Als stellvertretender Vorsitzender des Entwicklungsausschusses im Europäischen Parlament liegt ein Schwerpunkt meiner Arbeit auf der europäischen Entwicklungszusammenarbeit sowie der humanitären Hilfe, welche, anders als im Bundestag, ebenfalls dem Entwicklungsausschuss untergeordnet ist.
Hierbei setze ich mich für eine EU ein, die globale Ungleichheiten bekämpft, auf Augenhöhe mit ihren Partner:innen agiert, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fördert und darüber hinaus auch offen ist für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung aber auch wegen Armut und den Folgen der Klimakrise nach Europa fliehen müssen. Auch wenn im Bereich der Kooperation mit dem Globalen Süden mehr Konsens als in anderen Politikfeldern der Europäischen Union herrscht, gibt es doch einige Punkte, mit denen ich unzufrieden bin oder bei denen ich als Teil der Grünen Fraktion mehr erreichen möchte
1: Stopp der Externalisierung und Konditionalisierung
Oberstes Ziel der Entwicklungszusammenarbeit der EU ist die Bekämpfung von Armut, dies ist so auch primärrechtlich (Art.21 (2) d) EUV) festgelegt. Jedoch werden immer mehr Gelder, die eigentlich für diesen Zweck verwendet werden sollten, für die Externalisierung der europäischen Außengrenzen aufgewendet beziehungsweise an die Kooperation der Drittstaaten beim Migrationsmanagement geknüpft. Dies bedeutet, dass man Staaten, meist autokratischen Regimen, Gelder zur Verfügung stellt oder andere Vorteile wie beispielsweise Zollfreiheit gewährt, wofür die Regierungen im Gegenzug dafür sorgen sollen, dass weniger Menschen nach Europa gelangen. Beispiele dafür sind aktuell die Absichterklärung mit Tunesien zu Migrationsmaßnahmen oder auch die langjährige Finanzierung der libyschen Küstenwache.
Mit dem NDICI-Global Europe Instrument für externe Ausgaben der EU wurden Anfang dieser Legislaturperiode verschiedene Instrumente der EU-Außenpolitik gebündelt und ein neues Regelwerk verfasst. Gegen den Willen der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) und des Rates konnten wir erwirken, dass nur etwa 10% der Gesamtausgaben für Migrationszwecke eingesetzt werden sollen. Wir haben ebenso dafür gekämpft, dass der Migrationsbegriff weit gefasst ist und auch die “Bekämpfung von Fluchtursachen” oder die Förderung legaler Migrationswege beinhaltet.
Trotzdem sehen wir, dass die Gelder aus dem NDICI vornehmlich für Migrationsmanagement verwendet werden. Menschen sollen also möglichst effektiv an der Flucht gehindert werden, anstatt dass wirksam Ursachen bekämpft werden. Dies führt nicht dazu, dass sich weniger Menschen auf den Weg nach Europa machen, aber dass mehr Menschen auf dem Weg Richtung Mittelmeer umkommen, als im Mittelmeer selbst.
Auch wird zunehmend der Erfolg von entwicklungspolitischen Projekten daran gemessen, wie sich die Migrationsbewegungen Richtung Europa verändern. Auch hier geraten eigentliche Kernthemen wie Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung für Menschen vor Ort, etc. aus dem Visier und der Fokus und Bewertungsrahmen verschiebt sich.
2: Fokus wieder verstärkt auf Bekämpfung von Armut richten
Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (official development aid, ODA) darf nicht vordergründig für geopolitische Zwecke der EU verwendet werden, beziehungsweise an die Umsetzung von Maßnahmen, mit denen Eigeninteressen verfolgt werden, geknüpft werden. Der Fokus sollte grundsätzlich auf den eigentlichen Zielen der Entwicklungszusammenarbeit liegen sowie auf langfristigen strukturellen Transformationen, die zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele notwendig sind. Das sind primär Armutsreduktion, Investitionen in Gesundheitssysteme und Bildung, Klimaanpassung, Geschlechtergerechtigkeit und andere notwendige Aufgaben. Auch Ernährungssicherheit ist ein Thema, wo wir uns bei der Erreichung der SDG-Ziele leider auf keinem guten Weg befinden. Neben einer ausreichenden Finanzierung ist hier vor allem wichtig, dass die richtigen Maßnahmen getroffen werden, um Länder des Globalen Südens weniger von Nahrungsmitteleinfuhren abhängig zu machen und eine höhere Resilienz in Hinblick auf den Klimawandel zu entwickeln, beispielsweise durch die Förderung von agroökologischen Verfahren.
Auch wenn die EU und ihre Mitgliedsstaaten weltweit die größten Geldgeber sind, liegen die Ausgaben für ODA weiterhin deutlich unter dem gesetzten Ziel von 0,7% des Bruttoinlandsprodukt oder werden nur erreicht, wenn auch im Inland für Geflüchtete verwendete Gelder mit abgerechnet werden, was zu der absurden Situation führt, dass die EU-Mitgliedsstaaten der größte Empfänger von EU-Entwicklungsgeldern ist. Die Gelder müssen vorrangig dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten benötigt werden, also in den am wenigsten entwickelten Ländern (least developed countries, LDCs) – nicht dort, wo die EU die meisten Interessen verfolgt.
3: Ambitionierte, nachhaltige und transparente Entwicklungsfinanzierung
Es gibt sehr viele verschiedene Akteure der Entwicklungsfinanzierung innerhalb der EU. Zur Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung kommen noch etliche nationale Entwicklungsbanken, in Deutschland beispielsweise die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) . 2019 gab es einen ambitionierten Vorstoß, die externen Entwicklungsaktivitäten der EU über eine neu geschaffene Bank zu bündeln und europäische Prioritäten besser umsetzen zu können. Dieser Versuch scheiterte vornehmlich an den Mitgliedsstaaten, jedoch wurde ein neuer Zweig der Europäischen Investitionsbank, EIB Global, geschaffen, worüber Investitionen in Drittländern getätigt werden sollen. Hier sollte die Chance genutzt werden, dass bei der Finanzierung von Projekten mit hoher sozialer Rendite höhere Risiken eingegangen werden und das Expert*innen aus den Partnerländern bei der Projektplanung und -implementierung besser eingebunden werden. Dies gilt auch bei der Finanzierung von Global Gateway Projekten. Dabei muss sichergestellt werden, dass diese Infrastrukturprojekte auch tatsächlich der lokalen Bevölkerung nutzen, es eine transparente Geldervergabe gibt und Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden.
4: Kontroll- und Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments
Mit dem Inkrafttreten von NDICI-Global Europe ging der Europäische Entwicklungsfond (EEF), das bis dato wichtigste Finanzinstrument der Entwicklungszusammenarbeit auf europäischer Ebene in das EU-Budget über, wodurch dem Europäischen Parlament – zumindest in der Theorie – mehr Kontroll- und Mitwirkungsrechte zugesprochen wurden. Leider ist dies in der Umsetzung nicht unbedingt der Fall.
Es ist extrem mühsam und oft nur durch die Unterstützung durch die Zivilgesellschaft möglich, einen Überblick über die einzelnen finanziellen Maßnahmen in Drittstaaten zu gewinnen, vor allem bei migrationsbezogenen Projekten. Hier brauchen wir mehr Transparenz.
Ich setze mich außerdem für einen besseren Respekt der menschenrechtlichen Komponente bei der EU-Finanzierung in Drittstaaten ein. Dazu gehören beispielsweise die Durchführung einer im Voraus durchgeführten menschenrechtlichen Folgenabschätzung – wie in der Verodnung verankert. Ebenso muss es ein fortlaufendes menschenrechtliches Monitoring bei Projekten zum Migrationsmanagement geben und die Ergebnisse davon dem Europäischen Parlament gegenüber offengelegt werden.
5. Kohärenz, damit privatwirtschaftliche und geopolitische Interessen nicht weiter entwicklungspolitischen Interessen entgegensten
Oftmals stehen leider Handels- und geopolitische Interessen vor entwicklungspolitischen Zielen. So profitieren die Menschen in Staaten des globalen Südens oftmals nicht im gleichen Maße von Freihandelsabkommen und werden ausgebeutet, um günstig an Ressourcen und Arbeitskraft zu kommen. Hier gibt es innerhalb der EU theoretisch den Anspruch, Kohärenz zwischen den verschiedenen Gesetzen und Initiativen herzustellen. Jedoch fehlt in der Praxis leider oft der politische Wille, hier an einem Strang zu ziehen und wirkliche Arbeit zu machen, die ärmeren Ländern nachhaltig hilft. Es lassen sich hier zahlreiche weitere Beispiele nennen, wie in etwa der Export von in Europa nicht zugelassenen Pestiziden in den Globalen Süden oder die Förderung von kritischen Rohstoffen für den internen Markt ohne die Achtung des Rechts auf Konsultation und freier, vorheriger und informierter Zustimmung von indigenen Völkern.
6. Den Fokus nicht zu sehr auf Public-Private Partnership lenken
Bei Public-Private Partnerships sollen Projekte von privaten Firmen umgesetzt und durch öffentliche Gelder unterstützt sowie das Risiko verringert werden – sogenanntes de-risking. Das Problem hierbei ist, dass gerade in den Regionen, wo Investitionen am nötigsten wären, diese Form der Umsetzung oft nicht funktioniert, da trotz der öffentlichen Unterstützung das Risiko zu hoch ist und damit unattraktiv für Privatinvestoren bleibt. Dies führt dazu, dass nur Projekte in bereits besser entwickelten Regionen umgesetzt werden und der Aspekt der Armutsreduktion für Menschen, die am meisten bedürftig sind, nicht umgesetzt werden kann.
7: Partnerschaft auf Augenhöhe – auf die Zivilgesselschaft im globalen Süden hören
Die Zivilgesellschaft und lokale Behörden im globalen Süden erhalten oftmals zu wenig Gehör und werden nur mangelhaft oder gar nicht in die Projekte einbezogen. Es muss vermehrt mit lokalen Vertreter:innen vor Ort gearbeitet werden, da die Beteiligung der Menschen vor Ort essentiell für einen langfristigen Erfolg von Entwicklungsprojekten ist. Wir brauchen mehr bottom-up Herangehensweisen, anstatt in neo-koloniale Muster zu verfallen.
Wichtig ist außerdem, dass genügend Gelder für Projekte zur Verfügung stehen, die zivilgesellschaftliche Organisationen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterstützen, außerdem müssen bürokratische Hürden verringert werden, damit auch kleinere lokale Organisationen von EU- Finanzierung profitieren können.
8. Geschlechtergerechtigkeit auf allen Ebenen fördern
Ziel 5 der nachhaltigen Entwicklungsziele für 2030 (SDGs) ist es, eine Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung zu befähigen. Auch hier hat es vor allem während der Zeit der Coronapandemie weltweite Rückschritte gegeben. Einer unserer Verhandlungserfolge zu NDICI-Global Europe, war die Festlegung eines 85% Ziels aller neuer Maßnahmen, um zu Geschlechtergerechtigkeit beizutragen, bei 5 % soll dieses Ziel an erster Stelle stehen. Hier muss die Kommission sicherstellen, dass dies keine reine Pflichtübung darstellt, sondern konkrete Ergebnisse hervorbringt. Darüber hinaus muss der Gender Action Plan III vollständig implementiert werden und zusätzliche Investitionen getätigt werden, um gegen den Rückschritt bei der Anerkennung und dem Schutz von reproduktiver Gesundheit und reproduktiven Rechten (SRHR) anzukommen.