Ein Europa für alle?

Europapolitische Gespräche in gemütlicher Atmosphäre

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, in diesem Jahr bereits mehr als 2000 Tote im Mittelmeer, eine hohe Inflation, die das Leben für viele unbezahlbar macht, die massiven Folgen der Klimakrise, ein Rechtsruck in Europa: die Liste der Herausforderungen der Europäischen Union ist lang und wir müssen aufpassen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt in Europa nicht zu kurz kommt. 

Ist europäische Solidarität der Schlüssel, um aus den Krisen zu kommen? Ist ein Europa für alle machbar?

Der Europaabgeordnete Erik Marquardt ist in der Grünen Fraktion zuständig für die Themen Flucht, Migration und Menschenrechte. Er wird zum aktuellen Stand des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems berichten und der Frage nachgehen, welche Schritte auf dem Weg zu einem humanitären und menschenrechtsbasierten Asylsystem notwendig sind.

Rasmus Andresen ist Sprecher der deutschen Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied im Haushalts- sowie Finanzausschuss. Bei ihm wird es um soziale Fragen in der aktuellen Krisenpolitik und die Folgen der jetzigen Wirtschafts- und Finanzpolitik gehen.

Wir laden herzlich ein zu europapolitischen Gesprächen bei leckerem Essen und Getränken

Ein Europa für alle?

Am 14. September um 19:00 Uhr

im Baumhaus Berlin

Gerichtstr. 23, 13347 Berlin-Wedding

Anmeldung: 

Bitte meldet euch unter folgendem Formular an, da wir nur begrenzte Kapazitäten vor Ort haben.

Für alle Menschen, die nicht vor Ort teilnehmen können, wird es eine Möglichkeit geben, über einen Live-Stream zuzuhören. Den Link werdet ihr kurz vor Veranstaltungsbeginn per Mail erhalten, bitte meldet euch hierfür auch an. 

Die Paneldiskussion der Veranstaltung wird aufgezeichnet. 

Wie nimmst du teil?(erforderlich)

Frontex zeigt kein Interesse an Crotone-Aufklärung

Aus gemeinsamen Recherchen von Lighthouse Reports, El País, Sky News, Le Monde, Süddeutsche Zeitung und Domani geht hervor, dass die italienische Regierung gelogen hat, was ihre Rolle bei dem Bootsunglück von Crotone betrifft, bei dem 94 Menschen, darunter 35 Kinder, ums Leben kamen, und dass Frontex geholfen hat, den Vorfall zu vertuschen. Ich habe mit 25 Abgeordneten aus vier Fraktionen eine Anfrage an die Kommission gesendet, welche am 3. August beantwortet wurde.

Kein Interesse an Aufklärung

Nun hat auch Frontex auf unsere Frage geantwortet. Konkret haben wir gefragt:

Wie bewertet Frontex die Enthüllungen, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass sie nicht mit den vor dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres abgegebenen Erklärungen ihres Exekutivdirektors Hans Leijtens vom 23. Mai 2023 im Einklang stehen?

Aus der Antwort von Frontex geht leider kein großes Interesse an einer Aufarbeitung aus. Der Exekutivdirektor behauptet lediglich, das Schiff habe sich in keiner Notsituation befunden, als es sechs stunden vor dem Vorfall von Frontex gesichtet wurde. Außerdem behauptet er, Frontex habe die italienischen Behörden korrekt informiert.

Auch der Presse werden Informationen vorenthalten

Frontex weigert sich zudem der Presse relevante Informationen über den Fall zu geben. So hat die Agentur bislang nur eine E-Mail veröffentlicht, die direkt nach dem Unglück versendet wurde. Dutzende weitere Dokumente bleiben unter Verschluss. Frontex begründet dies damit, dass es sich um wichtige Informationen zu laufenden Operationen handele. Außerdem behauptet die Agentur die Informationen könnten von Schleppern genutzt werden. Diese Argumente sind wenig überzeugend, weil Schlepper sich nicht primär danach richten, wo sich Frontex geade aufhält. Die Aufklärung des Unglücks, dass zu so vielen Toen führte, sollte hier Vorrang haben.

EU- Migrationsabkommen mit Tunesien

Am 16. Juli 2023 hat die Europäische Kommission – ohne Rücksprache mit dem Rat und dem Europäischen Parlament – ein Migrationsabkommen (“Memorandum of Understanding”) mit Tunesien unterzeichnet. Was daran falsch ist und warum Menschenrechte bei diesem Deal nicht im Vordergrund stehen, habe ich unter anderem im NDR erklärt und möchte ich in diesem Artikel noch einmal detailliert darlegen.

Aktuelle Lage in Tunesien

Unter dem amtierenden Präsidenten Kais Saied findet ein massiver Demokratieabbau in Tunesien statt. Saied verbreitet rassistische Parolen, macht Schwarze zu Sündenböcken der wirtschaftlichen Probleme in seinem Land und verbreitet die rechte Verschwörungstheorie vom “großen Austausch”, in dem er behauptet, es sei ein Komplott in Gange, „um die demografische Zusammensetzung Tunesiens zu verändern“. Diese Hetze gipfelte in Hetzjagden und pogromähnlichen Ausschreitungen gegenüber Schwarzen Menschen in Tunesien. 

Inzwischen sind die tunesischen Behörden offenbar zunehmend systematisch dazu übergegangen, Menschen in der Wüste auszusetzen und sich selbst zu überlassen. So wurde zuletzt erst eine Gruppe von über 80 Menschen von libyschen Grenzbeamten gerettet, die zuvor von Tunesien in der Wüste ausgesetzt wurden. In der Wüste Nordafrikas sterben womöglich mehr Menschen als auf dem Mittelmeer, es wird allerdings deutlich weniger dokumentiert – koordinierte Rettungsmissionen in der Wüste gibt es nicht.

Nach Zahlen des UNHCR hat Tunesien Libyen als größtes Transitland seit letztem Jahr abgelöst. Seit Anfang 2023 sind insgesamt 104.808 Schutzsuchende in Italien über den Seeweg angekommen. Nach Angaben der tunesischen Nationalgarde wurden von Januar bis Ende Juni 2023 34.290 Menschen daran gehindert, aus Tunesien zu fliehen, fast viermal mehr als im selben Zeitraum 2022.

Gleichzeitig ist die Situation für Geflüchtete in Tunesien sehr schlecht. Es gibt kein funktionierendes Asylsystem und auch sonst keinen Rechtsrahmen, um Asylsuchende zu schützen oder Aufenthaltstitel zu vergeben.

Bisherige Migrationszusammenarbeit mit Tunesien 

Es besteht eine langanhaltende Zusammenarbeit zwischen Tunesien und der EU im Migrationsbereich. 2012 wurde eine Privilegierte Partnerschaft geschlossen und ein Aktionsplan für den Zeitraum 2013 bis 2017 verabschiedet. Der Aktionsplan befasste sich mit dem Schutz von Asylsuchenden und Flüchtlingen sowie der Zusammenarbeit in den Bereichen Migration, Mobilität und Sicherheit. Parallel dazu wurde 2014 eine Mobilitätspartnerschaft eingerichtet. Diese sollte zum Abschluss von zwei Abkommen führen: das erste über die Rückübernahme und ein zweites über die Erleichterung der Visaformalitäten.

Verhandlungen über ein Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und Tunesien begannen im Jahr 2016. Tunesien hat mit sechs Mitgliedsstaaten (darunter Italien, Deutschland und Belgien) Rückübernahmeabkommen auf bilateraler Ebene unterzeichnet und allgemein respektiert; sie sind jedoch nur auf tunesische Staatsangehörige beschränkt. 

Selbst das Rückübernahmeabkommen mit Italien von 1998, das die Rückführung von Ausländern vorsieht, schließt die Rückübernahme von Drittstaatsangehörigen aus Mitgliedsstaaten der Union des Arabischen Maghreb nach Tunesien aus.

Bereits 2017 hatte Tunesien die Vorschläge der EU zum „Outsourcen“ des Migrationsmanagements abgelehnt, auch Saied betonte, dass Tunesien nicht “Europas Grenzschützer” werden möchte. Die EU finanziert jedoch seit Jahren Migrationsmaßnahmen (zur Grenzkontrolle) in Tunesien, u.a. über EU Trust Fund for Africa (auslaufend) sowie über NDICI – Global Europe. Dort wurden im Rahmen des “Multi-country” Migrationsprogramms für die südliche Nachbarschaft 2021-2027 2021 25 Millionen Euro zur Unterstützung des Aufbaus von Grenzverwaltungseinrichtungen bereitgestellt. Insbesondere für die Unterstützung der Ausbildungsinfrastruktur der tunesischen Garde Nationale Maritime, Unterstützung der Einrichtung einer Koordinierungsstelle für die Seenotrettung und Fertigstellung des integrierten Küstenüberwachungssystems. Darüber hinaus wurden 2021 14 Mio. EUR für die Unterstützung der Rückkehr von Tunesiern bereitgestellt. Hier ein ausführlicher Bericht dazu. 

Der Inhalt der “Absichtserklärung”

Am 11. Juni stellten bei einer Pressekonferenz Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte (als “Team Europe”) bei einem Besuch in Tunis das geplante Maßnahmenpaket vor, vorangegangen waren in den Monaten davor mehrere Besuche von verschiedenen Vertreter*innen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Von der Leyen unterstrich dabei die historische Partnerschaft zwischen der EU und Tunesien und betonte die Absicht mit Tunesien an einem “umfassendem Paket” zu arbeiten, das sich auf 5 Pfeiler stützt: 

  1. Unterstützung wirtschaftlicher Entwicklung – Mobilisierung von bis zu 900 Mio. € für makrofinanzielle Hilfe (geknüpft an IMF Kriterien/ IMF Kredit von 1,9 Mrd.), zusätzlich 150 Mio € sofortige Budgethilfe (Gelder die direkt in den Staatshaushalt fließen)
  2. Investment und Handel – Modernisierung Handelsabkommen, Investitionen in digitale Infrastruktur etc.
  3. Energie – Herstellung und Export von erneuerbarer Energie (u.a. ELMED Kabel)
  4. Migration – Unterstützung beim Grenzschutz und Schmuggelbekämpfung, Seenotrettung und Rückführungen, dafür 2023 Bereitstellung von 105 Mio. € durch EU Haushalt
  5. “People to people contacts”/ Völkerverständigung – Maßnahmen zu Austausch und Zusammenarbeit wie  Erasmus+, im Forschungsbereich, Berufsausbildungsmaßnahmen etc. 

Am 16. Juli wurde das entsprechende Memorandum of Understanding (MoU) unterzeichnet, das die oberen Punkte aufgreift und vertieft. Der rechtliche Status des MoU ist nicht klar, das Parlament wurde nicht eingebunden, was notwendig gewesen wäre, wenn es sich um ein Abkommen handeln sollte.

Makrofinanzielle Unterstützung

Zur makrofinanziellen Unterstützung werden im Text keine konkreten Zahlen genannt, genaueres dazu soll im dritten Quartal ‘23 diskutiert werden.

Hinsichtlich der Zusammenarbeit im Migrationsbereich sind primär die folgenden Punkte genannt:

  • irreguläre Migration soll bekämpft werden (entsprechend bisheriger Zusammenarbeit in den Bereichen Grenzschutz, Unterstützung Tunesische Küstenwache, Bekämpfung Schmuggel), legale Migrationswege sollen geöffnet werden
  • Tunesien soll bei der Abschiebung von Drittstaatsangehörigen (“irregular migrants”) in ihre Herkunftsländer unterstützt werden
  • Entwicklungszusammenarbeit soll auf Fluchtursachenbekämpfung abzielen (z.B. durch Ausbildungsmaßnahmen)
  • Saieds bereits im Vorfeld geäußerte Position, dass Tunesien kein “Aufnahmeland” ist und keinen Grenzschutz über eigene Grenzen hinaus durchgeführt wird, wird bekräftigt
  • Rückführungsmaßnahmen aus der EU beziehen sich lediglich auf tunesische Staatsangehörige, keine Drittstaatsangehörige
  • die EU soll Tunesien beim Abschluss von ähnlichen bilateralen Abkommen mit den Mitgliedsstaaten unterstützen 
  • für all diese Maßnahmen wird finanzielle Unterstützung durch die EU bereitgestellt 

Inwiefern diese Punkte aus dem MoU in der Praxis umgesetzt werden, welche Implikationen sie für die Menschenrechtslage in Tunesien haben oder welche Prioritäten gesetzt werden, lässt sich bislang nicht beantworten. Eine Folgenabschätzung bezüglich der Grund- und Menschenrechte hat nicht stattgefunden, auch eine Folgenabschätzung hinsichtlich der Frage, ob die angestrebten Ziele mit den entsprechenden Maßnahmen erreicht werden können, ist bislang nicht vorhanden.

Das weitere Verfahren 

Nach Artikel 218 AEUV bedürfen internationale Verträge, die die EU mit Drittstaaten abschließt, der Zustimmung des Europäischen Parlaments. Unterzeichnet wurde hier durch den Kommissar für Nachbarschaftspolitik Olivér Várhelyi und dem tunesischen Außenminister Mounir Ben Rijba ein “Memorandum of Understanding”. Die einzelnen Punkte sollen dann in unterschiedlichen Verfahren implementiert werden. Im Innenausschuss des Europaparlaments am 18.07.23 haben Abgeordnete verschiedener Fraktionen deutliche Zweifel artikuliert und ein Rechtsgutachten gefordert, um den Rechtscharakter des Abkommens zu klären. Das ist insbesondere deswegen relevant, weil unklar ist, welche Entscheidungsstrukturen überhaupt angewendet werden und welche Rolle das Parlament in diesem Verfahren hat.

Auch vom juristischen Dienst des Rates, dem Europäischen Auswärtigen Dienst und zahlreichen Mitgliedsstaaten soll es vehemente Kritik gegeben haben, dass das Abkommen ohne ihre Konsultation unterzeichnet wurde, rechtliche Schritte wurden sich vorbehalten.
Die angekündigte Makrofinanzhilfe in Höhe von bis zu 900 Mio. € behält, laut bislang informellen Informationen der Kommission, eine erfolgreiche Vereinbarung mit dem IWF als Vorbedingung und erfordert zudem einen Rechtsakt des Rates und des EP (ordentliches Gesetzgebungsverfahren). Die zusätzlich angekündigte Budgethilfe und weitere Maßnahmen können aus dem Haushalt 2023 über verschiedene Finanzierungsinstrumente bestritten werden, wobei dem EP keine formelle Rolle zur Entscheidung über die konkrete Mittelvergabe zufällt. Das Verfahren und die Geldvergabe sind allerdings bisher so intransparent, dass hier noch keine abschließende Bewertung möglich ist.

Bewertung 

Die meisten Maßnahmen im MoU sind nicht neu und stellen auch keine Kehrtwende in der Zusammenarbeit zwischen der EU und Tunesien bzw. der gesamten südlichen Nachbarschaft dar. Es ist ebenfalls wichtig, dass die EU sich nicht von der tunesischen Bevölkerung abwendet und viele der angekündigten Maßnahmen wie beispielsweise der Austausch über eine Einbindung von Tunesien im Erasmus+ Programm sind zu befürworten. Kritisch ist jedoch die de-facto Verknüpfung von finanzieller Unterstützung gegen Zusammenarbeit im Migrationsbereich. Auch wenn laut MoU menschenrechtliche Standards eingehalten werden sollen, ist dies nicht weiter ausdefiniert, eine menschenrechtliche Folgenabschätzung ist nicht vorgesehen. Die Erfahrung beispielsweise in Libyen zeigt, dass ohne konkrete Maßnahmen und Rechtsdurchsetzung in diesem Bereich in der Praxis massive Menschenrechtsverletzungen ungeahndet bleiben können und dass sie auch keinen Einfluss auf die Finanzierung der Zusammenarbeit haben. Es ist auch fraglich, wie die Einhaltung dieser Standards überprüft werden soll, wenn wir damit schon an unseren eigenen Außengrenzen scheitern. Die weitgehend bedingungslose Zusammenarbeit im Migrationsbereich und die Vergabe von Mitteln (insbesondere die Budgethilfe direkt für den Staatshaushalt) ohne klar definierte Konditionen senden ein verheerendes Signal. Das gilt insbesondere, weil in Tunesien immer mehr demokratische Strukturen abgebaut werden und grundlegende Rechte von Geflüchteten im Land nicht eingehalten werden. Die EU (“Team Europe”) versucht recht offensichtlich mit allen Mitteln, Migrationsbewegungen aufzuhalten, obwohl viele der Schutzsuchenden einen Anspruch auf Asyl in der EU hätten. Dabei greift man insbesondere auf Partner in Drittstaaten zurück, weil man Dinge erreichen will, die den EU-Staaten selbst menschenrechtlich nicht erlaubt sind – beispielsweise eine Ausschiffung von schiffbrüchigen Asylsuchenden in Tunesien.


Ein Hauptkritikpunkt der Vereinbarung ist aus meiner Sicht die geplante Unterstützung von Tunesien bei der Rückführung “irregulärer Migrant*innen” in ihre Herkunftsländer, während gleichzeitig ein nationales Asylrecht in Tunesien nicht umgesetzt  ist und somit sämtliche Verfahren beim UNHCR liegen. Anstelle Geld in (unwirksamen) Grenzschutz zu investieren und ein autokratisches Regime zu unterstützen, sollte vielmehr versucht werden, einen verbindlichen Rechtsrahmen und angemessene Strukturen für Schutzsuchende in Tunesien zu schaffen.

Insgesamt wurde hier bislang die Chance versäumt, ein transparentes und fortschrittliches Abkommen zu erreichen, das eine nachhaltige Verbesserung der Menschenrechtslage in Tunesien erreicht, legale Migrationswege und eine gemeinsame Partnerschaft schafft, die dazu beitragen könnte, dass das Sterben auf dem Mittelmeer endet. Auch wenn einige Punkte aus der Vereinbarung zu begrüßen sind, wird abzuwarten sein, ob diese Punkte tatsächlich umgesetzt werden, da viele Punkte aus solchen Abkommen in der Vergangenheit nicht umgesetzt wurden, sobald der Geld-für-Migrationsabwehr-Deal funktioniert hat.

Migrationsabkommen sollten in Parlamenten diskutiert und transparent ausgehandelt werden. In den letzten Jahren haben Regierungen und die EU-Kommission jedoch zunehmend Parlamente und die Öffentlichkeit gemieden, wenn neue Deals verhandelt wurden. Wo das hinführt, hat sich beim gescheiterten EU-Türkei-Deal und in Libyen gezeigt, wo wir laut UN-Kommission inzwischen Schlepperstrukturen mit Steuergeld unterstützen. So etwas sollte sich in Tunesien nicht wiederholen, es wiederholt sich aber gerade.

Man sollte einem Autokraten nicht hunderte Millionen überweisen, ohne einen klaren Plan zu haben. Der tunesische Präsident Kais Saied betreibt einen massiven Demokratieabbau, verbreitet Verschwörungstheorien und schürt rassistische Stimmungen. Mit dieser Abmachung unterstützt die EU nicht nur einen Autokraten, sie macht sich auch von ihm erpressbar. In den letzten Wochen haben sich die Hinweise verdichtet, dass Tunesien Geflüchtete ohne Wasser und Nahrung einfach in der Wüste aussetzt. Die Verantwortlichen in Tunesien nehmen den Tod von Menschen auf der Flucht in Kauf. Die EU-Strategie ist kurzsichtig und naiv, man glaubt sich mit Geld von der Verantwortung freikaufen zu können. Die europäische Asylpolitik sollte nicht von einer rechtspopulistischen Regierung in Italien und deren guten Kontakten zu einem Autokraten in Tunesien abhängig sein. 

Anfrage: Menschenhandel durch libysche Küstenwache

Ich habe der Kommission die Frage gestellt, wie sie dazu steht, dass die von ihr unterstützte libysche Küstenwache selbst in Schlepperei und Menschenhandel verwickelt ist. Darunter auch eine Person, die auf der Sanktionsliste des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen steht. 

In ihrer Antwort sagt die Kommission, dass die Menschenrechtsverletzungen und  Bedingungen in den Haftanstalten in Libyen Inakzeptabel seien. Trotzdem unterstützt die Kommission genau jene Einheiten, die Menschen in diese Lager bringen. Die Kommission weiß also, dass hier gegen elementare Menschenrechte verstoßen wird, ist aber nicht bereit, ihre Politik an diesen elementaren Menschenrechten auszurichten. Die Kommission spricht von der “Rettung von Menschenleben”, dabei handelt es sich in den meisten Fällen nicht um Rettungsaktionen, sondern um Pull-Backs, in denen Menschen gegen ihren Willen in das Bürgerkriegsland Libyen verschleppt werden, damit sie keinen Asylantrag in der EU stellen. 

Der Verweis darauf, dass es den Menschen in Libyen ohne EU-Hilfe noch schlechter ginge, ist ein Ablenkungsmanöver, da es in meiner Anfrage überhaupt nicht um Kooperation allgemein geht, sondern sehr konkret um die libysche Küstenwache. Die Behauptung der Kommission, dass es einen “soliden Überwachungsmechanismus” gebe, ist Wunschdenken. Die Kommission unterstützt eine Organisation, die laut UN gegen elementare Menschenrechte verstößt und meint, dass sie an diese Organisation Geld geben kann, ohne damit die Verletzung von elementaren Menschenrechten zu unterstützen. Außerdem herrscht hier eine massive Intransparenz gegenüber dem Parlament, weil Evaluierungen und Monitoring nicht offen gelegt werden. Trotz wiederholter Anfragen haben wir Abgeordneten keine genaue Übersicht zu den EU-Geldern für Libyen.

Alle meine Anfragen und die Antworten der Kommission findet ihr hier.

Meine Anfrage

Aus dem jüngsten Bericht der unabhängigen Erkundungsmission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen zu Libyen geht hervor, dass Beweise vorliegen, wonach Einheiten und Angehörige der sogenannten libyschen Küstenwache mit Schleusern zusammenarbeiten und selbst am Menschenhandel beteiligt sind, und zwar insbesondere in der westlichen libyschen Region Zawiya. So wurde aufgedeckt, dass die libysche Küstenwache in diesem Gebiet mit der Haftanstalt al-Nasr in Zawiya unter einer Decke steckt. Der Befehlshaber der Einheit, Abd al-Rahman al-Milad (Spitzname „Bija“), steht seit Juni 2018 wegen Beteiligung am Menschenhandel auf der Sanktionsliste des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.

1) Wann hat die Kommission davon erfahren und welche Informationen liegen ihr über diese geheimen Absprachen in der Region Zawiya vor?

2) Welche Maßnahmen wird die Kommission als Reaktion auf die zutage geförderten Erkenntnisse ergreifen und wird dies dazu führen, dass die Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache oder die finanzielle Unterstützung für diese Organisation eingestellt wird?3) Welche Schritte können wir von der Kommission nach der Veröffentlichung dieses Berichts in Bezug auf Italien angesichts der Zusammenarbeit des Landes mit Libyen und der sogenannten libyschen Küstenwache erwarten?

Antwort von Olivér Várhelyi im Namen der Europäischen Kommission (21.8.2023)

Angesichts der komplexen Lage in Libyen werden die von der EU finanzierten Programme in Libyen nach dem Grundsatz der Schadensvermeidung und mit einem konfliktsensiblen und rechtebasierten Ansatz durchgeführt, wobei die Achtung der Menschenrechte und die Einhaltung der Sorgfaltspflicht wie auch der restriktiven Maßnahmen gewährleistet wird. Die Kommission achtet sehr genau darauf, dass Personen, die auf der Sanktionsliste des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen stehen, keine EU-Mittel zugutekommen. Die Unterstützung der EU und Italiens für die libysche Küstenwache spielt eine entscheidende Rolle bei der Rettung von Menschenleben auf See. Die Menschenrechtsverletzungen in Libyen und die Bedingungen in den Haftanstalten sind inakzeptabel.

Entsprechend den strategischen Leitlinien des Europäischen Rates arbeitet die Kommission weiterhin mit den libyschen Behörden zusammen, um Kapazitäten für ein wirksames Grenzmanagement aufzubauen, das im Einklang mit internationalen Standards und der Achtung der Menschenrechte steht, um Menschenleben auf See zu retten und Schleuser- und Menschenhändlernetze zu bekämpfen. Trotz der schwierigen Lage in Libyen würde sich die Situation der Bedürftigsten nicht verbessern, wenn die EU-Hilfe in dem Land vorübergehend eingestellt oder die EU sich dort ganz zurückziehen würde.

Die EU verfügt zusammen mit ihren Durchführungspartnern über einen soliden Überwachungsmechanismus für die Hilfe, die für Libyen bereitgestellt wird. Ferner wird eine Überwachung durch Dritte durchgeführt, die sich insbesondere auf die Einhaltung des Grundsatzes der Schadensvermeidung konzentriert. Des Weiteren führt die Kommission Ad-hoc-Evaluierungs- und Monitoringmissionen durch. Was die Bereitstellung von Such- und Rettungsschiffen für die libysche Küstenwache betrifft, so erfolgte die Lieferung im Anschluss an die Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen Italien und Libyen, die Garantien für die Achtung der Menschenrechte und die Überwachung der Nutzung der Schiffe beinhaltet.

5 Milliarden € der EU an Griechenland für Migration und Asyl – und trotzdem solche Zustände?

Seit dem Jahr 2014 hat die Europäische Union Griechenland insgesamt 4,96 € Milliarden für die Bewältigung von Migrations- und Grenzaufgaben zur Verfügung gestellt.

Die Unterstützung Griechenlands durch die Europäische Union erfolgt durch vier Töpfe: den Asylum, Migration and Integration Fund (AMIF), der Internal Security Fund (ISF), das  Emergency Support Instrument (ESI) und das Border Management and Visa Policy Instrument (BMVI). Der größte Topf ist der AMIF über den im aktuellen Mehrjährigen Finanzrahmen insgesamt 9,88 € Milliarden zur Verfügung gestellt wurden. Griechenland wurden seit 2014 aus diesem Topf 2,75 € Milliarden zugesprochen. Über diesen Haushaltsposten werden EU-Mitgliedstaaten unterstützt zum Zweck des effizienten Managements von Migration und der Implementierung und Stärkung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Der ISF stellt Geld für das Management von Visum und Einreise, Kontrolle der Außengrenzen, aber auch Rückführungen, beispielsweise durch Frontex, bereit. Hier wurde Griechenland seit 2014 fast eine halbe Milliarde € bereitgestellt. Das ESI dient der Unterstützung für Notlagen und gibt Geld für humanitäre Hilfe, der Anteil betrug 668,9 € Millionen. Das BMVI hat zur Aufgaben einen europäischen Grenzschutz an den Außengrenzen der Union zu gewährleisten. Der Großteil der regulären Gelder aus AMIF, ISF, ESI und BMVI fließt an die nationalen Behörden, also an die griechischen Behörden, die sich mit Migration und Asyl befassen, so beispielsweise das griechische Ministerium für Migration und Asyl. 

Neben den regulär vorgesehenen Bedarfen können zusätzlich für weitere kurzfristige Notfallbedarfe (“Emergency Assistance”) Gelder aus AMIF und ISF mobilisiert werden. Die geflossenen Gelder zwischen 2014 und 2020 aus der Emergency Assistance stellen im Fall von Griechenland die größte Summe alle Gelder, insgesamt 2,07 € Milliarden. 1,25 € Milliarden aller Gelder der Emergency Assistance sind an internationale Organisationen geflossen, 820 € Millionen an die griechischen Behörden.

Wie viel Gelder sind tatsächlich geflossen?

Tatsächlich erhielten die griechischen Behörden 2,59 € Milliarden, unter dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFF) von 2014 bis 2020. Dabei ist es besonders wichtig, anzumerken, dass 3,38 € Milliarden zugesprochen wurden, aber ein Großteil davon nicht ausgegeben wurde. Dies zeigt deutlich, dass die Gelder vorhanden sind, um die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln und auf dem Festland angemessen und würdig zu versorgen, jedoch der politische Wille fehlt, dies auch so umzusetzen. 

Noch werden in Griechenland grundlegende Anforderungen der EU-Aufnahmerichtlinie nicht eingehalten wie zum Beispiel das Recht auf Bildung der Kinder. Auch die Essensversorgung ist nach wie vor problematisch und ungenügend. Genug Geld wäre tatsächlich da, um die Probleme nachhaltig zu lösen. Selbst der Europäische Rechnungshof als EU-eigene Behörde kam in seinem Jahresbericht 2019 zu ähnlichen Schlussfolgerungen, ohne sie explizit so zu benennen. Es kam nicht zu expliziten Veruntreuungen der Gelder, jedoch wurden einige Gelder aus der Emergency Assistance für längerfristige Projekte und Strukturen zweckentfremdet, obwohl diese nur flexibel für kurzfristige Notfallbedarfe eingesetzt werden dürfen. Außerdem bemängelte der Rechnungshof die ineffiziente Nutzung der Gelder und somit die Diskrepanz zwischen den EU-Zielen und den tatsächlichen Ergebnissen – sprich das Fehlen des politischen Willens. Nun fließen die Gelder aber nicht nur an die griechischen Behörden, sondern auch an internationale Organisationen. Aber auch mehr Gelder an internationale Organisationen sind nicht zwingend hilfreich, wenn die griechische Regierung deren Arbeit blockiert und kriminalisiert, wie es vor allem auf den griechischen Inseln der Fall ist. 

Wer sich genauer mit den veranschlagten und geflossenen Geldern und dem MFF 2014-2020 befassen möchte, findet hier eine Übersicht von der Europäischen Kommission. Sie stellt auch dar, wie viele Gelder an die unterschiedlichen internationalen Organisation sowie an welche griechischen Behörden sie geflossen sind. 

Eine Betrachtung der Zahlen macht eines nochmal sehr deutlich. Knapp 5 Milliarden € wurden Griechenland für Migration und Asyl seit dem Sommer der Migration 2015 zur Verfügung gestellt. Die staatlichen Behörden und Organisationen haben eigentlich genügend Mittel, um Menschen würdig zu behandeln und zu versorgen. Aber es scheint politisch nicht gewünscht zu sein. Wieviel Geld unter dem aktuellen Finanzrahmen tatsächlich abgerufen wird, bleibt noch abzuwarten.

Anfrage: Ist Kommission bereit, nach der Vertuschung des Unglücks von Crotone tätig zu werden?

Am 14. Juni habe ich eine Anfrage an die EU-Kommission gesendet, die von 25 Abgeordneten aus vier Fraktionen unterstützt wurde. Die Kommission beantwortet meine Fragen nicht und redet sich damit heraus, dass sie zu laufenden Untersuchunge keine Stellung nehmen will.

Meine Anfrage

Aus gemeinsamen Recherchen von Lighthouse Reports, El País, Sky News, Le Monde, Süddeutsche Zeitung und Domani geht hervor, dass die italienische Regierung gelogen hat, was ihre Rolle bei dem Bootsunglück von Crotone betrifft, bei dem 94 Menschen, darunter 35 Kinder, ums Leben kamen, und dass Frontex geholfen hat, den Vorfall zu vertuschen. In ihrer Antwort auf unsere vorangegangene Anfrage zur schriftlichen Beantwortung erklärte die Kommission, dass „Such‐ und Rettungseinsätze […] eine völkerrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten sind“. Ferner wies die Kommission darauf hin, dass sie einen von der Union koordinierten Such- und Rettungsmechanismus nicht für erforderlich halte.

  • 1)Wie gedenkt die Kommission nach dieser Kette katastrophaler Fehler zu handeln, und mit welchen Folgen haben Italien und Frontex zu rechnen?
  • 2)Was hat die Kommission im Verwaltungsrat von Frontex unternommen, um dieses Fehlverhalten von Frontex aufzuklären?


Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Union (3.08.2023)

1. Der Kommission ist bekannt, dass die italienischen Behörden eine Untersuchung eingeleitet haben, um sachdienliche Informationen über den Schiffbruch zu erhalten. Auch wenn die Kommission weder zu einer laufenden Untersuchung Stellung nehmen noch deren Ergebnis vorwegnehmen kann, fordert sie alle an Such- und Rettungseinsätzen beteiligten Akteure weiterhin auf, rechtmäßig, rasch und koordiniert zu handeln, um sicherzustellen, dass Menschen in Seenot so schnell wie möglich in Sicherheit gebracht werden.

2. Die Kommission und die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) tauschen sich regelmäßig aus, auch über die Kommissionsvertreter im Verwaltungsrat der Agentur. Die Kommission erinnert daran, dass der Exekutivdirektor von Frontex in der gemeinsamen Sitzung des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter und des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres am 24. Mai 2023 die Maßnahmen von Frontex im Zusammenhang mit dem tragischen Vorfall von Crotone eingehend erläutert hat. In dieser Sitzung hat ferner die italienische Küstenwache erklärt, dass die Untersuchung des Vorfalls noch nicht abgeschlossen sei. Die Kommission geht davon aus, dass die Ergebnisse der Untersuchungen dem Verwaltungsrat mitgeteilt werden, sobald sie vorliegen.

3. Da die dritte Frage, die zur Beurteilung des Sachverhalts durch Frontex, gänzlich in die Zuständigkeit der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) fällt, hat die Kommission die Agentur gebeten, die von den Damen und Herren Abgeordneten erbetenen Informationen zu übermitteln. Die Kommission wird den Damen und Herrn Abgeordneten die Antwort der Agentur so rasch wie möglich zukommen lassen.

Anfrage an die Kommission zu EU-finanziertem Haftlager in Bosnien

Am 19. April habe ich folgende Anfrage an die Kommission gesendet. Die Kommission hat sich mit der Beantwortung wieder mehr Zeit gelassen, als sie sollte. Inzwischen haben bosnische Politiker das Aus der Gefängnisanlage verkündet, weil es keine gesetzliche Grundlage für diese gebe. Meine Nachfrage nach der problematischen Formulierung des Kommissars Olivér Várhelyi wird von diesem schlicht ignoriert.

Meine Anfrage

Im November 2022 besuchte Kommissar Olivér Várhelyi Bosnien und Herzegowina und verkündete, dass zusätzliche 500 000 EUR für das Lager Lipa und die dortige Haftanstalt verwenden werden, damit „fake asylum seekers“ inhaftiert werden können[1], bis sie in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Der Sonderbeauftragte der EU in Bosnien und Herzegowina, Johann Sattler, sagte hingegen vergangene Woche, dass Menschen maximal bis zu 72 Stunden dort inhaftiert werden dürfen. Die EU‑Gelder für Lipa kommen aus dem Instrument für Heranführungshilfe (IPA).

Die kantonalen Behörden in Bosnien und Herzegowina geben an, dass die Baugenehmigung für das Haftlager im Lager Lipa nie erteilt wurde. Der Premierminister des Kantons Una-Sana äußert sich öffentlich besorgt über den Mangel an Informationen über das Objekt. Bitte beantworten Sie die folgenden Fragen einzeln.

  • 1.Was soll mit dem Begriff „fake asylum seekers“ (dt. falsche Asylantragsteller) aus Sicht der Kommission zum Ausdruck gebracht werden, und wie unterscheiden sich diese von „richtigen“ Asylantragstellern?
  • 2.Wie viele Personen können im Lager Lipa zu welchem Zweck inhaftiert werden, und wie wird sichergestellt, dass das Geld nicht für die Inhaftierung von zuvor illegal durch kroatische Behörden aus der EU verschleppten Personen genutzt wird?
  • 3.Ist die Behandlung von Personen im Lager Lipa aus Sicht der Kommission im Einklang mit EU-Recht und internationalem Recht?

Antwort von Olivér Várhelyi im Namen der Europäischen Kommission (2.08.2023)

Es zählt zu den Prioritäten der EU, im Einklang mit dem Völkerrecht, den Prinzipien und Werten der EU sowie dem Schutz der Grundrechte entsprechend den Ausführungen in den Schreiben der Kommissionspräsidentin an den Rat, den jüngsten Schlussfolgerungen des Europäischen Rates und dem EU-Aktionsplan für den Westbalkan das Grenzmanagement zu verbessern, schnellere Asylverfahren sicherzustellen, gegen Migrantenschleusung vorzugehen und die Zusammenarbeit bei der Rückübernahme sowie die Rückkehr zu fördern, um so der irregulären Migration über die Westbalkanroute entgegenzuwirken.

Das multifunktionale Aufnahme- und Identifizierungszentrum in Lipa dient mehreren Zwecken: Die Migranten werden dort registriert, ihr Status wird bestimmt und ihre Identität bei der Ankunft und beim Verlassen des Zentrums geprüft. Durch das Zentrum konnten die Bedingungen für Migranten wesentlich verbessert und eine erneute humanitäre Krise, wie jene im Winter 2020–2021, abgewendet werden. Damals saßen etliche Migranten ohne Obdach unter verheerenden Bedingungen fest. Das Zentrum untersteht der Ausländerbehörde des Sicherheitsministeriums von Bosnien und Herzegowina (BiH) und kann bis zu 1500 Personen aufnehmen.

Die neue Hafteinrichtung in Lipa wird eine separate und vollkommen eigenständige Einrichtung sein, in der bis zu zwölf Personen untergebracht werden können. In bestimmten Fällen können hier, im Einklang mit internationalen Standards und dem EU-Besitzstand, vorübergehende Beschränkungen der Freizügigkeit und Inhaftierungsmaßnahmen eingeführt werden, bevor die betroffenen Personen in das Einwanderungszentrum in Lukavica (Ost-Sarajewo) überstellt werden. Im Ausländergesetz („Zakon o strancima“) von BiH sind die Umstände festgelegt, unter denen die Beschränkung der Freizügigkeit genehmigt werden kann. Da Einwanderungszentren der Gesetzgebung von BiH sowie internationalen humanitären Standards entsprechen müssen, holt die EU bei Behörden und Partnern regelmäßig Informationen über die Verwaltung der Zentren ein und führt häufig Besuche vor Ort durch.

Europaparlament fordert Seenotrettungsmission im Mittelmeer

Endlich! Das EU-Parlament hat sich in einer Resolution klar für eine EU-Seenotrettungsmission ausgesprochen. Außerdem fordern wir unter anderem, dass Informationen über Seenotrettungsfälle sofort geteilt werden, dass die Kriminalisierung von Seenotrettungsorganisationen unterlassen wird und Schiffe nach Seenotrettungen in den nächsten sicheren Hafen gelassen werden.
Ich habe die Resolution für unsere Fraktion verhandelt und auch wenn wir die Mitgliedstaaten nicht sofort zwingen können, die Maßnahmen umzusetzen, ist es ein klares Zeichen, wo die Mehrheit in Europa steht.

Das Sterben im Mittelmeer darf nicht weiter hingenommen werden.

Das Titelfoto habe ich auf einer Seenotrettungsmission gemacht, nachdem wir den Menschen Schwimmwesten gegeben haben. Oft sieht man auf den überfüllten Schlauchbooten kaum ein Stück Boot – nur dutzende Menschen in akuter Lebensgefahr. Diese Realität, dass jeden Tag über Leben oder Tod von vielen Menschen an unseren Außengrenzen entschieden wird und die Entscheidung allzu oft ist, dass Menschen im Zweifelsfall eben sterben müssen, das darf nie normal werden. Doch es ist normal geworden und das müssen wir wieder ändern. Mit der Entscheidung des Parlaments ist leider keine konkrete Veränderung verbunden, da das Parlament nicht über Einsätze entscheiden kann und in diesem Bereich nur sehr begrenzte Kompetenzen hat. Es erhöht aber den Druck auf die Staats- und Regierungschefs und setzt ein klares Signal gegen rechten Populismus.

Hier sind einige der Forderungen aus der Resolution

  • Wir fordern eine EU-Seenotrettungsmission.
  • Die Mitgliedstaaten und die EU sollen sich endlich an geltendes internationales Recht halten und Menschen in Seenot zur Hilfe kommen.
  • Wir fordern, dass die Kommission ein neuen, verlässlichen und nachhaltigen Ansatz schafft, der Seenotrettung gewährleistet und wir nicht mehr ständig auf ad-hoc Lösungen angewiesen sind. Die Kommission sollte dafür materielle, finanzielle und operative Unterstützung leisten.
  • Die Mitgliedstaaten und Frontex sollen proaktiv Such- und Rettungsmissionen betreiben und alle notwendigen und verfügbaren Boote und Ausrüstung bereitstellen bzw. einsetzen, um Menschenleben zu retten.
  • Alle Mittelmeeranrainerstaaten und Frontex sollten Informationen über Seenotfälle miteinander teilen bzw. bereitstellen um eine Rettung gewährleisten zu können.
  • Gerettete sollen den nächsten sicheren Hafen zugewiesen bekommen.
  • Die Kommission soll eine Seenotrettungs-Kontaktgruppe einsetzen, um Missionen von Frontex und Mitgliedstaaten miteinander koordinieren zu können und das Parlament regelmäßig darüber informieren.
  • Frontex soll Informationen über seine Einsätze teilen und ebenso wie die Mitgliedstaaten das Unionsrecht einhalten.
  • Die Kommission muss sicherstellen, dass Frontex und die Mitgliedstaaten nach der Rettung nur sichere Häfen anlaufen und Asylbewerber:innen keinen Gefahren aussetzen.
  • Die Toten von Pylos sollen geborgen, identifiziert, ihre Angehörigen informiert und nach weiteren Leichen gesucht werden. Die Überlebenden müssen solidarisch in der EU verteilt werden.
  • Wir sprechen uns dafür aus, dass sichere Fluchtwege der beste Weg zur Vermeidung von Toten sind und fordern daher humanitäre Korridore.

Hier findet ihr den vollständigen Text auf deutsch und englisch.

Ausstellung: “1000 Dreams”- Geflüchtete portraitieren Geflüchtete 

Zu Beginn der Juli-Plenarwoche habe ich in Kooperation mit Witness Change und der Heinrich Böll Stiftung Thessaloniki im Parlament eine Fotoausstellung zu individuellen Geschichten von Geflüchteten eröffnet. 

Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten über die Reform des Asylsystems der EU ist es wichtig, immer wieder daran zu erinnern, dass hinter technischen Diskussion über Geflüchtetenzahlen, Verteilmechanismen und Grenzverfahren einzelne Menschen stehen, die von diesen Entscheidungen direkt betroffen sein werden. Viele Menschen in Europa kommen kaum mit Geflüchteten in Kontakt. Unsere Ansichten über sie bilden sich oft daraus, was wir von anderen hören, lesen oder sehen, sowie aus der medialen Berichterstattung und Social Media. Dabei müssen wir uns bemühen, Geflüchteten zuzuhören. 

1000 Dreams

Hier setzt das Projekt “1000 Dreams” von Witness Change an. Geflüchtete sollen zu Wort kommen und ihre Geschichten erzählen. Geflüchtete sollten nicht als eine homogene Gruppe betrachtet werden, sondern als Individuen mit Talenten, Träumen und Bedürfnissen. Über 50 Storyteller mit Fluchthintergrund haben bereits an Workshops unter anderem in Athen, auf Lesbos und in London teilgenommen. In Workshops üben sie, Porträts aufzunehmen und Interviews zu führen. Alle Fotoaufnahmen und Interviews, die 1000 Dreams ausmachen,  werden also von Geflüchteten mit Geflüchteten geführt und erstellt. Über 800 Beiträge und Porträts sind so bisher entstanden. Es sollen 1000 werden. In Straßburg haben wir 20 ausgestellt. 

Ausstellung Straßburg

Für die Eröffnung sind die Storyteller Zahra Mojahed, Elsayed Elsehamy Abdelhamid und Mirza Durakovic nach Straßburg gekommen und haben mit uns ihre persönliche Lebensgeschichte geteilt und über ihre Arbeit an dem Projekt berichtet. Für Witness Change waren Gründer Robin Hammond und William Lounsbury als Leiter des 1000 Dreams Projekts anwesend, um gemeinsam mit Neda Noraie-Kia und Chrysiis Katsea von der Heinrich-Böll-Stiftung Thessaloniki und mir die Ausstellung zu eröffnen. 

Allen Gästen und Anwesenden bot sich nach der offiziellen Eröffnung die Möglichkeit, die einzelnen Porträts und Geschichten hinter den Fotografien, sowie die Storyteller und Projektinitiatoren näher kennenzulernen. 

Neben der Ausstellung im Parlament werden die 20 Portraits außerdem auch noch einige Wochen im Rathaus von Straßburg ausgestellt werden.

Studie: Rechtsfreier Raum – Kriminalisierung von Geflüchteten in Griechenland

Die Studie ist in deutscher, englischer und griechischer Sprache verfügbar.

Die von mir bei Borderline Europe in Auftrag gegebene Studie analysiert die Kriminalisierung von Geflüchteten als mutmaßliche Schleuser in Griechenland. 

Die Gerichtsverfahren dauern im Schnitt 37 Minuten, wobei die durchschnittliche Gefängnisstrafe bei 46 Jahren liegt. Die meisten Personen werden auf Grundlage der Aussage einer Person aus Polizei oder Küstenwache verurteilt, die in 68 Prozent der Fälle nicht einmal während des Verfahrens anwesend ist. Personen, die wegen Schleusung verurteilt wurden, bilden die zweitgrößte Gruppe in griechischen Gefängnissen. Die Betroffenen werden in der Regel unmittelbar nach ihrer Ankunft verhaftet, monatelang in Untersuchungshaft genommen, und haben nur sehr begrenzte Möglichkeiten, sich zu verteidigen

Die Justiz wird politisch instrumentalisiert

Diese Urteile sind unverhältnismäßig und stehen in keinerlei nachvollziehbaren Zusammenhang zu der Tat, derer die Menschen beschuldigt werden. Die griechische Justiz wird politisch instrumentalisiert, um Menschen von der Flucht abzuschrecken.

Die Menschen, die das Boot fahren, bekommen Preisnachlässe bei den Schleppern, sie sind meistens nicht selbst Schlepper. Die Verfahren, in denen diese Anschuldigungen verhandelt werden, sind sehr kurz und verstoßen gegen grundlegende Standards des Rechtsstaats. Das ist eine infame Kriminalisierung, gegen die die EU-Kommission und Mitgliedstaaten wie Deutschland vorgehen sollten. 

Es wäre die Aufgabe der EU-Kommission Druck auf Griechenland auszuüben, damit dort wieder rechtsstaatliche Standards eingehalten werden. Leider hat die Kommission sich bislang auf die Seite Griechenlands gestellt. Sie unterstützt die Abschreckungs- und Abschottungspolitik der Außengrenzstaaten und schaut weg, wenn dort Menschen misshandelt und ihrer Grundrechte beraubt werden. 

81 Verfahren beobachtet

Die Betroffenen werden in der Regel unmittelbar nach ihrer Ankunft verhaftet, monatelang in Untersuchungshaft gehalten und haben nur sehr begrenzte Möglichkeiten, sich zu verteidigen und Unterstützung zu erhalten. Die Prozesse, in denen diese Anschuldigungen verhandelt werden, sind sehr kurz und verstoßen gegen grundlegende Standards der Fairness.

In dem Bericht werden insgesamt 81 Verfahren gegen 95 Personen untersucht, die in Griechenland an acht verschiedenen Orten, nämlich in Komotini, Thessaloniki, Rhodos, Samos, Lesbos, Kreta, Syros und Kalamata, festgenommen und wegen Schleusung vor Gericht gestellt wurden.

Die veranstaltung zur Vorstellung der Studie findet ihr hier.

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