BIPoC aus der Ukraine willkommen?

Am 10. Dezember 2022 habe ich gemeinsam mit PxP Embassy e. V.  eine Konferenz über die Situation der Drittstaatsangehörigen in Deutschland und den Bundesländern veranstaltet. Den Livestream findet ihr hier. Wir haben zusammen mit Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, der Politik, sowie betroffenen BIPoC Menschen aus der Ukraine über die aktuelle Situation diskutiert, sowie über mögliche Lösungsansätze und Zukunftsperspektiven. 

Die EU hat 4,7 Millionen Geflüchtete aufgenommen 

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine haben sich mittlerweile über eine Million Menschen in Deutschland in Sicherheit bringen können. Durch die erstmalige Aktivierung der “Massenzustromrichtlinie” des Europäischen Rates hat die EU eine gemeinsame Lösung für Menschen auf der Flucht vor dem Krieg schaffen können, damit sie schnell und unbürokratisch eine sichere Aufenthaltsperspektive und Versorgung haben. Diese Richtlinie zum temporären Schutz existiert bereits seit 2001, wurde vorher jedoch noch nie aktiviert. Die Richtlinie ermöglicht Geflüchteten einen unbürokratischen Zugang zu Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung, Arbeitsmarktzugang und freier Wohnortwahl. Dank ihrer Anwendung gilt die Dublin-Verordnung nicht, wodurch Geflüchtete nicht wie sonst einen Asylantrag in dem Land stellen, wo sie als erstes einreisen, sondern sie können sich frei in der EU bewegen. Dies ist ein großer Erfolg für die EU und zeigt, dass, wenn politischer Wille vorhanden ist, schnell unkomplizierte Lösungen gefunden werden. Die EU hat einen enormen Kraftakt vollbracht und über 4,7 Millionen Menschen aus der Ukraine aufgenommen.

Drittstaatsangehörige werden ausgeschlossen 

Eine Personengruppe ist dabei jedoch ausgenommen worden: die sogenannten  Drittstaatsangehörigen. Für diese Menschen ohne ukrainischen Pass aber mit Wohnsitz in der Ukraine wurden andere Regelungen geschaffen – viele sollen abgeschoben werden. Sie werden vom temporären Schutz für Kriegsvertriebene ausgeschlossen, und das, obwohl sie vor demselben Krieg fliehen mussten. Laut IOM sind unter den fast fünf Millionen Geflüchteten ca. 500.000 Drittstaatsangehörige, welche aus der Ukraine geflohen sind. Sie haben oft sehr andere Erfahrungen gemacht als ukrainische Geflüchtete und mussten bereits an den Grenzen traumatische rassistische und diskriminierende Erfahrungen machen. Viele von ihnen wurden als einzige PoC aus Zügen rausgezogen und ihnen wurden Grenzübertritte verweigert. Denn die Massenzustromrichtlinie sieht primär den Schutz von ukrainischen Staatsangehörigen vor, jedoch gibt es eine explizite Empfehlung des Rates den Kreis der Schutzberechtigten auch auf Drittstaatsangehörige und Staatenlose auszuweiten. Da die EU jedoch keinen Aufenthaltsstatus für Geflüchtete vergeben kann, müssen die nationalen Behörden die Richtlinie in Nationales Recht umsetzen; in Deutschland ist das das BMI. 

Umsetzung der Massenzustromrichtline in Deutschland

Mit der Anwendung des Paragraphen 24 Aufenhaltsrecht hat Deutschland die Massenzustromrichtline fast 1:1 umgesetzt; außer der Empfehlung, den Personenkreis der Schutzberechtigten auch auf Drittstaatsangehörige und Staatenlose auszuweiten. Drittstaatsangehörige können sich auch für temporären Schutz bewerben, jedoch wird, anders als bei Ukrainer:innen, geprüft, ob sie in ihr Herkunftsland sicher zurückkehren können, unabhängig davon, ob ihr Lebensmittelpunkt in der Ukraine lag oder nicht. Wird entschieden, dass eine Rückkehr ins Herkunftsland möglich ist, bekommen Betroffene einen negativen Aufenthaltsentscheid und sind somit Ausreisepflichtig. Ihnen droht die Abschiebung und Illegalisierung, obwohl sie vor dem gleichen Krieg wie alle anderen geflohen sind 

Die Niederlande macht es anders

Die meisten EU Länder hab die Massenzustromrichtline ähnlich umgesetzt wie Deutschland. Dass es jedoch auch anders geht sieht man am Beispiel der Niederlande: hier fällt auch jede:r, der/die nur einen temporären Aufenthaltstitel in der Ukraine hatte, wie zum Beispiel Student:innen-Visa, unter den Schutz der Massenzustromrichtline. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen und eine rassistische Einteilung von zwei Klassen an Geflüchteten kreiert. Es sollte eigentlich gleiches Recht für alle Menschen gelten, die vor dem selben Krieg in der Ukraine fliehen. 

Weil eine Regelung vom Bund ausbleibt, kreiert Berlin eine Übergangslösung 

Die Berliner Landesregierung, sowie Hamburg und Bremen, hat versucht eine Übergangslösung für Drittstaatsangehörige zu schaffen. Durch eine Verlängerung des Aufenthaltsrechts von 90 Tagen auf weitere sechs Monate sollen Drittstaatsangehörige die Möglichkeit bekommen, die Qualifikationen für andere Visa zu erfüllen, z.B.: Studierendenvisa. Dies ist bereits ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch ist der Zeitraum zu gering, um für viele Menschen eine echte Chance auf einen anderen Aufenthaltstitel zu sein. Für ein Studierenden-Visa ist zum Beispiel ein Sprachniveau C1 nötig, sowie ein Sperrbetrag von ca. 10.000€, schwer zu schaffen in sechs Monaten. Außerdem haben unsere Diskussionen gezeigt, dass hier eine enorme Differenz zwischen politischem Willen und der Realität auf den Behörden herrscht.

Behördenwahnsinn

Betroffene beschreiben ein Hin- und Hergeschicke von Behörde zu Behörde, Mitarbeitende, die nicht auf dem neuesten Stand der Regularien sind und Abschiebebescheide, die zugestellt werden, obwohl eine Verlängerung um sechs Monate bereits ausgestellt wurde. Außerdem werden oftmals Unterlagen im Original gefordert, welche jedoch durch die Flucht verloren gegangen sind oder nicht zu beschaffen sind, da die ukrainischen Behörden nicht wie sonst arbeiten; Kopien und Scans werden oft nicht akzeptiert. Würde man §24 für alle Geflüchteten aus der Ukraine anwenden, würden enorm viele Ressourcen auf den Seiten der deutschen Behörden und NGOs frei werden. Diese könnten die Geflüchteten bei ihrer Ankunft und Integration unterstützen,  anstatt ihre Energie für die Navigierung im bürokratischen Dschungel zu verbrauchen. Außerdem würde es für die Menschen, die gerade vor einem Krieg geflohen sind, eine große Reduktion der psychischen Belastung bedeuten, sowie Ihnen die Chance geben, in Deutschland anzukommen. Jian Omar, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, hat uns jedoch auf dem Panel klargemacht, dass es sich gerade jetzt schon für eine Anschlusslösung stark macht im Landtag. Misbah Khan und Hakan Demir, Mitglieder des Bundestages, haben zugesichert, dass sie auf Bundesebene weiter Druck machen werden, damit eine Lösung für die Situation gefunden werden kann. 

Doppelstandard – Warum?

Laut UNHCR haben 4,776,606 Menschen sich für vorübergehenden Schutz in EU Ländern registriert. Deutschland hat davon über eine Millionen  Geflüchtete aufgenommen. Laut BMI sind davon ca. 29.000 Drittstaatsangehörige. Das bedeutet, dass keine 3% der Menschen aus der Ukraine in Deutschland Drittstaatsangehörige sind. Wir reden hier also von einer sehr geringen Anzahl an Menschen, für die das Leben sehr sehr schwer gemacht wird. Außerdem sind die meisten davon Studierende in der Ukraine gewesen. Viele von Ihnen im medizinischen Bereich – ein Bereich, der dringend Fachkräfte braucht.  Man fragt sich also, warum man hierbei unterscheiden muss. Eine Übersicht über das Programm, die Gäste und die Inhalte findet ihr hier. Die Konferenz wurde live übertragen und aufgezeichnet