsam mit PxP Embassy e.V. veranstalte ich am 10. Dezember 2022 in Berlin eine Konferenz, um über die Situation der sogenannten Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine in Deutschland zu sprechen. Wir wollen zusammen mit Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, der Politik, sowie betroffenen BIPoC Menschen aus der Ukraine über die aktuelle Situation diskutieren. Das Programm findet ihr hier.Der Live stream ist hier.
Wir fordern die Gleichbehandlung aller aus der Ukraine geflohenen Menschen.
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine haben sich mittlerweile über eine Million Menschen in Deutschland in Sicherheit bringen können. Durch die erstmalige Aktivierung der sog. “Massenzustromrichtlinie” des Europäischen Rates hat die EU eine gemeinsame Lösung für Menschen auf der Flucht vor dem Krieg schaffen können, damit sie schnell und unbürokratisch eine sichere Aufenthaltsperspektive und Versorgung haben.
HERAUSFORDERUNG
Eine Personengruppe ist dabei jedoch ausgenommen worden: die sogennanten Drittstaatsangehörigen, meistens BIPoC (Black, Indigenous and People of Colour). Für diese Menschen ohne ukrainischen Pass, aber mit Wohnsitz in der Ukraine wurde eine andere Regelung geschaffen; sie sollen abgeschoben werden. Sie werden vom temporären Schutz für Kriegsvertriebene ausgeschlossen, und das, obwohl sie vor demselben Krieg fliehen mussten. Einige Bundesländer, z.B. auch Berlin, haben mit eigenen Regelungen versucht, auch diesen Menschen einen Weg in eine sichere Bleibeperspektive in Deutschland zu ermöglichen. Viele von ihnen haben in der Ukraine studiert, ihnen soll mit der Berliner Überbrückungsregelung u.a. ermöglicht werden, die Voraussetzungen für andere Visa in Deutschland erfüllen zu können. Doch auch hier sind einige Barrieren und Hürden noch gegeben. Zum Beispiel läuft die Regelung in Berlin bereits im Februar aus und aktuell ist nicht geklärt, wie es für Drittstaatsangehörige aus der Ukraine danach weitergehen soll.
EVENT
Sei dabei, um mit betroffenen Personen und über die Situation der Drittstaatsangehörigen in Deutschland und den Bundesländern zu diskutieren. Wir wollen zusammen mit Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, der Politik, sowie betroffenen BIPoC Menschen aus der Ukraine über die aktuelle Situation sprechen.
WIR STREAMEN DAS GANZE LIVE
Da es leider nur begrenzte Kapazität vor Ort gibt, werden wir die Veranstaltung live streamen. Ihr könnt sie also auf verschiedenen Channeln live verfolgen und auch Fragen an die Panelisten stellen. Der Link zum Livestream ist hier.
Unsere Konferenz gegen die Kriminalisierung von Solidarität und für Unterstützung der Zivilgesselschaft
Am 22. und 23. Oktober organisierten unsere Fraktion, mein Büro in Brüssel und die polnischen Grünen eine Konferenz, um Menschen aus ganz Europa zusammenzubringen, die von Kriminalisierung betroffen sind. Kriminalisierung bedeutet, Helfende werden vor Gericht gestellt, weil sie anderen Menschen auf der Flucht humanitär helfen. Das soll abschrecken und dafür sorgen, dass die Flucht nach Europa lebensgefährlich und menschenunwürdig bleibt. Besonders betroffen sind aber auch Geflüchtete selbst, die kriminalisiert werden. Entweder, direkt dafür, dass sie flüchten oder weil ihnen vorgeworfen wird, zu Schleppernetzwerken zu gehören, nur weil sie ein Boot steuerten.
Einerseits ist die Solidarität für Menschen aus der Ukraine in Polen sehr groß. Andererseits ist es auch bitter zu sehen, wie sich die Solidarität nur auf die direkten Nachbarn beschränkt und andere Mensche weiterhin nicht als Schutzsuchende anerkannt werden – weil sie eine andere Hautfarbe oder Religion haben. Gerade in Polen ist es absurd zu sehen, wie groß die Solidarität mit Geflüchteten aus der Ukraine überall im Land ist und Menschen die an der Ukrainischen Grenze helfen als Helden gefeiert werden; während diejenigen, die genau das gleiche an der Grenze zu Belarus machen, wie gefährliche Kriminelle behandelt werden.
Dabei ist es notwendig, dass an der Grenze zu Belarus geholfen wird, vor allem im Winter. Bislang starben mindestens 17 Menschen an der Grenze zwischen Polen und Belarus – die meisten an der Kälte. Alle Aktivist:innen mit denen wir gesprochen haben, gehen davon aus, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt.
Großes Interesse
Das Interesse an der Veranstaltung war groß. Am Samstag kamen tagsüber rund 100 Personen, darunter auch sehr viele Interessierte und Aktive aus Wrocław selbst. Tagsüber fand die Veranstaltung in der altehrwürdigen Ossolinski-Nationalbibliothek statt, wo Kriminalisierte aus ganz Europa ihre Erfahrungen teilten und sich vernetzten.
Zu Gast waren die polnischen NGOs Blue dot, die verschiedene Orte schafft, an denen ukrainischen Geflüchteten geholfen wird. Nomada, die Rechtsberatung machen und verschiedene Integrationsprojekte betreuen und die Mothers at the Borders, die direkt an der polnischen Außengrenze Unterstützung anbieten und gegen die Ungleichbehandlung von Geflüchteten demonstrieren.
Kriminalisierung
Das große Panel der Konferenz fand am Samstag Abend im Kulturzentrum Wyspa Tamka statt und wurde von mir moderiert. Ich freue mich besonders, dass Hamid Khalizad seine Geschichte mit uns geteilt hat. Die griechischen Behörden warfen ihm vor, ein Schlepper zu sein, einfach nur weil er selbst nach Griechenland fliehen musste. Inzwischen wurde er glücklicherweise freigesprochen. Über die Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidigern, die selbst Migranten sind, wird viel zu wenig berichtet, da sie sich in einer besonders verletzlichen Situation befinden. Ihnen können Abschiebung, Zurückdrängung, willkürliche Inhaftierung und Verlust ihres Status sowie harte finanzielle, soziale und wirtschaftliche Konsequenzen drohen.
Weil Hamid leider nicht persönlich da sein konnte, wurde sein Brief von Seán Binder vorgelesen. Seán Binder wurde in Griechenland mehrere Monate inhaftiert und der Prozeß gegen ihn läuft immer noch, nur weil die griechischen Behörden nicht weiter akzeptieren wollten, dass er und seine Organisation Free Humanitarians Menschen aus Seenot in der Ägäis retten. Der Prozess gegen ihn und weitere Seenotretter wurde jetzt schon mehrfach aus fadenscheinigen Gründen verschoben, wodurch sie sich in Raum rechtlicher Unsicherheit befinden, aus dem sie nicht so einfach rauskommen. Die Juristin Elli Kriona von Hias Greece berichtete über den Mangel an Rechtsstaatlichkeit und juristischer Beratung der Geflüchteten – insbesondere auf den Inseln.
Die polnische Perspektive
Die polnische Perspektive auf das Thema haben uns Mariusz Kurnyta und Marta Gorczynska aufgezeigt. Mariusz lebt in der Nähe der Grenze und war Soldat. Als er hörte, dass Menschen unweit seines Hauses erfrieren, entschied er sich dazu, das naheliegende und menschliche zu tun und ihnen zu helfen. Er berichtet schockiert davon, wie die polnischen Behörden an der Grenze mit den Menschen umgehen und leider auch, wie viele seiner Nachbarn und Freunde gar nicht damit einverstanden sind, dass er Flüchtenden an der belarussischen Grenze hilft. Marta ist Menschenrechtsanwältin und Teil des Bündnis Grupa Granica, das sich vor über einem Jahr spontan an der belarussischen Grenze bildete. Sie sprach vor allem über die humanitäre Krise an der belarussischen Grenze, zu der das Bündnis auch eine Zusammenfassung geschrieben hat. Außerdem arbeitete Marta auch an diesem Bericht der Helsinki Foundation of Human Rights mit dem Titel “The lawless Zone: Polish-Belarussian Border Monitoring.”
Neben der griechischen und polnischen Perspektive war noch Marta Llonch zu Gast, die als Juristin aktiv an der Grenze zu Melilla arbeitet und über die Menschenrechtslage vor Ort berichtete, wo im Juni diesen Jahres mindetens 37 Menschen starben. Nach der Veranstaltung haben sich die Teilnehmer:innen noch in ungezwungener Atmosphäre unterhalten und sich nochmal in Wrocław umgeschaut.
Shrinking Spaces
Am nächsten Morgen fand dann noch eine Veranstaltung zu “Shrinking Spaces” statt, also der Einschränkung des Raums für die Zivilgesellschaft. Hier lag der Schwerpunkt darauf, wie versucht wird, konkret den Raum für NGOs einzuschränken, damit sie nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen und Menschen auf der Flucht helfen können. Auf der Konferenz habe ich viele Menschen getroffen, die vor Gericht gestellt wurden, weil sie das Richtige getan haben. Das, von dem wir alle sagen würden, dass man es tun sollte. Menschen nicht ertrinken, erfrieren oder verdursten lassen. Es ist eine Schande für uns als Europäische Union, dass Menschen dafür vor Gericht gestellt werden. Und es ist eine ebenso große Schande, dass Menschen in EU-Staaten ins Gefängnis geworfen werden, weil sie selbst flüchten mussten. Unser Ziel bleibt es, ein freundliches Umfeld für Solidarität zu schaffen und die Kriminalisierung von Zivilcourage zu bekämpfen. Darüber hinaus muss die unabhängige Menschenrechtsüberwachung an unseren Außengrenzen gestärkt werden. Schließlich müssen wir die humanitäre Hilfe besser finanzieren und eine ausgewogene EU-Migrationspolitik fördern, anstatt sie zu kriminalisieren. Kurzum: Wir müssen eine Politik machen, die mit den von uns propagierten Werten vereinbar ist.
Am 10. August 2021 erklärte Lettland aufgrund steigender Geflüchtetenzahlen den Ausnahmezustand in vier Grenzregion zu Belarus. Diese Verordnung hat zur Folge, dass das Militär zur Grenze geschickt wird, das Asylrecht in diesen Gebieten ausgesetzt wird und folglich die meisten Geflüchteten gewaltsam wieder nach Belarus gepushbackt werden. Außerdem wird Presse und NGOs der Zugang zu jenen Regionen verboten, was eine unabhängige Überwachung der Situation und humanitäre Hilfe sowie den Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren verhindert. Amnesty International hat nun über ein Jahr die Situation an der Grenze beobachtet, Interviews mit Grenzbeamten und Geflüchteten geführt und die Ergebnisse in ihrem Report hier veröffentlicht.
Im Sommer 2021 hat die lettische Regierung die Grenzregionen zu einem Ausnahmegebiet erklärt. Die lettische Regierung legitimierte dieses Vorgehen damit, dass Geflüchtete von Belarus gegen Lettland instrumentalisiert würden. Die Erklärung eines Ausnahmezustandes erlaubt es einem Staat, bestimmte Menschenrechte unter extremen Umständen einzuschränken, wenn eine „Bedrohung für das Leben der Nation“ besteht. Obwohl sich die Zahlen der Personen, welche es versuchen, über die Grenze nach Lettland zu kommen, massiv verringert haben, bis hin zu verschwindend gering, hat die lettische Regierung ihre Maßnahmen immer wieder verlängert. Sie greifen aktuell immer noch, obwohl im August gerade einmal 35 offizielle Asylanträge in Lettland gestellt wurden. Dass diese Anzahl keine “Bedrohung für das Leben der Nation” darstellt, ist offensichtlich.
Schutzsuchende stecken fest
Aus den Aussagen der interviewten Personen geht hervor, dass Lettland massiv gegen Menschenrechte an seinen Grenzen verstößt und die Menschen teilweise Monate in dem Grenzgebiet feststecken. Dort werden sie abwechselnd von den belarussischen und lettischen Grenzbeamten mit Gewalt über die Grenze in beide Richtungen hin und her geprügelt. Ein Geflüchteter berichtet, dass er über 3 Monate in der Grenzregion festgesteckt hat und insgesamt mehr als 150 Mal über die Grenze geschoben wurde, mit einer Höchstzahl von bis zu acht Pushbacks an einem einzigen Tag. Eine typische Horrorreise im Limbo der Grenzregion schaut wie folgt aus: Die Asylsuchenden versuchen über die grüne Grenze durch den Wald lettisches Gebiet zu erreichen um dort einen Asylantrag zu stellen. Auf lettischem Territorium werden sie von Grenzbeamten aufgegriffen und irgendwo im Wald, weit ab von der Zivilgesellschaft, Presse und NGOs in nicht registrierte Zelt Camps gebracht. Hier werden die Grenzbeamten in offiziellen Uniformen von sogenannten Kommandos abgelöst. Männer, mit Schnellschusswaffen, vermummten Gesichtern und komplett in schwarz gekleidet, ohne jegliche Erkennungsmerkmale auf Zugehörigkeit zu einer offiziellen Behörde. Diese Kommandos schikanieren die Geflüchteten, schlagen und misshandeln sie. Es werden Schlagstöcke und Elektroschocker benutzt – teilweise sogar an Genitalien. Ihnen werden die Handys und Wertsachen abgenommen. Die Schutzsuchenden müssen über Nacht in einem Zelt mitten im Wald schlafen, teilweise im Freien, bei bis zu -20 Grad. Auch nehmen die Kommandos ihnen die Feuerzeuge ab, die einzige Möglichkeit ein Feuer zu machen um sich gegen die kalten Temperaturen zu wärmen und gegen Wölfe und Bären abzusichern. Oftmals werden die Geflüchteten in den frühen Morgenstunden in Bussen wieder an die Grenze nach Belarus gefahren und müssen den Rest des Weges durch den Wald zurückgehen.
In Belarus
In belarussischen Gebiet werden die Menschen von den Grenzbeamten mit angehaltener Waffe dazu gezwungen, sich wieder durch den Wald Richtung Lettland aufzumachen. So werden die Flüchtenden über Wochen und Monate zwischen den zwei Ländern hin und her gepusht. In den Zeltcamps, irgendwo im Wald, gibt es keine sanitären Anlagen. Der Wald in den Grenzgebieten ist voller Kameras, wodurch die Grenzbeamten die Flüchtenden fast immer aufgreifen können, bevor sie es weiter ins Land hinein schaffen. In diesem Limbo, zwischen den Grenzen, sind die Menschen schutzlos Gewalt und Kälte ausgesetzt, ohne jeglichen Zugang zu einem Asylverfahren, welches ihnen laut EU-Recht und der Genfer Flüchtlingskonvention zustehen würde.
Zwang zur Rückreise
Um dieser Hölle zu entgehen, werden die Menschen auf der Flucht dazu genötigt, sogenannte Rückreiseverträge zu unterschreiben, um anschließend in ihre Herkunftsstaaten abgeschoben werden zu können. In Lettland organisiert die Internationale Organisation für Migration (IOM) diese Rückführungen. In mindestens zwei dokumentierten Fällen haben Geflüchtete die IOM-Beamten darauf aufmerksam gemacht, dass sie dies nicht freiwillig tun und nicht in ihre Heimatländer zurück wollen – sie wurden jedoch ignoriert. Amnesty International sucht nach über 30 Menschen, die vermisst werden.
Lettland verstößt gegen EU-Recht
Die lettische Regierung behauptete gegenüber dem EU-Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, dass alle Menschen, welche die Grenzbeamten in den Grenzgebieten aufgreifen in Geflüchtetenunterkünfte gebracht werden, in welchen sie einen Asylantrag stellen können. Dass dies jedoch nur selten der Fall ist, belegt der Bericht von Amnesty. Die Situationen an der polnisch-belarussichen Grenze, sowie an der litauischen-belarussischen Grenze sind ähnlich. Im Juni 2022 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union, dass das litauische Asyl- und Migrationsgesetz, welches die Möglichkeiten der Menschen, während des Ausnahmezustands Asylanträge zu stellen, einschränkt und die automatische Inhaftierung von Asylbewerbern vorsieht, nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist. Jedoch hat sich in der Praxis nichts verändert.
Ich habe eine Anfrage an die Kommission zu den dokumentierten „Drift-Backs“ in der Ägäis gestellt. Auf meine Frage, ob die Kommission endlich diese Menschrechtsverletzungen an der griechischen Grenze einräumt erhalte ich mal wieder keine Antwort. Die Kommission bleibt schwammig in ihren Aussagen und weist nur darauf hin, dass sie die griechischen Behörden aufgefordert hat alle Vorwürfe zu untersuchen. Das dabei jedoch nicht viel rauskommt, wenn eine Behörde, die Menschenrechtsverletzungen selbst begeht, ihre eigenes Fehlverhalten untersuchen soll, ist selbsterklärend. Nachdem dies der Fall ist, sollte die Kommission als Hüterin der Verträge ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland einleiten um die vielfach dokumentierten Verletzungen der Rechtstaatlichkeit und der Menschenrechte aufzuklären. Denn unsere Grenzen sind nur geschützt, wenn auch unsere Grundrechte an ihnen geschützt werden.
Die Anfrage mit Antworten in mehreren Sprachen findet ihr hier.
Meine Anfrage
Die Rechercheagentur „Forensic Architecture“ hat vor kurzem gemeldet, dass die griechische Küstenwache teilweise mit der Unterstützung von Frontex in 1.018 Fällen Flüchtlinge auf Rettungsinseln ausgesetzt hat, damit sie so aus griechischen Gewässern zurück an die türkische Küste treiben, was auch als „Drift-back“ bezeichnet wird. Obwohl es immer mehr Belege für diese Praxis gibt, ist die Reaktion der Kommission darauf bislang sehr verhalten und zweideutig gewesen, was den Eindruck erweckt, dass sie die griechischen staatlichen Stellen decken will, anstatt als Hüterin der Verträge aufzutreten.
Gedenkt die Kommission, gemeinsam mit Frontex Maßnahmen im Hinblick auf die genannten Fälle zu ergreifen, oder geht sie davon aus, dass die griechische Transparenzbehörde diese Vorkommnisse zum Gegenstand einer unabhängigen Untersuchung machen wird?
Berücksichtigt die Kommission bei der Behandlung der systematischen Menschenrechtsverletzungen, die der griechischen Regierung zur Last gelegt werden, den Interessenkonflikt angesichts der Parteizugehörigkeit von Vizepräsident Margaritis Schinas, der im Kollegium der Kommissionsmitglieder für die Förderung unserer europäischen Lebensweise zuständig ist?
Räumt die Kommission die häufigen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen an den griechischen Grenzen endlich ein, nachdem eine Vielzahl etablierter Akteure eine lange Liste von Beweisen veröffentlicht hat?
Die Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 13.10.2022
Die Zuständigkeit für die Untersuchung mutmaßlicher Zurückweisungen liegt bei den nationalen Behörden. In diesem Zusammenhang informierten die griechischen Behörden die Kommission über Maßnahmen, die ergriffen wurden, um die Einhaltung der Grundrechte zu gewährleisten. Dazu gehören interne Kontrollverfahren, Untersuchungen durch unabhängige Behörden und die Möglichkeit von Staatsanwälten, Vorwürfe zu untersuchen*. Die Kommission wird weiterhin mit den griechischen Behörden zusammenarbeiten, um die erzielten Fortschritte zu überwachen.
Vizepräsident Schinas hat keinen Interessenkonflikt. Gemäß dem Verhaltenskodex für die Mitglieder der Kommission liegt ein Interessenkonflikt vor, wenn ein persönliches Interesse die unabhängige Wahrnehmung der Aufgaben eines Kommissionsmitglieds beeinflussen kann. Persönliche Interessen umfassen unter anderem, jedoch nicht ausschließlich, potenzielle Vergünstigungen oder Vorteile für die Mitglieder selbst, ihre (Ehe-)Partner oder direkte Familienangehörige. Ein Interessenkonflikt liegt nicht vor, wenn ein Kommissionsmitglied lediglich als Teil der allgemeinen Öffentlichkeit oder einer breiten Bevölkerungsschicht betroffen ist. Folglich schaffen die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei ebenso wie politische Überzeugungen keinen Interessenkonflikt.
Die Mitgliedstaaten sind nach dem EU-Recht verpflichtet, unbefugtes Überschreiten der EU-Außengrenzen im Einklang mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einschließlich des Rechts auf Asyl und des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, zu verhindern und abzuwenden. Die Achtung der Grundrechte ist ein nicht verhandelbarer Bestandteil der Umsetzung des integrierten europäischen Grenzmanagements, und die Kommission hat die zuständigen nationalen Behörden wiederholt aufgefordert, Vorwürfe gründlich zu untersuchen und die Verantwortlichen gegebenenfalls vor Gericht zu bringen.
*Den neuen Vorschlägen zufolge werden die griechischen Behörden weiter an einer dreistufigen Struktur arbeiten und sich dabei auf Folgendes stützen: a) interne Kontrollverfahren, mit denen Straftaten im Zusammenhang mit Einsätzen der griechischen Polizei oder der griechischen Küstenwache untersucht und verfolgt werden sollen, b) Untersuchungen durch unabhängige Behörden wie den griechischen Bürgerbeauftragten und die nationale Transparenzbehörde, und c) die Möglichkeit von Staatsanwälten, Vorwürfe nach einer entsprechenden Beschwerde bzw. Presse- und NRO-Berichten zu untersuchen. Zuletzt haben die griechischen Behörden im Anschluss an Gespräche zwischen Kommissarin Johansson und den zuständigen Ministern in Griechenland am 30. Juni 2022 Rechtsvorschriften erlassen, die unter anderem die Einsetzung eines Grundrechtsbeauftragten und eines spezifischen Überwachungsausschusses für Grundrechte innerhalb des Ministeriums für Migration und Asyl umfassen. Der Grundrechtsbeauftragte und der Ausschuss werden sich sowohl mit Beschwerden im Zusammenhang mit Grenzeinsätzen als auch im Zusammenhang mit Asylverfahren befassen.
Ich war vom 19 bis 21. September als Teil einer Delegation meiner Fraktion im Europaparlament gemeinsam mit den Abgeordneten Tineke Strik aus den Niederlanden, Saskia Bricmont aus Belgien und Gwendoline Delbos-Corfield aus Frankreich nach Griechenland gereist. Ziel der Reise ist es, uns ein Bild zur aktuellen Lage der Geflüchteten in Griechenland zu machen – aber auch zur Lage der Rechtsstaatlichkeit und der Pressefreiheit insgesamt. Die griechische Regierung hat führende Oppositionspolitiker und Journalist:innen durch Spähsoftware überwachen lassen und bei der Pressefreiheit liegt das Land, laut Reporter ohne Grenzen, aktuell auf Rang 108 von 180 Staaten – nur Russland und Belarus schneiden in Europa noch schlechter ab.
RIC Fylakio – Zustände in den Camps
Der Fokus unserer Reise lag auf einem Besuch am Evros, dem Grenzfluss zur Türkei. Hier wurden immer wieder besonders schwere Menschenrechtsverletzungen – gewaltvolle und systematische Pushbacks – dokumentiert. Darüber hinaus haben wir auch Fragen zur biometrischen Massenüberwachung von Schutzsuchenden in sogenannten RIC (Reception and Identification Center) befasst. Wir haben das RIC in Fylakio zu besucht, wo Menschen eigentlich höchstens bis zu 25 Tage eingesperrt werden dürfen. In der Praxis werden selbst Kinder dort monatelang eingesperrt und haben weder Zugang zu Bildung noch zu medizinischer Versorgung. Das Lager selbst ist klein, aber voller verschlossener Türen und Stacheldraht, ohne Schatten und Farbe. Die Menschen leben in Containerhäusern mit Blöcken für Familien, Männer und unbegleitete Minderjährige. Die NGOs vor Ort sind so stark von der Regierung eingeschüchtert, dass sie sich nicht trauen, mit uns Abgeordneten zu sprechen, weil sie fürchten müssen, dann den Zugang zum Camp oder Gelder zu verlieren.
Tote am Evros
Der Zugang zur Grenzregion wurde uns verwehrt, obwohl wir Europaabgeordnete sind und ich im Parlament für die Außengrenzen zuständig bin. Die griechischen Behörden verhindern hier leider konkret, dass ich meiner Arbeit als Abgeordneter nachgehen kann. Wir standen vor zwei Containern, in denen die Leichen von 20 Menschen lagen, die am Evros gefunden wurden. Allein in diesem Jahr sind die Leichen von 51 Menschen in der griechischen Grenzregion gefunden worden. Wir haben uns mit Dr. Pavlidis unterhalten; er kümmert sich ehrenamtlich um diese Fälle, versucht für die Angehörigen Gewissheit zu schaffen, ob ihre vermissten Söhne, Töchter oder Eltern noch am Leben sind. Oft werden die Leichen erst nach Monaten gefunden – auch weil NGOs der Zugang zur Grenzregion verweigert wird.
Treffen mit Frontex
Alle Aktivitäten der Agentur basieren auf den selbst erklärten Bedürfnissen der nationalen Behörden und stehen unter jener Aufsicht. Die griechischen Behörden versuchen Frontex von ihren illegalen Aktivitäten und den Pushbacks fernzuhalten, weil Frontex diese eigentlich melden müsste – was sie nachweislich in vielen Fällen nicht getan haben. Die Grenzschutzbeamten und Aufsichtspersonen, mit denen wir gesprochen haben, behaupten alle Aktivitäten zu melden, aber noch nie einen Pushback mitbekommen zu haben. Auf unsere Frage, was sie eigentlich den ganzen Tag machen, haben wir keine nachvollziehbare Antwort erhalten.
Treffen mit Notis Mitarachi
Am Dienstag hatten wir ein Treffen mit dem griechischen Migrationsminister Notis Mitarachi, der uns Abgeordneten und auch renommierten internationalen Medien mehrfach vorgeworfen hat Fake News und türkische Propaganda zu verbreiten, als wir über die offensichtlichen Pushbacks, Gewalt und Verschleppungen auf See gesprochen haben. Die griechische Regierung baut nicht nur Zäune an der Grenze, sondern auch eine Mauer aus Lügen. In seiner Rede sprach Mitarachi von deutlich besseren Aufnahmebedingungen und einem minimalen Rückstand bei den Asylverfahren im Land, ging aber nicht auf die von glaubwürdigen Akteuren erhobenen Vorwürfe der Pushbacks und weiterer Menschenrechtsverletzungen ein. Ich habe Herr Mitarachi mit mehreren aktuellen Fällen konfrontiert, einschließlich der Fälle von Menschen die auf einer Insel am Evros gestrandet sind. Doch Herr Mitarachi behauptete einfach, dass alle diese Fälle erlogen und erfunden seien.
Pressefreiheit in Griechenland
Wir trafen Journalisten, die an der Berichterstattung über den Predator-Fall beteiligt waren, bei dem Griechenland illegal Journalist:innen und Oppositionspolitiker:innen abhörte. Ihre Schilderungen zeichneten ein Bild von Einschüchterung, nationalen Medien, die zum Sprachrohr der Regierung geworden sind, und einem gravierenden Mangel an Mitteln für investigativen Journalismus.
Lesbos
Nach dem Ende der grünen Mission bin ich noch nach Lesbos gereist, um mir die Lage im Lager Mavrouvoni anzuschauen, dass nach dem Brand in Moria errichtet wurde und als kurzfristige Notlösung gedacht war. Die Lage im Camp ist noch nicht gut, aber es ist auch durch die vielen NGOs und den internationalen Druck deutlich besser als vor einem Jahr. Wie die Lage vor einem Jahr war, habe ich hier aufgeschrieben. Derzeit wird ein neues Camp errichtet, das noch abgelegener ist, als Mavrouvoni und im kommenden Frühjahr fertig werden soll. Man fürchtet, dass die Menschen dort eingesperrt werden und NGOs keinen Zugang haben.
Allgemeine Lage in Griechenland
Am Dienstag trafen wir uns in Athen mit Expert:innen, die sich mit den gefährlichen Auswirkungen der biometrischen Massenüberwachung, der Korruption bei der Vergabe öffentlicher Gelder, den Angriffen auf die Pressefreiheit und dem Abhörskandal befassen. Die vielen Gespräche hinterließen das Bild von einem Staat, in dem grundlegende demokratische Standards und Menschenrechte nicht mehr eingehalten werden. Die EU, insbesondere die Kommission, muss schnell handeln und Druck aufbauen, um einer weiteren Verschlechterung entgegenzuwirken. Die Zivilgesellschaft, unabhängige Journalist:innen und Geflüchtete brauchen aktive Unterstützung, um sich gegen die Angriffe durch den Staat und die Regierung zu wehren.
Griechische Regierung lügt
Mein Besuch am Evros und in Athen hat mir nochmal vor Augen geführt, dass die griechische Regierung systematisch lügt, um sich ihrer Verantwortung zu entziehen und auch nicht davor zurückschreckt Menschen auf der Flucht zu misshandeln, NGOs einzuschüchtern und Journalist:innen anzugreifen und zu bespitzeln. Es gibt aber auch noch eine intakte Zivilgesellschaft, die jetzt unsere Unterstützung braucht, um weiter für die Rechte von Schutzsuchenden und für den Erhalt der Demokratie und des Rechtsstaats zu kämpfen.
Ich habe ein Anfrage zu Pushbacks an der Landesgrenze zwischen Griechenland und der Türkei an die Kommission gestellt. Die Kommission gibt sich schockiert und besorgt über die Berichte und antwortet, dass sie die aktuellen Kontrollmechanismen zur Wahrung der Grundrechte überprüfen wird.
Die Anfrage mit Antworten in mehreren Sprachen findet ihr hier.
Meine Anfrage
Wie vom Griechischen Flüchtlingsrat gemeldet, waren 94 Syrer:innen, darunter Minderjährige mit Gesundheitsbeschwerden und junge Mütter mit ihren Säuglingen, vor Kurzem an einem Eiland vor der Küste des griechischen Regionalbezirks Evros gestrandet und mussten dort mehrere Tage ohne Wasser und Nahrung ausharren. Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 24. Mai 2022 einstweilige Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass diese Menschen unverzüglich humanitäre und medizinische Hilfe erhalten und die gesetzlich vorgesehenen Aufnahme- und Identifizierungsverfahren auf sie angewandt werden, wurden sie laut Berichten ihrer Familienangehörigen in der Türkei am letzten Wochenende gegen ihren Willen in die Türkei zurückgebracht.
Sind die oben geschilderten Handlungen Griechenlands nach Ansicht der Kommission mit dem EU-Recht, einschließlich der Charta der Grundrechte, vereinbar?
Welche Schritte wird die Kommission unternehmen, um der möglichen Zurückweisung von 94 Syrern nachzugehen?
Liegen ihr Informationen über andere illegale Zurückweisungen durch Griechenland oder über die Zahl mutmaßlich rechtswidriger Verhaltensweisen an der griechischen Grenze vor?
Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 08.08.2022
Die Kommission ist zutiefst besorgt über alle Berichte und Vorwürfe von Zurückweisungen und Misshandlungen. Jede Form von Gewalt oder Zurückweisung ist rechtswidrig und muss von den nationalen Behörden untersucht werden, die für die Feststellung des Sachverhalts und das Ergreifen von Folgemaßnahmen zuständig sind. Die Kommission ist sich der zunehmenden Migrationsströme an der Landgrenze zur Türkei in den letzten Monaten sowie der Bedrohung durch Schleuser bewusst, die Migrantinnen und Migranten auf kleinen Inseln im Fluss Evros aussetzen.
Im Einklang mit der Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen müssen die Mitgliedstaaten wirksame Mechanismen zur Einhaltung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (grundlegende Voraussetzungen) einrichten. Die Kommission bewertet derzeit die Mechanismen, die im Zusammenhang mit den griechischen Programmen im Rahmen der Fonds im Bereich Inneres eingerichtet worden sind, einschließlich des unabhängigen Mechanismus zur Überwachung und Verhinderung von Zurückweisungen. Ist die Kommission der Auffassung, dass eine grundlegende Voraussetzung nicht erfüllt ist, können die im Rahmen der betreffenden Maßnahmen getätigten Ausgaben zwar in den Zahlungsanträgen angeführt werden, eine Erstattung erfolgt jedoch erst, wenn die Kommission den betreffenden Mitgliedstaat über die Erfüllung der grundlegenden Voraussetzung unterrichtet hat.
Die Kommission prüft alle ihr zur Verfügung stehenden sachdienlichen Informationen und kooperiert mit den griechischen Behörden, die für die Kontrollmechanismen und die konkrete Untersuchung von Vorwürfen zuständig sind. Die Kommission arbeitet auch im Rahmen der Task Force „Migrationsmanagement“ mit Griechenland zusammen und liefert Feedback in diesem Bereich, um die Wirksamkeit der von den griechischen Behörden eingeführten Überwachungs‐ und Follow-up-Modalitäten zu erhöhen, mit denen die Verpflichtungen aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und dem EU-Recht, einschließlich des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, vollständig umgesetzt werden sollen.
Die EU finanziert mehrere geschlossene Migrationszentren mit haftähnlichen Bedingungen in Griechenland. Trotz vorliegender Beweise eines griechischen Gerichtes und mehrerer Nichtregierungsorganisationen, leugnet die Kommission, dass es haftähnliche Bedingungen gibt und behauptet darüber hinaus, dass die Rechte der Schutzsuchenden nicht gebrochen werden.
Die Anfrage mit Antworten in mehreren Sprachen findet ihr hier.
Meine Anfrage
Die EU finanziert mehrere geschlossene Migrationszentren in Griechenland. Dazu gehört u. a. das geschlossene Zentrum mit kontrolliertem Zugang auf Samos, das im September 2021 eröffnet wurde und im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) Finanzmittel in Höhe von 43 Mio. EUR erhielt. Urteilen eines griechischen Gerichts und Nachweisen verschiedener regierungsunabhängiger Organisationen zufolge sind in diesem Zentrum viele Asylsuchende de facto mit Inhaftierung und umfassender Überwachung konfrontiert.
Hält die Kommission die Finanzierung dieses geschlossenen Zentrums für mit den besonderen Bestimmungen zur Regelung der Inhaftierung von Asylsuchenden im internationalen und europäischen Asylrecht (z. B. der Richtlinie über Aufnahmebedingungen und der Dublin-III-Verordnung) vereinbar?
Könnte die Kommission eine ausführliche Auflistung aller Ausgaben im Rahmen des AMIF für das Lager auf Samos seit September 2021 bereitstellen, aufgeschlüsselt nach Ausgabenkategorie (insbesondere Überwachung einschließlich Verfahren und Wachpersonal)?
Gibt es einen konkreten Überblick über Finanzmittel im Rahmen des AMIF für vergleichbare Zentren auf den Ägäischen Inseln, einschließlich ihrer Kapazität und Gesamtpersonalzahl je Lager, und wie überwacht die Kommission diese Ausgaben?
Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 08.09.2022
Die Kommission hat 276 Millionen € aus dem Migrations‐ und Integrationsfonds (AMIF) für den Bau von fünf Mehrzweck-Aufnahme‐ und Identifizierungszentren auf den Inseln Samos, Kos, Leros, Chios und Lesbos bereitgestellt. Diese Zentren umfassen verschiedene Bereiche, darunter Aufnahme‐ und Identifizierungsstrukturen für Neuankömmlinge, Unterkunftsmöglichkeiten, sichere Bereiche für unbegleitete Kinder und Jugendliche, Freizeitbereiche und Abschiebezonen. Wie durch die Rückführungsrichtlinie garantiert, handelt es sich nur bei den Abschiebezonen um geschlossene Bereiche. Dass das Asyl‐ und Rückkehrrecht der EU vollumfänglich geachtet wird, ist Bedingung dafür, dass die Zentren mit EU-Mitteln unterstützt werden können.
Die von den griechischen Behörden für den Bau der Zentren veröffentlichten Ausschreibungsunterlagen können online abgerufen werden. Sie beziehen sich auf die Gesamtkosten der Bauarbeiten und nicht auf die Kosten pro Zentrum. Die Verträge, die Informationen über die laufenden Kosten des neuen Zentrums auf Samos enthalten, stammen vom griechischen Ministerium für Migration und Asyl, weswegen der Kommission die gewünschten Angaben nicht zur Verfügung stehen. Die Damen und Herren Abgeordneten werden gebeten, sich dazu an die zuständigen Dienststellen des Ministeriums zu wenden.
Die Kommission hat Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Ägäischen Inseln entsandt und beobachtet die Arbeit der neuen Zentren genau, um die Konformität mit geltendem EU-Recht sicherzustellen. Dies geschieht über die obligatorische Berichterstattung der Empfänger von EU-Mitteln und Besuche von Kommissionsmitarbeiterinnen und ‐mitarbeitern vor Ort. Für den Bau der neuen Mehrzweck-Aufnahme‐ und Identifizierungszentren wurde ein zusätzlicher Überwachungsrahmen geschaffen, der während des Projekts unter anderem regelmäßige Finanzkontrollen durch ein externes Wirtschaftsprüfungsunternehmen beinhaltet.
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