Wegweisende Gerichtsurteile in Rom und Straßburg

In den letzten Wochen gab es zwei wegweisende Urteile an europäischen Gerichtshöfen. Zum einen wurden am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die kroatischen und zum anderen am Gerichtshof in Rom die italienischen Behörden angeklagt. In beiden Fällen wurden die staatlichen Akteure für schuldig befunden. 

Drei Geflüchtete verbrennen in kroatischer Gefängniszelle 

Im Dezember 2017 wurde Kroatien von einem Opfer am EGMR angeklagt. Bei einem Feuer in einer kroatischen Grenzstation der Polizei starben drei inhaftierte Geflüchtete. Der Kläger wurde schwer verletzt.  Die vier Personen wurden am Morgen von der Grenzpolizei in einem Lastwagen entdeckt, der aus Serbien kam. Sie wurden auf die Polizeiwache gebracht, festgenommen und in einen Kellerraum gebracht, der für die Inhaftierung der Asylsuchenden genutzt wird, bevor sie gewaltvoll nach Serbien geschleppt werden. 

Am Abend brach ein Feuer in der Zelle aus und es waren keine Polizeikräfte vor Ort, um die Inhaftierten freizulassen. Der Gerichtshof stellte fest, dass schwerwiegende Mängel bei der Überwachung der Häftlinge vorlag. Der EGMR urteilte, dass zwei Verstöße gegen Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorlagen. 

Italiens Marine und Küstenwache für Tod von 268 Menschen verantwortlich 

Am 11. Oktober 2013 ereignete sich ein Schiffsunglück vor Lampedusa, bei dem 268 Menschen ertrunken sind. Am Gerichtshof in Rom wurden daraufhin die italienische Küstenwache und die Marine wegen unterlassener Hilfeleistung von den Überlebenden angeklagt. Die libysche Küstenwache hatte das Boot für längere Zeit verfolgt und beschossen. Daraufhin geriet das Boot in akute Seenot, weswegen die Menschen an Bord mehrere Notrufe an die Küstenwachen in Italien und Malta absetzten. Die italienischen Behörden kamen viel zu spät am Unfallort an. Der Gerichtshof in Rom urteilte nach einem langjährigen Prozess, dass die italienische Küstenwache und die Marine an dem Schiffsunglück schuldig waren und für die Toten verantwortlich sind, da sie als zuständige Behörde nicht ihre Pflichten erfüllt und nicht gemäß internationalem Recht gehandelt haben. Die Angeklagten entgingen jedoch einer Verurteilung, da der Fall schon verjährt ist. ProAsyl, zusammen mit borderline-europe und AlarmPhone, erklären, dass “nun geprüft werden muss, ob in einem zivilrechtlichen Verfahren der italienische Staat zu Entschädigungsleistungen für die Opfer verpflichtet werden kann”.

Wichtige Symbole, aber keine Bestrafung der Angeklagten 

In beiden Fällen wurden die staatlichen Behörden für die Vorfälle verantwortlich gemacht und schuldig gesprochen. Jedoch kam es in beiden Fällen zu keiner wirkungsvollen Bestrafung der Angeklagten. Trotzdem setzen die beiden Urteile ein symbolisch wichtiges Zeichen für die Wahrung der Rechte von Geflüchteten in Europa.

Anfrage an die Kommission zu Pushbacks von Italien nach Griechenland

Vor einer Woche hat Lighthouse Reports einen Bericht veröffentlicht, in dem es um die Ergebnisse ihrer Recherche zu Pushbacks auf Touristenfähren von Italien nach Griechenland geht. Sie fanden Beweise, dass Asylsuchende, darunter auch Kinder, in inoffiziellen Gefängnissen – zum Teil mit Handschellen – während der Überfahrt im Bauch von Passagierschiffen festgehalten werden. SRF und ARD Monitor waren auch an der Recherche beteiligt und haben darüber in Fernsehbeiträgen berichtet. 

Am 25. Januar habe ich, gemeinsam mit fünf anderen grünen Abgeordneten, der Europäischen Kommission eine schriftliche Anfrage dazu gestellt. Ich möchte erfahren, inwieweit diese illegalen Pushbacks von Italien nach Griechenland mit dem EU-Asylrecht vereinbar sind, und welche Nachuntersuchungen von der Kommission aus geplant sind, um diesem Tatbestand nachzugehen. Eine weitere Frage geht um das bilaterale Rückübernahmeabkommen zwischen Italien und Griechenland aus dem Jahr 1999 und ob dieser Vertrag überhaupt dem EU Besitzstand entspricht. 

Meine gesammelten schriftlichen Anfragen an die Kommission und die Antworten findet ihr hier.

Meine Anfrage

Lighthouse Reports hat zusammen mit SRF, ARD Monitor, Al Jazeera, Il Domani und Solomon am 18. Januar 2023 einen Bericht veröffentlicht, der die Praktik der illegalen Pushbacks auf Passagierschiffen von Italien nach Griechenland dokumentiert. Beweise zeigen, dass Asylsuchende, die von italienischen Behörden in adriatischen Häfen aufgegriffen werden, bei ihrer Ankunft kein Asyl beantragen können, sondern im Hafen festgehalten und dann nach Griechenland zurückgeschoben werden. Berichten von Personen afghanischer, syrischer oder irakischer Herkunft zufolge wurden sie während ihrer Abschiebung von Italien nach Griechenland in abgetrennten Einrichtungen auf Passagierschiffen inhaftiert, mit Handschellen gefesselt und auf engem Raum eingesperrt. 

  1. Inwiefern ist diese Praxis nach Ansicht der Europäischen Kommission mit dem asylrechtlichen EU acquis vereinbar?
  2. Ist das bilaterale Rückübernahmeabkommen zwischen IT und GR mit dem EU acquis vereinbar?
  3. Welche Folgemaßnahmen gedenkt die Europäische Kommission im Anschluss an den oben genannten Bericht zu ergreifen?

Diskussionsrunde zur Global Gateway Initiative

Gemeinsam mit der Organisation Eurodad habe ich eine Veranstaltung zur neuen Global Gateway Initiative der Europäischen Kommission veranstaltet. Die Initiative soll Entwicklungsziele und geopolitische Interessen zusammenbringen, um die aktuelle finanzielle Lücke für die Umsetzung von Entwicklungszielen zu schließen, indem sie bis Ende 2027 über 300 Milliarden Euro mobilisieren möchte. Um einen Austausch zwischen Kommission, Eurodad sowie Vertreterinnen aus dem Europäischen Parlament und der Zivilgesellschaft zu ermöglichen, haben wir uns am 16.11.2022 getroffen und über die Initiative intensiv diskutiert. 

Unser Panel bestand aus Farwa Sial, Senior Policy und Advocacy Officer für Entwicklungsfinanzierung bei Eurodad, Nicolas Stoetzel, Deputy Head of Unit in DG INTPA von der Europäischen Kommission, Shereen Talaat, Co-Executive Director der Arab Watch Coalition, Wester Van Gaal, vom EUobserver und Frank Vanaerschot, Direktor bei Counter Balance. 

Der Global Gateway ein neokoloniales Projekt?

Zu einem der größten Kritikpunkte der Initiative gehört, dass hier das geopolitische Interesse der EU mit Entwicklungszielen zusammengebracht wird. Das primäre Ziel von Entwicklungszusammenarbeit sollte Armutsreduktion sein und nicht, die EU als globale politische Macht zu stärken.  Damit die Initiative keinen neokolonialen Beigeschmack bekommt, ist es wichtig, auf eine Partnerschaft auf Augenhöhe zu setzen, mahnen die NGOs. Kritiker:innen bemängeln mangelnde Transparenz bei der Auswahl der Projekte, bei der Überwachung der Entwicklungswirkung und der Menschenrechte. 

Investments über den Privatsektor 

Die Global Gateway Initiative priorisiert Investments über den Privatsektor. Jedoch werden dadurch oft nur Investitionen in bereits stärkeren Wirtschaftsregionen getätigt, wodurch die Länder die Unterstützung am nötigsten haben, wenig bis gar nicht davon profitieren. Außerdem besteht die Gefahr, dass, wenn man im Bereich Bildung und Gesundheitsversorgung besonders auf private Investitionen setzt, jene essentiellen öffentlichen Einrichtungen privatisiert und teurer werden und somit nicht mehr für alle Teile der Bevölkerung zugänglich sind. Außerdem kam die Kritik, die EU müsse mehr Verantwortung und Führung innerhalb dieser Initiative übernehmen. Aktuell ist Partnern und der Öffentlichkeit nicht klar, wer politisch verantwortlich für die Projekte ist. Jedoch hat gerade die Covid-Pandemie gezeigt, dass es gerade in unsicheren Zeiten eine klare Führung und Verantwortungsübernahme braucht, um Gelder dorthin zu investieren, wo sie denjenigen helfen, die sie brauchen. Eurodad hat unter anderem kritisiert, dass gerade die Partnerländer auch andere Finanzierungsmethoden bevorzugen würden, zum Beispiel Schuldenerlass oder direkte finanzielle Unterstützung. 

Ergebnisse der Diskussion – mangelnde Kommunikation der Kommission

Im Laufe unserer Diskussion kam heraus, dass für viele der Sorgen schon Mechanismen und Regeln da sind, welche dafür sorgen sollen, dass zum Beispiel Entwicklungsziele und Partnerländerinteressen eingehalten werden. Jedoch hat die Kommission hier bisher nicht klar genug kommuniziert, wie Herr Stoetzel einräumen musste. 

Nicolas Stoetzel konnte innerhalb unserer Veranstaltung viele Sorgen aus dem Weg räumen. Gemeinsam mit den Partnerländern werden relevante Investmentbereiche identifiziert und Projektvorschläge erarbeitet. Alle Projekte innerhalb der Global Gateways unterliegen den Regeln des NDICI und den Entwicklungszielen der Partnerländer. Klar wird es eine Herausforderung werden, die kommerziellen Interessen der Privatinvestoren mit Entwicklungszielen zu vereinen, jedoch ist genau dies enorm wichtig um die finanzielle Lücke zu schließen. Mehr Informationen, werden außerdem demnächst auf der Website der Kommission veröffentlicht, um jene Fragen die bei uns auch in der Diskussion aufkamen zu klären. Allgemein muss man ja auch dazu sagen, dass es positiv ist, wenn Gelder mobilisiert werden und Projekte finanziert werden.

European Financial Architecture for Development – eine Übersicht

2018 hat der EU-Rat eine Expertengruppe damit beauftragt, eine Analyse der europäischen Entwicklungszusammenarbeit und ihrer Akteure zu machen und Verbesserungsvorschläge einzubringen. Der Bericht der Expertengruppe lag im Oktober 2019 vor und schlug als Hauptpunkt vor, die neue European Climate and Sustainable Development Bank (ECSDB) zu gründen. Diese sollte die europäische Entwicklungszusammenarbeit bündeln und zentral koordinieren, um so Doppelungen und Konkurrenz zu vermeiden. Dies hätte jedoch auch bedeutet, dass Nationalstaaten Kompetenzen hätten abgeben müssen, weshalb der Vorschlag vom Rat abgelehnt wurde. Zwei weitere Vorschläge vom Rat, welche die EIB und EBRD restrukturiert und teilweise zusammengelegt hätten, wurden ebenfalls vom Rat abgelehnt. Der einzig übrig gebliebene Vorschlag war es, alles beim Alten zu belassen, jedoch die Koordinierung innerhalb der EU zu verbessern: Diese Version heißt StatusQuo+. Nach langen Verhandlungen über Änderungsanträge, Kompromisse und Details, wie die neue übergreifende Struktur für die europäische Entwicklungszusammenarbeit aussehen soll, wurde am 26.10.2022 der EFAD Bericht vom Entwicklungsausschuss angenommen. 

Grünen Position zum StatusQuo+

Unsere Arbeit als Grüne im Europäischen Parlament war es also, den Bericht zum StatusQuo+, mit vielen Änderungsanträgen so zu gestalten, dass es eine wirkliche Verbesserung der Gestaltung der europäischen Entwicklungszusammenarbeit darstellt. Durch intensive Diskussionen ist es uns Grünen gelungen, mehrere Elemente in dem Report zu schärfen und andere Dinge rauszulassen, die unserer Meinung nichts mit Entwicklungszusammenarbeit zu tun haben, wie zum Beispiel Entwicklungsgelder für Migrationsabwehr einzusetzen. So konnten wir unter anderem einen Fokus auf Klimaprojekte und Förderung von Biodiversität legen, sowie Überwachungsmechanismen und Feedbackanalysen zu Projekten hinzufügen. Leider sind auch ein paar Punkte dabei, mit denen wir nicht so glücklich sind. Dazu zählt ein Änderungsantrag über die Nachhaltigkeitstransformation des afrikanischen Energiesektors. Eigentlich nicht so schlecht. Jedoch wird hierbei nicht ein Fokus auf nachhaltigen Energiezugang für alle Menschen in Afrika gelegt, sondern auf die nachhaltige Energieproduktion für den Export. 

Klimaziele im EFAD Bericht 

Einer unserer zentralen Forderungen war die Priorisierung von Klima- und Entwicklungszielen gegenüber Handels- und geopolitischen Interessen. Hierbei war uns wichtig, dass alle Entwicklungsgelder mit Zielen im Pariser Klimaabkommen vereinbar sind und maßgeblich zum Erreichen der Sustainable Development Goals (SDGs) beitragen, besonders Projekte, die durch Mischfinanzierung gefördert werden. Es sollen keine Entwicklungsgelder mehr für Sektoren ausgegeben werden, welche die Klimakrise befeuern, und mindestens 30% der Gelder klar dazu beitragen, die Klimaziele zu erreichen. Des Weiteren war es uns wichtig, dass die neue EU-Taxonomie zu Energieressourcen maximal als Mindeststandard für Investitionen im Energiebereich dienen sollte, jedoch eigentlich die Entwicklungsbanken ein best-practice-Beispiel für einen nachhaltigen Wandel sein sollten, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens und die SDGs zu erreichen.

Akteure in der europäischen Entwicklungszusammenarbeit

Mit Bezug auf die European Investment Bank (EIB) waren uns mehrere Punkte wichtig. Einerseits die Verbesserung ihrer sozial- und umweltpolitischen Richtlinien, insbesondere mit einem Fokus auf den Schutz der Menschenrechte und gefährdete Ökosysteme. Hierzu zählt auch eine Erhöhung der Transparenz und Kontrolle in der Zusammenarbeit mit Subunternehmern und ihren Aktivitäten. Zusätzlich war es uns wichtig, dass wir dringend eine klare Mandatsbeschreibung brauchen für die neue Zweigstelle EIB Global und auch hier mehr Transparenz über ihre Aktivitäten. Um die Transparenz und Kontrolle in der EIB zu erhöhen, haben wir gefordert, dass die Europäische Investment Bank, sowie auch die Kommission regelmäßig mit dem Parlament in Austausch treten, um über ihre Aktivitäten berichten. Um die Partnerschaften zwischen der EU und Entwicklungsländern zu stärken, haben wir auch gefordert, dass die lokale Bevölkerung, die Zivilgesellschaft sowie Nicht-Regierungsorganisationen sinnvoll in Entwicklungsprojekte mit eingebunden werden.

Private Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit 

In der Entwicklungszusammenarbeit gibt es eine erhebliche Lücke zwischen finanziellen Mittel, die vorhanden sind und der Summe, die eigentlich gebraucht wird. Als Lösung wird oft die Mischfinanzierung angebracht. Mischfinanzierungen bedeuten, dass private Investition durch öffentliche Gelder gestützt und gegen Risiken abgesichert werden. Hierbei konnten wir erreichen, dass Mischfinanzierung nur auf Bereiche beschränkt werden, in denen sie nach einer sorgfältigen Bewertung einen Mehrwert für die lokale Wirtschaft erbringen können. Denn oftmals wird diese Methode hoch gelobt, jedoch gibt es Studien, die ihre Hilfe in Frage stellen, insbesondere für die schwächsten Entwicklungsländer. Der Schutz wesentlicher öffentlicher Dienstleistungen, wie Bildung, Gesundheit und Sozialversicherung sollte weiterhin Priorität haben und unter keinen Umständen bestehende Ungleichheiten verstärken.

Policy Coherence for Development, Gender Mainstreaming und bessere Koordination

Ein weiterer elementarer Punkt, den wir in den Kompromissen unterbringen konnten, war ein Aufruf zur Stärkung der Maßnahmen der Politikkohärenz aller beteiligten Akteure.  Dies bedeutet, dass jegliche Maßnahmen und Initiativen in verschiedenen Politikbereichen abgeglichen werden müssen mit anderen Vorhaben, damit zum Beispiel die Errungenschaften eines Entwicklungsprojektes nicht durch ein anderes Vorhaben wieder zunichtegemacht werden. Der Bericht fordert außerdem die EFAD-Akteure auf, die Sorgfaltspflicht bei ihren Operationen zu verstärken, die Gleichstellung der Geschlechter durchgängig zu berücksichtigen und die Menschenrechte bei allen Operationen zu schützen. Die EIB und die EBRD  werden angehalten, ihre Arbeit und Projekte effektiver zu koordinieren und ihre Arbeitsteilung zu klären, damit jede Bank sich auf ihre jeweiligen Kernkompetenzen konzentrieren kann, um so Doppelungen  und Preisunterbietung zu vermeiden.

Jetzt geht es in die Trilogie 

Ihr seht also, der Bericht versucht in vielen Bereichen deutliche Verbesserungen voranzubringen und wir Grünen konnten die neue übergreifende Struktur für die europäische Entwicklungszusammenarbeit maßgeblich mit unseren Ideen beeinflussen. Sobald der Bericht vom Parlament verabschiedet wurde, beginnt die nächste Phase: die Triloge. Ich hoffe, dass wir viele unserer im Parlament verhandelten Kompromisse auch in den Triologen durchbringen können, um die europäische Entwicklungszusammenarbeit in Zukunft nachhaltiger und effektiver zu gestalten.

Civil society talks in Wrocław: Resilience and Resistance

Unsere Konferenz gegen die Kriminalisierung von Solidarität und für Unterstützung der Zivilgesselschaft

Am 22. und 23. Oktober organisierten unsere Fraktion, mein Büro in Brüssel und die polnischen Grünen eine Konferenz, um Menschen aus ganz Europa zusammenzubringen, die von Kriminalisierung betroffen sind. Kriminalisierung bedeutet, Helfende werden vor Gericht gestellt, weil sie anderen Menschen auf der Flucht humanitär helfen. Das soll abschrecken und dafür sorgen, dass die Flucht nach Europa lebensgefährlich und menschenunwürdig bleibt. Besonders betroffen sind aber auch Geflüchtete selbst, die kriminalisiert werden. Entweder, direkt dafür, dass sie flüchten oder weil ihnen vorgeworfen wird, zu Schleppernetzwerken zu gehören, nur weil sie ein Boot steuerten. 

Die Wahl für unsere Konferenz “Civil Society Talks: Resilience and Resistance” fiel auf Wrocław, weil die Kriminalisierung der polnischen Zivilgesellschaft besonders stark zugenommen hat, seit der belarussische Diktator Aljaksandr Lukaschenka systematisch Menschen an die polnische Grenze brachte. Aber auch, weil die Stadt besonders viele Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen hat, die inzwischen einen relevanten Teil der Bevölkerung stellen

Doppelte Standards in Polen 

Einerseits ist die Solidarität für Menschen aus der Ukraine in Polen sehr groß. Andererseits ist es auch bitter zu sehen, wie sich die Solidarität nur auf die direkten Nachbarn beschränkt und andere Mensche weiterhin nicht als Schutzsuchende anerkannt werden – weil sie eine andere Hautfarbe oder Religion haben. Gerade in Polen ist es absurd zu sehen, wie groß die Solidarität mit Geflüchteten aus der Ukraine überall im Land ist und Menschen die an der Ukrainischen Grenze helfen als Helden gefeiert werden; während diejenigen, die genau das gleiche an der Grenze zu Belarus machen, wie gefährliche Kriminelle behandelt werden. 

Dabei ist es notwendig, dass an der Grenze zu Belarus geholfen wird, vor allem im Winter. Bislang starben mindestens 17 Menschen an der Grenze zwischen Polen und Belarus – die meisten an der Kälte. Alle Aktivist:innen mit denen wir gesprochen haben, gehen davon aus, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt. 

Großes Interesse 

Das Interesse an der Veranstaltung war groß. Am Samstag kamen tagsüber rund 100 Personen, darunter auch sehr viele Interessierte und Aktive aus Wrocław selbst. Tagsüber fand die Veranstaltung in der altehrwürdigen Ossolinski-Nationalbibliothek statt, wo Kriminalisierte aus ganz Europa ihre Erfahrungen teilten und sich vernetzten. 

Zu Gast waren die polnischen NGOs Blue dot, die verschiedene Orte schafft, an denen ukrainischen Geflüchteten geholfen wird. Nomada, die Rechtsberatung machen und verschiedene Integrationsprojekte betreuen und die Mothers at the Borders, die direkt an der polnischen Außengrenze Unterstützung anbieten und gegen die Ungleichbehandlung von Geflüchteten demonstrieren. 

Kriminalisierung 

Anita Wojcinowicz

Das große Panel der Konferenz fand am Samstag Abend im Kulturzentrum Wyspa Tamka statt und wurde von mir moderiert. Ich freue mich besonders, dass Hamid Khalizad seine Geschichte mit uns geteilt hat. Die griechischen Behörden warfen ihm vor, ein Schlepper zu sein, einfach nur weil er selbst nach Griechenland fliehen musste. Inzwischen wurde er glücklicherweise freigesprochen. Über die Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidigern, die selbst Migranten sind, wird viel zu wenig berichtet, da sie sich in einer besonders verletzlichen Situation befinden. Ihnen können Abschiebung, Zurückdrängung, willkürliche Inhaftierung und Verlust ihres Status sowie harte finanzielle, soziale und wirtschaftliche Konsequenzen drohen. 

Weil Hamid leider nicht persönlich da sein konnte, wurde sein Brief von Seán Binder vorgelesen. Seán Binder wurde in Griechenland mehrere Monate inhaftiert und der Prozeß gegen ihn läuft immer noch, nur weil die griechischen Behörden nicht weiter akzeptieren wollten, dass er und seine Organisation Free Humanitarians Menschen aus Seenot in der Ägäis retten. Der Prozess gegen ihn und weitere Seenotretter wurde jetzt schon mehrfach aus fadenscheinigen Gründen verschoben, wodurch sie sich in Raum rechtlicher Unsicherheit befinden, aus dem sie nicht so einfach rauskommen. Die Juristin Elli Kriona von Hias Greece berichtete über den Mangel an Rechtsstaatlichkeit und juristischer Beratung der Geflüchteten – insbesondere auf den Inseln. 

Die polnische Perspektive 

Die polnische Perspektive auf das Thema haben uns Mariusz Kurnyta und Marta Gorczynska aufgezeigt. Mariusz lebt in der Nähe der Grenze und war Soldat. Als er hörte, dass Menschen unweit seines Hauses erfrieren, entschied er sich dazu, das naheliegende und menschliche zu tun und ihnen zu helfen. Er berichtet schockiert davon, wie die polnischen Behörden an der Grenze mit den Menschen umgehen und leider auch, wie viele seiner Nachbarn und Freunde gar nicht damit einverstanden sind, dass er Flüchtenden an der belarussischen Grenze hilft. Marta ist Menschenrechtsanwältin und Teil des Bündnis Grupa Granica, das sich vor über einem Jahr spontan an der belarussischen Grenze bildete. Sie sprach vor allem über die humanitäre Krise an der belarussischen Grenze, zu der das Bündnis auch eine Zusammenfassung geschrieben hat. Außerdem arbeitete Marta auch an diesem Bericht der Helsinki Foundation of Human Rights mit dem Titel “The lawless Zone: Polish-Belarussian Border Monitoring.” 

Neben der griechischen und polnischen Perspektive war noch Marta Llonch zu Gast, die als Juristin aktiv an der Grenze zu Melilla arbeitet und über die Menschenrechtslage vor Ort berichtete, wo im Juni diesen Jahres mindetens 37 Menschen starben. Nach der Veranstaltung haben sich die Teilnehmer:innen noch in ungezwungener Atmosphäre unterhalten und sich nochmal in Wrocław umgeschaut. 

Shrinking Spaces 

Anita Wojcinowicz

Am nächsten Morgen fand dann noch eine Veranstaltung zu “Shrinking Spaces” statt, also der Einschränkung des Raums für die Zivilgesellschaft. Hier lag der Schwerpunkt darauf, wie versucht wird, konkret den Raum für NGOs einzuschränken, damit sie nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen und Menschen auf der Flucht helfen können. Auf der Konferenz habe ich viele Menschen getroffen, die vor Gericht gestellt wurden, weil sie das Richtige getan haben. Das, von dem wir alle sagen würden, dass man es tun sollte. Menschen nicht ertrinken, erfrieren oder verdursten lassen. Es ist eine Schande für uns als Europäische Union, dass Menschen dafür vor Gericht gestellt werden. Und es ist eine ebenso große Schande, dass Menschen in EU-Staaten ins Gefängnis geworfen werden, weil sie selbst flüchten mussten. Unser Ziel bleibt es, ein freundliches Umfeld für Solidarität zu schaffen und die Kriminalisierung von Zivilcourage zu bekämpfen. Darüber hinaus muss die unabhängige Menschenrechtsüberwachung an unseren Außengrenzen gestärkt werden. Schließlich müssen wir die humanitäre Hilfe besser finanzieren und eine ausgewogene EU-Migrationspolitik fördern, anstatt sie zu kriminalisieren. Kurzum: Wir müssen eine Politik machen, die mit den von uns propagierten Werten vereinbar ist. 

Anfrage: Fälle von „Drift-backs“ in der Ägäis

Ich habe eine Anfrage an die Kommission zu den dokumentierten „Drift-Backs“ in der Ägäis gestellt. Auf meine Frage, ob die Kommission endlich diese Menschrechtsverletzungen an der griechischen Grenze einräumt erhalte ich mal wieder keine Antwort. Die Kommission bleibt schwammig in ihren Aussagen und weist nur darauf hin, dass sie die griechischen Behörden aufgefordert hat alle Vorwürfe zu untersuchen. Das dabei jedoch nicht viel rauskommt, wenn eine Behörde, die Menschenrechtsverletzungen selbst begeht, ihre eigenes Fehlverhalten untersuchen soll, ist selbsterklärend. Nachdem dies der Fall ist, sollte die Kommission als Hüterin der Verträge ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland einleiten um die vielfach dokumentierten Verletzungen der Rechtstaatlichkeit und der Menschenrechte aufzuklären. Denn unsere Grenzen sind nur geschützt, wenn auch unsere Grundrechte an ihnen geschützt werden.

Die Anfrage mit Antworten in mehreren Sprachen findet ihr hier.

Meine Anfrage

Die Rechercheagentur „Forensic Architecture“ hat vor kurzem gemeldet, dass die griechische Küstenwache teilweise mit der Unterstützung von Frontex in 1.018 Fällen Flüchtlinge auf Rettungsinseln ausgesetzt hat, damit sie so aus griechischen Gewässern zurück an die türkische Küste treiben, was auch als „Drift-back“ bezeichnet wird. Obwohl es immer mehr Belege für diese Praxis gibt, ist die Reaktion der Kommission darauf bislang sehr verhalten und zweideutig gewesen, was den Eindruck erweckt, dass sie die griechischen staatlichen Stellen decken will, anstatt als Hüterin der Verträge aufzutreten.

  • Gedenkt die Kommission, gemeinsam mit Frontex Maßnahmen im Hinblick auf die genannten Fälle zu ergreifen, oder geht sie davon aus, dass die griechische Transparenzbehörde diese Vorkommnisse zum Gegenstand einer unabhängigen Untersuchung machen wird?
  • Berücksichtigt die Kommission bei der Behandlung der systematischen Menschenrechtsverletzungen, die der griechischen Regierung zur Last gelegt werden, den Interessenkonflikt angesichts der Parteizugehörigkeit von Vizepräsident Margaritis Schinas, der im Kollegium der Kommissionsmitglieder für die Förderung unserer europäischen Lebensweise zuständig ist?
  • Räumt die Kommission die häufigen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen an den griechischen Grenzen endlich ein, nachdem eine Vielzahl etablierter Akteure eine lange Liste von Beweisen veröffentlicht hat?

Die Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 13.10.2022

  1. Die Zuständigkeit für die Untersuchung mutmaßlicher Zurückweisungen liegt bei den nationalen Behörden. In diesem Zusammenhang informierten die griechischen Behörden die Kommission über Maßnahmen, die ergriffen wurden, um die Einhaltung der Grundrechte zu gewährleisten. Dazu gehören interne Kontrollverfahren, Untersuchungen durch unabhängige Behörden und die Möglichkeit von Staatsanwälten, Vorwürfe zu untersuchen*. Die Kommission wird weiterhin mit den griechischen Behörden zusammenarbeiten, um die erzielten Fortschritte zu überwachen.
  2. Vizepräsident Schinas hat keinen Interessenkonflikt. Gemäß dem Verhaltenskodex für die Mitglieder der Kommission liegt ein Interessenkonflikt vor, wenn ein persönliches Interesse die unabhängige Wahrnehmung der Aufgaben eines Kommissionsmitglieds beeinflussen kann. Persönliche Interessen umfassen unter anderem, jedoch nicht ausschließlich, potenzielle
    Vergünstigungen oder Vorteile für die Mitglieder selbst, ihre (Ehe-)Partner oder direkte Familienangehörige. Ein Interessenkonflikt liegt nicht vor, wenn ein Kommissionsmitglied lediglich als Teil der allgemeinen Öffentlichkeit oder einer breiten Bevölkerungsschicht betroffen ist. Folglich schaffen die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei ebenso wie politische Überzeugungen keinen Interessenkonflikt.
  3. Die Mitgliedstaaten sind nach dem EU-Recht verpflichtet, unbefugtes Überschreiten der EU-Außengrenzen im Einklang mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einschließlich des Rechts auf Asyl und des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, zu verhindern und abzuwenden. Die Achtung der Grundrechte ist ein nicht verhandelbarer Bestandteil der Umsetzung des integrierten europäischen Grenzmanagements, und die Kommission hat die zuständigen nationalen Behörden wiederholt aufgefordert, Vorwürfe gründlich zu untersuchen und die Verantwortlichen gegebenenfalls vor Gericht zu bringen.

*Den neuen Vorschlägen zufolge werden die griechischen Behörden weiter an einer dreistufigen Struktur arbeiten und sich dabei auf Folgendes stützen: a) interne Kontrollverfahren, mit denen Straftaten im Zusammenhang mit Einsätzen der griechischen Polizei oder der griechischen Küstenwache untersucht und
verfolgt werden sollen, b) Untersuchungen durch unabhängige Behörden wie den griechischen Bürgerbeauftragten und die nationale Transparenzbehörde, und c) die Möglichkeit von Staatsanwälten, Vorwürfe nach einer entsprechenden Beschwerde bzw. Presse- und NRO-Berichten zu untersuchen. Zuletzt haben die
griechischen Behörden im Anschluss an Gespräche zwischen Kommissarin Johansson und den zuständigen Ministern in Griechenland am 30. Juni 2022 Rechtsvorschriften erlassen, die unter anderem die Einsetzung eines Grundrechtsbeauftragten und eines spezifischen Überwachungsausschusses für Grundrechte innerhalb des Ministeriums für Migration und Asyl umfassen. Der Grundrechtsbeauftragte und der Ausschuss werden sich sowohl mit Beschwerden im Zusammenhang mit Grenzeinsätzen als auch im Zusammenhang mit Asylverfahren befassen.

Grüne Delegationsreise zur griechischen Grenze

Ich war vom 19 bis 21. September als Teil einer Delegation meiner Fraktion im Europaparlament gemeinsam mit den Abgeordneten Tineke Strik aus den Niederlanden, Saskia Bricmont aus Belgien und Gwendoline Delbos-Corfield aus Frankreich nach Griechenland gereist. Ziel der Reise ist es, uns ein Bild zur aktuellen Lage der Geflüchteten in Griechenland zu machen – aber auch zur Lage der Rechtsstaatlichkeit und der Pressefreiheit insgesamt. Die griechische Regierung hat führende Oppositionspolitiker und Journalist:innen durch Spähsoftware überwachen lassen und bei der Pressefreiheit liegt das Land, laut Reporter ohne Grenzen, aktuell auf Rang 108 von 180 Staaten – nur Russland und Belarus schneiden in Europa noch schlechter ab. 

RIC Fylakio – Zustände in den Camps

Der Fokus unserer Reise lag auf einem Besuch am Evros, dem Grenzfluss zur Türkei. Hier wurden immer wieder besonders schwere Menschenrechtsverletzungen – gewaltvolle und systematische Pushbacks – dokumentiert. Darüber hinaus haben wir auch Fragen zur biometrischen Massenüberwachung von Schutzsuchenden in sogenannten RIC (Reception and Identification Center) befasst. Wir haben das RIC in Fylakio zu besucht, wo Menschen eigentlich höchstens bis zu 25 Tage eingesperrt werden dürfen. In der Praxis werden selbst Kinder dort monatelang eingesperrt und haben weder Zugang zu Bildung noch zu medizinischer Versorgung. Das Lager selbst ist klein, aber voller verschlossener Türen und Stacheldraht, ohne Schatten und Farbe. Die Menschen leben in Containerhäusern mit Blöcken für Familien, Männer und unbegleitete Minderjährige. Die NGOs vor Ort sind so stark von der Regierung eingeschüchtert, dass sie sich nicht trauen, mit uns Abgeordneten zu sprechen, weil sie fürchten müssen, dann den Zugang zum Camp oder Gelder zu verlieren.

Tote am Evros 

Der Zugang zur Grenzregion wurde uns verwehrt, obwohl wir Europaabgeordnete sind und ich im Parlament für die Außengrenzen zuständig bin. Die griechischen Behörden verhindern hier leider konkret, dass ich meiner Arbeit als Abgeordneter nachgehen kann. Wir standen vor zwei Containern, in denen die Leichen von 20 Menschen lagen, die am Evros gefunden wurden. Allein in diesem Jahr sind die Leichen von 51 Menschen in der griechischen Grenzregion gefunden worden. Wir haben uns mit Dr. Pavlidis unterhalten; er kümmert sich ehrenamtlich um diese Fälle, versucht für die Angehörigen Gewissheit zu schaffen, ob ihre vermissten Söhne, Töchter oder Eltern noch am Leben sind. Oft werden die Leichen erst nach Monaten gefunden – auch weil NGOs der Zugang zur Grenzregion verweigert wird.

Treffen mit Frontex

Alle Aktivitäten der Agentur basieren auf den selbst erklärten Bedürfnissen der nationalen Behörden und stehen unter jener Aufsicht. Die griechischen Behörden versuchen Frontex von ihren illegalen Aktivitäten und den Pushbacks fernzuhalten, weil Frontex diese eigentlich melden müsste – was sie nachweislich in vielen Fällen nicht getan haben. Die Grenzschutzbeamten und Aufsichtspersonen, mit denen wir gesprochen haben, behaupten alle Aktivitäten zu melden, aber noch nie einen Pushback mitbekommen zu haben. Auf unsere Frage, was sie eigentlich den ganzen Tag machen, haben wir keine nachvollziehbare Antwort erhalten.

Treffen mit Notis Mitarachi 

Am Dienstag hatten wir ein Treffen mit dem griechischen Migrationsminister Notis Mitarachi, der uns Abgeordneten und auch renommierten internationalen Medien mehrfach vorgeworfen hat Fake News und türkische Propaganda zu verbreiten, als wir über die offensichtlichen Pushbacks, Gewalt und Verschleppungen auf See gesprochen haben. Die griechische Regierung baut nicht nur Zäune an der Grenze, sondern auch eine Mauer aus Lügen. In seiner Rede sprach Mitarachi von deutlich besseren Aufnahmebedingungen und einem minimalen Rückstand bei den Asylverfahren im Land, ging aber nicht auf die von glaubwürdigen Akteuren erhobenen Vorwürfe der Pushbacks und weiterer Menschenrechtsverletzungen ein. Ich habe Herr Mitarachi mit mehreren aktuellen Fällen konfrontiert, einschließlich der Fälle von Menschen die auf einer Insel am Evros gestrandet sind. Doch Herr Mitarachi behauptete einfach, dass alle diese Fälle erlogen und erfunden seien. 

Pressefreiheit in Griechenland 

Wir trafen Journalisten, die an der Berichterstattung über den Predator-Fall beteiligt waren, bei dem Griechenland illegal Journalist:innen und Oppositionspolitiker:innen abhörte. Ihre Schilderungen zeichneten ein Bild von Einschüchterung, nationalen Medien, die zum Sprachrohr der Regierung geworden sind, und einem gravierenden Mangel an Mitteln für investigativen Journalismus.

Lesbos 

Nach dem Ende der grünen Mission bin ich noch nach Lesbos gereist, um mir die Lage im Lager Mavrouvoni anzuschauen, dass nach dem Brand in Moria errichtet wurde und als kurzfristige Notlösung gedacht war. Die Lage im Camp ist noch nicht gut, aber es ist auch durch die vielen NGOs und den internationalen Druck deutlich besser als vor einem Jahr. Wie die Lage vor einem Jahr war, habe ich hier aufgeschrieben. Derzeit wird ein neues Camp errichtet, das noch abgelegener ist, als Mavrouvoni und im kommenden Frühjahr fertig werden soll. Man fürchtet, dass die Menschen dort eingesperrt werden und NGOs keinen Zugang haben.

Allgemeine Lage in Griechenland 

Am Dienstag trafen wir uns in Athen mit Expert:innen, die sich mit den gefährlichen Auswirkungen der biometrischen Massenüberwachung, der Korruption bei der Vergabe öffentlicher Gelder, den Angriffen auf die Pressefreiheit und dem Abhörskandal befassen. Die vielen Gespräche hinterließen das Bild von einem Staat, in dem grundlegende demokratische Standards und Menschenrechte nicht mehr eingehalten werden. Die EU, insbesondere die Kommission, muss schnell handeln und Druck aufbauen, um einer weiteren Verschlechterung entgegenzuwirken. Die Zivilgesellschaft, unabhängige Journalist:innen und Geflüchtete brauchen aktive Unterstützung, um sich gegen die Angriffe durch den Staat und die Regierung zu wehren. 

Griechische Regierung lügt

Mein Besuch am Evros und in Athen hat mir nochmal vor Augen geführt, dass die griechische Regierung systematisch lügt, um sich ihrer Verantwortung zu entziehen und auch nicht davor zurückschreckt Menschen auf der Flucht zu misshandeln, NGOs einzuschüchtern und Journalist:innen anzugreifen und zu bespitzeln. Es gibt aber auch noch eine intakte Zivilgesellschaft, die jetzt unsere Unterstützung braucht, um weiter für die Rechte von Schutzsuchenden und für den Erhalt der Demokratie und des Rechtsstaats zu kämpfen. 

Anfrage: Zurückweisungen trotz einstweiliger Maßnahmen des EGMR

Ich habe ein Anfrage zu Pushbacks an der Landesgrenze zwischen Griechenland und der Türkei an die Kommission gestellt. Die Kommission gibt sich schockiert und besorgt über die Berichte und antwortet, dass sie die aktuellen Kontrollmechanismen zur Wahrung der Grundrechte überprüfen wird.

Die Anfrage mit Antworten in mehreren Sprachen findet ihr hier.

Meine Anfrage

Wie vom Griechischen Flüchtlingsrat gemeldet, waren 94 Syrer:innen, darunter Minderjährige mit Gesundheitsbeschwerden und junge Mütter mit ihren Säuglingen, vor Kurzem an einem Eiland vor der Küste des griechischen Regionalbezirks Evros gestrandet und mussten dort mehrere Tage ohne Wasser und Nahrung ausharren. Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 24. Mai 2022 einstweilige Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass diese Menschen unverzüglich humanitäre und medizinische Hilfe erhalten und die gesetzlich vorgesehenen Aufnahme- und Identifizierungsverfahren auf sie angewandt werden, wurden sie laut Berichten ihrer Familienangehörigen in der Türkei am letzten Wochenende gegen ihren Willen in die Türkei zurückgebracht.

  • Sind die oben geschilderten Handlungen Griechenlands nach Ansicht der Kommission mit dem EU-Recht, einschließlich der Charta der Grundrechte, vereinbar?
  • Welche Schritte wird die Kommission unternehmen, um der möglichen Zurückweisung von 94 Syrern nachzugehen?
  • Liegen ihr Informationen über andere illegale Zurückweisungen durch Griechenland oder über die Zahl mutmaßlich rechtswidriger Verhaltensweisen an der griechischen Grenze vor?

Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 08.08.2022

Die Kommission ist zutiefst besorgt über alle Berichte und Vorwürfe von Zurückweisungen und Misshandlungen. Jede Form von Gewalt oder Zurückweisung ist rechtswidrig und muss von den nationalen Behörden untersucht werden, die für die Feststellung des Sachverhalts und das Ergreifen von Folgemaßnahmen zuständig sind. Die Kommission ist sich der zunehmenden Migrationsströme an der Landgrenze zur Türkei in den letzten Monaten sowie der Bedrohung durch Schleuser bewusst, die Migrantinnen und Migranten auf kleinen Inseln im Fluss Evros aussetzen.

Im Einklang mit der Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen müssen die Mitgliedstaaten wirksame Mechanismen zur Einhaltung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (grundlegende Voraussetzungen) einrichten. Die Kommission bewertet derzeit die Mechanismen, die im Zusammenhang mit den griechischen Programmen im Rahmen der Fonds im Bereich Inneres eingerichtet worden sind, einschließlich des unabhängigen Mechanismus zur Überwachung und Verhinderung von Zurückweisungen. Ist die Kommission der Auffassung, dass eine grundlegende Voraussetzung nicht erfüllt ist, können die im Rahmen der betreffenden Maßnahmen getätigten Ausgaben zwar in den Zahlungsanträgen angeführt werden, eine Erstattung erfolgt jedoch erst, wenn die Kommission den betreffenden Mitgliedstaat über die Erfüllung der grundlegenden Voraussetzung unterrichtet hat.

Die Kommission prüft alle ihr zur Verfügung stehenden sachdienlichen Informationen und kooperiert mit den griechischen Behörden, die für die Kontrollmechanismen und die konkrete Untersuchung von Vorwürfen zuständig sind. Die Kommission arbeitet auch im Rahmen der Task Force „Migrationsmanagement“ mit Griechenland zusammen und liefert Feedback in diesem Bereich, um die Wirksamkeit der von den griechischen Behörden eingeführten Überwachungs‐ und Follow-up-Modalitäten zu erhöhen, mit denen die Verpflichtungen aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und dem EU-Recht, einschließlich des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, vollständig umgesetzt werden sollen.

Anfrage: Finanzierung geschlossener Migrationszentren durch die EU

Die EU finanziert mehrere geschlossene Migrationszentren mit haftähnlichen Bedingungen in Griechenland. Trotz vorliegender Beweise eines griechischen Gerichtes und mehrerer Nichtregierungsorganisationen, leugnet die Kommission, dass es haftähnliche Bedingungen gibt und behauptet darüber hinaus, dass die Rechte der Schutzsuchenden nicht gebrochen werden.

Die Anfrage mit Antworten in mehreren Sprachen findet ihr hier.

Meine Anfrage

Die EU finanziert mehrere geschlossene Migrationszentren in Griechenland. Dazu gehört u. a. das geschlossene Zentrum mit kontrolliertem Zugang auf Samos, das im September 2021 eröffnet wurde und im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) Finanzmittel in Höhe von 43 Mio. EUR erhielt. Urteilen eines griechischen Gerichts und Nachweisen verschiedener regierungsunabhängiger Organisationen zufolge sind in diesem Zentrum viele Asylsuchende de facto mit Inhaftierung und umfassender Überwachung konfrontiert.

  • Hält die Kommission die Finanzierung dieses geschlossenen Zentrums für mit den besonderen Bestimmungen zur Regelung der Inhaftierung von Asylsuchenden im internationalen und europäischen Asylrecht (z. B. der Richtlinie über Aufnahmebedingungen und der Dublin-III-Verordnung) vereinbar?
  • Könnte die Kommission eine ausführliche Auflistung aller Ausgaben im Rahmen des AMIF für das Lager auf Samos seit September 2021 bereitstellen, aufgeschlüsselt nach Ausgabenkategorie (insbesondere Überwachung einschließlich Verfahren und Wachpersonal)?
  • Gibt es einen konkreten Überblick über Finanzmittel im Rahmen des AMIF für vergleichbare Zentren auf den Ägäischen Inseln, einschließlich ihrer Kapazität und Gesamtpersonalzahl je Lager, und wie überwacht die Kommission diese Ausgaben?

Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 08.09.2022

Die Kommission hat 276 Millionen € aus dem Migrations‐ und Integrationsfonds (AMIF) für den Bau von fünf Mehrzweck-Aufnahme‐ und Identifizierungszentren auf den Inseln Samos, Kos, Leros, Chios und Lesbos bereitgestellt. Diese Zentren umfassen verschiedene Bereiche, darunter Aufnahme‐ und Identifizierungsstrukturen für Neuankömmlinge, Unterkunftsmöglichkeiten, sichere Bereiche für unbegleitete Kinder und Jugendliche, Freizeitbereiche und Abschiebezonen. Wie durch die Rückführungsrichtlinie garantiert, handelt es sich nur bei den Abschiebezonen um geschlossene Bereiche. Dass das Asyl‐ und Rückkehrrecht der EU vollumfänglich geachtet wird, ist Bedingung dafür, dass die Zentren mit EU-Mitteln unterstützt werden können.

Die von den griechischen Behörden für den Bau der Zentren veröffentlichten Ausschreibungsunterlagen können online abgerufen werden. Sie beziehen sich auf die Gesamtkosten der Bauarbeiten und nicht auf die Kosten pro Zentrum. Die Verträge, die Informationen über die laufenden Kosten des neuen Zentrums auf Samos enthalten, stammen vom griechischen Ministerium für Migration und Asyl, weswegen der Kommission die gewünschten Angaben nicht zur Verfügung stehen. Die Damen und Herren Abgeordneten werden gebeten, sich dazu an die zuständigen Dienststellen des Ministeriums zu wenden.

Die Kommission hat Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Ägäischen Inseln entsandt und beobachtet die Arbeit der neuen Zentren genau, um die Konformität mit geltendem EU-Recht sicherzustellen. Dies geschieht über die obligatorische Berichterstattung der Empfänger von EU-Mitteln und Besuche von Kommissionsmitarbeiterinnen und ‐mitarbeitern vor Ort. Für den Bau der neuen Mehrzweck-Aufnahme‐ und Identifizierungszentren wurde ein zusätzlicher Überwachungsrahmen geschaffen, der während des Projekts unter anderem regelmäßige Finanzkontrollen durch ein externes Wirtschaftsprüfungsunternehmen beinhaltet.

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