Parlament kritisiert Gelder für tunesischen Autokraten

In einer Resolution des Europäischen Parlaments haben wir Abgeordneten die Freigabe von Geldern für die tunesische Regierung kritisiert. Meine Rede im Plenum dazu findet ihr hier.

Die Fraktionen der EVP und Renew Europe haben sich ebenso wie die ECR- und ID-Fraktion gegen die Behandlung der Resolution gewehrt. Der Antrag aus unserer Fraktion auf Behandlung hatte trotzdem Erfolg. Deutliche Kritik wurde beispielsweise daran geäußert, dass die Kommission Zahlungen an Tunesien in einem Dringlichkeitsentschluss Ende vergangenen Jahres beschlossen hatte, um damit Kontrollrechte des Europäischen Parlaments zu umgehen.

Die Resolution wurde recht deutlich angenommen (Ja: 243, Nein: 167, Enthaltung: 41). Wir als EU-Parlament betonen in der Resolution, dass die Einhaltung von Menschenrechten, demokratischer Prinzipien und Rechtsstaatlichkeit die Bedingung für solche Geldzahlungen sein muss. Die tunesische Regierung hat 150 Millionen Euro fast ohne Bedingungen bekommen. Die Resolution kritisiert die Verwendung eines „dringenden schriftlichen Verfahrens“ für die Annahme der Maßnahme ohne vorherigen Kontakt zum Parlament. Dadurch wird das Parlament nicht beteiligt.

Zudem werden Bedenken hinsichtlich der Achtung der rechtlichen Grundprinzipien, insbesondere angesichts der Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Tunesien seit Juli 2021, geäußert. Das Parlament fordert die Kommission auf, detaillierte Informationen darüber bereitzustellen, wie und wann die Bedingungen für die Budgethilfe erfüllt werden und wie der Fortschritt objektiv bewertet wird. Darüber hinaus wird gefordert, dass die Kommission erklärt, warum die Unterstützung in einer einzigen Tranche ausgezahlt wird und wie diese Maßnahme zur Verbesserung des Geschäfts- und Investitionsklimas in Tunesien beitragen soll. Schließlich wird die Kommission aufgefordert, zu erklären, warum die tunesischen Behörden frühere EU-Budgethilfen abgelehnt haben und welche Garantien es gibt, dass das Europäische Parlament EU-finanzierte Projekte in Tunesien besuchen kann.

Die EU macht sich von Diktatoren erpressbar 

Wir erleben in Tunesien eine Aushöhlung von Demokratie und Grundrechten, gekrönt von rassistischen und antisemitischen Ausfällen von Präsident Kais Saied. Wir sind nicht gegen Verhandlungen mit Drittstaaten, auch nicht mit schwierigen Regimen oder Regierungen. Aber die unwürdige Geldkofferpolitik, die wir in den letzten Jahren erleben, trägt weder zur Bekämpfung von Fluchtursachen noch zur besseren Steuerung von Migration bei. Statt endlich die Herausforderungen anzunehmen, kopiert man einfache falsche Antworten von Rechtsaußenparteien und wundert sich dann, warum man jedes Jahr die gleichen Diskussionen zu Migration führt.

Nachdem Ursula von der Leyen, Giorgia Meloni und Marc Rutte letzten Sommer eine Vereinbarung mit Tunesien treffen wollten, haben die tunesischen Behörden Geflüchtete einfach ohne Wasser und Nahrung in der Wüste ausgesetzt, Dutzende sind schlicht verdurstet. Von den im Sommer noch angekündigten Bedingungen, wie Fortschritten bei der Demokratieförderung und der Wahrung von Menschenrechten, ist nun keine Rede mehr.

Das Migrationsabkommen mit Diktatoren keine langfristige Perspektive darstellen, haben wir schon beim EU-Türkei-Deal oder der Zusammenarbeit mit dem Niger gelernt. Saied hat sich nicht als verlässlicher Partner erwiesen und letztes Jahr sowohl EU-Abgeordneten und Kommissionsmitarbeitern Besuche verweigert. Die EU macht sich von Diktatoren erpressbar. Wenn es keine Kontrolle über die Verwendung von Gelder durch Diktatoren gibt, sollte es kein Geld geben. 

Die Migrationsbewegungen enden auch nicht, sie verlagern sich nur auf noch gefährlichere Routen. Dass Ursula von der Leyen für diesen Sonntag einen Besuch in Kairo für das nächste EU-Migrationsabkommen, erneut ohne vorherige Rücksprache mit dem Europäischen Parlament, angekündigt hat, zeigt, dass es hier vor allem um Wahlkampf und nicht um nachhaltige Lösungen geht.

Verheerender Frontex-Bericht: Untersuchungskommission zur Seenotrettung muss kommen

Nach dem Schiffsunglück von Pylos mit über 600 Toten vor der griechischen Küste leitete die Europäische Ombudsfrau Emily O’Reilly eine Untersuchung ein. Dabei konzentrierte sie sich mandatsbedingt auf die Rolle von Frontex.

Der nun von ihr vorgestellte Bericht zeigt, dass Frontex die eigenen europa- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht erfüllt. Das hängt beispielsweise damit zusammen, dass Frontex bei Seenotrettungsfällen zu stark von der Kooperation der Mitgliedstaaten abhängig ist, die Menschen in Seenot nicht immer retten.

Die Untersuchung identifiziert systemische Probleme und Mangel an einer unabhängigen Kontrolle der Einsätze. O’Reilly appelliert an das EU-Parlament, Rat und Kommission, eine öffentliche Untersuchungskommission einzurichten, um die Ursachen der Mittelmeer-Todesfälle aufzuklären und künftig zu verhindern.

Die Pressemitteilung der Bürgerbeauftragten ist hier zu finden.

Bürgerbeauftragte veröffentlicht verheerenden Bericht – “Untersuchungskommission zur Seenotrettung muss kommen”

Der Bericht ist erschreckend und das Urteil der Bürgerbeauftragten verheerend. Frontex kommt grundlegenden rechtlichen Verpflichtungen nicht nach. So wurden offenbar Seenotrettungsfälle durch Frontex gefunden, dann aber nicht die Schiffe im Umfeld darüber informiert. So auch bei dem Schiffsunglück von Pylos, bei der über 600 Menschen beim Untergang des Fischkutters Adriana gestorben sind, obwohl man viele Stunden lang von dem Seenotfall wusste. Solche Fälle dürfen sich nicht wiederholen.

Frontex bot zwar Hilfe bei der Adriana-Luftüberwachung an, erhielt jedoch keine Antwort von Griechenland. Die Untersuchung identifiziert systematische Probleme, weil immer wieder Seenotfälle ignoriert werden, wodurch es zu vielen vermeidbaren Toten kommt.

Acht Monate nach dem Unglück wurden allerdings immer noch keine Schritte eingeleitet, um zu verhindern, dass eine solche Katastrophe sich wiederholt. Auch auf Seiten der griechischen Behörden scheint es kein Interesse daran zu geben, ernstzunehmende rechtsstaatliche Untersuchungen durchzuführen. Unsere Außengrenzen dürfen nicht länger ein rechtsfreier Raum sein, indem man straflos Menschen ertrinken lassen kann.

Deswegen unterstütze ich die Forderung der Europäischen Bürgerbeauftragten Emily O’Reilly, eine öffentliche Untersuchungskommission einzurichten, um das tausendfache Sterben auf dem Mittelmeer aufzuarbeiten und in Zukunft zu verhindern.

Hintergrund zu der Untersuchung

Am 14. Juni 2023 sank das überfüllte Fischerboot Adriana vor der Küste von Pylos, Griechenland, wobei über 600 Menschen ertranken. Die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, bezeichnete das Ereignis als eines der schlimmsten Schiffswracks dieses Jahrhunderts und forderte eine gründliche Untersuchung. 

Die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly leitete eine Untersuchung ein. Dabei konzentriert sie sich auf die Rolle von Frontex und dessen Interaktion mit den nationalen Behörden bei Seenotfällen. Die Untersuchung ergab, dass Frontex‘ Möglichkeiten zur Seenotrettung stark von den Mitgliedstaaten und ihren Maßnahmen in der Seenotrettung abhängig sind. Oft gibt es ein Wirrwarr an Zuständigkeiten, die es erleichtern, sich bei Rettungsmaßnahmen aus der Verantwortung zu ziehen und Menschen ertrinken zu lassen. 

Die Bürgerbeauftragte schlug vor, dass die Kommission, der Rat und das Parlament eine unabhängige Untersuchungskommission zur Bewertung der Situation und zum Schutz der Grundrechte bei Seenotfällen einrichten. 

Das Adriana-Unglück steht sinnbildlich für das Unterlassen von geeigneten Hilfsmaßnahmen, denn auch hier wurden trotz eindeutiger Zeichen für einen Seenotfall Schiffe nicht zur Rettung alarmiert. 

Auch wenn der Fall noch juristisch aufgearbeitet wird, ist klar, dass durch angemessene Seenotrettungsmaßnahmen über 600 Menschen noch am Leben sein könnten.

Hier ein Auszug aus den Empfehlungen der EU-Bürgerbeauftragen O’Reilly:

Unabhängigere operative Entscheidungen durch Frontex: Frontex bindet sich in operativen Entscheidungen zu stark an die Mitgliedstaaten. So mangelt es Frontex an der Fähigkeit, seinen Grundrechtsverpflichtungen nachzukommen. Möglicherweise muss eine Überarbeitung der operativen Pläne und Verfahren, um sicherzustellen, dass die Agentur besser auf Seenotfälle reagieren kann, selbst wenn nationale Behörden keine konkreten Anweisungen zur Rettung oder zum Melden von Rettungsfällen geben.

Reaktion auf Seenotfälle: Frontex muss die operativen Protokolle die Reaktion auf Seenotfälle überarbeiten, insbesondere im Hinblick auf die Ausgabe von Mayday-Relais – also die Meldung von Seenotfällen an umliegende Schiffe. Die Agentur sollte prüfen, ob ihre Kriterien für die Bewertung von Seenotfällen und die Entscheidung zur Ausgabe von Mayday-Relais ausreichend sind, um die besonderen Umstände von Booten zu berücksichtigen und den Tod auf See zu verhindern.

Umgang mit Informationen von Dritten: Frontex sollte seine Praktiken zur Bewertung und Integration von Informationen, die von Nichtregierungsorganisationen und anderen inoffiziellen Quellen bereitgestellt werden, verbessern. Insbesondere sollten gemeldete Gefahren für Kinder oberste Priorität haben.

Beziehung zu nationalen Behörden: Die Untersuchung unterstreicht die Notwendigkeit für Frontex, seine Beziehungen zu den nationalen Behörden zu überdenken, insbesondere in Fällen, in denen Zweifel an der Einhaltung der Grundrechte durch einen Mitgliedstaat bestehen. Frontex sollte bereit sein, seine Aktivitäten mit einem Mitgliedstaat einzustellen, zurückzuziehen oder auszusetzen, wenn der Schwellenwert für ernsthafte Grundrechtsverletzungen erreicht wurde. Hier wird explizit Bezug auf Griechenland genommen.

Rechtsrahmen für Such- und Rettungsaktionen verbessern: Es besteht Bedarf an einem klaren EU-Rechtsrahmen für Such- und Rettungsmaßnahmen, der die Rollen und Verantwortlichkeiten von Frontex und den Mitgliedstaaten klar definiert und die Agentur in die Lage versetzt, ihren Grundrechteverpflichtungen effektiver nachzukommen. Das Seerecht wurde in einer Zeit geschaffen, in der man sich nicht vorstellen konnte, dass sich Staaten weigern, Menschen aus Seenot zu retten. Da diese Zeiten sich leider geändert haben, sollte man den Rechtsrahmen europäisch überarbeiten.

Diese Vorschläge zielen darauf ab, Frontex‘ Einsätze zur Rettung von Menschenleben zu verbessern und sicherzustellen, dass die Grund- und Menschenrechtseverpflichtungen im Rahmen der Such- und Rettungseinsätze zukünftig eingehalten werden.

Studie: Beyond borders, beyond boundaries

Meine niederländische Kollegin Tineke Strik und Ich haben für die grüne Europafraktion eine kritische Analyse der finanziellen Unterstützung der EU für Grenzregime in Tunesien und Libyen in Auftrag gegeben.

Die gesamte Studie findet ihr hier auf Deutsch, Englisch und Französisch.

Eine zweiseitige Zusammenfassung gibt es auf Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch und Arabisch.

Klare Versäumnisse der Kommission 

Bei den von der Europäischen Kommission und den Mitgliedsstaaten mitfinanzierten Grenzschutzmaßnahmen kommt es regelmäßig zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Dazu gehören der Einsatz von physischer Gewalt oder absichtlichen Kollisionen durch die tunesische Küstenwache bzw. das Abfangen und Freiheitsentzug von Migrant*innen, Versklavung, Zwangsarbeit, Inhaftierung, Erpressung und Schmuggel durch die libysche Küstenwache. 

Es handelt sich dabei um enorme Summen, jeweils über 70 Mio € für Libyen und Tunesien für die Zeiträume von 2018 -2022, eine detaillierte Übersicht findet sich im ersten Kapitel der Studie.

Bei der Zuweisung von Mitteln wird das Risiko von Menschenrechtsverstößen nicht hinreichend beachtet, trotz entsprechender Bestimmungen u.a. in der Verordnung des NDICI, worüber die meisten Maßnahmen seit 2021 finanziert werden. Auch während der Projektlaufzeit ist unklar, wie die Projekte überwacht werden, da die Europäische Kommission unter Berufung auf Vertraulichkeit keine Dokumente zur Verfügung stellt.

Nächste Schritte

Gelder sollten nur dann ausgezahlt werden, wenn sichergestellt werden kann, dass damit keine Maßnahmen unterstützt werden, die mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen. Eine menschenrechtliche Folgenabschätzung muss nicht lediglich am Anfang des Projekts durchgeführt werden, auch während der Laufzeit müssen Programme überprüft und ggf. angepasst oder unterbrochen werden. Dafür ist es wichtig, dass dem Europäischen Parlament ausreichend Dokumente zur Verfügung gestellt werden. Auch der Zivilgesellschaft kommt dabei eine wichtige Rolle zu, es ist wichtig, dass zivilgesellschaftliche Organisationen bei Finanzierungsentscheidungen mit konsultiert werden.

Weiterführende Informationen

Um die Studie vorzustellen, haben wir am gleichen Tag in einer Veranstaltung mit Seawatch, den Autorinnen der Studie und DG NEAR besonders die menschenrechtlichen Aspekte diskutiert, auf Anfrage kann eine Aufzeichnung der Veranstaltung zur Verfügung gestellt werden.

Ihr könnt die Zusammenfassung (EN/DE/FR/IT/AR) und die gesamte Studie (DE/EN/FR) hier herunterladen. Die SZ hat ebenfalls berichtet.

Veranstaltung: Jenseits der Mauern: Wie die EU-Asylpolitik Menschen außerhalb Europas entrechtet

Liebe alle,

am 22. Februar um 19 Uhr findet meine Veranstaltung zur Auslagerung von EU-Asylpolitik statt. Der Fokus wird auf der Externalisierung (Auslagerung) der Verantwortung in Drittstaaten und dem Alltag an Europas Grenzen liegen:

Menschen werden in der Wüste ausgesetzt, EU-finanzierte Milizen schießen auf Rettungsboote, Seenot-Überlebende werden auf Sklavenmärkten verkauft: Die Liste der Horrormeldungen zum Umgang mit Geflüchteten in Europas Nachbarländern ließe sich endlos fortsetzen. Und auch innerhalb Europas erleben wir eine zunehmende Entrechtung von Schutzsuchenden – beispielsweise durch die Reform des GEAS. Immer stärker versucht man, den Zugang zu Asyl in Europa zu beschränken, immer offensichtlicher werden dabei grundlegende Menschenrechte missachtet.

Wie ist die Lage in Europas Nachbarstaaten? Wer ist verantwortlich für diese unmenschliche Politik? Warum lagern EU-Regierungen die Asylpolitik immer weiter aus? Und was können wir dagegen tun? Auf diese und weitere Fragen wollen wir während der Veranstaltung eingehen und dann gemeinsam mit dem Publikum diskutieren.

Als ReferentInnen konnten wir die Journalistin Franziska Grillmeier und den Fotografen Vincent Haiges gewinnen, die über die Situation für geflüchtete Menschen an verschiedenen Grenzorten, Einschränkung von Berichterstattung und Fluchtwegen außerhalb Europas an Beispielen und Fotos berichten.

Außerdem werde ich – Erik Marquardt – danach von der Externalisierungspolitik der EU, der Rolle des Parlaments und den politischen Hintergründen berichten. Außerdem werde ich in diesem Kontext auch Ergebnisse unserer Studie vorstellen: „Beyond borders, beyond boundaries – Grenzüberschreitungen hinter den Außengrenzen“. Die Studie beleuchtet die finanzielle Unterstützung der EU für Grenzregime in Tunesien und Libyen. Falls du Lust hast, kannst du gerne hier schon mal einen Blick reinwerfen.

zu den ReferentInnen: 

Franziska Grillmeier ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Flucht und Migration. Dafür reiste sie mit Vincent Haiges in Länder wie Bulgarien, Niger, Bosnien und Herzegowina. Die vergangenen fünf Jahre verbrachte sie auf der Insel Lesbos in Griechenland. Dort berichtete sie u.a. für ZEIT Online, taz, BBC, WDR und die Wochenzeitung. Ihr Buch “Die Insel. Ein Bericht vom Ausnahmezustand an den Rändern Europas” erschien 2023 bei C.H.Beck.

Vincent Haiges berichtet als freier Dokumentarfotograf international über Konflikte und Menschenrechtsverletzungen. Unter anderem aus der Ukraine, Afghanistan und dem Irak für Die Zeit, The Guardian, Foreign Policy, NZZ, Republik. Außerdem arbeitet er an einem Langzeitprojekt zur Gewalt an den europäischen Außengrenzen.

Erik Marquardt ist seit 2019 Abgeordneter im Europäischen Parlament. Dort beschäftigt er sich mit Asyl, Migration und Menschenrechten. Er war selbst oft an den Außengrenzen und auf Seenotrettungsmissionen im Mittelmeer. Im Parlament begleitete er beispielsweise die Verhandlungen zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) als Schattenberichterstatter.

Für Getränke und Snacks ist gesorgt.

Ort der Veranstaltung: 

aquarium Südblock – narrativ e.V.
Skalitzer Str. 6
10999 Berlin

Datum und Uhrzeit: 

22.02.2024 

19:00 – 20:30 Uhr 

Anmeldung für vor Ort Teilnahme: 

Leider haben wir unsere maximale Kapazität für Gäste vor Ort erreicht. Falls ihr trotzdem dabei sein möchtet, gibt es noch die Möglichkeit über unseren Stream online zuzuhören.

ACHTUNG! Nach der Anmeldung gibt es KEINE Bestätigungsmail. Die Anmeldung kommt trotzdem bei uns an. Am Tag vor der Veranstaltung bekommt ihr nochmal eine Erinnerungsmail mit allen Details zugesendet. 

Anmeldung für Online Teilnahme

Für alle Menschen, die nicht vor Ort teilnehmen können, wird es eine Möglichkeit geben, über einen Live-Stream zuzuhören. Bitte meldet euch über das hier hinterlegte Formular an. Link für den Stream werdet ihr vor Veranstaltungsbeginn per Mail erhalten.

https://us02web.zoom.us/meeting/register/tZwucOqoqD8vHNSISnV-7io08q7M1V-IFFUl

Liebe Grüße,

Erik

Disclaimer: Auf der Veranstaltung werden Film- und Tonaufnahmen sowie Fotos gemacht, mit deren auch späteren Verwendung Sie sich durch den Besuch der Veranstaltung einverstanden erklären.

GEAS: Kein guter Tag für das Europäische Asylrecht

Rat und Parlament haben sich auf eine Reform hin zu einem gemeinsamen europäischen Asylsystem geeinigt. Hier findet ihr eine Kurzübersicht zu zentralen Ergebnissen der Verhandlungen des GEAS-Pakets.

In fast allen relevanten Punkten hat sich der Rat mit seiner Position gegenüber dem Parlament durchgesetzt. Mit dieser Reform wurde so die Chance verpasst, die EU-Asylpolitik auf das richtige Gleis zu setzen. Stattdessen sollen bürokratische Verfahren und harte Asylrechtsverschärfungen Menschen jetzt plötzlich von der Flucht nach Europa abschrecken. Dieser Weg ist bereits in den letzten Jahren gescheitert. Uns droht nun mehr irreguläre Migration und eine Desintegrationskultur gegenüber Schutzsuchenden. Diese Abschreckungspolitik schwächt den Rechtspopulismus ja offensichtlich nicht, sondern stärkt ihn. 

Haftähnliche Bedingungen

Es wird ein System geschaffen, in dem sehr viele Menschen während ihrer Asylverfahren in haftähnlichen Bedingungen eingesperrt werden sollen, viel zusätzliche Bürokratie entsteht und deutlich längere Asylverfahren drohen. Der neue Solidaritätsmechanismus wird das dadurch entstehende zusätzliche Chaos und Leid nicht aufwiegen können.


Viele wichtige Details stehen schlicht noch nicht fest. Es fehlte die Zeit, alle Artikel zu verhandeln. Aufgrund der politischen Vorgabe, bis Ende des Jahres ein Ergebnis zu erlangen, wurde der Inhalt dem Ziel einer schnellen Einigung untergeordnet. So sollte Gesetzgebung nicht stattfinden.


Besonders in der polarisierten Diskussion um die Asylpolitik hätte Europa verdient, dass Rat und Parlament sich ausgeruht beraten und nicht übermüdet in Nachtsitzungen Stichpunkte beschließen, die viele Fragen offen lassen.

Spielräume für Verbesserungen


Parlament und Rat müssen noch über die Rechtsakte abstimmen. Wir werden uns dann für eine möglichst vernünftige Umsetzung der Rechtsakte einsetzen. Außerdem gilt es nun umso mehr, Spielräume für Verbesserungen abseits der aktuellen Reform zu nutzen, denn sie enthält viele Lücken. 

Fragen der Integration, der Zusammenarbeit mit Drittstaaten oder der Arbeitsmigration spielen in der aktuellen Asylreform keine Rolle. Wir werden  weiter für verbindliche Verteilung, bessere Standards an den Außengrenzen und effizientiere Asylverfahren streiten. Nur so wird eine faire Verteilung der Verantwortung für die großen Herausforderungen der Asyl- und Migrationspolitik gelingen. Zudem gilt, dass Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention weiterhin auch in Europa gelten. Für einen Abgesang auf das Asylrecht ist es heute zu früh, auch wenn das kein guter Tag für das Asylrecht ist.

Humanitäre Hilfe für Syrien

Seit 2011 herrscht in Syrien Bürgerkrieg, fast drei Viertel der Bevölkerung sind in der Folge auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Lage hat sich in diesem Jahr nach dem verheerenden Erdbeben im Februar, von dem knapp 8,8 Millionen Menschen betroffen waren, noch weiter verschlechtert. Auch der Konflikt dauert an. Erst im Oktober hat die syrische Regierung erneut Luftangriffe gegen Idlib und West-Aleppo verübt, die zu 50 Toten und über 70.000 Vertreibungen geführt und erhebliche Infrastrukturschäden verursacht haben.  Die Europäische Kommission stellt über DG ECHO relevante Summen für humanitäre Hilfe in Syrien bereit. Allerdings gibt es immer wieder Zweifel daran, ob die Hilfslieferungen tatsächlich bei den Menschen ankommen, die sie am dringendsten benötigen oder vielmehr Assad und seinen Truppen in die Hände spielen und welche Rolle Sanktionen dabei spielen.

Weltweit höchste Anzahl an Geflüchteten

Der Bürgerkrieg in Syrien hat zu einer der größten Fluchtbewegungen weltweit geführt: 6,8 Mio Syrer:innen haben das Land verlassen, meist in die Nachbarstaaten. Weitere 6,7 Mio sind in den vergangenen zwölf Jahren Bürgerkrieg innerhalb des Landes vertrieben worden. Die Hälfte der syrischen Bevölkerung befindet sich also auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung, eine sichere Rückkehr ist weiterhin nicht denkbar. Der Anteil der Syrer:innen an der globalen Anzahl Geflüchteter beträgt 20%.

Humanitäre Situation

Am 14. und 15. Juni 2023 hat die 7. Brüsseler Konferenz zur Unterstützung Syriens und der Region stattgefunden. An dieser haben neben der UN die EU-Institutionen, 57 Länder und über 30 internationale Organisationen teilgenommen. Insgesamt wurden dabei 4,6 Milliarden € für 2023 und weine weitere Milliarde € für 2024 zugesagt. Die Konferenz ist die wichtigste Geberkonferenz für Syrien und die Region. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind seit Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 mit fast 30 Mrd. € die größten Geber für Syrien und die Region.

9 von 10 Syrer:innen leben in Armut, 12,4 Millionen Menschen sind von Nahrungsmittelinstabilität betroffen. Menschen können sich selbst Grundnahrungsmittel kaum noch leisten, weil in den letzten zwei Jahren die Preise um 800% angestiegen sind. Der Norden Syriens leidet zudem unter massivem Trinkwassermangel und -verunreinigung. Dafür gibt es vielfältige Gründe. So haben durch den Klimawandel begünstigte Dürren zu historischen Wassertiefständen des Euphrat und anderer Flüsse geführt und Brunnen sind ausgetrocknet. Außerdem behindern teilweise bewaffnete Truppen den Zugang zu Quellen. Schlechtes Abwassermanagement führt zu Trinkwasserverschmutzung und Choleraausbrüchen

Grenzübergänge in Nordwest-Syrien

Ein grundlegendes Problem in Syrien ist der Zugang zu den Regionen, die nicht unter der Kontrolle des Assad-Regimes stehen, insbesondere im Norden des Landes. Durch ein Abkommen mit der syrischen Regierung konnten im September diesen Jahres Hilfslieferungen für den Nordwesten Syriens über den Grenzübergang Bab al-Hawa wieder aufgenommen werden. Zuvor hatte Russland die Verlängerung der Öffnung des Grenzposten zur Türkei am 11. Juli 2023 mit einem Veto im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen blockiert. Der Grenzposten wurde 2014 durch den Sicherheitsrat etabliert und muss seitdem alle 6 Monate verlängert werden. In dem von Rebellen beherrschten Gebiet sind 90% der 4,5 Millionen Einwohner:innen auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Daher ist der Übergang essentiell für die Versorgung der Bevölkerung im Nordwesten Syriens, unter anderem mit Nahrung und Medikamenten. Neben dem Grenzübergang Bab al-Hawa wurden auch die Öffnungen der Übergänge in Bab al-Salam and Al-Ra’ee, welche in Folge des Erdbebens im Februar erneut genutzt werden konnten, verlängert. Über die letzteren gelangen jedoch nur etwa 20 % der Hilfskonvois in die Region. Assads Verbündeter Russland versucht über die wiederholten Blockaden im Sicherheitsrat Druck auf die Rebellengebiete auszuüben und Assads Einfluss zu vergrößern. Die EU hat sich zu diesem Vorgehen in der Vergangenheit zu Recht kritisch geäußert,  da es die Bereitstellung humanitärer Hilfe für die vielen bedürftigen Menschen massiv einschränkt.

Annäherung von Erdogan und Arabischer Liga an Assad

Die Türkei und Syrien nähern sich seit dem Winter 2022 langsam wieder an. Gleichzeitig setzt die Türkei Luftangriffe auf kurdische Ziele im Norden Syriens fort, wobei auch die zivile Infrastruktur zerstört wird. Eine schnelle Normalisierung der Beziehungen gilt als eher unwahrscheinlich, da die zentralen Zielsetzungen nicht miteinander vereinbar erscheinen. Die Türkei bzw. Erdogan möchte, dass mehr syrische Geflüchtete nach Syrien zurückkehren, Assad verwehrt sich dem. Er möchte möglichst alle noch von Rebellen gehaltenen Gebiete zurückerobern, wohingegen die Türkei ihren Einfluss im Norden Syriens nicht verlieren will und bei einer Regime-Offensive neue Migrationsbewegungen befürchtet. 

Vor kurzem wurde Assad nach zwölf Jahren wieder in die Arabische Liga aufgenommen und hat im Mai an deren Gipfeltreffen in Saudi-Arabien teilgenommen. Die Mitgliedstaaten der Arabischen Liga erhoffen sich von der Wiederaufnahme eine größere Stabilität in der Region. Gleichzeitig ist davon die Rede, dass Assads Wiederaufnahme an Bedingungen geknüpft sei, die jedoch nicht öffentlich sind. Aus informellen Kreisen ist zu hören, dass Assad Investitionen der arabischen Staaten in den Wiederaufbau Syriens versprochen wurden, wenn er im Gegenzug viele der geflüchteten Syrer:innen wieder in Syrien leben lasse, einen Versöhnungsprozess einleite und die Produktion der Droge  “Captagon” einstelle. Dagegen hatte auch die EU im April 2023 Sanktionsmaßnahmen verhängt. Im Gegensatz zu anderen Staatenbunden sieht die EU keine ausreichenden Beweggründe für eine Normalisierung der Beziehungen mit Syrien. Das heißt auch, dass die Entwicklungszusammenarbeit weiterhin ausgesetzt ist.

Missbrauch Humanitärer Hilfe in Syrien

Der Großteil der Gelder, die die EU für Syrien bereitstellt, fließt direkt an UN-Organisationen, die vor Ort tätig sind. Nach dem verheerenden Erdbeben von Anfang Februar gab es erstmals Informationen, dass die UN möglicherweise ein Büro in dem von Rebellen gehaltenen Nordwesten Syriens eröffnen könnten, dies ist bislang jedoch nicht passiert. Stattdessen wird die Hilfe bisher über Büros in Gebieten unter Kontrolle des syrischen Regimes oder in der Türkei koordiniert. In der Vergangenheit gab es immer wieder Vorwürfe, dass das Assad-Regime UN-Organisationen vorschreibt, wo Hilfe geleistet werden darf, unter Androhung sonst Visa zu entziehen. Vorwürfe gegenüber den Vereinten Nationen gab es auch im Februar, als die Hilfe für die am stärksten vom Erdbeben betroffenen Gebiete nur sehr langsam anlief und die Bevölkerung tagelang auf sich gestellt war. Assad und sein Regime hatten wiederholt den Zugang zu Rebellengebieten verhindert, um die Bevölkerung auszuhungern und die Rebellen zur Aufgabe zu zwingen.

Assad kontrolliert Hilfe

Assad und Putin haben seit dem Erdbeben immer wieder internationale Sanktionen als Haupthindernis für humanitäre Hilfe dargestellt, dabei ist diese explizit von sämtlichen Sanktionsregimes ausgenommen. Nach einer  umfassenden Studie von Natasha Hall, hat das Assad-Regime die Hilfsstrukturen so aufgebaut, dass sie unter seiner alleinigen Kontrolle stehen. Nahezu alle internationalen Organisationen und Hilfseinrichtungen müssen unter Aufsicht des “Syrischen Arabischen Roten Halbmondes” und der “Syria Trust for Development” stehen. Das Regime kann somit flächendeckend Hilfsorganisationen und den Fluss von Hilfsgütern kontrollieren und zweckentfremden. Darüber hinaus missbraucht das Regime immer wieder den Wechselkursmechanismus und verändert ihn so, dass es sich große Teile finanzieller Hilfe in die eigene Tasche stecken oder loyalen Unterstützer:innen zuweisen kann.

Handlungsempfehlungen Humanitäre Hilfe in Syrien

Ein großer Teil der Menschen in Syrien ist auf Unterstützung über humanitäre Hilfe angewiesen. Hilfsgüter und finanzielle Hilfen dürfen jedoch nicht mit Vertragspartnern nach Syrien gebracht oder in Syrien verteilt werden, die bisher schon an Zweckentfremdungen beteiligt waren oder unter direkter Kontrolle des Assad-Regimes stehen. Darüber hinaus müsste die Zivilgesellschaft stärker in den Prozess der Allokation von humanitärer Hilfe eingebunden werden. Unabhängige und lokale zivilgesellschaftliche Organisationen müssen in größerem Umfang finanziell und technisch unterstützt werden. Der Einbezug von Refugee-led-organisations (RLOs) kann dazu einen großen Beitrag leisten. 

Hilfe an Bedingungen knüpfen

Auch “early recovery”, also, humanitäre Hilfe, die auch auf längerfristige Strategien setzt, um die Situation vor Ort zu verbessern, ist ein sinnvoller Ansatz in einem langjährigen Konflikt. Jedoch ist wichtig, dass dies mit strikten Bedingungen verknüpft ist. Dazu gehören ein prinzipienfester und konfliktsensibler Ansatz, fortlaufende, unabhängige Kontrolle und Rechenschaftspflicht, lokale Eigenverantwortung und ein „Gesamt-Syrien-Ansatz“.

Um Situationen wie im Geflüchtetenlager Rukban (Nord-West Syrien, Provinz Daraa) zu begegnen, wo tausende Syrer:innen seit Jahren ohne Zugang zu medizinischer Versorgung und humanitärer Hilfe in der Wüste an der jordanischen Grenze ausharren, muss Hilfe dauerhaft, ohne Zustimmung des Regimes oder UN-Mandat und ohne Unsicherheit über die Öffnung von Grenzübergängen geleistet werden können. Auch dafür muss sich die EU mit allen diplomatischen Mitteln einsetzen.

Frontex zeigt kein Interesse an Crotone-Aufklärung

Aus gemeinsamen Recherchen von Lighthouse Reports, El País, Sky News, Le Monde, Süddeutsche Zeitung und Domani geht hervor, dass die italienische Regierung gelogen hat, was ihre Rolle bei dem Bootsunglück von Crotone betrifft, bei dem 94 Menschen, darunter 35 Kinder, ums Leben kamen, und dass Frontex geholfen hat, den Vorfall zu vertuschen. Ich habe mit 25 Abgeordneten aus vier Fraktionen eine Anfrage an die Kommission gesendet, welche am 3. August beantwortet wurde.

Kein Interesse an Aufklärung

Nun hat auch Frontex auf unsere Frage geantwortet. Konkret haben wir gefragt:

Wie bewertet Frontex die Enthüllungen, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass sie nicht mit den vor dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres abgegebenen Erklärungen ihres Exekutivdirektors Hans Leijtens vom 23. Mai 2023 im Einklang stehen?

Aus der Antwort von Frontex geht leider kein großes Interesse an einer Aufarbeitung aus. Der Exekutivdirektor behauptet lediglich, das Schiff habe sich in keiner Notsituation befunden, als es sechs stunden vor dem Vorfall von Frontex gesichtet wurde. Außerdem behauptet er, Frontex habe die italienischen Behörden korrekt informiert.

Auch der Presse werden Informationen vorenthalten

Frontex weigert sich zudem der Presse relevante Informationen über den Fall zu geben. So hat die Agentur bislang nur eine E-Mail veröffentlicht, die direkt nach dem Unglück versendet wurde. Dutzende weitere Dokumente bleiben unter Verschluss. Frontex begründet dies damit, dass es sich um wichtige Informationen zu laufenden Operationen handele. Außerdem behauptet die Agentur die Informationen könnten von Schleppern genutzt werden. Diese Argumente sind wenig überzeugend, weil Schlepper sich nicht primär danach richten, wo sich Frontex geade aufhält. Die Aufklärung des Unglücks, dass zu so vielen Toen führte, sollte hier Vorrang haben.

EU- Migrationsabkommen mit Tunesien

Am 16. Juli 2023 hat die Europäische Kommission – ohne Rücksprache mit dem Rat und dem Europäischen Parlament – ein Migrationsabkommen (“Memorandum of Understanding”) mit Tunesien unterzeichnet. Was daran falsch ist und warum Menschenrechte bei diesem Deal nicht im Vordergrund stehen, habe ich unter anderem im NDR erklärt und möchte ich in diesem Artikel noch einmal detailliert darlegen.

Aktuelle Lage in Tunesien

Unter dem amtierenden Präsidenten Kais Saied findet ein massiver Demokratieabbau in Tunesien statt. Saied verbreitet rassistische Parolen, macht Schwarze zu Sündenböcken der wirtschaftlichen Probleme in seinem Land und verbreitet die rechte Verschwörungstheorie vom “großen Austausch”, in dem er behauptet, es sei ein Komplott in Gange, „um die demografische Zusammensetzung Tunesiens zu verändern“. Diese Hetze gipfelte in Hetzjagden und pogromähnlichen Ausschreitungen gegenüber Schwarzen Menschen in Tunesien. 

Inzwischen sind die tunesischen Behörden offenbar zunehmend systematisch dazu übergegangen, Menschen in der Wüste auszusetzen und sich selbst zu überlassen. So wurde zuletzt erst eine Gruppe von über 80 Menschen von libyschen Grenzbeamten gerettet, die zuvor von Tunesien in der Wüste ausgesetzt wurden. In der Wüste Nordafrikas sterben womöglich mehr Menschen als auf dem Mittelmeer, es wird allerdings deutlich weniger dokumentiert – koordinierte Rettungsmissionen in der Wüste gibt es nicht.

Nach Zahlen des UNHCR hat Tunesien Libyen als größtes Transitland seit letztem Jahr abgelöst. Seit Anfang 2023 sind insgesamt 104.808 Schutzsuchende in Italien über den Seeweg angekommen. Nach Angaben der tunesischen Nationalgarde wurden von Januar bis Ende Juni 2023 34.290 Menschen daran gehindert, aus Tunesien zu fliehen, fast viermal mehr als im selben Zeitraum 2022.

Gleichzeitig ist die Situation für Geflüchtete in Tunesien sehr schlecht. Es gibt kein funktionierendes Asylsystem und auch sonst keinen Rechtsrahmen, um Asylsuchende zu schützen oder Aufenthaltstitel zu vergeben.

Bisherige Migrationszusammenarbeit mit Tunesien 

Es besteht eine langanhaltende Zusammenarbeit zwischen Tunesien und der EU im Migrationsbereich. 2012 wurde eine Privilegierte Partnerschaft geschlossen und ein Aktionsplan für den Zeitraum 2013 bis 2017 verabschiedet. Der Aktionsplan befasste sich mit dem Schutz von Asylsuchenden und Flüchtlingen sowie der Zusammenarbeit in den Bereichen Migration, Mobilität und Sicherheit. Parallel dazu wurde 2014 eine Mobilitätspartnerschaft eingerichtet. Diese sollte zum Abschluss von zwei Abkommen führen: das erste über die Rückübernahme und ein zweites über die Erleichterung der Visaformalitäten.

Verhandlungen über ein Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und Tunesien begannen im Jahr 2016. Tunesien hat mit sechs Mitgliedsstaaten (darunter Italien, Deutschland und Belgien) Rückübernahmeabkommen auf bilateraler Ebene unterzeichnet und allgemein respektiert; sie sind jedoch nur auf tunesische Staatsangehörige beschränkt. 

Selbst das Rückübernahmeabkommen mit Italien von 1998, das die Rückführung von Ausländern vorsieht, schließt die Rückübernahme von Drittstaatsangehörigen aus Mitgliedsstaaten der Union des Arabischen Maghreb nach Tunesien aus.

Bereits 2017 hatte Tunesien die Vorschläge der EU zum „Outsourcen“ des Migrationsmanagements abgelehnt, auch Saied betonte, dass Tunesien nicht “Europas Grenzschützer” werden möchte. Die EU finanziert jedoch seit Jahren Migrationsmaßnahmen (zur Grenzkontrolle) in Tunesien, u.a. über EU Trust Fund for Africa (auslaufend) sowie über NDICI – Global Europe. Dort wurden im Rahmen des “Multi-country” Migrationsprogramms für die südliche Nachbarschaft 2021-2027 2021 25 Millionen Euro zur Unterstützung des Aufbaus von Grenzverwaltungseinrichtungen bereitgestellt. Insbesondere für die Unterstützung der Ausbildungsinfrastruktur der tunesischen Garde Nationale Maritime, Unterstützung der Einrichtung einer Koordinierungsstelle für die Seenotrettung und Fertigstellung des integrierten Küstenüberwachungssystems. Darüber hinaus wurden 2021 14 Mio. EUR für die Unterstützung der Rückkehr von Tunesiern bereitgestellt. Hier ein ausführlicher Bericht dazu. 

Der Inhalt der “Absichtserklärung”

Am 11. Juni stellten bei einer Pressekonferenz Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte (als “Team Europe”) bei einem Besuch in Tunis das geplante Maßnahmenpaket vor, vorangegangen waren in den Monaten davor mehrere Besuche von verschiedenen Vertreter*innen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Von der Leyen unterstrich dabei die historische Partnerschaft zwischen der EU und Tunesien und betonte die Absicht mit Tunesien an einem “umfassendem Paket” zu arbeiten, das sich auf 5 Pfeiler stützt: 

  1. Unterstützung wirtschaftlicher Entwicklung – Mobilisierung von bis zu 900 Mio. € für makrofinanzielle Hilfe (geknüpft an IMF Kriterien/ IMF Kredit von 1,9 Mrd.), zusätzlich 150 Mio € sofortige Budgethilfe (Gelder die direkt in den Staatshaushalt fließen)
  2. Investment und Handel – Modernisierung Handelsabkommen, Investitionen in digitale Infrastruktur etc.
  3. Energie – Herstellung und Export von erneuerbarer Energie (u.a. ELMED Kabel)
  4. Migration – Unterstützung beim Grenzschutz und Schmuggelbekämpfung, Seenotrettung und Rückführungen, dafür 2023 Bereitstellung von 105 Mio. € durch EU Haushalt
  5. “People to people contacts”/ Völkerverständigung – Maßnahmen zu Austausch und Zusammenarbeit wie  Erasmus+, im Forschungsbereich, Berufsausbildungsmaßnahmen etc. 

Am 16. Juli wurde das entsprechende Memorandum of Understanding (MoU) unterzeichnet, das die oberen Punkte aufgreift und vertieft. Der rechtliche Status des MoU ist nicht klar, das Parlament wurde nicht eingebunden, was notwendig gewesen wäre, wenn es sich um ein Abkommen handeln sollte.

Makrofinanzielle Unterstützung

Zur makrofinanziellen Unterstützung werden im Text keine konkreten Zahlen genannt, genaueres dazu soll im dritten Quartal ‘23 diskutiert werden.

Hinsichtlich der Zusammenarbeit im Migrationsbereich sind primär die folgenden Punkte genannt:

  • irreguläre Migration soll bekämpft werden (entsprechend bisheriger Zusammenarbeit in den Bereichen Grenzschutz, Unterstützung Tunesische Küstenwache, Bekämpfung Schmuggel), legale Migrationswege sollen geöffnet werden
  • Tunesien soll bei der Abschiebung von Drittstaatsangehörigen (“irregular migrants”) in ihre Herkunftsländer unterstützt werden
  • Entwicklungszusammenarbeit soll auf Fluchtursachenbekämpfung abzielen (z.B. durch Ausbildungsmaßnahmen)
  • Saieds bereits im Vorfeld geäußerte Position, dass Tunesien kein “Aufnahmeland” ist und keinen Grenzschutz über eigene Grenzen hinaus durchgeführt wird, wird bekräftigt
  • Rückführungsmaßnahmen aus der EU beziehen sich lediglich auf tunesische Staatsangehörige, keine Drittstaatsangehörige
  • die EU soll Tunesien beim Abschluss von ähnlichen bilateralen Abkommen mit den Mitgliedsstaaten unterstützen 
  • für all diese Maßnahmen wird finanzielle Unterstützung durch die EU bereitgestellt 

Inwiefern diese Punkte aus dem MoU in der Praxis umgesetzt werden, welche Implikationen sie für die Menschenrechtslage in Tunesien haben oder welche Prioritäten gesetzt werden, lässt sich bislang nicht beantworten. Eine Folgenabschätzung bezüglich der Grund- und Menschenrechte hat nicht stattgefunden, auch eine Folgenabschätzung hinsichtlich der Frage, ob die angestrebten Ziele mit den entsprechenden Maßnahmen erreicht werden können, ist bislang nicht vorhanden.

Das weitere Verfahren 

Nach Artikel 218 AEUV bedürfen internationale Verträge, die die EU mit Drittstaaten abschließt, der Zustimmung des Europäischen Parlaments. Unterzeichnet wurde hier durch den Kommissar für Nachbarschaftspolitik Olivér Várhelyi und dem tunesischen Außenminister Mounir Ben Rijba ein “Memorandum of Understanding”. Die einzelnen Punkte sollen dann in unterschiedlichen Verfahren implementiert werden. Im Innenausschuss des Europaparlaments am 18.07.23 haben Abgeordnete verschiedener Fraktionen deutliche Zweifel artikuliert und ein Rechtsgutachten gefordert, um den Rechtscharakter des Abkommens zu klären. Das ist insbesondere deswegen relevant, weil unklar ist, welche Entscheidungsstrukturen überhaupt angewendet werden und welche Rolle das Parlament in diesem Verfahren hat.

Auch vom juristischen Dienst des Rates, dem Europäischen Auswärtigen Dienst und zahlreichen Mitgliedsstaaten soll es vehemente Kritik gegeben haben, dass das Abkommen ohne ihre Konsultation unterzeichnet wurde, rechtliche Schritte wurden sich vorbehalten.
Die angekündigte Makrofinanzhilfe in Höhe von bis zu 900 Mio. € behält, laut bislang informellen Informationen der Kommission, eine erfolgreiche Vereinbarung mit dem IWF als Vorbedingung und erfordert zudem einen Rechtsakt des Rates und des EP (ordentliches Gesetzgebungsverfahren). Die zusätzlich angekündigte Budgethilfe und weitere Maßnahmen können aus dem Haushalt 2023 über verschiedene Finanzierungsinstrumente bestritten werden, wobei dem EP keine formelle Rolle zur Entscheidung über die konkrete Mittelvergabe zufällt. Das Verfahren und die Geldvergabe sind allerdings bisher so intransparent, dass hier noch keine abschließende Bewertung möglich ist.

Bewertung 

Die meisten Maßnahmen im MoU sind nicht neu und stellen auch keine Kehrtwende in der Zusammenarbeit zwischen der EU und Tunesien bzw. der gesamten südlichen Nachbarschaft dar. Es ist ebenfalls wichtig, dass die EU sich nicht von der tunesischen Bevölkerung abwendet und viele der angekündigten Maßnahmen wie beispielsweise der Austausch über eine Einbindung von Tunesien im Erasmus+ Programm sind zu befürworten. Kritisch ist jedoch die de-facto Verknüpfung von finanzieller Unterstützung gegen Zusammenarbeit im Migrationsbereich. Auch wenn laut MoU menschenrechtliche Standards eingehalten werden sollen, ist dies nicht weiter ausdefiniert, eine menschenrechtliche Folgenabschätzung ist nicht vorgesehen. Die Erfahrung beispielsweise in Libyen zeigt, dass ohne konkrete Maßnahmen und Rechtsdurchsetzung in diesem Bereich in der Praxis massive Menschenrechtsverletzungen ungeahndet bleiben können und dass sie auch keinen Einfluss auf die Finanzierung der Zusammenarbeit haben. Es ist auch fraglich, wie die Einhaltung dieser Standards überprüft werden soll, wenn wir damit schon an unseren eigenen Außengrenzen scheitern. Die weitgehend bedingungslose Zusammenarbeit im Migrationsbereich und die Vergabe von Mitteln (insbesondere die Budgethilfe direkt für den Staatshaushalt) ohne klar definierte Konditionen senden ein verheerendes Signal. Das gilt insbesondere, weil in Tunesien immer mehr demokratische Strukturen abgebaut werden und grundlegende Rechte von Geflüchteten im Land nicht eingehalten werden. Die EU (“Team Europe”) versucht recht offensichtlich mit allen Mitteln, Migrationsbewegungen aufzuhalten, obwohl viele der Schutzsuchenden einen Anspruch auf Asyl in der EU hätten. Dabei greift man insbesondere auf Partner in Drittstaaten zurück, weil man Dinge erreichen will, die den EU-Staaten selbst menschenrechtlich nicht erlaubt sind – beispielsweise eine Ausschiffung von schiffbrüchigen Asylsuchenden in Tunesien.


Ein Hauptkritikpunkt der Vereinbarung ist aus meiner Sicht die geplante Unterstützung von Tunesien bei der Rückführung “irregulärer Migrant*innen” in ihre Herkunftsländer, während gleichzeitig ein nationales Asylrecht in Tunesien nicht umgesetzt  ist und somit sämtliche Verfahren beim UNHCR liegen. Anstelle Geld in (unwirksamen) Grenzschutz zu investieren und ein autokratisches Regime zu unterstützen, sollte vielmehr versucht werden, einen verbindlichen Rechtsrahmen und angemessene Strukturen für Schutzsuchende in Tunesien zu schaffen.

Insgesamt wurde hier bislang die Chance versäumt, ein transparentes und fortschrittliches Abkommen zu erreichen, das eine nachhaltige Verbesserung der Menschenrechtslage in Tunesien erreicht, legale Migrationswege und eine gemeinsame Partnerschaft schafft, die dazu beitragen könnte, dass das Sterben auf dem Mittelmeer endet. Auch wenn einige Punkte aus der Vereinbarung zu begrüßen sind, wird abzuwarten sein, ob diese Punkte tatsächlich umgesetzt werden, da viele Punkte aus solchen Abkommen in der Vergangenheit nicht umgesetzt wurden, sobald der Geld-für-Migrationsabwehr-Deal funktioniert hat.

Migrationsabkommen sollten in Parlamenten diskutiert und transparent ausgehandelt werden. In den letzten Jahren haben Regierungen und die EU-Kommission jedoch zunehmend Parlamente und die Öffentlichkeit gemieden, wenn neue Deals verhandelt wurden. Wo das hinführt, hat sich beim gescheiterten EU-Türkei-Deal und in Libyen gezeigt, wo wir laut UN-Kommission inzwischen Schlepperstrukturen mit Steuergeld unterstützen. So etwas sollte sich in Tunesien nicht wiederholen, es wiederholt sich aber gerade.

Man sollte einem Autokraten nicht hunderte Millionen überweisen, ohne einen klaren Plan zu haben. Der tunesische Präsident Kais Saied betreibt einen massiven Demokratieabbau, verbreitet Verschwörungstheorien und schürt rassistische Stimmungen. Mit dieser Abmachung unterstützt die EU nicht nur einen Autokraten, sie macht sich auch von ihm erpressbar. In den letzten Wochen haben sich die Hinweise verdichtet, dass Tunesien Geflüchtete ohne Wasser und Nahrung einfach in der Wüste aussetzt. Die Verantwortlichen in Tunesien nehmen den Tod von Menschen auf der Flucht in Kauf. Die EU-Strategie ist kurzsichtig und naiv, man glaubt sich mit Geld von der Verantwortung freikaufen zu können. Die europäische Asylpolitik sollte nicht von einer rechtspopulistischen Regierung in Italien und deren guten Kontakten zu einem Autokraten in Tunesien abhängig sein. 

Anfrage: Menschenhandel durch libysche Küstenwache

Ich habe der Kommission die Frage gestellt, wie sie dazu steht, dass die von ihr unterstützte libysche Küstenwache selbst in Schlepperei und Menschenhandel verwickelt ist. Darunter auch eine Person, die auf der Sanktionsliste des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen steht. 

In ihrer Antwort sagt die Kommission, dass die Menschenrechtsverletzungen und  Bedingungen in den Haftanstalten in Libyen Inakzeptabel seien. Trotzdem unterstützt die Kommission genau jene Einheiten, die Menschen in diese Lager bringen. Die Kommission weiß also, dass hier gegen elementare Menschenrechte verstoßen wird, ist aber nicht bereit, ihre Politik an diesen elementaren Menschenrechten auszurichten. Die Kommission spricht von der “Rettung von Menschenleben”, dabei handelt es sich in den meisten Fällen nicht um Rettungsaktionen, sondern um Pull-Backs, in denen Menschen gegen ihren Willen in das Bürgerkriegsland Libyen verschleppt werden, damit sie keinen Asylantrag in der EU stellen. 

Der Verweis darauf, dass es den Menschen in Libyen ohne EU-Hilfe noch schlechter ginge, ist ein Ablenkungsmanöver, da es in meiner Anfrage überhaupt nicht um Kooperation allgemein geht, sondern sehr konkret um die libysche Küstenwache. Die Behauptung der Kommission, dass es einen “soliden Überwachungsmechanismus” gebe, ist Wunschdenken. Die Kommission unterstützt eine Organisation, die laut UN gegen elementare Menschenrechte verstößt und meint, dass sie an diese Organisation Geld geben kann, ohne damit die Verletzung von elementaren Menschenrechten zu unterstützen. Außerdem herrscht hier eine massive Intransparenz gegenüber dem Parlament, weil Evaluierungen und Monitoring nicht offen gelegt werden. Trotz wiederholter Anfragen haben wir Abgeordneten keine genaue Übersicht zu den EU-Geldern für Libyen.

Alle meine Anfragen und die Antworten der Kommission findet ihr hier.

Meine Anfrage

Aus dem jüngsten Bericht der unabhängigen Erkundungsmission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen zu Libyen geht hervor, dass Beweise vorliegen, wonach Einheiten und Angehörige der sogenannten libyschen Küstenwache mit Schleusern zusammenarbeiten und selbst am Menschenhandel beteiligt sind, und zwar insbesondere in der westlichen libyschen Region Zawiya. So wurde aufgedeckt, dass die libysche Küstenwache in diesem Gebiet mit der Haftanstalt al-Nasr in Zawiya unter einer Decke steckt. Der Befehlshaber der Einheit, Abd al-Rahman al-Milad (Spitzname „Bija“), steht seit Juni 2018 wegen Beteiligung am Menschenhandel auf der Sanktionsliste des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.

1) Wann hat die Kommission davon erfahren und welche Informationen liegen ihr über diese geheimen Absprachen in der Region Zawiya vor?

2) Welche Maßnahmen wird die Kommission als Reaktion auf die zutage geförderten Erkenntnisse ergreifen und wird dies dazu führen, dass die Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache oder die finanzielle Unterstützung für diese Organisation eingestellt wird?3) Welche Schritte können wir von der Kommission nach der Veröffentlichung dieses Berichts in Bezug auf Italien angesichts der Zusammenarbeit des Landes mit Libyen und der sogenannten libyschen Küstenwache erwarten?

Antwort von Olivér Várhelyi im Namen der Europäischen Kommission (21.8.2023)

Angesichts der komplexen Lage in Libyen werden die von der EU finanzierten Programme in Libyen nach dem Grundsatz der Schadensvermeidung und mit einem konfliktsensiblen und rechtebasierten Ansatz durchgeführt, wobei die Achtung der Menschenrechte und die Einhaltung der Sorgfaltspflicht wie auch der restriktiven Maßnahmen gewährleistet wird. Die Kommission achtet sehr genau darauf, dass Personen, die auf der Sanktionsliste des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen stehen, keine EU-Mittel zugutekommen. Die Unterstützung der EU und Italiens für die libysche Küstenwache spielt eine entscheidende Rolle bei der Rettung von Menschenleben auf See. Die Menschenrechtsverletzungen in Libyen und die Bedingungen in den Haftanstalten sind inakzeptabel.

Entsprechend den strategischen Leitlinien des Europäischen Rates arbeitet die Kommission weiterhin mit den libyschen Behörden zusammen, um Kapazitäten für ein wirksames Grenzmanagement aufzubauen, das im Einklang mit internationalen Standards und der Achtung der Menschenrechte steht, um Menschenleben auf See zu retten und Schleuser- und Menschenhändlernetze zu bekämpfen. Trotz der schwierigen Lage in Libyen würde sich die Situation der Bedürftigsten nicht verbessern, wenn die EU-Hilfe in dem Land vorübergehend eingestellt oder die EU sich dort ganz zurückziehen würde.

Die EU verfügt zusammen mit ihren Durchführungspartnern über einen soliden Überwachungsmechanismus für die Hilfe, die für Libyen bereitgestellt wird. Ferner wird eine Überwachung durch Dritte durchgeführt, die sich insbesondere auf die Einhaltung des Grundsatzes der Schadensvermeidung konzentriert. Des Weiteren führt die Kommission Ad-hoc-Evaluierungs- und Monitoringmissionen durch. Was die Bereitstellung von Such- und Rettungsschiffen für die libysche Küstenwache betrifft, so erfolgte die Lieferung im Anschluss an die Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen Italien und Libyen, die Garantien für die Achtung der Menschenrechte und die Überwachung der Nutzung der Schiffe beinhaltet.

5 Milliarden € der EU an Griechenland für Migration und Asyl – und trotzdem solche Zustände?

Seit dem Jahr 2014 hat die Europäische Union Griechenland insgesamt 4,96 € Milliarden für die Bewältigung von Migrations- und Grenzaufgaben zur Verfügung gestellt.

Die Unterstützung Griechenlands durch die Europäische Union erfolgt durch vier Töpfe: den Asylum, Migration and Integration Fund (AMIF), der Internal Security Fund (ISF), das  Emergency Support Instrument (ESI) und das Border Management and Visa Policy Instrument (BMVI). Der größte Topf ist der AMIF über den im aktuellen Mehrjährigen Finanzrahmen insgesamt 9,88 € Milliarden zur Verfügung gestellt wurden. Griechenland wurden seit 2014 aus diesem Topf 2,75 € Milliarden zugesprochen. Über diesen Haushaltsposten werden EU-Mitgliedstaaten unterstützt zum Zweck des effizienten Managements von Migration und der Implementierung und Stärkung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Der ISF stellt Geld für das Management von Visum und Einreise, Kontrolle der Außengrenzen, aber auch Rückführungen, beispielsweise durch Frontex, bereit. Hier wurde Griechenland seit 2014 fast eine halbe Milliarde € bereitgestellt. Das ESI dient der Unterstützung für Notlagen und gibt Geld für humanitäre Hilfe, der Anteil betrug 668,9 € Millionen. Das BMVI hat zur Aufgaben einen europäischen Grenzschutz an den Außengrenzen der Union zu gewährleisten. Der Großteil der regulären Gelder aus AMIF, ISF, ESI und BMVI fließt an die nationalen Behörden, also an die griechischen Behörden, die sich mit Migration und Asyl befassen, so beispielsweise das griechische Ministerium für Migration und Asyl. 

Neben den regulär vorgesehenen Bedarfen können zusätzlich für weitere kurzfristige Notfallbedarfe (“Emergency Assistance”) Gelder aus AMIF und ISF mobilisiert werden. Die geflossenen Gelder zwischen 2014 und 2020 aus der Emergency Assistance stellen im Fall von Griechenland die größte Summe alle Gelder, insgesamt 2,07 € Milliarden. 1,25 € Milliarden aller Gelder der Emergency Assistance sind an internationale Organisationen geflossen, 820 € Millionen an die griechischen Behörden.

Wie viel Gelder sind tatsächlich geflossen?

Tatsächlich erhielten die griechischen Behörden 2,59 € Milliarden, unter dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFF) von 2014 bis 2020. Dabei ist es besonders wichtig, anzumerken, dass 3,38 € Milliarden zugesprochen wurden, aber ein Großteil davon nicht ausgegeben wurde. Dies zeigt deutlich, dass die Gelder vorhanden sind, um die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln und auf dem Festland angemessen und würdig zu versorgen, jedoch der politische Wille fehlt, dies auch so umzusetzen. 

Noch werden in Griechenland grundlegende Anforderungen der EU-Aufnahmerichtlinie nicht eingehalten wie zum Beispiel das Recht auf Bildung der Kinder. Auch die Essensversorgung ist nach wie vor problematisch und ungenügend. Genug Geld wäre tatsächlich da, um die Probleme nachhaltig zu lösen. Selbst der Europäische Rechnungshof als EU-eigene Behörde kam in seinem Jahresbericht 2019 zu ähnlichen Schlussfolgerungen, ohne sie explizit so zu benennen. Es kam nicht zu expliziten Veruntreuungen der Gelder, jedoch wurden einige Gelder aus der Emergency Assistance für längerfristige Projekte und Strukturen zweckentfremdet, obwohl diese nur flexibel für kurzfristige Notfallbedarfe eingesetzt werden dürfen. Außerdem bemängelte der Rechnungshof die ineffiziente Nutzung der Gelder und somit die Diskrepanz zwischen den EU-Zielen und den tatsächlichen Ergebnissen – sprich das Fehlen des politischen Willens. Nun fließen die Gelder aber nicht nur an die griechischen Behörden, sondern auch an internationale Organisationen. Aber auch mehr Gelder an internationale Organisationen sind nicht zwingend hilfreich, wenn die griechische Regierung deren Arbeit blockiert und kriminalisiert, wie es vor allem auf den griechischen Inseln der Fall ist. 

Wer sich genauer mit den veranschlagten und geflossenen Geldern und dem MFF 2014-2020 befassen möchte, findet hier eine Übersicht von der Europäischen Kommission. Sie stellt auch dar, wie viele Gelder an die unterschiedlichen internationalen Organisation sowie an welche griechischen Behörden sie geflossen sind. 

Eine Betrachtung der Zahlen macht eines nochmal sehr deutlich. Knapp 5 Milliarden € wurden Griechenland für Migration und Asyl seit dem Sommer der Migration 2015 zur Verfügung gestellt. Die staatlichen Behörden und Organisationen haben eigentlich genügend Mittel, um Menschen würdig zu behandeln und zu versorgen. Aber es scheint politisch nicht gewünscht zu sein. Wieviel Geld unter dem aktuellen Finanzrahmen tatsächlich abgerufen wird, bleibt noch abzuwarten.

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