Studie zeigt: Deutsche Binnengrenzkontrollen teilweise EU-rechtswidrig
Ich habe für die grüne Europafraktion eine kritische Analyse der deutschen Binnengrenzkontrollen in Auftrag gegeben, um zu sehen, ob diese mit EU-Recht vereinbar sind. Die ganze Studie könnt ihr hier auf Deutsch und Englisch lesen.
Die aktuelle Lage im Schengenraum
Die Abwesenheit von Kontrollen an den Binnengrenzen ist ein wesentlicher Grundsatz des Europäischen Rechts und das Grundprinzip des freien Schengenraums. Obwohl Binnengrenzkontrollen im Schengenraum also grundsätzlich eine strenge Ausnahme sein sollten, gibt es seit 2015 in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten eine massive Zunahme dieser Kontrollen. Gründe dafür sind laut der deutschen Bundesregierung vor allem mehr irreguläre Migration, Terrorismusgefahr und die Corona-Pandemie. Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern die Wiedereinführung dieser Binnengrenzkontrollen mit den unionsrechtlichen Verpflichtungen vereinbar ist.
Wann Binnengrenzkontrollen erlaubt sind
Der Schengener Grenzkodex erlaubt Kontrollen an den Binnengrenzen nur in Ausnahmesituationen, zum Beispiel wenn Gefahr für die Sicherheit und Ordnung eines Mitgliedstaates droht. Dabei dürfen Binnengrenzkontrollen jedoch nur als letztes Mittel angewendet und nur vorübergehend wieder eingeführt werden, wie auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestätigt hat.
Die Praxis in Deutschland
Deutschland scheint sich an diese Regelungen nicht immer zu halten. Die unterschiedlichen Bundesregierungen haben die Binnengrenzkontrollen, vor allem an der Grenze zu Österreich, seit 2015 immer wieder verlängert. Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen EU-Recht. Das von mir in Auftrag gegebene Gutachten kommt nämlich zu dem Schluss, dass es keine Rechtsgrundlage für die Kontrollen an der Grenze zu Österreich gibt, die seit November 2017 “aus migrations- und sicherheitspolitischen Gründen” stattfinden. Damit sind diese Kontrollen seit diesem Zeitpunkt rechtswidrig.
Problematisch ist dabei vor allem, dass sich die deutsche Bundesregierung auf zunehmend vage Risikosituationen beruft, anstatt auf tatsächliche Gefahrenlagen, wie vom Schengener Grenzkodex verlangt. Zudem sind die Grenzkontrollen oftmals unverhältnismäßig.
Binnengrenzkontrollen sind politisch motiviert
Insgesamt scheinen Grenzkontrollen zunehmend eine gesellschaftspolitische Symbolwirkung zu haben. Gleichzeitig tut sich die Europäische Kommission schwer, diese strukturelle Aushöhlung des Schengener Grenzkodex aufzuhalten und wird ihrem Mandat und ihrer Rolle als “Hüterin der Verträge” nur unzureichend gerecht.
Ähnlich problematisch ist der Umgang der deutschen Verwaltungsgerichte mit Klagen gegen diese Binnengrenzkontrollen. Hier werden die Zulässigkeitsvoraussetzungen so eng ausgelegt, dass Klagen gegen Binnengrenzkontrollen als unzulässig abgewiesen werden. Betroffene haben aktuell also keinen effektiven Rechtsschutz gegen rechtswidrige Binnengrenzkontrollen. Das betrifft in erster Linie EU-Bürger:innen.
Die Reform als Antwort – Wirksamkeit abzuwarten
Nach jahrelanger systematischer Fehlanwendung des Schengener Grenzkodexes wurde die Reform bestimmter Teile des Gesetzes vor kurzem abgeschlossen. Mehr dazu könnt ihr hier in meinem Briefing nachlesen. Die aktuelle Reform des Schengener Grenzkodex ist deshalb eine Reaktion auf diese Herausforderungen. Sie erweitert einerseits den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten, zum Beispiel bei verstärkten Migrationskontrollen an Binnengrenzen. Andererseits werden die Anforderungen an die mitgliedstaatlichen Binnengrenzkontrollen verschärft. Ob dies in der Praxis zu einem Rückgang der Binnengrenzkontrollen führen wird, hängt vor allem von der Bereitschaft der Kommission ab, die neuen Regeln des Schengener Grenzkodex auch durchzusetzen.