Anfrage: Gefängnis für Solidarität mit Geflüchteten

Domenico Lucano wurde aus fadenscheinigen Gründen zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er als Bürgermeister Geflüchtete willkommen geheißen hat. Gemeinsam mit weiteren Abgeordneten meiner Fraktion habe ich die EU-Kommission gefragt, wie die EU-Kommission mit der Verurteilung des ehemaligen Bürgermeisters Domenico Lucano für seine Aufnahme von Schutzsuchenden und generell mit der zunehmenden Kriminalisierung von Menschenrechtsaktivist:innen unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Schleuser-Kriminalität umgeht. Wie gewohnt geht die Antwort der Kommission nicht auf unsere konkreten Fragen ein, sondern betont allgemeine hehre Grundsätze – ohne aktiv zu werden, wenn diese Grundsätze verletzt werden.

Die gesamte Anfrage mit Antworten in mehreren Sprachen findet ihr auch hier.

Unsere Anfrage

Betrifft: Umsetzung der Schleuser-Richtlinie und humanitäre Hilfe

Domenico Lucano, ehemaliger Bürgermeister von Riace, einer Stadt in der süditalienischen Region Kalabrien, wurde wegen Beihilfe zur irregulären Migration und wegen „Unregelmäßigkeiten“ bei der Betreuung von Asylbewerbern zu mehr als 13 Jahren Haft verurteilt.

Während seiner Amtszeit als Bürgermeister erlangte Riace wegen der mustergültigen Aufnahme und Integration von Migranten Berühmtheit. Das Gerichtsurteil ist schockierend, da dabei das von den Staatsanwälten geforderte Strafmaß von sieben Jahren und elf Monaten fast verdoppelt wurde. Dies ist ein weiteres Beispiel für die mangelnde Einheitlichkeit bei der Umsetzung der Schleuser-Richtlinie in den EU-Mitgliedstaaten und für die besorgniserregende Kriminalisierung der humanitären Hilfe.

  1. Wie gedenkt die Kommission vor diesem Hintergrund sicherzustellen, dass der Fall Lucano und ähnliche Fälle von Strafverfolgung und Schuldsprüchen nicht gegen den Geist der Schleuser-Richtlinie verstoßen?
  2. Wie wird die Kommission dafür sorgen, dass die jüngsten Leitlinien der Kommission zur Umsetzung der Schleuser-Richtlinie befolgt werden?
  3. Welche Maßnahmen ergreift die Kommission, um sicherzustellen, dass private Akteure gerettete Migranten an Land bringen können, ohne befürchten zu müssen, strafrechtlich verfolgt zu werden?

Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 21.12.2021)

In den Leitlinien der Kommission zur Umsetzung der Schleuser-Richtlinie wird klargestellt, dass die gesetzlich vorgeschriebene humanitäre Hilfe niemals unter Strafe gestellt werden darf, und die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, falls noch nicht geschehen, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, zwischen (nicht gesetzlich vorgeschriebenen) Handlungen mit dem Ziel der humanitären Unterstützung und Handlungen mit dem Ziel der Beihilfe zur unerlaubten Einreise oder Durchreise zu unterscheiden und erstere von der Kriminalisierung auszunehmen.

Ein Jahr nach der Annahme der Leitlinien wird im Rahmen des erneuerten EU-Aktionsplans gegen die Schleusung von Migranten die Überwachung der Umsetzung der Schleuser-Richtlinie intensiviert. Bei Verstößen gegen das EU-Recht behält sich die Kommission das Recht vor, von ihren Befugnissen gemäß den Verträgen Gebrauch zu machen, um Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Die Kommission wird 2023 über die Umsetzung des Schleuser-Pakets und der Leitlinien von 2020 Bericht erstatten und erforderlichenfalls eine Überarbeitung vorschlagen, um sicherzustellen, dass die EU angemessen gerüstet ist, um auf die sich wandelnden Herausforderungen in diesem Bereich zu reagieren.

Die Koordinierung von Such- und Rettungseinsätzen fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten; die Kommission hat diesbezüglich keine operativen Aufgaben. Dennoch hat die Kommission wiederholt alle beteiligten Akteure aufgefordert, den einschlägigen Rechtsrahmen einzuhalten, und im Zusammenhang mit dem neuen Migrations- und Asylpaket ein besser koordiniertes EU-Konzept für Such- und Rettungseinsätze vorgeschlagen, einschließlich der Einsetzung der ersten Europäischen Kontaktgruppe zu diesem Thema.

Anfrage: Unrechtmäßige Rückführung von Geflüchteten nach Libyen

Dass Libyen kein sicherer Ort für Menschen ist, haben Studien und Gerichtsurteile immer wieder bestätigt. Diese Tatsache ignoriert die EU-Kommission seit Jahren und unterstützt die Libysche Küstenwache dabei, Menschen auf der Flucht nach Libyen zurückzuführen. In ihrer Antwort auf eine gemeinsame Anfrage mehrerer Abgeordneter verweigert die EU-Kommission konkrete Schritte und betont allgemeine Grundsätze – die allerdings im Konflikt mit dem tatsächlichen Vorgehen stehen.

Die gesamte Anfrage mit Antworten in mehreren Sprachen findet ihr auch hier.

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Betrifft: Urteil eines Gerichts von Neapel zur Rückführung von Migranten nach Libyen

Libyen ist kein sicherer Einreiseort für Menschen. Zu diesem Schluss kam ein Gericht von Neapel in seinem Urteil und verurteilte einen italienischen Schiffskapitän zu einem Jahr in Haft, weil er 101 gerettete Migranten mithilfe der libyschen Küstenwache (LCG) zurück nach Libyen gebracht hatte. Dies sollte ein klarer Hinweis sein, dass die Rückführung von Migranten nach Libyen nicht annehmbar ist, und zwar nicht nur für gewerbliche Schiffe, die im zentralen Mittelmeer tätig sind, sondern auch für Mitgliedstaaten, deren Such- und Rettungsstrategie auf der Zusammenarbeit mit der sogenannten LCG aufbaut. Trotz eindeutiger Beweise für menschenunwürdige Behandlung und für die Gefahren für Migranten in Libyen wurden Unionsmittel für die Ausbildung und Ausstattung der LCG zugewiesen, und die EU hat Libyen darin unterstützt, eine unverhältnismäßig große Such- und Rettungszone auszuweisen, was zahlreiche Todesopfer zur Folge hatte.

1. Welche Maßnahmen ergreift die Kommission, um die Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten mit Libyen zu kontrollieren und die Unterstützung der EU für eine Zusammenarbeit, die zur Zwangsrückführung von Menschen führt, zurückzuziehen?

2. Wie trägt die Kommission gemeinsam mit dem Verwaltungsrat von Frontex dafür Sorge, dass die Agentur nicht mehr zu Zwangsrückführungen beiträgt, indem die LCG an Rettungsmissionen beteiligt wird?

3. In wie vielen Fällen hat Frontex die LCG über ein Boot mit Migranten oder ein Boot in Seenot informiert, was dann zur Rückführungen nach Libyen führte, und werden diese Fälle rückwirkend untersucht?

Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 21.12.2021:

Bei der Zusammenarbeit mit Libyen setzt die EU u. a. folgende Prioritäten: Förderung wirksamer Such‐ und Rettungseinsätze unter Einhaltung von Menschenrechtsnormen; Bemühungen um Beendigung willkürlicher Festnahmen von Migranten; Unterstützung der Internationalen Organisation für Migration bei der freiwilligen Rückkehr und Wiedereingliederung und des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen bei der Evakuierung schutzbedürftiger Flüchtlinge und Asylsuchenden aus Hafteinrichtungen in Libyen. Zum diesem Zweck finanziert die EU Projekte, von denen manche von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Die Kommission überprüft ihre eigenen Maßnahmen in Libyen regelmäßig, indem sie die Berichte ihrer Durchführungspartner überwacht und gezielte Prüfungen durchführt. Angesichts der besonderen Herausforderungen im Zusammenhang mit den Rahmenbedingungen in Libyen hat die Kommission zudem eine Überwachung der Maßnahmen in Libyen durch Dritte im Rahmen des EU-Treuhandfonds für Afrika eingerichtet.

Die Rettung des Lebens von Menschen an Bord von Schiffen in Seenot ist eine absolute Priorität und die Übermittlung von Informationen an die zuständige Seenotrettungsleitstelle (MRCC) stellt eine völkerrechtliche Verpflichtung dar. Wie jede andere Organisation (einschließlich Nichtregierungsorganisationen) meldet die Europäische Agentur für die Grenz‐ und Küstenwache (Frontex) Vorfälle, die einen Such‐ und Rettungseinsatz auf See erforderlich machen, an die international anerkannte libysche Seenotrettungsleitstelle, wenn ein Flugzeug eine Notlage auf See in der libyschen Such‐ und Rettungszone entdeckt. Um Leben in unmittelbarer Gefahr zu retten, ist es zwar notwendig, die zuständige MRCC zu benachrichtigen, doch müssen gemäß den Einsatzplänen von Frontex alle Schiffe den Grundsatz der Nichtzurückweisung in Übereinstimmung mit der Verordnung (EU) Nr. 656/2014 einhalten. Bisher ist keine Ausschiffung durch ein Frontex-Schiff in Libyen durchgeführt worden.

Die Kommission hat Frontex gebeten, die dritte Frage der Damen und Herren Abgeordneten zu beantworten. Die Kommission wird den Damen und Herren Abgeordneten die Antwort der Agentur so rasch wie möglich zukommen lassen.

Anfrage: Ablehnung von Asylanträgen syrischer Staatsangehöriger in Griechenland

Griechenland lehnt Asylanträge syrischer Geflüchteter mit der Begründung ab, sie könnten ja zurück in die Türkei gehen, weil die Türkei ein sicherer Drittstaat sei. In der Realität akzeptiert die Türkei aber schon länger keine Rückführungen mehr, die Betroffenen sitzen also fest und können weder vor noch zurück. Dessen ungeachtet will Griechenland diese Praxis nun auf weitere Herkunftsländer ausweiten. Gemeinsam mit Abgeordneten mehrerer Fraktionen haben wir die EU-Kommission gefragt, wie sie sicherstellen will, dass die Betroffenen erneut einen Antrag stellen können, der die reale Situation in die Beurteilung einbezieht. Die Kommission weigert sich in ihrer Antwort nun, konkrete Schritte dafür zu gehen. Tatsächlich weiß sie nicht einmal, ob und wie viele abgelehnte Antragsteller:innen einen erneuten Antrag stellen können. Die Kommission antwortet, dass sie die Auffassung vertritt, dass syrische Antragsteller, deren Anträge für unzulässig erklärt und nicht in die Türkei abgeschoben wurden, erneut einen Antrag stellen können sollten. Allerdings scheint die Kommission auch keinerlei Konsequenzen ziehen zu wollen, wenn Griechenland das nicht macht. Außerdem betont die Kommission, dass sie sich eine Wiederaufnahme von Rückführungen in die Türkei wünscht.

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Betrifft: Unzulässigkeit von Asylanträgen syrischer Staatsangehöriger in Griechenland

In ihrem Schreiben vom 26. Juli 2021 erklärte die Kommission, dass syrische Staatsangehörige, deren Asylanträge mit der Begründung für unzulässig erklärt worden seien, dass die Türkei als sicheres Drittland angesehen werde, und die jedoch nicht wieder in die Türkei einreisen dürfen, in Griechenland erneut Asyl beantragen können sollten.

Im März 2020 setzte die Türkei alle Rückübernahmen aus Griechenland aus. Ungeachtet dessen werden seitdem auch weiterhin Asylanträge syrischer Staatsangehöriger endgültig abgelehnt, mit der Begründung, dass die Türkei als sicheres Drittland gelte.

  • Haben alle syrischen Staatsangehörigen auf den griechischen Inseln, deren Anträge für unzulässig erklärt wurden, die Möglichkeit erhalten, erneut Asyl zu beantragen? Wenn nicht: Welche Maßnahmen wird die Kommission ergreifen, um sicherzustellen, dass sie diese Möglichkeit erhalten?
  • Am 7. Juni 2021 schlug die griechische Regierung vor, die Türkei zum sicheren Drittland für Asylbewerber aus Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Somalia zu erklären, was bedeuten würde, dass auch deren Anträge als unzulässig betrachtet würden.
  • Wie wird die Kommission sicherstellen, dass Asylanträge dieser Staatsangehörigen nicht unter der falschen Annahme für unzulässig erklärt werden, dass die Antragsteller von der Türkei zurückgenommen werden können? Welche Schritte wird die Kommission ergreifen, um sicherzustellen, dass die griechische Regierung die Asylverfahrensrichtlinie in dieser Hinsicht einhält?

Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 21.12.2021

Die Kommission hat in ihrer Antwort auf die schriftliche Anfrage P-000604/2021 betont, dass die griechischen Behörden gemäß Artikel 38 Absatz 4 der Asylverfahrensrichtlinie sicherstellen sollten, dass syrische Antragsteller, deren Anträge für unzulässig erklärt und nicht in die Türkei abgeschoben wurden, erneut einen Antrag stellen können. Die Kommissionsdienststellen haben die griechischen Behörden um die entsprechenden Daten zu Asylanträgen syrischer Staatsangehöriger ersucht, die den Abgeordneten so bald wie möglich übermittelt werden.

Nach der Annahme des Gemeinsamen Ministerbeschlusses vom 7. Juni 2021 betrachtet Griechenland die Türkei als sicheren Drittstaat für Personen, die internationalen Schutz beantragen und aus Syrien, Afghanistan, Bangladesch, Pakistan und Somalia stammen. Soweit unzulässige Antragsteller nicht in die Türkei einreisen dürfen, sollte nach Auffassung der Kommission auch Artikel 38 Absatz 4 der Richtlinie auf diese Anträge angewandt werden und der Zugang zum Asylverfahren auf der Grundlage ihrer Begründetheit gewährt werden.

Die EU setzt sich weiterhin für die vollständige Umsetzung der Erklärung EU-Türkei aus dem Jahr 2016 ein, die den wichtigsten Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei in Migrationsfragen darstellt. Diese Partnerschaft beruht auf gegenseitigem Vertrauen und Handeln, das Engagement und kontinuierliche Anstrengungen von allen Seiten erfordert. Die Kommission hat wiederholt die Wiederaufnahme der Rückführungen aus Griechenland in die Türkei gefordert.

Anfrage: Vorläufige Maßnahmen zu Asylbewerbern in Polen, Lettland und Litauen

Gemeinsam mit sieben anderen Abgeordneten aus unserer Fraktion haben ich die Kommission am 1. Oktober 2021 gefragt, ob sie das Verhängen eines Ausnahmezustandes durch Polen und die Weigerung Asylverfahren an der Grenze zu ermöglichen, für kompatibel mit EU-Recht hält. Außerdem fragten wir, welche Maßnahmen die Kommission bezüglich illegaler Pushbacks ergreift und ob sie prüfe, ob der Einsatz von EU-Agenturen in Lettland und Litauen mit dem Rechtsrahmen vereinbar sind. Die Kommission antwortet, dass sie das Vorgehen Belarus verurteile, was aber gar nicht in Frage stand. Außerdem erklärt die Kommission, dass sich die Mitgliedsstaaten natürlich an EU-Recht halten müssten, die Kommission aber nicht befugt sei, bei Verstößen gewisse Maßnahmen auch durchzusetzen. Eine Verurteilung der klaren Menschenrechtsverstoße durch Mitgliedsstaaten durch die Kommission findet nicht statt, aber zumindest erklärt Frau Johansson, dass der Grundsatz der Nichtzurückweisung gilt, auch wenn nicht ausgesprochen wird, dass Staaten wie Polen sich offensichtlich nicht daran halten.

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Unsere Anfrage

Betrifft: Vorläufige Maßnahmen in Bezug auf die Lage der Asylbewerber in Polen, Lettland und Litauen

Nach einer Reihe von Gesetzesänderungen in Polen, Lettland und Litauen haben die dortigen Sicherheitskräfte Berichten zufolge Dutzende von Asylsuchenden an der EU-Grenze zu Belarus daran gehindert, in diese Länder einzureisen und Asylanträge zu stellen, was zu mehreren Todesfällen geführt hat. Am 8. September 2021 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine vorläufige Entscheidung, in dem Litauen aufgefordert wurde, fünf afghanische Asylbewerber nicht nach Belarus zurückzuführen. Laut Reuters wurde gegen diese Entscheidung am 9. September 2021 verstoßen. Am 27. September 2021 weitete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine vorangegangenen einstweiligen Anordnungen aus, indem Polen und Lettland verpflichtet wurden, den betroffenen Personen Nahrung, Betreuung und eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen sowie ihnen den Zugang zu Rechtsanwälten zu ermöglichen.

1.    Ist die Kommission der Auffassung, dass der in den jeweiligen Ländern verhängte Ausnahmezustand, die Gesetzesänderungen und die anschließenden von Polen, Lettland und Litauen ergriffenen Maßnahmen mit dem Schengen-Besitzstand und dem EU-Asylrecht und insbesondere mit den Bestimmungen in Einklang stehen, nach denen die Mitgliedstaaten auch an der Grenze Zugang zu Asylverfahren gewähren müssen?

2.    Welche Maßnahmen hat die Kommission im Anschluss an die einstweiligen Maßnahmen, insbesondere im Hinblick auf die Zurückschiebung von Personen durch die litauischen Behörden am 9. September 2021, ergriffen?

3.    Hat die Kommission geprüft, ob die Präsenz von EU-Agenturen in Lettland und Litauen mit den Rechtsrahmen vereinbar ist, denen gemäß die Agenturen tätig sein müssen?

Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 3.12.2021:

Die Kommission verurteilt aufs Schärfste die Instrumentalisierung von Migranten für politische Zwecke durch Belarus. Sie steht im kontinuierlichen Dialog mit den nationalen Behörden Litauens, Lettlands und Polens, unter anderem über die nationalen Notstandsgesetze und deren Vereinbarkeit mit dem EU-Recht.

Der Kommission sind verschiedene einstweilige Maßnahmen bekannt, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Zusammenhang mit der außergewöhnlichen Lage an der Grenze zu Belarus in mehreren Fällen gegen Litauen, Lettland und Polen erlassen hat.

Die Kommission ist nicht befugt, einstweilige Maßnahmen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durchzusetzen. Beim Management der Außengrenzen und bei der Anwendung der Bestimmungen des Schengener Grenzkodexes[1] sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, das Recht auf Zugang zu einem Verfahren des internationalen Schutzes zu gewährleisten und den Grundsatz der Nichtzurückweisung im Einklang mit dem Besitzstand der Union im Asylbereich und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu achten.

Die Kommission steht zudem in engem Kontakt mit internationalen Menschenrechtsorganisationen und den EU-Agenturen, um sicherzustellen, dass jede Agentur im Rahmen ihres jeweiligen Mandats den betroffenen Mitgliedstaaten die erforderliche Unterstützung leistet.


[1] Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1).

Brief an die EU-Kommission zu Überwachung in griechischen Camps

Gemeinsam mit meiner Fraktionskollegin Alexandra Geese habe ich einen Brief an die Kommission geschrieben, in dem wir ausführen, wie Geflüchtete in den neuen Lagern auf den griechischen Inseln rund um die Uhr überwacht und wie Schwerverbrecher eingesperrt werden. Die Situation ist mit großer Sicherheit EU-rechtswidrig, trotzdem werden die Lager mit 37 Millionen € aus dem Corona-Wiederaufbaufonds finanziert, die nicht dafür vorgesehen sind. 

Lest hier den Brief von Alexandra Geese und mir an die EU-Kommission, den mehr als 40 Europaabgeordnete mitunterzeichnet haben. Als Greens/EFA-Fraktion im Europaparlament wollen wir die unverhältnismäßigen Überwachungsmethoden im Dezember im Plenum zum Thema machen.

Anfrage: Sicherheitslage in Afghanistan

Gemeinsam mit der Sozialdemokratin Bettina Vollath und der Linken Clare Daly habe ich bereits am 30. Juni, sechs Wochen vor dem Einmarsch der Taliban in Kabul, eine Anfrage zum Vormarsch der Islamisten an die Kommission gestellt. Die Kommission hat leider mehr als 10 Wochen gebraucht um unsere Anfrage zu beantworten. Diese und andere Anfragen findet ihr komplett auf der Homepage des Europaparlaments.

Unsere Anfrage

Seit dem Rückzug der Truppen der USA und der NATO nehmen Gewaltakte und Auseinandersetzungen stetig zu. Infolgedessen haben ausländische Botschaften damit begonnen, ihr Personal abzuziehen und ihre Büros zu schließen. Trotz der sich verschlechternden Sicherheitslage haben die Kommission und Afghanistan im April 2021 die Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit im Bereich Migration unterzeichnet. Was ihren Inhalt und ihren Zweck betrifft, wird darin jedoch überhaupt nicht auf die jüngsten Entwicklungen eingegangen, und es ist darin auch nur eine begrenzte Prüfung der aktuellen Sicherheitslage vorgesehen.

1. Wird die Kommission das Parlament in künftige Beschlüsse in Bezug auf diese Gemeinsame Erklärung einbeziehen und über die Ergebnisse der Überwachung der Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung Bericht erstatten?

2. Wie schätzt die Kommission die Sicherheitslage in Afghanistan angesichts der eskalierenden Gewalt ein und welche Konsequenzen hat diese Einschätzung für Rückführungen nach Afghanistan?

3. Wie gedenkt die Kommission, Afghanen, insbesondere dem lokalen Personal der NATO-Truppen, angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan zu ermöglichen, auf legalem Wege Zuflucht in der EU zu suchen?

Antwort der Kommission

In ihrer Antwort erkennt die Kommission an, dass die Mitgliedsstaaten derzeit nicht beabsichtigen Ruckführungen durchzuführen. Ausführungen dazu machte die zuständige Kommissarin Ylva Johansson aber erst drei Tage nachdem die Taliban Kabul eroberten, obwohl schon lange davor klar war, dass Afghanistan nicht sicher genug ist, um dorthin abzuschieben. Konkret steht in der Antwort der Kommission:

„Die Kommission erstattet dem Europäischen Parlament regelmäßig Bericht über den Stand der Verhandlungen über Rückübernahmeabkommen und ‐vereinbarungen der EU. Bei der letzten Sitzung, die am 23. März 2021 stattfand, wurden auch die Rückführungen nach Afghanistan und die bevorstehende Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung über die Zusammenarbeit Afghanistans und der EU im Bereich Migration erörtert.

Angesichts der sich rasch verschlechternden Sicherheitslage und des Sturzes der afghanischen Regierung ist die Kommission der Auffassung, dass die derzeitige Lage in Afghanistan eindeutig keine Garantien für die Achtung der Grundrechte und die Sicherheit von Rückkehrern bietet. Weitere Einzelheiten sind der Erklärung von Kommissarin Johansson zur Lage in Afghanistan vom 18. August 2021 zu entnehmen. Die Kommission erkennt an, dass die Mitgliedstaaten nicht beabsichtigen, Rückführungen nach Afghanistan durchzuführen.

Die Vereinigten Staaten sowie einige Länder, die NATO-Truppen entsenden, setzen Programme um, um die afghanischen Ortskräfte, die mit ihnen zusammengearbeitet haben und nach dem Abzug ausländischer Streitkräfte Schutz vor möglichen Repressalien der Taliban suchen, unter anderem mittels Umsiedlungen zu unterstützen. Konkrete Maßnahmen in diesem Zusammenhang werden für örtliche Bedienstete durchgeführt, die in der EU-Delegation und in der Außenstelle des Europäischen Amts für Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe (ECHO) in Kabul beschäftigt sind.“

Anfrage: Festnahme der niederländischen Journalistin Ingeborg Beugel

Die Journalistin Ingeborg Beugel wurde Anfang Juni auf der griechischen Insel Hydra festgenommen, weil sie einen jungen Afghanen beherbergt hatte. Bei einer Verurteilung droht ihr bis zu einem Jahr Gefängnis. Sie sagt, die Anschuldigungen gegen sie seien unberechtigt und dem jungen Mann handele es sich um einen Flüchtling und nicht um einen illegalen Migranten. Dazu haben die beiden Europaabgeordneten Dietmar Köster und Rosa D`Amato folgende Anfrage geschrieben, die ich auch mit gezeichnet und unterstützt habe. Diese und andere Anfragen findet ihr komplett auf der Homepage des Europaparlaments.

Frage an die Kommission

Nach der Richtlinie 2002/90/EG, in der der Tatbestand der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt von Ausländern im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats definiert wird, können Sanktionen verhängt werden, sofern eine Person einer anderen zu Gewinnzwecken vorsätzlich Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt leistet.

Die Organe der Union haben Schleuserkriminalität bewusst von Handlungen der aktiven Solidarität von Mitgliedern der Zivilgesellschaft unterschieden, die ja nicht nur ohne Folgen für die rechtlichen Verfahren zur Prüfung von Asylanträgen sind, sondern auch tatsächlich die Verwaltungstätigkeiten im Zusammenhang mit Flüchtlingen erleichtern.

Am 13. Juni 2021 wurde in Griechenland eine niederländische Journalistin, die über die Flüchtlingsströme berichtete, nach Artikel 29 Absatz 6 des Gesetzes 4251/2014 festgenommen, da sie einem afghanischen Flüchtling Zuflucht gewährt hatte, obwohl das Verfahren über dessen rechtmäßigen Aufenthalt noch nicht abgeschlossen war. Ihr droht nun eine Haftstrafe, obwohl es nicht den Anschein hat – und auch aus der Anklageerhebung nicht hervorgeht –, dass es ihre Absicht war, aus der Unterbringung des Flüchtlings in ihrem Zuhause Gewinn zu schlagen.

Angesichts dessen wird die Kommission um die Beantwortung der folgenden Frage ersucht:

Welche Maßnahmen wird die Kommission ergreifen, um sicherzustellen, dass Handlungen der aktiven Solidarität von den Mitgliedstaaten nicht missbilligt und unterdrückt werden, zumal sich diese Handlungen wesentlich von den Handlungen unterscheiden, die in der Richtlinie 2002/90/EG beschrieben werden?

Antwort der Kommission

Die Kommission hat die Umsetzung der Richtlinie 2002/90/EG des Rates vom 28. November 2002 zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein‐ und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt bewertet und u. a. auf dieser Grundlage eine Evaluierung durchgeführt. Die Kommission wird die Umsetzung der Richtlinie weiterhin überwachen und die Konformität der nationalen Rechtsvorschriften mit dem EU-Rechtsrahmen überprüfen. Nach den Verträgen verfügt die Kommission über keine spezifischen Befugnisse, um Einzelfälle zu untersuchen. Im Einklang mit ihrer allgemeinen Politik in Bezug auf Vertragsverletzungen konzentriert sich die Kommission bei Durchsetzungsmaßnahmen vorrangig auf Fälle, in denen offenbar ein systematischer Verstoß gegen das EU‐Recht vorliegt. Es liegt in der Zuständigkeit der nationalen Behörden, Fälle im Zusammenhang mit der Beihilfe zum irregulären Aufenthalt zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen.

Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten in den Leitlinien der Kommission zur Anwendung der oben genannten Richtlinie ersucht, auch von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, zwischen Handlungen zum Zwecke der humanitären Hilfe und Handlungen zur Erleichterung der irregulären Einreise oder Durchreise zu unterscheiden, um erstere Handlungen von der Kriminalisierung auszunehmen. Die Kommission wird die Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften weiterhin überwachen, um sicherzustellen, dass angemessene, wirksame und abschreckende strafrechtliche Sanktionen eingeführt werden, und gleichzeitig zu verhindern, dass diejenigen, die humanitäre Hilfe für in Not geratene Migranten leisten, möglicherweise kriminalisiert werden.

So ist die aktuelle Lage auf Lesbos

Ich bin im Juli nach Lesbos gereist, um mir anzuschauen, wie nach dem Brand in Moria die aktuelle Situation im neuen Lager Mavrovouni ist. Außerdem traf ich die Frontex-Einsatzkräfte vor Ort, um mit ihnen über die aktuelle Lage und die Pushbacks durch die griechische Küstenwache zu sprechen. Und ich besuchte verschiedene NGOs und zivilgesellschaftliche Akteure, die dafür kämpfen die Lage politisch zu verändern, aber auch Angebote machen, damit Geflüchtete die Möglichkeit haben etwas besser durch ihren schwierigen Alltag zu kommen.

In der Nacht vom 8. auf den 9. September brannte das Lager Moria vollständig ab. Damals lebten dort 12.600 Menschen auf engem Raum in unwürdigen Verhältnissen. Das Lager ist ein Symbol des Scheiterns der europäischen Flüchtlingspolitik, die es nicht schafft, Menschen faire Asylverfahren zu gewährleisten und ihre Menschenwürde zu achten. Neun Monate nach dem Feuer im Flüchtlingslager Moria werden sechs junge Afghanen wegen Brandstiftung zu langen Haftstrafen verurteilt. Und das, obwohl kein:e anwesende:r Zeug:in diese in der vermeintlichen Tatnacht gesehen hat. Der Prozess und das Urteil stehen in der Kritik.

Das neue Moria 

Das neue Lager Mavrovouni wurde auf dem Gelände eines ehemaligen Übungsplatzes des Militärs errichtet. Hier leben derzeit rund 4350 Menschen in Containern und Zelten, ohne fließend Wasser und Strom. Sie können das von Stacheldraht und Mauern begrenzte Lager nur eingeschränkt verlassen.

Mit Tareq Alaows besuchte ich das neue Lager Ende Juli. Tareq war das letzte mal im Jahr 2015 auf Lesbos. Als syrischer Flüchtender schlief er damals auf der Straße und versuchte von hier aus weiterzukommen. Heute lebt er in Deutschland und ist aktiv bei der Seebrücke und den Grünen. 

Foto: Janka Schubart

Manos Logothetis führte uns durch das Camp – der Generalsekretär des Ministeriums für Migration und damit quasi der Verantwortliche für die Camps in Griechenland. Mit dabei waren auch der lokale Vertreter der europäischen Kommission und der Leiter des Camps, der auch schon für das ehemalige Moria verantwortlich war. Auf Fragen nach der Bleiverseuchung des Bodens, dem Zugang von NGOs zu dem Camp und die massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit antworteten sie ausweichend. Griechenland hätte – im Gegensatz zu Deutschland – kein Problem mit Mauern, meinte Logothetis auf die Frage, warum ein Flüchtlingslager eingemauert wird. Seiner Auffassung nach müsse man auch die lokale Bevölkerung vor den Geflüchteten schützen. 

Zustände in Mavrovouni 

Die Sommer auf Lesbos sind sehr heiß und die Temperaturen steigen teilweise auf 40°C. In Mavrovouni gibt es kaum Schatten. Die Zelte stehen in der vollen Sonne und es ist staubtrocken. Der Staub legt sich auf alles und ist überall. Im Camp besuchte ich eine Familie in einem Zelt, um mit ihnen über die Lage zu sprechen. Darin war es noch viel heißer als draußen. Ich fand es schon nach wenigen Minuten kaum auszuhalten. Die Menschen dort müssen ihr Leben in solchen Zelten verbringen, wo es im Sommer zu heiß ist und wo sie im Winter frieren. Mit der Lage direkt an der Küste schützen die Zelte auch nicht ausreichend vor Wind und Wasser. Die medizinische Versorgung ist schlecht. Kurz bevor wir das Camp besuchten starb ein drei Monate alter Säugling. Laut lokalen Nachrichten soll das Kind schon in der Nacht vor seinem Tod erbrochen haben, wurde aber nicht rechtzeitig zu einem Arzt gebracht

Große Baustelle 

Das Camp ist derzeit eine große Baustelle, da Wasser- und Stromleitungen gelegt werden und Wohncontainer aufgestellt werden sollen. Die Kommission und die griechische Regierung haben zugesagt, dass diesen Winter niemand mehr in Zelten frieren soll. Ich hoffe sehr, dass sie dieses Versprechen auch einhalten. Seit 2015 mussten auf der Insel bislang jedes Jahr Menschen im Winter in Zelten frieren. 

Obwohl Mavrovouni nur als temporäre Notlösung nach dem Brand in Moria gedacht war und es bereits Pläne für die Errichtung eines neuen Lagers gibt, wird das Camp ausgebaut. Dies hat den Hintergrund, dass sich die Errichtung des neuen Lagers noch hinziehen wird und die Menschen bis dahin nicht weiter ohne fließend Wasser und Strom leben können. Außerdem wird das derzeitige Lager bestehen bleiben und als erneute Notlösung dienen, falls wieder mehr Menschen auf der Insel ankommen. Es ist unklar, ob das neue Camp wirklich errichtet wird und ob dort jemals Geflüchtete untergebracht werden. Auf Lesbos gibt es bei dem Thema Streit zwischen zwei Kommunen und nur eine sehr knappe Mehrheit für die Errichtung eines neuen Lagers. Im September hat die Kommission noch versprochen, dass es sich bei Mavrovouni um ein vorläufiges Lager handeln würde. Daher finde ich es merkwürdig, dass nun überall dort gebaut wird und es wohl noch eine lange Zeit betrieben werden wird. 

Perspektivlosigkeit

Ein Großteil der Menschen im Lager kommt aus Afghanistan – laut Global Peace Index das unfriedlichste Land der Welt. Mit dem aktuellen Vormarsch der Taliban verschlimmert sich die Lage vor Ort jeden Tag. Trotzdem haben viele Bewohner:innen eine zweite Ablehnung ihres Asylantrags erhalten und verharren in Angst vor Abschiebungen und ohne Perspektiven und Unterstützung im Lager. Bei den Anträgen wird gar nicht mehr geprüft, ob die Menschen in Afghanistan oder Syrien sicher waren, sondern nur ob sie in der Türkei sicher waren. Damit schrumpfen auch ihre rechtlichen Perspektiven. Die Stimmung im Lager ist extrem angespannt und die Situation hat starke Auswirkungen auf die mentale Gesundheit der Geflüchteten.

Foto: Johanna Feiler

Viele Menschen leiden auch unter körperlichen Beeinträchtigungen, einige sitzen im Rollstuhl. Sie können sich nur schlecht im Camp fortbewegen und erhalten kaum Unterstützung. Und bei manchen Sachen fragt man sich auch, wie das so passieren konnte. So befindet sich eine Toilette für Menschen mit Behinderung oben im Lager, die mit einem Rollstuhl kaum zu erreichen ist.

Jahrelang ohne Bildung 

Rund 40% der Menschen im Camp sind Kinder. Viele von ihnen haben noch nie eine Schule besucht. In meinem Gespräch mit der Leiterin des UNHCR auf Lesbos, Astrid Castelein, hat sich herausgestellt, dass sich das so schnell auch nicht so schnell ändern wird. Zwar wird versucht, informelle Bildung für die Kinder zu organisieren, doch selbst das ist nicht gewährleistet. Das Ziel sollte sein, formelle Bildung und zuverlässige Strukturen für die Kinder zu schaffen. 

Darüber hinaus äußerte das UNHCR Bedenken über den eingeschränkten Zugang zum Lager, die Unterbringung der Menschen in Zelten im Winter und die Pushbacks. Weder das UNHCR, noch NGOs oder Journalist:innen können sich ankommenden Menschen nähern, wenn die griechische Küstenwache vor Ort ist. 

Die Lage auf Lesbos ist erschreckend. Nicht weil zu viele Menschen im Lager auf der Insel sind, sondern weil kaum noch jemand die Überfahrt schafft. Derzeit erreichen kaum Schlauchboote die Insel. Das ist eine Folge der Pushbacks durch die griechische Küstenwache. Die allermeisten Schutzsuchenden werden durch die griechische Küstenwache abgefangen und misshandelt. Sie dürfen keine Asylanträge stellen, ihre Bootsmotoren werden zerstört, maskierte Männer ziehen sie in türkische Gewässer und lassen sie dort zurück. Das ist zwar hochgradig kriminell, aber der menschenverachtende Umgang mit Menschen in Not ist jetzt so alltäglich, dass es gar nicht mehr auffällt. Ein 17-Jähriger erzählte mir, er sei aus dem Krieg in Syrien geflohen und das Erste, was er in Europa machen musste, war rennen. Die Polizei hat ihn mit Hunden gejagt, wollte auch ihn auf dem Meer aussetzen, aber er konnte sich verstecken. 

Hundertfach sind diese Verbrechen belegt, hundertfach verhindern EU-Kommission und Bundesregierung, dass sie Konsequenzen haben. Man kann an den EU-Außengrenzen im Zeitraffer sehen, wie sich demokratische Grundsätze auflösen und die Willkür regiert. Wer nicht weiß ist, hat an den Europäischen Außengrenzen allzu oft keine Rechte. Wer nicht weiß ist, ist der staatlichen Gewalt schutzlos ausgeliefert.

Besuch bei Frontex-Kräften vor Ort 

Auch die Einsatzkräfte von Frontex vor Ort wissen von den Pushbacks, aber sie schauen systematisch weg, damit diese weitergeführt werden können. Die Luftaufklärung von Frontex vor Ort wurde eingestellt, weil diese wohl zu viele der offensichtlichen Pushbacks und Menschenrechtsverletzungen dokumentieren würde und Frontex diese dann auch beanstanden müsste. 

Viele Menschen werden aus griechischen Gewässern in der Ägäis gedrängt. Die Motoren der Boote werden abmontiert und die Menschen manövrierunfähig treibend in der Ägäis zurückgelassen. Die Rolle von Frontex in diesen völkerrechtswidrigen Pushbacks haben wir erst kürzlich in der Frontex-Untersuchungsgruppe des europäischen Parlaments untersucht. Die Menschen, die die Insel trotzdem erreichen können, werden in einem Quarantänelager weit abgelegen im Norden untergebracht. 

Mit Frontex habe ich mich über die Umstrukturierung der Agentur und die Arbeit der Beschäftigten vor Ort ausgetauscht. Die selbsterklärte Rolle von Frontex ist die Unterstützung der Mitgliedstaaten beim Grenzmanagement. Zwar streitet Frontex die Beteiligung an Pushbacks ab, doch dass diese stattfinden, ist auch für Frontex schwer zu leugnen. Auch wenn sie es offiziell nicht sagen dürfen, wird in informellen Gesprächen deutlich, dass zumindest manche Frontex-Beamt:innen natürlich wissen, dass es zu Pushbacks kommt. Die griechische Polizei bezeichnet die Kooperation mit der Agentur als exzellent, Details über die Arbeitsabläufe wollen sie aber nicht verraten. Bei der Besichtigung eines Schiffes der italienischen Finanzwache, das Italien Frontex gesendet hat, konnte ich mich davon überzeugen, wie gut diese Schiffe ausgerüstet sind. Das Schiff kann eine Geschwindigkeit von bis zu 120 km/h erreichen. Trotzdem glänzt Frontex durch Abwesenheit bei Seenotfällen in der Ägäis. Viele der Frontexbeamt:innen bleiben nur für wenige Monate vor Ort und haben daher kaum die Möglichkeit sich richtig einzuarbeiten.

Polizeiliche Willkür und eingeschränkte Pressefreiheit 

Es gibt zahlreiche Berichte über Polizeigewalt auf der Insel. So versuchten Schutzsuchende auf einem Schlauchboot, die Insel zu erreichen. An der Seegrenze zwischen Griechenland und der Türkei erzeugten die jeweiligen Küstenwachen Wellen, was eine gängige Praxis ist. Das ist nur ein Beispiel für die fehlende Rechtsstaatlichkeit in dem Land. Auch ich werde immer wieder Zeuge davon, etwa wenn griechische Polizist:innen drohen, mich einzusperren, weil ich vor dem Lager ein Interview aufnehmen will. Die Pressefreiheit wird massiv eingeschränkt. Viele Pressevertreter:innen erhalten keinen Zugang zum neuen Camp. 

Mein Besuch bei Nichtregierungsorganisationen

Doch es gibt auch viele Projekte und Organisationen auf der Insel, die diese Situation nicht hinnehmen und die Lage auf der Insel kontinuierlich verbessern möchten. Ein Beispiel ist das Community Center von One Happy Family, nicht weit vom neuen Lager entfernt. Hier gibt es Sportangebote, ein Cybercafé, eine Bibliothek, eine Werkstatt, einen Safer Space für Frauen* und Mädchen, psychosoziale Beratung, einen Garten, ein Café, einen Spielraum für Kinder und mehr. Das Zentrum wird von Geflüchteten und internationalen Freiwilligen verwaltet. Das Haus befindet sich fußläufig vom Camp erreichbar und bietet viele Freizeit- und Bildungsmöglichkeiten. Außerdem ist es dort viel gemütlicher als in den Camps. Ein Problem ist aber, dass viele Bewohner:innen des Camps das Angebot nicht oder nur wenig nutzen können. Das liegt daran, dass sie nicht immer raus dürfen, wenn sie wollen oder dass sie sich im Camp für alles Mögliche, vor allem Essen, sehr lange anstellen müssen und damit Zeit verlieren. Wenn sie das Camp dann mal verlassen dürfen, dann nutzen viele die Zeit und ihr weniges Geld, um weitere Lebensmittel und Dinge zu kaufen, die man im Alltag braucht. 

Foto: Johanna Feiler

Darüber hinaus gibt es eine Permakulturfarm, zahlreiche Warenhäuser, Rechtsberatung im Legal Center Lesvos und vieles mehr. In der Schule von Wave of Hope finden Malkurse statt und die Bilder der Geflüchteten werden ausgestellt. Auf Lesbos ist die Konzentration von NGOs recht hoch, auf anderen Inseln wie Chios und Samos sieht die Lage anders aus. 

Das Elend ist politisch gewollt 

Die Lage vor Ort ist absurd: Es stehen beispielsweise zahlreiche Wasser- und Seifenspender in einem spendengefüllten Warenhaus neben Mavrovouni, die nur darauf warten, im Lager angeschlossen und aufgestellt zu werden. Doch die Campleitung untersagt, dass die Spender in das Camp transferiert werden.

Es gibt viel Solidarität mit den Geflüchteten an Europas Außengrenzen. Das zeigen die vielen Spenden, die NGOs und auch die vielen solidarischen Städte und Kommunen, die sich freiwillig bereit erklären, mehr Geflüchtete von den Außengrenzen aufzunehmen. Doch sie dürfen es nicht. 

Die Menschen auf Lesbos müssten nicht auf staubtrockenem Boden ohne Wasser und Strom abgeschottet in Zelten ohne medizinische Versorgung hausen. Es besteht vielmehr der politische Wille, dass die Menschen in Elend leben. Diese unwürdige Situation an unseren Außengrenzen wird geschaffen, um abzuschrecken. Die Lage vor Ort wird absichtlich so schlimm gehalten, damit andere keinen Asylantrag in der EU stellen, weil sie Angst davor haben, dass sie dann in diesen Lagern landen. Es ist eine Schande, dass wir an unseren Außengrenzen so mit Menschen umgehen, die unsere Hilfe brauchen. Dabei sollten wir doch eigentlich stolz darauf sein, Menschen zu helfen und Geflüchtete aufzunehmen. 

Anfrage: 130 Tote im Mittelmeer

Im April starben mindestens 130 Menschen nach einem Schiffsunglück vor der Küste Libyens. Diese Tragödie, wie viele andere zuvor, hätte vermieden werden können und müssen. Deswegen habe ich der Kommission in einer Anfrage die folgenden drei Fragen gestellt. Diese und andere Anfragen findet ihr komplett auf der Homepage des Europaparlaments.

1. Wie weit waren die Schiffe von Frontex und Operation Irini vom Standort des Schiffs entfernt, und wurden sie über die Such- und Rettungseinsätze informiert?

2. Hat irgendein Überwachungsflugzeug das in Not geratene Schiff angerufen?

3. Was wird die Kommission gegen Italien und Malta unternehmen, die Notrufe ignorierten und zuließen, dass über 130 Menschen starben?

Antwort der Kommission

Die Antwort der Kommission läuft darauf hinaus, dass es nicht die Aufgabe der Operation Irini sei, Menschen aus Seenot zu retten. Die EU hat derzeit auch keine Seenotrettungsmission, deswegen sind die NGOs vor Ort, aber auch die nationalen Behörden haben die Pflicht zu retten. Die Behauptung der Kommission, dass die italienischen und maltesischen Behörden keine Einsatzmittel zur Verfügung hatten, halte ich für nicht glaubwürdig. Die maltesischen Behörden beteiligen sich bereits seit Jahren kaum noch aktiv an der Rettung von Menschen aus ihrer Seenotrettungszone.

Hier die gesamte Antwort der Kommission:

Die Hauptaufgabe der Operation IRINI besteht darin, die Umsetzung des Waffenembargos gegen Libyen sicherzustellen. Die seegestützten Mittel der Operation IRINI werden zumeist im östlichen Teil ihres Einsatzgebiets, in dem die Verstöße gegen das Waffenembargo am häufigsten begangen werden, eingesetzt. Sie wurden von der italienischen Seenotrettungsleitstelle im Nachhinein über den Vorfall informiert. Zum Zeitpunkt des Vorfalls war das nächste seegestützte Mittel der Operation IRINI mehr als 300 Seemeilen, das nächste luftgestützte Mittel 180 Seemeilen vom Ort des Vorfalls entfernt.

Im Einklang mit dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS) und dem Internationalen Übereinkommen über den Such‐ und Rettungsdienst auf See geben die luftgestützten Mittel der Operation IRINI alle Informationen über Notsituationen auf See an alle zuständigen Seenotrettungsleitstellen weiter. Die operative Koordinierung von Such‐ und Rettungseinsätzen fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und erfolgt ohne operative Beteiligung der Kommission.

Der in Rede stehende Schiffbruch ereignete sich am 21./22. April 2021. Die libyschen, italienischen und maltesischen Rettungsleitstellen wurden von einem Flugzeug der Europäischen Agentur für die Grenz‐ und Küstenwache (Frontex) über ein Schiff in Seenot informiert, und die libysche Küstenwache übernahm die Koordinierung der Rettungsoperation und die Suche im Sichtungsgebiet. Ocean Viking und drei Handelsschiffe wurden von der italienischen Seenotrettungsleitstelle umgeleitet, um Hilfe zu leisten. Um die Suche zu beschleunigen, wurde ein zweites Frontex-Flugzeug eingesetzt.

Die italienischen und maltesischen Behörden hatten keine Einsatzmittel in der Nähe des Vorfalls zur Verfügung. Letztlich konnte angesichts der extrem ungünstigen Witterungsbedingungen kein Schiff rechtzeitig ankommen.

Anfrage: Unterstützt die EU geschlossene Massenlager in Griechenland?

Am 28.5.2021 veröffentlichte das griechische Ministerium für Migration und Asyl eine Ausschreibung zur Konstruktion der geplanten neuen „multi-purpose reception and identification centres” auf Lesbos und Chios. Insgesamt 142 Millionen € werden dafür bereitgestellt. In der Ausschreibung wird explizit erwähnt, dass es sich um „geschlossene, kontrollierte Strukturen” handelt, die zu 100 % mit Geldern der Europäischen Union finanziert werden. Die EU-Kommission hat allerdings versprochen, dass die Lager offen sein sollen. Deswegen habe ich dazu eine Anfrage an die EU-Kommission verfasst. Die EU-Kommission antwortete, dass es sich im Einklang mit dem EU-Recht um offene Zentren handeln werde. Die Kommission behauptet die EU-finanzierten Lager werden offen sein, die griechische Regierung sagt, sie werden geschlossen sein. Die Kommission sagt zudem, dass es „im Hinblick auf die Wasser-, Sanitär‐ und Elektrizitätsversorgung, die Schotterung sowie die Vorbereitung auf den Winter und die Instandsetzung“ zu erheblichen Verbesserungen gekommen sei. Außerdem habe die griechische Regierung versprochen, im Winter werde niemand mehr in den Lagern frieren müssen. Bei meinem letzten Besuch vor zwei Wochen war das Lager Mavrovouni noch eine Baustelle. Ich hoffe sehr, dass die griechische Regierung ihr Versprechen hält und in diesem Jahr, zum ersten mal seit 2015, wirklich niemand mehr in Zelten frieren muss.

Meine Anfrage

Betrifft: Ausschreibung des griechischen Migrationsministeriums zur Konstruktion geschlossener Lager auf Lesbos und Chios

Am 28.5.2021 veröffentlichte das griechische Ministerium für Migration und Asyl eine Ausschreibung zur Konstruktion der geplanten neuen „multi-purpose reception and identification centres” auf Lesbos und Chios. Insgesamt 142 Millionen EUR werden dafür bereitgestellt. In der Ausschreibung wird explizit erwähnt, dass es sich um „geschlossene, kontrollierte Strukturen” handelt, die zu 100 % mit Geldern der Europäischen Union finanziert werden. Dabei wird auch explizit erwähnt, dass die geplanten Projekte eine direkte Umsetzung von EASO-Standards sein werden. Die in der Ausschreibung vorgeschriebene Zeit bis zur Fertigstellung des Projekts beträgt 8 Monate ab Vertragsunterzeichnung. Eine Fertigstellung in diesem Jahr scheint demnach unmöglich. Die Widerstände auf den Inseln haben zudem schon vor über einem Jahr jeglichen Baufortschritt auf Lesbos verhindert.

1. Wie sieht der aktuelle Zeitplan des gemeinsamen Lenkungsausschusses hinsichtlich der Fertigstellung der Lager auf den Inseln aus?

2. Ist die Ausschreibung fehlerhaft und muss sie korrigiert werden, oder wird EU-Geld nun für den Bau geschlossener Lager verwendet?

3. Im „temporären” Lager Mavrovouni werden Mindeststandards der Aufnahmerichtlinie weiterhin nicht eingehalten. Wie rechtfertigt die Kommission, dass auch im nächsten Winter wieder Schutzsuchende in Europa in Zelten in einem unwürdigen Lager überwintern müssen, obwohl seit 2015 jährlich versprochen wird, diese Zustände zu beenden?

Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 23.07.2021

Die Kommission arbeitet über eine spezielle Task Force intensiv mit den griechischen Behörden zusammen, um auf Lesbos und Chios neue multifunktionale Aufnahme‐ und Identifizierungszentren zu schaffen. Der Bauprozess der neuen Einrichtungen wird intensiv überwacht, unter anderem im Rahmen monatlicher Sitzungen des Lenkungsausschusses. Das Ausschreibungsverfahren für die neuen Zentren auf Lesbos und Chios läuft derzeit.

Die Kommission hat 155 Mio. EUR für die Einrichtung neuer Zentren auf den Inseln Lesbos und Chios bereitgestellt. Im Einklang mit dem EU-Recht wird es sich hierbei — vorbehaltlich der erforderlichen und verhältnismäßigen Zugangsregelungen — um offene Zentren handeln. Sie werden verschiedene Bereiche umfassen, darunter Aufnahme‐ und Identifizierungsstrukturen für Neuankömmlinge, Unterkunftsmöglichkeiten, sichere Bereiche für unbegleitete Kinder und Jugendliche, Freizeitbereiche und Abschiebeeinrichtungen. Bei den Abschiebeeinrichtungen für Personen, gegen die eine Rückkehranordnung ergangen ist, wird es sich um geschlossene Bereiche handeln. Personen, die in den anderen Bereichen untergebracht sind, werden das Gelände über ein Zugangssystem mit speziellen Ausweisen betreten und verlassen können.

Dank der gemeinsamen Anstrengungen der griechischen Behörden, der Kommission und der EU-Agenturen konnten die Bedingungen in der provisorischen Aufnahmeeinrichtung in Mavrovouni erheblich verbessert werden, insbesondere im Hinblick auf die Wasser-, Sanitär‐ und Elektrizitätsversorgung, die Schotterung sowie die Vorbereitung auf den Winter und die Instandsetzung. Mavrovouni bleibt jedoch eine provisorische Unterbringungseinrichtung. Die griechischen Behörden haben der Kommission zugesichert, dass niemand in Mavrovouni einen weiteren Winter in Zelten verbringen wird.

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