Europa Brunch zu Rechtsextremismus mit Erik Marquardt und Natascha Strobl am 27. Januar 2024

Der 27. Januar steht im Zeichen des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, und daher möchten wir diese Veranstaltung diesem wichtigen Anlass widmen. 

In Zeiten wo sich Rechtsextreme Treffen um gemeinsam “Remigrations-Pläne” auszurarbeiten, Bedarf es einer klaren Haltung gegen Rechts und eine Kollektive Erinnerung an die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg.  Welche Bedeutung hat die Leitidee „Nie wieder“, und wie können wir sie im Kontext von immer stärkerem Rechtsruck verstehen? Welche Bedeutung und Auswirkungen hat dies auf die Migrations- und Asyldebatten?

Ich, Erik Marquardt bin Sprecher der Grünen Europafraktion für die Themen Flucht, Migration und Menschenrechte. In meiner Funktion als Schattenberichterstatter und Mitverhandler beim europäischen Asylpakt (GEAS) werde ich euch Einblicke in meine Erfahrungen bei den Verhandlungen zum Pakt vermitteln. Zudem werden wir analysieren, wie die Dominanz rechter Narrative in der Debatte über Migration und Asyl den Verlauf dieser Verhandlungen beeinflusst hat.

Hierfür haben wir Natascha Strobl eingeladen. Als angesehene Politikwissenschaftlerin und Expertin für Rechtsextremismus wird Natascha uns durch ihre Analyse des radikalisierten Konservatismus führen, wie sie in ihrem gleichnamigen Buch detailliert darlegt. Gemeinsam werden wir die Methoden und Strategien, die sie beschreibt, in der aktuellen politischen Landschaft beleuchten und uns darauf konzentrieren, wie die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg in den aktuellen politischen Ereignissen ihre Relevanz abermals bestärken. 

Gemeinsam werden Natascha und ich beleuchten, wie entscheidend jene Radikalisierung von vermeintlich Konservativen zu einem Abbau von Rechten für Schutzsuchende beiträgt. 

Wir freuen uns darauf, mit euch in einen anregenden Austausch zu treten.

Ort der Veranstaltung: 

Kin Za, Krausnickstraße 23, 10115 Berlin

Datum und Uhrzeit: 

27.01.2024 

10 – 12 Uhr 

Anmeldung für vor Ort Teilnahme: 

Leider haben wir unsere maximale Kapazität für Gäste vor Ort erreicht. Falls ihr trotzdem dabei sein möchtet, gibt es noch die Möglichkeit über unseren Stream Online zuzuhören. 🥐☕ 

ACHTUNG! Nach der Anmeldung gibt es KEINE Bestätigungsmail. Die Anmeldung kommt trotzdem an. Am Tag vor der Veranstaltung bekommt ihr nochmal eine Erinnerungsmail mit allen Veranstaltungs-Details zugesendet. 

Anmeldung für Online Teilnahme

Für alle Menschen, die nicht vor Ort teilnehmen können, wird es eine Möglichkeit geben, über einen Live-Stream zuzuhören. Bitte meldet euch über das hier hinterlegte Formular an. Link für den Stream werdet ihr vor Veranstaltungsbeginn per Mail erhalten.

https://us02web.zoom.us/meeting/register/tZUkde-vrj0uHNaMLWj0AcTpIXgN0T6-hEhA#/registration

Humanitäre Hilfe für Syrien

Seit 2011 herrscht in Syrien Bürgerkrieg, fast drei Viertel der Bevölkerung sind in der Folge auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Lage hat sich in diesem Jahr nach dem verheerenden Erdbeben im Februar, von dem knapp 8,8 Millionen Menschen betroffen waren, noch weiter verschlechtert. Auch der Konflikt dauert an. Erst im Oktober hat die syrische Regierung erneut Luftangriffe gegen Idlib und West-Aleppo verübt, die zu 50 Toten und über 70.000 Vertreibungen geführt und erhebliche Infrastrukturschäden verursacht haben.  Die Europäische Kommission stellt über DG ECHO relevante Summen für humanitäre Hilfe in Syrien bereit. Allerdings gibt es immer wieder Zweifel daran, ob die Hilfslieferungen tatsächlich bei den Menschen ankommen, die sie am dringendsten benötigen oder vielmehr Assad und seinen Truppen in die Hände spielen und welche Rolle Sanktionen dabei spielen.

Weltweit höchste Anzahl an Geflüchteten

Der Bürgerkrieg in Syrien hat zu einer der größten Fluchtbewegungen weltweit geführt: 6,8 Mio Syrer:innen haben das Land verlassen, meist in die Nachbarstaaten. Weitere 6,7 Mio sind in den vergangenen zwölf Jahren Bürgerkrieg innerhalb des Landes vertrieben worden. Die Hälfte der syrischen Bevölkerung befindet sich also auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung, eine sichere Rückkehr ist weiterhin nicht denkbar. Der Anteil der Syrer:innen an der globalen Anzahl Geflüchteter beträgt 20%.

Humanitäre Situation

Am 14. und 15. Juni 2023 hat die 7. Brüsseler Konferenz zur Unterstützung Syriens und der Region stattgefunden. An dieser haben neben der UN die EU-Institutionen, 57 Länder und über 30 internationale Organisationen teilgenommen. Insgesamt wurden dabei 4,6 Milliarden € für 2023 und weine weitere Milliarde € für 2024 zugesagt. Die Konferenz ist die wichtigste Geberkonferenz für Syrien und die Region. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind seit Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 mit fast 30 Mrd. € die größten Geber für Syrien und die Region.

9 von 10 Syrer:innen leben in Armut, 12,4 Millionen Menschen sind von Nahrungsmittelinstabilität betroffen. Menschen können sich selbst Grundnahrungsmittel kaum noch leisten, weil in den letzten zwei Jahren die Preise um 800% angestiegen sind. Der Norden Syriens leidet zudem unter massivem Trinkwassermangel und -verunreinigung. Dafür gibt es vielfältige Gründe. So haben durch den Klimawandel begünstigte Dürren zu historischen Wassertiefständen des Euphrat und anderer Flüsse geführt und Brunnen sind ausgetrocknet. Außerdem behindern teilweise bewaffnete Truppen den Zugang zu Quellen. Schlechtes Abwassermanagement führt zu Trinkwasserverschmutzung und Choleraausbrüchen

Grenzübergänge in Nordwest-Syrien

Ein grundlegendes Problem in Syrien ist der Zugang zu den Regionen, die nicht unter der Kontrolle des Assad-Regimes stehen, insbesondere im Norden des Landes. Durch ein Abkommen mit der syrischen Regierung konnten im September diesen Jahres Hilfslieferungen für den Nordwesten Syriens über den Grenzübergang Bab al-Hawa wieder aufgenommen werden. Zuvor hatte Russland die Verlängerung der Öffnung des Grenzposten zur Türkei am 11. Juli 2023 mit einem Veto im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen blockiert. Der Grenzposten wurde 2014 durch den Sicherheitsrat etabliert und muss seitdem alle 6 Monate verlängert werden. In dem von Rebellen beherrschten Gebiet sind 90% der 4,5 Millionen Einwohner:innen auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Daher ist der Übergang essentiell für die Versorgung der Bevölkerung im Nordwesten Syriens, unter anderem mit Nahrung und Medikamenten. Neben dem Grenzübergang Bab al-Hawa wurden auch die Öffnungen der Übergänge in Bab al-Salam and Al-Ra’ee, welche in Folge des Erdbebens im Februar erneut genutzt werden konnten, verlängert. Über die letzteren gelangen jedoch nur etwa 20 % der Hilfskonvois in die Region. Assads Verbündeter Russland versucht über die wiederholten Blockaden im Sicherheitsrat Druck auf die Rebellengebiete auszuüben und Assads Einfluss zu vergrößern. Die EU hat sich zu diesem Vorgehen in der Vergangenheit zu Recht kritisch geäußert,  da es die Bereitstellung humanitärer Hilfe für die vielen bedürftigen Menschen massiv einschränkt.

Annäherung von Erdogan und Arabischer Liga an Assad

Die Türkei und Syrien nähern sich seit dem Winter 2022 langsam wieder an. Gleichzeitig setzt die Türkei Luftangriffe auf kurdische Ziele im Norden Syriens fort, wobei auch die zivile Infrastruktur zerstört wird. Eine schnelle Normalisierung der Beziehungen gilt als eher unwahrscheinlich, da die zentralen Zielsetzungen nicht miteinander vereinbar erscheinen. Die Türkei bzw. Erdogan möchte, dass mehr syrische Geflüchtete nach Syrien zurückkehren, Assad verwehrt sich dem. Er möchte möglichst alle noch von Rebellen gehaltenen Gebiete zurückerobern, wohingegen die Türkei ihren Einfluss im Norden Syriens nicht verlieren will und bei einer Regime-Offensive neue Migrationsbewegungen befürchtet. 

Vor kurzem wurde Assad nach zwölf Jahren wieder in die Arabische Liga aufgenommen und hat im Mai an deren Gipfeltreffen in Saudi-Arabien teilgenommen. Die Mitgliedstaaten der Arabischen Liga erhoffen sich von der Wiederaufnahme eine größere Stabilität in der Region. Gleichzeitig ist davon die Rede, dass Assads Wiederaufnahme an Bedingungen geknüpft sei, die jedoch nicht öffentlich sind. Aus informellen Kreisen ist zu hören, dass Assad Investitionen der arabischen Staaten in den Wiederaufbau Syriens versprochen wurden, wenn er im Gegenzug viele der geflüchteten Syrer:innen wieder in Syrien leben lasse, einen Versöhnungsprozess einleite und die Produktion der Droge  “Captagon” einstelle. Dagegen hatte auch die EU im April 2023 Sanktionsmaßnahmen verhängt. Im Gegensatz zu anderen Staatenbunden sieht die EU keine ausreichenden Beweggründe für eine Normalisierung der Beziehungen mit Syrien. Das heißt auch, dass die Entwicklungszusammenarbeit weiterhin ausgesetzt ist.

Missbrauch Humanitärer Hilfe in Syrien

Der Großteil der Gelder, die die EU für Syrien bereitstellt, fließt direkt an UN-Organisationen, die vor Ort tätig sind. Nach dem verheerenden Erdbeben von Anfang Februar gab es erstmals Informationen, dass die UN möglicherweise ein Büro in dem von Rebellen gehaltenen Nordwesten Syriens eröffnen könnten, dies ist bislang jedoch nicht passiert. Stattdessen wird die Hilfe bisher über Büros in Gebieten unter Kontrolle des syrischen Regimes oder in der Türkei koordiniert. In der Vergangenheit gab es immer wieder Vorwürfe, dass das Assad-Regime UN-Organisationen vorschreibt, wo Hilfe geleistet werden darf, unter Androhung sonst Visa zu entziehen. Vorwürfe gegenüber den Vereinten Nationen gab es auch im Februar, als die Hilfe für die am stärksten vom Erdbeben betroffenen Gebiete nur sehr langsam anlief und die Bevölkerung tagelang auf sich gestellt war. Assad und sein Regime hatten wiederholt den Zugang zu Rebellengebieten verhindert, um die Bevölkerung auszuhungern und die Rebellen zur Aufgabe zu zwingen.

Assad kontrolliert Hilfe

Assad und Putin haben seit dem Erdbeben immer wieder internationale Sanktionen als Haupthindernis für humanitäre Hilfe dargestellt, dabei ist diese explizit von sämtlichen Sanktionsregimes ausgenommen. Nach einer  umfassenden Studie von Natasha Hall, hat das Assad-Regime die Hilfsstrukturen so aufgebaut, dass sie unter seiner alleinigen Kontrolle stehen. Nahezu alle internationalen Organisationen und Hilfseinrichtungen müssen unter Aufsicht des “Syrischen Arabischen Roten Halbmondes” und der “Syria Trust for Development” stehen. Das Regime kann somit flächendeckend Hilfsorganisationen und den Fluss von Hilfsgütern kontrollieren und zweckentfremden. Darüber hinaus missbraucht das Regime immer wieder den Wechselkursmechanismus und verändert ihn so, dass es sich große Teile finanzieller Hilfe in die eigene Tasche stecken oder loyalen Unterstützer:innen zuweisen kann.

Handlungsempfehlungen Humanitäre Hilfe in Syrien

Ein großer Teil der Menschen in Syrien ist auf Unterstützung über humanitäre Hilfe angewiesen. Hilfsgüter und finanzielle Hilfen dürfen jedoch nicht mit Vertragspartnern nach Syrien gebracht oder in Syrien verteilt werden, die bisher schon an Zweckentfremdungen beteiligt waren oder unter direkter Kontrolle des Assad-Regimes stehen. Darüber hinaus müsste die Zivilgesellschaft stärker in den Prozess der Allokation von humanitärer Hilfe eingebunden werden. Unabhängige und lokale zivilgesellschaftliche Organisationen müssen in größerem Umfang finanziell und technisch unterstützt werden. Der Einbezug von Refugee-led-organisations (RLOs) kann dazu einen großen Beitrag leisten. 

Hilfe an Bedingungen knüpfen

Auch “early recovery”, also, humanitäre Hilfe, die auch auf längerfristige Strategien setzt, um die Situation vor Ort zu verbessern, ist ein sinnvoller Ansatz in einem langjährigen Konflikt. Jedoch ist wichtig, dass dies mit strikten Bedingungen verknüpft ist. Dazu gehören ein prinzipienfester und konfliktsensibler Ansatz, fortlaufende, unabhängige Kontrolle und Rechenschaftspflicht, lokale Eigenverantwortung und ein „Gesamt-Syrien-Ansatz“.

Um Situationen wie im Geflüchtetenlager Rukban (Nord-West Syrien, Provinz Daraa) zu begegnen, wo tausende Syrer:innen seit Jahren ohne Zugang zu medizinischer Versorgung und humanitärer Hilfe in der Wüste an der jordanischen Grenze ausharren, muss Hilfe dauerhaft, ohne Zustimmung des Regimes oder UN-Mandat und ohne Unsicherheit über die Öffnung von Grenzübergängen geleistet werden können. Auch dafür muss sich die EU mit allen diplomatischen Mitteln einsetzen.

Meine 8 Ziele in der Entwicklungszusammenarbeit

Als stellvertretender Vorsitzender des Entwicklungsausschusses im Europäischen Parlament liegt ein Schwerpunkt meiner Arbeit auf der europäischen Entwicklungszusammenarbeit sowie der humanitären Hilfe, welche, anders als im Bundestag, ebenfalls dem Entwicklungsausschuss untergeordnet ist. 

Hierbei setze ich mich für eine EU ein, die globale Ungleichheiten bekämpft, auf Augenhöhe mit ihren Partner:innen agiert, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fördert und darüber hinaus auch offen ist für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung aber auch wegen Armut und den Folgen der Klimakrise nach Europa fliehen müssen. Auch wenn im Bereich der Kooperation mit dem Globalen Süden mehr Konsens als in anderen Politikfeldern der Europäischen Union herrscht, gibt es doch einige Punkte, mit denen ich unzufrieden bin oder bei denen ich als Teil der Grünen Fraktion mehr erreichen möchte

1: Stopp der Externalisierung und Konditionalisierung

Oberstes Ziel der Entwicklungszusammenarbeit der EU ist die Bekämpfung von Armut, dies ist so auch primärrechtlich (Art.21 (2) d) EUV)  festgelegt. Jedoch werden immer mehr Gelder, die eigentlich für diesen Zweck verwendet werden sollten, für die Externalisierung der europäischen Außengrenzen aufgewendet beziehungsweise an die Kooperation der Drittstaaten beim Migrationsmanagement geknüpft. Dies bedeutet, dass man Staaten, meist autokratischen Regimen, Gelder zur Verfügung stellt oder andere Vorteile wie beispielsweise Zollfreiheit gewährt, wofür die Regierungen im Gegenzug dafür sorgen sollen, dass weniger Menschen nach Europa gelangen. Beispiele dafür sind aktuell die Absichterklärung mit Tunesien zu Migrationsmaßnahmen oder auch die langjährige Finanzierung der libyschen Küstenwache. 

Mit dem NDICI-Global Europe Instrument für externe Ausgaben der EU wurden Anfang dieser Legislaturperiode verschiedene Instrumente der EU-Außenpolitik gebündelt und ein neues Regelwerk verfasst. Gegen den Willen der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) und des Rates konnten wir erwirken, dass nur etwa 10% der Gesamtausgaben für Migrationszwecke eingesetzt werden sollen. Wir haben ebenso dafür gekämpft, dass der Migrationsbegriff weit gefasst ist und auch die “Bekämpfung von Fluchtursachen” oder die Förderung legaler Migrationswege beinhaltet.

Trotzdem sehen wir, dass die Gelder aus dem NDICI vornehmlich für Migrationsmanagement verwendet werden. Menschen sollen also möglichst effektiv an der Flucht gehindert werden, anstatt dass wirksam Ursachen bekämpft werden. Dies führt nicht dazu, dass sich weniger Menschen auf den Weg nach Europa machen, aber dass mehr Menschen auf dem Weg Richtung Mittelmeer umkommen, als im Mittelmeer selbst. 

Auch wird zunehmend der Erfolg von entwicklungspolitischen Projekten daran gemessen, wie sich die Migrationsbewegungen Richtung Europa verändern. Auch hier geraten eigentliche Kernthemen wie Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung für Menschen vor Ort, etc. aus dem Visier und der Fokus und Bewertungsrahmen verschiebt sich. 

2: Fokus wieder verstärkt auf Bekämpfung von Armut richten

Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (official development aid, ODA) darf nicht vordergründig für geopolitische Zwecke der EU verwendet werden, beziehungsweise an die Umsetzung von Maßnahmen, mit denen Eigeninteressen verfolgt werden, geknüpft werden.  Der Fokus sollte grundsätzlich auf den eigentlichen Zielen der Entwicklungszusammenarbeit liegen sowie auf langfristigen strukturellen Transformationen, die zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele notwendig sind. Das sind primär Armutsreduktion, Investitionen in Gesundheitssysteme und Bildung, Klimaanpassung, Geschlechtergerechtigkeit und andere notwendige Aufgaben. Auch Ernährungssicherheit ist ein Thema, wo wir uns bei der Erreichung der SDG-Ziele leider auf keinem guten Weg befinden. Neben einer ausreichenden Finanzierung ist hier vor allem wichtig, dass die richtigen Maßnahmen getroffen werden, um Länder des Globalen Südens weniger von Nahrungsmitteleinfuhren abhängig zu machen und  eine höhere Resilienz in Hinblick auf den Klimawandel zu entwickeln, beispielsweise durch die Förderung von agroökologischen Verfahren.

Auch wenn die EU und ihre Mitgliedsstaaten weltweit die größten Geldgeber sind, liegen die Ausgaben für ODA weiterhin deutlich unter dem gesetzten Ziel von 0,7% des Bruttoinlandsprodukt oder werden nur erreicht, wenn auch im Inland für Geflüchtete verwendete Gelder mit abgerechnet werden, was zu der absurden Situation führt, dass die EU-Mitgliedsstaaten der größte Empfänger von EU-Entwicklungsgeldern ist. Die Gelder müssen vorrangig dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten benötigt werden, also in den am wenigsten entwickelten Ländern (least developed countries, LDCs) –  nicht dort, wo die EU die meisten Interessen verfolgt. 

3: Ambitionierte, nachhaltige und transparente Entwicklungsfinanzierung

Es gibt sehr viele verschiedene Akteure der Entwicklungsfinanzierung innerhalb der EU. Zur Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung kommen noch etliche nationale Entwicklungsbanken, in Deutschland beispielsweise die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) . 2019 gab es einen ambitionierten Vorstoß,  die externen Entwicklungsaktivitäten der EU über eine neu geschaffene Bank zu bündeln und europäische Prioritäten besser umsetzen zu können. Dieser Versuch scheiterte vornehmlich an den Mitgliedsstaaten, jedoch wurde ein neuer Zweig der Europäischen Investitionsbank, EIB Global, geschaffen, worüber Investitionen in Drittländern getätigt werden sollen. Hier sollte die Chance genutzt werden, dass bei der Finanzierung von Projekten mit hoher sozialer Rendite höhere Risiken eingegangen werden und das Expert*innen aus den Partnerländern bei der Projektplanung und -implementierung besser eingebunden werden. Dies gilt auch bei der Finanzierung von Global Gateway Projekten. Dabei muss sichergestellt werden, dass  diese Infrastrukturprojekte auch tatsächlich der lokalen Bevölkerung nutzen, es eine transparente Geldervergabe gibt und Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden.  

4: Kontroll- und Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments

Mit dem Inkrafttreten von NDICI-Global Europe ging der Europäische Entwicklungsfond (EEF), das bis dato wichtigste Finanzinstrument der Entwicklungszusammenarbeit auf europäischer Ebene in das EU-Budget über, wodurch dem Europäischen Parlament – zumindest in der Theorie – mehr Kontroll- und Mitwirkungsrechte zugesprochen wurden. Leider ist dies in der Umsetzung nicht unbedingt der Fall. 

Es ist extrem mühsam und oft nur durch die Unterstützung durch die Zivilgesellschaft möglich, einen Überblick über die einzelnen finanziellen Maßnahmen in Drittstaaten zu gewinnen, vor allem bei migrationsbezogenen Projekten. Hier brauchen wir mehr Transparenz.

Ich setze mich außerdem für einen besseren Respekt der menschenrechtlichen Komponente bei der EU-Finanzierung in Drittstaaten ein. Dazu gehören beispielsweise die Durchführung einer im Voraus durchgeführten menschenrechtlichen Folgenabschätzung – wie in der Verodnung verankert. Ebenso muss es ein fortlaufendes menschenrechtliches Monitoring bei Projekten zum Migrationsmanagement geben und die Ergebnisse davon dem Europäischen Parlament gegenüber offengelegt werden. 

5. Kohärenz, damit privatwirtschaftliche und geopolitische Interessen nicht weiter entwicklungspolitischen Interessen entgegensten

Oftmals stehen leider Handels- und geopolitische Interessen vor entwicklungspolitischen Zielen. So profitieren die Menschen in Staaten des globalen Südens oftmals nicht im gleichen Maße von Freihandelsabkommen und werden ausgebeutet, um günstig an Ressourcen und Arbeitskraft zu kommen. Hier gibt es innerhalb der EU theoretisch den Anspruch, Kohärenz zwischen den verschiedenen Gesetzen und Initiativen herzustellen. Jedoch fehlt in der Praxis leider oft der politische Wille, hier an einem Strang zu ziehen und wirkliche Arbeit zu machen, die ärmeren Ländern nachhaltig hilft. Es lassen sich hier zahlreiche weitere Beispiele nennen, wie in etwa der Export von in Europa nicht zugelassenen Pestiziden in den Globalen Süden oder die Förderung von kritischen Rohstoffen für den internen Markt ohne die Achtung des Rechts auf Konsultation und freier, vorheriger und informierter Zustimmung von indigenen Völkern. 

6. Den Fokus nicht zu sehr auf Public-Private Partnership lenken

Bei Public-Private Partnerships sollen Projekte von privaten Firmen umgesetzt und durch öffentliche Gelder unterstützt sowie das Risiko verringert werden – sogenanntes de-risking. Das Problem hierbei ist, dass gerade in den Regionen, wo Investitionen am nötigsten wären, diese Form der Umsetzung oft nicht funktioniert, da trotz der öffentlichen Unterstützung das Risiko zu hoch ist und damit unattraktiv für Privatinvestoren bleibt. Dies führt dazu, dass nur Projekte in bereits besser entwickelten Regionen umgesetzt werden und der Aspekt der Armutsreduktion für Menschen, die am meisten bedürftig sind, nicht umgesetzt werden kann.

7: Partnerschaft auf Augenhöhe – auf die Zivilgesselschaft im globalen Süden hören

Die Zivilgesellschaft und lokale Behörden im globalen Süden erhalten oftmals zu wenig Gehör und werden nur mangelhaft oder gar nicht in die Projekte einbezogen. Es muss vermehrt mit lokalen Vertreter:innen vor Ort gearbeitet werden, da die Beteiligung der Menschen vor Ort essentiell für einen langfristigen Erfolg von Entwicklungsprojekten ist. Wir brauchen mehr bottom-up Herangehensweisen, anstatt in neo-koloniale Muster zu verfallen.

Wichtig ist außerdem, dass genügend Gelder für Projekte zur Verfügung stehen, die zivilgesellschaftliche Organisationen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterstützen, außerdem müssen bürokratische Hürden verringert werden, damit auch kleinere lokale Organisationen von EU- Finanzierung profitieren können.

8. Geschlechtergerechtigkeit auf allen Ebenen fördern

Ziel 5 der nachhaltigen Entwicklungsziele für 2030 (SDGs) ist es, eine Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung zu befähigen. Auch hier hat es vor allem während der Zeit der Coronapandemie weltweite Rückschritte gegeben. Einer unserer Verhandlungserfolge zu NDICI-Global Europe, war die Festlegung eines 85% Ziels aller neuer Maßnahmen, um zu Geschlechtergerechtigkeit beizutragen, bei 5 % soll dieses Ziel an erster Stelle stehen. Hier muss die Kommission sicherstellen, dass dies keine reine Pflichtübung darstellt, sondern konkrete Ergebnisse hervorbringt. Darüber hinaus muss der Gender Action Plan III vollständig implementiert werden und zusätzliche Investitionen getätigt werden, um gegen den Rückschritt bei der Anerkennung und dem Schutz von reproduktiver Gesundheit und reproduktiven Rechten (SRHR) anzukommen.

Ich suche Verstärkung für mein Team!

Zur Unterstützung meiner parlamentarischen Arbeit im Europäischen Parlament suche ich für mein Berliner Büro zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine:n

Lokale Assistent:in (m/f/d) für Social Media und Öffentlichkeitsarbeit

Aufgaben

  • Unterstützung bei der Aufbereitung meiner parlamentarischen Arbeit für Social-Media
  • Unterstützung beim Erstellen von Inhalten für Social-Media-Kanäle (Instagram, Twitter, Facebook) sowie für die Homepage
  • Beobachtung der Nachrichtenlage und Trends zu relevanten Themen
  • Konzeption von Kommunikationsstrategien, Kampagnen und Social-Media-Formaten
  • Unterstützung bei der Organisation verschiedener Veranstaltungen
  • ggf. Begleitung bei Terminen und Veranstaltungen

Erforderliche Fähigkeiten

  • Erfahrung in der Content-Produktion für reichweitenstärkere Accounts
  • (Berufs-)Erfahrung in der Politik, gerne in einem politischen Büro oder politischen Verband
  • Die Fähigkeit, komplizierte politische Sachverhalte anschaulich und verständlich aufzubereiten und zu formulieren
  • Erfahrung, Kreativität und Freude an digitalem Storytelling
  • gute Kenntnisse in Bild- und Videobearbeitung
  • Gespür für unterschiedliche Kommunikationskanäle, Trends und Fettnäpfchen
  • Gute Organisationsfähigkeiten, strukturierte Arbeitsweise, Teamfähigkeit und Flexibilität
  • Politisches Urteilsvermögen, Interesse und Identifikation mit Zielen und Werten Grüner Politik
  • Interesse und Kenntnisse bezüglich europäischer Politik
  • Sehr gute schriftliche und mündliche Ausdrucksfähigkeit
  • Verhandlungssicher Deutsch und Englisch, weitere europäische Sprachen sind von Vorteil

Stellenumfang

  • Es handelt sich um eine befristete Teilzeitstelle (15-25 Stunden pro Woche) bis zum Ende der aktuellen 9. Wahlperiode (Juli 2024)
  • Hauptarbeitsort ist Berlin, Dienstreisen innerhalb Deutschlands sowie nach Brüssel oder Straßburg erforderlich
  • Mobiles Arbeiten ist für einen Teil der Arbeitszeit möglich

Bewerbungsverfahren

Sende deine Unterlagen –  maximal eine Seite Motivationsschreiben und maximal zwei Seiten Lebenslauf (beides in einem einzigen PDF-Dokument) – an erik.marquardt@europarl.europa.eu.
Gehaltsvorstellungen können gerne mit angegeben werden.
Bitte als E-Mail-Betreff „Bewerbung Social-Media“ angeben.


Bewerbungsschluss ist der Sonntag, 26. November.

Bewerbungen von Frauen*, Personen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderung sind ausdrücklich erwünscht.

Ich freue mich auf deine Bewerbung!

Einführung digitaler Schengen-Visa

Das EU-Parlament hat das Gesetz zur Einführung digitaler Schengen Visa am 18. Oktober verabschiedet. Zuvor hatte bereits im Juli der Innenausschuss in einer Abstimmung die mit dem Rat erreichten Verhandlungsergebnisse zur Einführung digitaler Schengen-Visa bestätigt und somit angenommen. Meine Rede zur Debatte im Plenum des Europäischen Parlaments findet ihr hier.

Geplant ist, ähnlich zum ESTA-System der USA einen QR-Code einzuführen, der den herkömmlichen Sticker im Reisepass ersetzen soll. Es wird eine gemeinsame Antragsplattform der EU eingerichtet, um die Beantragung und Bearbeitung online zugänglich zu machen. Somit wird die Antragstellung für 104 Länder vereinfacht und ermöglicht so einer großen Anzahl von Menschen eine erleichterten Zugang zu einem Schengen Visa und eine Entlastung der Auslandsvertretungen. Ein wichtiger Schritt um den Schengenraum fit für die Zukunft zu machen.

Als Schattenberichterstatter meiner Fraktion habe ich mich vor allem dafür eingesetzt, dass auch Menschen mit geringen Digitalkenntnissen und Antragsteller:innen aus Region mit instabilen Internetverbindungen Zugang zum digitalen Visumantragsverfahren haben. Außerdem war es mir wichtig, dass die persönlichen Daten der Antragsteller:innen unter starkem Schutz stehen. Den beschlossenen Text könnt ihr hier finden.

Ein Europa für alle?

Europapolitische Gespräche in gemütlicher Atmosphäre

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, in diesem Jahr bereits mehr als 2000 Tote im Mittelmeer, eine hohe Inflation, die das Leben für viele unbezahlbar macht, die massiven Folgen der Klimakrise, ein Rechtsruck in Europa: die Liste der Herausforderungen der Europäischen Union ist lang und wir müssen aufpassen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt in Europa nicht zu kurz kommt. 

Ist europäische Solidarität der Schlüssel, um aus den Krisen zu kommen? Ist ein Europa für alle machbar?

Der Europaabgeordnete Erik Marquardt ist in der Grünen Fraktion zuständig für die Themen Flucht, Migration und Menschenrechte. Er wird zum aktuellen Stand des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems berichten und der Frage nachgehen, welche Schritte auf dem Weg zu einem humanitären und menschenrechtsbasierten Asylsystem notwendig sind.

Rasmus Andresen ist Sprecher der deutschen Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied im Haushalts- sowie Finanzausschuss. Bei ihm wird es um soziale Fragen in der aktuellen Krisenpolitik und die Folgen der jetzigen Wirtschafts- und Finanzpolitik gehen.

Wir laden herzlich ein zu europapolitischen Gesprächen bei leckerem Essen und Getränken

Ein Europa für alle?

Am 14. September um 19:00 Uhr

im Baumhaus Berlin

Gerichtstr. 23, 13347 Berlin-Wedding

Anmeldung: 

Bitte meldet euch unter folgendem Formular an, da wir nur begrenzte Kapazitäten vor Ort haben.

Für alle Menschen, die nicht vor Ort teilnehmen können, wird es eine Möglichkeit geben, über einen Live-Stream zuzuhören. Den Link werdet ihr kurz vor Veranstaltungsbeginn per Mail erhalten, bitte meldet euch hierfür auch an. 

Die Paneldiskussion der Veranstaltung wird aufgezeichnet. 

Frontex zeigt kein Interesse an Crotone-Aufklärung

Aus gemeinsamen Recherchen von Lighthouse Reports, El País, Sky News, Le Monde, Süddeutsche Zeitung und Domani geht hervor, dass die italienische Regierung gelogen hat, was ihre Rolle bei dem Bootsunglück von Crotone betrifft, bei dem 94 Menschen, darunter 35 Kinder, ums Leben kamen, und dass Frontex geholfen hat, den Vorfall zu vertuschen. Ich habe mit 25 Abgeordneten aus vier Fraktionen eine Anfrage an die Kommission gesendet, welche am 3. August beantwortet wurde.

Kein Interesse an Aufklärung

Nun hat auch Frontex auf unsere Frage geantwortet. Konkret haben wir gefragt:

Wie bewertet Frontex die Enthüllungen, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass sie nicht mit den vor dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres abgegebenen Erklärungen ihres Exekutivdirektors Hans Leijtens vom 23. Mai 2023 im Einklang stehen?

Aus der Antwort von Frontex geht leider kein großes Interesse an einer Aufarbeitung aus. Der Exekutivdirektor behauptet lediglich, das Schiff habe sich in keiner Notsituation befunden, als es sechs stunden vor dem Vorfall von Frontex gesichtet wurde. Außerdem behauptet er, Frontex habe die italienischen Behörden korrekt informiert.

Auch der Presse werden Informationen vorenthalten

Frontex weigert sich zudem der Presse relevante Informationen über den Fall zu geben. So hat die Agentur bislang nur eine E-Mail veröffentlicht, die direkt nach dem Unglück versendet wurde. Dutzende weitere Dokumente bleiben unter Verschluss. Frontex begründet dies damit, dass es sich um wichtige Informationen zu laufenden Operationen handele. Außerdem behauptet die Agentur die Informationen könnten von Schleppern genutzt werden. Diese Argumente sind wenig überzeugend, weil Schlepper sich nicht primär danach richten, wo sich Frontex geade aufhält. Die Aufklärung des Unglücks, dass zu so vielen Toen führte, sollte hier Vorrang haben.

EU- Migrationsabkommen mit Tunesien

Am 16. Juli 2023 hat die Europäische Kommission – ohne Rücksprache mit dem Rat und dem Europäischen Parlament – ein Migrationsabkommen (“Memorandum of Understanding”) mit Tunesien unterzeichnet. Was daran falsch ist und warum Menschenrechte bei diesem Deal nicht im Vordergrund stehen, habe ich unter anderem im NDR erklärt und möchte ich in diesem Artikel noch einmal detailliert darlegen.

Aktuelle Lage in Tunesien

Unter dem amtierenden Präsidenten Kais Saied findet ein massiver Demokratieabbau in Tunesien statt. Saied verbreitet rassistische Parolen, macht Schwarze zu Sündenböcken der wirtschaftlichen Probleme in seinem Land und verbreitet die rechte Verschwörungstheorie vom “großen Austausch”, in dem er behauptet, es sei ein Komplott in Gange, „um die demografische Zusammensetzung Tunesiens zu verändern“. Diese Hetze gipfelte in Hetzjagden und pogromähnlichen Ausschreitungen gegenüber Schwarzen Menschen in Tunesien. 

Inzwischen sind die tunesischen Behörden offenbar zunehmend systematisch dazu übergegangen, Menschen in der Wüste auszusetzen und sich selbst zu überlassen. So wurde zuletzt erst eine Gruppe von über 80 Menschen von libyschen Grenzbeamten gerettet, die zuvor von Tunesien in der Wüste ausgesetzt wurden. In der Wüste Nordafrikas sterben womöglich mehr Menschen als auf dem Mittelmeer, es wird allerdings deutlich weniger dokumentiert – koordinierte Rettungsmissionen in der Wüste gibt es nicht.

Nach Zahlen des UNHCR hat Tunesien Libyen als größtes Transitland seit letztem Jahr abgelöst. Seit Anfang 2023 sind insgesamt 104.808 Schutzsuchende in Italien über den Seeweg angekommen. Nach Angaben der tunesischen Nationalgarde wurden von Januar bis Ende Juni 2023 34.290 Menschen daran gehindert, aus Tunesien zu fliehen, fast viermal mehr als im selben Zeitraum 2022.

Gleichzeitig ist die Situation für Geflüchtete in Tunesien sehr schlecht. Es gibt kein funktionierendes Asylsystem und auch sonst keinen Rechtsrahmen, um Asylsuchende zu schützen oder Aufenthaltstitel zu vergeben.

Bisherige Migrationszusammenarbeit mit Tunesien 

Es besteht eine langanhaltende Zusammenarbeit zwischen Tunesien und der EU im Migrationsbereich. 2012 wurde eine Privilegierte Partnerschaft geschlossen und ein Aktionsplan für den Zeitraum 2013 bis 2017 verabschiedet. Der Aktionsplan befasste sich mit dem Schutz von Asylsuchenden und Flüchtlingen sowie der Zusammenarbeit in den Bereichen Migration, Mobilität und Sicherheit. Parallel dazu wurde 2014 eine Mobilitätspartnerschaft eingerichtet. Diese sollte zum Abschluss von zwei Abkommen führen: das erste über die Rückübernahme und ein zweites über die Erleichterung der Visaformalitäten.

Verhandlungen über ein Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und Tunesien begannen im Jahr 2016. Tunesien hat mit sechs Mitgliedsstaaten (darunter Italien, Deutschland und Belgien) Rückübernahmeabkommen auf bilateraler Ebene unterzeichnet und allgemein respektiert; sie sind jedoch nur auf tunesische Staatsangehörige beschränkt. 

Selbst das Rückübernahmeabkommen mit Italien von 1998, das die Rückführung von Ausländern vorsieht, schließt die Rückübernahme von Drittstaatsangehörigen aus Mitgliedsstaaten der Union des Arabischen Maghreb nach Tunesien aus.

Bereits 2017 hatte Tunesien die Vorschläge der EU zum „Outsourcen“ des Migrationsmanagements abgelehnt, auch Saied betonte, dass Tunesien nicht “Europas Grenzschützer” werden möchte. Die EU finanziert jedoch seit Jahren Migrationsmaßnahmen (zur Grenzkontrolle) in Tunesien, u.a. über EU Trust Fund for Africa (auslaufend) sowie über NDICI – Global Europe. Dort wurden im Rahmen des “Multi-country” Migrationsprogramms für die südliche Nachbarschaft 2021-2027 2021 25 Millionen Euro zur Unterstützung des Aufbaus von Grenzverwaltungseinrichtungen bereitgestellt. Insbesondere für die Unterstützung der Ausbildungsinfrastruktur der tunesischen Garde Nationale Maritime, Unterstützung der Einrichtung einer Koordinierungsstelle für die Seenotrettung und Fertigstellung des integrierten Küstenüberwachungssystems. Darüber hinaus wurden 2021 14 Mio. EUR für die Unterstützung der Rückkehr von Tunesiern bereitgestellt. Hier ein ausführlicher Bericht dazu. 

Der Inhalt der “Absichtserklärung”

Am 11. Juni stellten bei einer Pressekonferenz Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte (als “Team Europe”) bei einem Besuch in Tunis das geplante Maßnahmenpaket vor, vorangegangen waren in den Monaten davor mehrere Besuche von verschiedenen Vertreter*innen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Von der Leyen unterstrich dabei die historische Partnerschaft zwischen der EU und Tunesien und betonte die Absicht mit Tunesien an einem “umfassendem Paket” zu arbeiten, das sich auf 5 Pfeiler stützt: 

  1. Unterstützung wirtschaftlicher Entwicklung – Mobilisierung von bis zu 900 Mio. € für makrofinanzielle Hilfe (geknüpft an IMF Kriterien/ IMF Kredit von 1,9 Mrd.), zusätzlich 150 Mio € sofortige Budgethilfe (Gelder die direkt in den Staatshaushalt fließen)
  2. Investment und Handel – Modernisierung Handelsabkommen, Investitionen in digitale Infrastruktur etc.
  3. Energie – Herstellung und Export von erneuerbarer Energie (u.a. ELMED Kabel)
  4. Migration – Unterstützung beim Grenzschutz und Schmuggelbekämpfung, Seenotrettung und Rückführungen, dafür 2023 Bereitstellung von 105 Mio. € durch EU Haushalt
  5. “People to people contacts”/ Völkerverständigung – Maßnahmen zu Austausch und Zusammenarbeit wie  Erasmus+, im Forschungsbereich, Berufsausbildungsmaßnahmen etc. 

Am 16. Juli wurde das entsprechende Memorandum of Understanding (MoU) unterzeichnet, das die oberen Punkte aufgreift und vertieft. Der rechtliche Status des MoU ist nicht klar, das Parlament wurde nicht eingebunden, was notwendig gewesen wäre, wenn es sich um ein Abkommen handeln sollte.

Makrofinanzielle Unterstützung

Zur makrofinanziellen Unterstützung werden im Text keine konkreten Zahlen genannt, genaueres dazu soll im dritten Quartal ‘23 diskutiert werden.

Hinsichtlich der Zusammenarbeit im Migrationsbereich sind primär die folgenden Punkte genannt:

  • irreguläre Migration soll bekämpft werden (entsprechend bisheriger Zusammenarbeit in den Bereichen Grenzschutz, Unterstützung Tunesische Küstenwache, Bekämpfung Schmuggel), legale Migrationswege sollen geöffnet werden
  • Tunesien soll bei der Abschiebung von Drittstaatsangehörigen (“irregular migrants”) in ihre Herkunftsländer unterstützt werden
  • Entwicklungszusammenarbeit soll auf Fluchtursachenbekämpfung abzielen (z.B. durch Ausbildungsmaßnahmen)
  • Saieds bereits im Vorfeld geäußerte Position, dass Tunesien kein “Aufnahmeland” ist und keinen Grenzschutz über eigene Grenzen hinaus durchgeführt wird, wird bekräftigt
  • Rückführungsmaßnahmen aus der EU beziehen sich lediglich auf tunesische Staatsangehörige, keine Drittstaatsangehörige
  • die EU soll Tunesien beim Abschluss von ähnlichen bilateralen Abkommen mit den Mitgliedsstaaten unterstützen 
  • für all diese Maßnahmen wird finanzielle Unterstützung durch die EU bereitgestellt 

Inwiefern diese Punkte aus dem MoU in der Praxis umgesetzt werden, welche Implikationen sie für die Menschenrechtslage in Tunesien haben oder welche Prioritäten gesetzt werden, lässt sich bislang nicht beantworten. Eine Folgenabschätzung bezüglich der Grund- und Menschenrechte hat nicht stattgefunden, auch eine Folgenabschätzung hinsichtlich der Frage, ob die angestrebten Ziele mit den entsprechenden Maßnahmen erreicht werden können, ist bislang nicht vorhanden.

Das weitere Verfahren 

Nach Artikel 218 AEUV bedürfen internationale Verträge, die die EU mit Drittstaaten abschließt, der Zustimmung des Europäischen Parlaments. Unterzeichnet wurde hier durch den Kommissar für Nachbarschaftspolitik Olivér Várhelyi und dem tunesischen Außenminister Mounir Ben Rijba ein “Memorandum of Understanding”. Die einzelnen Punkte sollen dann in unterschiedlichen Verfahren implementiert werden. Im Innenausschuss des Europaparlaments am 18.07.23 haben Abgeordnete verschiedener Fraktionen deutliche Zweifel artikuliert und ein Rechtsgutachten gefordert, um den Rechtscharakter des Abkommens zu klären. Das ist insbesondere deswegen relevant, weil unklar ist, welche Entscheidungsstrukturen überhaupt angewendet werden und welche Rolle das Parlament in diesem Verfahren hat.

Auch vom juristischen Dienst des Rates, dem Europäischen Auswärtigen Dienst und zahlreichen Mitgliedsstaaten soll es vehemente Kritik gegeben haben, dass das Abkommen ohne ihre Konsultation unterzeichnet wurde, rechtliche Schritte wurden sich vorbehalten.
Die angekündigte Makrofinanzhilfe in Höhe von bis zu 900 Mio. € behält, laut bislang informellen Informationen der Kommission, eine erfolgreiche Vereinbarung mit dem IWF als Vorbedingung und erfordert zudem einen Rechtsakt des Rates und des EP (ordentliches Gesetzgebungsverfahren). Die zusätzlich angekündigte Budgethilfe und weitere Maßnahmen können aus dem Haushalt 2023 über verschiedene Finanzierungsinstrumente bestritten werden, wobei dem EP keine formelle Rolle zur Entscheidung über die konkrete Mittelvergabe zufällt. Das Verfahren und die Geldvergabe sind allerdings bisher so intransparent, dass hier noch keine abschließende Bewertung möglich ist.

Bewertung 

Die meisten Maßnahmen im MoU sind nicht neu und stellen auch keine Kehrtwende in der Zusammenarbeit zwischen der EU und Tunesien bzw. der gesamten südlichen Nachbarschaft dar. Es ist ebenfalls wichtig, dass die EU sich nicht von der tunesischen Bevölkerung abwendet und viele der angekündigten Maßnahmen wie beispielsweise der Austausch über eine Einbindung von Tunesien im Erasmus+ Programm sind zu befürworten. Kritisch ist jedoch die de-facto Verknüpfung von finanzieller Unterstützung gegen Zusammenarbeit im Migrationsbereich. Auch wenn laut MoU menschenrechtliche Standards eingehalten werden sollen, ist dies nicht weiter ausdefiniert, eine menschenrechtliche Folgenabschätzung ist nicht vorgesehen. Die Erfahrung beispielsweise in Libyen zeigt, dass ohne konkrete Maßnahmen und Rechtsdurchsetzung in diesem Bereich in der Praxis massive Menschenrechtsverletzungen ungeahndet bleiben können und dass sie auch keinen Einfluss auf die Finanzierung der Zusammenarbeit haben. Es ist auch fraglich, wie die Einhaltung dieser Standards überprüft werden soll, wenn wir damit schon an unseren eigenen Außengrenzen scheitern. Die weitgehend bedingungslose Zusammenarbeit im Migrationsbereich und die Vergabe von Mitteln (insbesondere die Budgethilfe direkt für den Staatshaushalt) ohne klar definierte Konditionen senden ein verheerendes Signal. Das gilt insbesondere, weil in Tunesien immer mehr demokratische Strukturen abgebaut werden und grundlegende Rechte von Geflüchteten im Land nicht eingehalten werden. Die EU (“Team Europe”) versucht recht offensichtlich mit allen Mitteln, Migrationsbewegungen aufzuhalten, obwohl viele der Schutzsuchenden einen Anspruch auf Asyl in der EU hätten. Dabei greift man insbesondere auf Partner in Drittstaaten zurück, weil man Dinge erreichen will, die den EU-Staaten selbst menschenrechtlich nicht erlaubt sind – beispielsweise eine Ausschiffung von schiffbrüchigen Asylsuchenden in Tunesien.


Ein Hauptkritikpunkt der Vereinbarung ist aus meiner Sicht die geplante Unterstützung von Tunesien bei der Rückführung “irregulärer Migrant*innen” in ihre Herkunftsländer, während gleichzeitig ein nationales Asylrecht in Tunesien nicht umgesetzt  ist und somit sämtliche Verfahren beim UNHCR liegen. Anstelle Geld in (unwirksamen) Grenzschutz zu investieren und ein autokratisches Regime zu unterstützen, sollte vielmehr versucht werden, einen verbindlichen Rechtsrahmen und angemessene Strukturen für Schutzsuchende in Tunesien zu schaffen.

Insgesamt wurde hier bislang die Chance versäumt, ein transparentes und fortschrittliches Abkommen zu erreichen, das eine nachhaltige Verbesserung der Menschenrechtslage in Tunesien erreicht, legale Migrationswege und eine gemeinsame Partnerschaft schafft, die dazu beitragen könnte, dass das Sterben auf dem Mittelmeer endet. Auch wenn einige Punkte aus der Vereinbarung zu begrüßen sind, wird abzuwarten sein, ob diese Punkte tatsächlich umgesetzt werden, da viele Punkte aus solchen Abkommen in der Vergangenheit nicht umgesetzt wurden, sobald der Geld-für-Migrationsabwehr-Deal funktioniert hat.

Migrationsabkommen sollten in Parlamenten diskutiert und transparent ausgehandelt werden. In den letzten Jahren haben Regierungen und die EU-Kommission jedoch zunehmend Parlamente und die Öffentlichkeit gemieden, wenn neue Deals verhandelt wurden. Wo das hinführt, hat sich beim gescheiterten EU-Türkei-Deal und in Libyen gezeigt, wo wir laut UN-Kommission inzwischen Schlepperstrukturen mit Steuergeld unterstützen. So etwas sollte sich in Tunesien nicht wiederholen, es wiederholt sich aber gerade.

Man sollte einem Autokraten nicht hunderte Millionen überweisen, ohne einen klaren Plan zu haben. Der tunesische Präsident Kais Saied betreibt einen massiven Demokratieabbau, verbreitet Verschwörungstheorien und schürt rassistische Stimmungen. Mit dieser Abmachung unterstützt die EU nicht nur einen Autokraten, sie macht sich auch von ihm erpressbar. In den letzten Wochen haben sich die Hinweise verdichtet, dass Tunesien Geflüchtete ohne Wasser und Nahrung einfach in der Wüste aussetzt. Die Verantwortlichen in Tunesien nehmen den Tod von Menschen auf der Flucht in Kauf. Die EU-Strategie ist kurzsichtig und naiv, man glaubt sich mit Geld von der Verantwortung freikaufen zu können. Die europäische Asylpolitik sollte nicht von einer rechtspopulistischen Regierung in Italien und deren guten Kontakten zu einem Autokraten in Tunesien abhängig sein. 

Anfrage: Menschenhandel durch libysche Küstenwache

Ich habe der Kommission die Frage gestellt, wie sie dazu steht, dass die von ihr unterstützte libysche Küstenwache selbst in Schlepperei und Menschenhandel verwickelt ist. Darunter auch eine Person, die auf der Sanktionsliste des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen steht. 

In ihrer Antwort sagt die Kommission, dass die Menschenrechtsverletzungen und  Bedingungen in den Haftanstalten in Libyen Inakzeptabel seien. Trotzdem unterstützt die Kommission genau jene Einheiten, die Menschen in diese Lager bringen. Die Kommission weiß also, dass hier gegen elementare Menschenrechte verstoßen wird, ist aber nicht bereit, ihre Politik an diesen elementaren Menschenrechten auszurichten. Die Kommission spricht von der “Rettung von Menschenleben”, dabei handelt es sich in den meisten Fällen nicht um Rettungsaktionen, sondern um Pull-Backs, in denen Menschen gegen ihren Willen in das Bürgerkriegsland Libyen verschleppt werden, damit sie keinen Asylantrag in der EU stellen. 

Der Verweis darauf, dass es den Menschen in Libyen ohne EU-Hilfe noch schlechter ginge, ist ein Ablenkungsmanöver, da es in meiner Anfrage überhaupt nicht um Kooperation allgemein geht, sondern sehr konkret um die libysche Küstenwache. Die Behauptung der Kommission, dass es einen “soliden Überwachungsmechanismus” gebe, ist Wunschdenken. Die Kommission unterstützt eine Organisation, die laut UN gegen elementare Menschenrechte verstößt und meint, dass sie an diese Organisation Geld geben kann, ohne damit die Verletzung von elementaren Menschenrechten zu unterstützen. Außerdem herrscht hier eine massive Intransparenz gegenüber dem Parlament, weil Evaluierungen und Monitoring nicht offen gelegt werden. Trotz wiederholter Anfragen haben wir Abgeordneten keine genaue Übersicht zu den EU-Geldern für Libyen.

Alle meine Anfragen und die Antworten der Kommission findet ihr hier.

Meine Anfrage

Aus dem jüngsten Bericht der unabhängigen Erkundungsmission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen zu Libyen geht hervor, dass Beweise vorliegen, wonach Einheiten und Angehörige der sogenannten libyschen Küstenwache mit Schleusern zusammenarbeiten und selbst am Menschenhandel beteiligt sind, und zwar insbesondere in der westlichen libyschen Region Zawiya. So wurde aufgedeckt, dass die libysche Küstenwache in diesem Gebiet mit der Haftanstalt al-Nasr in Zawiya unter einer Decke steckt. Der Befehlshaber der Einheit, Abd al-Rahman al-Milad (Spitzname „Bija“), steht seit Juni 2018 wegen Beteiligung am Menschenhandel auf der Sanktionsliste des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.

1) Wann hat die Kommission davon erfahren und welche Informationen liegen ihr über diese geheimen Absprachen in der Region Zawiya vor?

2) Welche Maßnahmen wird die Kommission als Reaktion auf die zutage geförderten Erkenntnisse ergreifen und wird dies dazu führen, dass die Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache oder die finanzielle Unterstützung für diese Organisation eingestellt wird?3) Welche Schritte können wir von der Kommission nach der Veröffentlichung dieses Berichts in Bezug auf Italien angesichts der Zusammenarbeit des Landes mit Libyen und der sogenannten libyschen Küstenwache erwarten?

Antwort von Olivér Várhelyi im Namen der Europäischen Kommission (21.8.2023)

Angesichts der komplexen Lage in Libyen werden die von der EU finanzierten Programme in Libyen nach dem Grundsatz der Schadensvermeidung und mit einem konfliktsensiblen und rechtebasierten Ansatz durchgeführt, wobei die Achtung der Menschenrechte und die Einhaltung der Sorgfaltspflicht wie auch der restriktiven Maßnahmen gewährleistet wird. Die Kommission achtet sehr genau darauf, dass Personen, die auf der Sanktionsliste des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen stehen, keine EU-Mittel zugutekommen. Die Unterstützung der EU und Italiens für die libysche Küstenwache spielt eine entscheidende Rolle bei der Rettung von Menschenleben auf See. Die Menschenrechtsverletzungen in Libyen und die Bedingungen in den Haftanstalten sind inakzeptabel.

Entsprechend den strategischen Leitlinien des Europäischen Rates arbeitet die Kommission weiterhin mit den libyschen Behörden zusammen, um Kapazitäten für ein wirksames Grenzmanagement aufzubauen, das im Einklang mit internationalen Standards und der Achtung der Menschenrechte steht, um Menschenleben auf See zu retten und Schleuser- und Menschenhändlernetze zu bekämpfen. Trotz der schwierigen Lage in Libyen würde sich die Situation der Bedürftigsten nicht verbessern, wenn die EU-Hilfe in dem Land vorübergehend eingestellt oder die EU sich dort ganz zurückziehen würde.

Die EU verfügt zusammen mit ihren Durchführungspartnern über einen soliden Überwachungsmechanismus für die Hilfe, die für Libyen bereitgestellt wird. Ferner wird eine Überwachung durch Dritte durchgeführt, die sich insbesondere auf die Einhaltung des Grundsatzes der Schadensvermeidung konzentriert. Des Weiteren führt die Kommission Ad-hoc-Evaluierungs- und Monitoringmissionen durch. Was die Bereitstellung von Such- und Rettungsschiffen für die libysche Küstenwache betrifft, so erfolgte die Lieferung im Anschluss an die Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen Italien und Libyen, die Garantien für die Achtung der Menschenrechte und die Überwachung der Nutzung der Schiffe beinhaltet.

5 Milliarden € der EU an Griechenland für Migration und Asyl – und trotzdem solche Zustände?

Seit dem Jahr 2014 hat die Europäische Union Griechenland insgesamt 4,96 € Milliarden für die Bewältigung von Migrations- und Grenzaufgaben zur Verfügung gestellt.

Die Unterstützung Griechenlands durch die Europäische Union erfolgt durch vier Töpfe: den Asylum, Migration and Integration Fund (AMIF), der Internal Security Fund (ISF), das  Emergency Support Instrument (ESI) und das Border Management and Visa Policy Instrument (BMVI). Der größte Topf ist der AMIF über den im aktuellen Mehrjährigen Finanzrahmen insgesamt 9,88 € Milliarden zur Verfügung gestellt wurden. Griechenland wurden seit 2014 aus diesem Topf 2,75 € Milliarden zugesprochen. Über diesen Haushaltsposten werden EU-Mitgliedstaaten unterstützt zum Zweck des effizienten Managements von Migration und der Implementierung und Stärkung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Der ISF stellt Geld für das Management von Visum und Einreise, Kontrolle der Außengrenzen, aber auch Rückführungen, beispielsweise durch Frontex, bereit. Hier wurde Griechenland seit 2014 fast eine halbe Milliarde € bereitgestellt. Das ESI dient der Unterstützung für Notlagen und gibt Geld für humanitäre Hilfe, der Anteil betrug 668,9 € Millionen. Das BMVI hat zur Aufgaben einen europäischen Grenzschutz an den Außengrenzen der Union zu gewährleisten. Der Großteil der regulären Gelder aus AMIF, ISF, ESI und BMVI fließt an die nationalen Behörden, also an die griechischen Behörden, die sich mit Migration und Asyl befassen, so beispielsweise das griechische Ministerium für Migration und Asyl. 

Neben den regulär vorgesehenen Bedarfen können zusätzlich für weitere kurzfristige Notfallbedarfe (“Emergency Assistance”) Gelder aus AMIF und ISF mobilisiert werden. Die geflossenen Gelder zwischen 2014 und 2020 aus der Emergency Assistance stellen im Fall von Griechenland die größte Summe alle Gelder, insgesamt 2,07 € Milliarden. 1,25 € Milliarden aller Gelder der Emergency Assistance sind an internationale Organisationen geflossen, 820 € Millionen an die griechischen Behörden.

Wie viel Gelder sind tatsächlich geflossen?

Tatsächlich erhielten die griechischen Behörden 2,59 € Milliarden, unter dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFF) von 2014 bis 2020. Dabei ist es besonders wichtig, anzumerken, dass 3,38 € Milliarden zugesprochen wurden, aber ein Großteil davon nicht ausgegeben wurde. Dies zeigt deutlich, dass die Gelder vorhanden sind, um die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln und auf dem Festland angemessen und würdig zu versorgen, jedoch der politische Wille fehlt, dies auch so umzusetzen. 

Noch werden in Griechenland grundlegende Anforderungen der EU-Aufnahmerichtlinie nicht eingehalten wie zum Beispiel das Recht auf Bildung der Kinder. Auch die Essensversorgung ist nach wie vor problematisch und ungenügend. Genug Geld wäre tatsächlich da, um die Probleme nachhaltig zu lösen. Selbst der Europäische Rechnungshof als EU-eigene Behörde kam in seinem Jahresbericht 2019 zu ähnlichen Schlussfolgerungen, ohne sie explizit so zu benennen. Es kam nicht zu expliziten Veruntreuungen der Gelder, jedoch wurden einige Gelder aus der Emergency Assistance für längerfristige Projekte und Strukturen zweckentfremdet, obwohl diese nur flexibel für kurzfristige Notfallbedarfe eingesetzt werden dürfen. Außerdem bemängelte der Rechnungshof die ineffiziente Nutzung der Gelder und somit die Diskrepanz zwischen den EU-Zielen und den tatsächlichen Ergebnissen – sprich das Fehlen des politischen Willens. Nun fließen die Gelder aber nicht nur an die griechischen Behörden, sondern auch an internationale Organisationen. Aber auch mehr Gelder an internationale Organisationen sind nicht zwingend hilfreich, wenn die griechische Regierung deren Arbeit blockiert und kriminalisiert, wie es vor allem auf den griechischen Inseln der Fall ist. 

Wer sich genauer mit den veranschlagten und geflossenen Geldern und dem MFF 2014-2020 befassen möchte, findet hier eine Übersicht von der Europäischen Kommission. Sie stellt auch dar, wie viele Gelder an die unterschiedlichen internationalen Organisation sowie an welche griechischen Behörden sie geflossen sind. 

Eine Betrachtung der Zahlen macht eines nochmal sehr deutlich. Knapp 5 Milliarden € wurden Griechenland für Migration und Asyl seit dem Sommer der Migration 2015 zur Verfügung gestellt. Die staatlichen Behörden und Organisationen haben eigentlich genügend Mittel, um Menschen würdig zu behandeln und zu versorgen. Aber es scheint politisch nicht gewünscht zu sein. Wieviel Geld unter dem aktuellen Finanzrahmen tatsächlich abgerufen wird, bleibt noch abzuwarten.

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