Anfrage: Fälle von „Drift-backs“ in der Ägäis

Ich habe eine Anfrage an die Kommission zu den dokumentierten „Drift-Backs“ in der Ägäis gestellt. Auf meine Frage, ob die Kommission endlich diese Menschrechtsverletzungen an der griechischen Grenze einräumt erhalte ich mal wieder keine Antwort. Die Kommission bleibt schwammig in ihren Aussagen und weist nur darauf hin, dass sie die griechischen Behörden aufgefordert hat alle Vorwürfe zu untersuchen. Das dabei jedoch nicht viel rauskommt, wenn eine Behörde, die Menschenrechtsverletzungen selbst begeht, ihre eigenes Fehlverhalten untersuchen soll, ist selbsterklärend. Nachdem dies der Fall ist, sollte die Kommission als Hüterin der Verträge ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland einleiten um die vielfach dokumentierten Verletzungen der Rechtstaatlichkeit und der Menschenrechte aufzuklären. Denn unsere Grenzen sind nur geschützt, wenn auch unsere Grundrechte an ihnen geschützt werden.

Die Anfrage mit Antworten in mehreren Sprachen findet ihr hier.

Meine Anfrage

Die Rechercheagentur „Forensic Architecture“ hat vor kurzem gemeldet, dass die griechische Küstenwache teilweise mit der Unterstützung von Frontex in 1.018 Fällen Flüchtlinge auf Rettungsinseln ausgesetzt hat, damit sie so aus griechischen Gewässern zurück an die türkische Küste treiben, was auch als „Drift-back“ bezeichnet wird. Obwohl es immer mehr Belege für diese Praxis gibt, ist die Reaktion der Kommission darauf bislang sehr verhalten und zweideutig gewesen, was den Eindruck erweckt, dass sie die griechischen staatlichen Stellen decken will, anstatt als Hüterin der Verträge aufzutreten.

  • Gedenkt die Kommission, gemeinsam mit Frontex Maßnahmen im Hinblick auf die genannten Fälle zu ergreifen, oder geht sie davon aus, dass die griechische Transparenzbehörde diese Vorkommnisse zum Gegenstand einer unabhängigen Untersuchung machen wird?
  • Berücksichtigt die Kommission bei der Behandlung der systematischen Menschenrechtsverletzungen, die der griechischen Regierung zur Last gelegt werden, den Interessenkonflikt angesichts der Parteizugehörigkeit von Vizepräsident Margaritis Schinas, der im Kollegium der Kommissionsmitglieder für die Förderung unserer europäischen Lebensweise zuständig ist?
  • Räumt die Kommission die häufigen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen an den griechischen Grenzen endlich ein, nachdem eine Vielzahl etablierter Akteure eine lange Liste von Beweisen veröffentlicht hat?

Die Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 13.10.2022

  1. Die Zuständigkeit für die Untersuchung mutmaßlicher Zurückweisungen liegt bei den nationalen Behörden. In diesem Zusammenhang informierten die griechischen Behörden die Kommission über Maßnahmen, die ergriffen wurden, um die Einhaltung der Grundrechte zu gewährleisten. Dazu gehören interne Kontrollverfahren, Untersuchungen durch unabhängige Behörden und die Möglichkeit von Staatsanwälten, Vorwürfe zu untersuchen*. Die Kommission wird weiterhin mit den griechischen Behörden zusammenarbeiten, um die erzielten Fortschritte zu überwachen.
  2. Vizepräsident Schinas hat keinen Interessenkonflikt. Gemäß dem Verhaltenskodex für die Mitglieder der Kommission liegt ein Interessenkonflikt vor, wenn ein persönliches Interesse die unabhängige Wahrnehmung der Aufgaben eines Kommissionsmitglieds beeinflussen kann. Persönliche Interessen umfassen unter anderem, jedoch nicht ausschließlich, potenzielle
    Vergünstigungen oder Vorteile für die Mitglieder selbst, ihre (Ehe-)Partner oder direkte Familienangehörige. Ein Interessenkonflikt liegt nicht vor, wenn ein Kommissionsmitglied lediglich als Teil der allgemeinen Öffentlichkeit oder einer breiten Bevölkerungsschicht betroffen ist. Folglich schaffen die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei ebenso wie politische Überzeugungen keinen Interessenkonflikt.
  3. Die Mitgliedstaaten sind nach dem EU-Recht verpflichtet, unbefugtes Überschreiten der EU-Außengrenzen im Einklang mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einschließlich des Rechts auf Asyl und des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, zu verhindern und abzuwenden. Die Achtung der Grundrechte ist ein nicht verhandelbarer Bestandteil der Umsetzung des integrierten europäischen Grenzmanagements, und die Kommission hat die zuständigen nationalen Behörden wiederholt aufgefordert, Vorwürfe gründlich zu untersuchen und die Verantwortlichen gegebenenfalls vor Gericht zu bringen.

*Den neuen Vorschlägen zufolge werden die griechischen Behörden weiter an einer dreistufigen Struktur arbeiten und sich dabei auf Folgendes stützen: a) interne Kontrollverfahren, mit denen Straftaten im Zusammenhang mit Einsätzen der griechischen Polizei oder der griechischen Küstenwache untersucht und
verfolgt werden sollen, b) Untersuchungen durch unabhängige Behörden wie den griechischen Bürgerbeauftragten und die nationale Transparenzbehörde, und c) die Möglichkeit von Staatsanwälten, Vorwürfe nach einer entsprechenden Beschwerde bzw. Presse- und NRO-Berichten zu untersuchen. Zuletzt haben die
griechischen Behörden im Anschluss an Gespräche zwischen Kommissarin Johansson und den zuständigen Ministern in Griechenland am 30. Juni 2022 Rechtsvorschriften erlassen, die unter anderem die Einsetzung eines Grundrechtsbeauftragten und eines spezifischen Überwachungsausschusses für Grundrechte innerhalb des Ministeriums für Migration und Asyl umfassen. Der Grundrechtsbeauftragte und der Ausschuss werden sich sowohl mit Beschwerden im Zusammenhang mit Grenzeinsätzen als auch im Zusammenhang mit Asylverfahren befassen.