„Ich arbeite bei der Grenzpolizeistation [Name redigiert] und bin seit langem im Grenzschutz. Einige von uns haben nicht mehr den Willen und die Kraft zuzusehen, was mit diesen Menschen gemacht wird. Wir schicken sie jeden Tag nach Bosnien-Herzegowina zurück, ohne Papiere, ohne Bearbeitung, egal wer es ist, Frauen, Kinder, alles egal. Es gibt kein Asyl, es existiert nicht – außer in Ausnahmesituationen, wenn Journalisten da sind.“
Ein kroatischer Grenzschutzbeamter
Unsere grüne Fraktion im europäischen Parlament hat eine Studie über die Aus- und Weiterbildungsprogramme von Grenzbeamt:innen erstellt. Untersucht wurden die Programme in Italien, Griechenland, Ungarn und Kroatien sowie von Frontex und CEPOL (European Union Agency for Law Enforcement Training). Autorin der Studie ist die Sozialpsychologin Helena Bakic. Ziel der Studie war es, herauszufinden, ob die Ausbildungen ausreichend Wissen über Menschenrechte und ihre Bedeutung für die Arbeit an den Grenzen vermitteln und wie die Ausbildungen verbessert werden können.
Es kommt leider regelmäßig zu massiven Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen der EU: Die Berichte über Pushbacks und Rückführungen von Menschen an Orte, an denen ihnen Folter, Gewalt und Tod drohen, reißen nicht ab. Dies widerspricht internationalem Recht. Doch wissen alle Grenzbeamt:innen überhaupt, welche Befehle sie ausführen dürfen und wann Menschenrechte verletzt werden?
Damit Menschenrechte an den Grenzen eingehalten werden können, müssen Grenzpolizist:innen mit dem Recht und ihrer besonderen Verantwortung vertraut sein. Sie sind täglich mit schutzbedürftigen Menschen in Kontakt und häufig der erste Kontakt von Schutzsuchenden mit der EU überhaupt. Das Wissen über die eigene Arbeit und deren rechtliche Grundlagen sind die Voraussetzung für die Erfüllung ihrer Aufgaben. Die Beamt:innen müssen wissen, ob Befehle oder ihr Handeln rechtswidrig sind. Um Menschen vor Gewalt zu schützen, braucht es klare Aufgaben und ein fundiertes Wissen über Menschenrechte. Dies gilt besonders für den Bereich Asyl und Migration, der direkt mit Menschenrechten zu tun hat.
Are we teaching them right? – Ergebnisse der Studie
Kurze Ausbildungszeiträume der Grenzbeamt:innen von sechs oder weniger Monatenerschweren eine angemessene Ausbildung. Einige Staaten rekrutieren auch Freiwillige ohne besondere Qualifikationen. Andere setzen die Bereitschaftspolizei an der Grenze ein. Auch von Ausbildenden werden keine Kenntnisse über Menschenrechte vorausgesetzt.
Das Thema wird oft trocken und theoretisch vermittelt. Dabei ist Pädagogik wichtig für eine gute Ausbildung. Inhalte müssen so vermittelt werden, dass sie umgesetzt und angewandt werden können. Sechs Monate Waffentraining bei minimaler Schulung über den rechtlichen Rahmen, in dem sich diese Arbeit bewegt, sind nicht genug.
Menschenrechte werden nur marginal in den Bildungsprogrammen der Grenzbeamt:innen thematisiert: Der Anteil variiert zwischen 0,4 und 2,5 % der gesamten Ausbildung. In einigen Mitgliedstaaten sind Menschenrechte gar kein Bestandteil der Ausbildung. Obwohl es zu über 50,000 Pushbacks und zahlreichen Berichten von unmenschlicher Behandlung von Schutzsuchenden kam, sind Menschenrechtsverletzungen wie Massenzurückschiebungen an den Außengrenzen bisher kaum Thema in den Ausbildungen. Auch Rassismus und Diversität sowie Kommunikation an den Grenzen werden kaum oder gar nicht thematisiert.
NGOs werden nur sporadisch bis gar nicht involviert. Dabei könnten auch diese zu einer wirksamen und menschenrechtsorientierten Migrationspolitik an den Grenzen beitragen. Sie verfügen über wichtiges Wissen und könnten neue Ansätze einbringen.
Trotz dieser bitteren Bilanz haben sich viele Ausbildungsprogramme in den letzten Jahren verbessert. Das gemeinsame Kerncurriculum für die Grundausbildung der Grenz- und Küstenwache in der EU (Common Core Curriculum, CCC) wurde 2003 von Frontex entwickelt und zuletzt 2017 überarbeitet. Es setzt Mindeststandards für die Ausbildung von Grenzbeamt:innen. Darüber hinaus gibt es gute Richtlinien und Handbücher für deren Ausbildung wie das UN-Handbuch von 1997 und das Schutzschulungshandbuch des UNHCRs für europäische Grenzbeamt:innen. Letzteres wurde insbesondere mit Blick auf den Schutz der Rechte von Schutzsuchenden im Kontext gemischter Migrationsbewegungen entwickelt. Außerdem wurde eine umfangreiche grundrechtsbasierte Polizeiausbildung entworfen.
Leider werden diese Programme kaum angewandt und nur ein geringer Anteil der Grenzbeamt:innen nimmt daran teil. Der jährlich stattfindenden Kurs von CEPOL für Strafverfolgungsbeamt:innen über Polizeiethik und Diversity Management etwa hat das Ziel, die Achtung der Grundrechte in der Strafverfolgungsarbeit zu verbessern. An diesem Kurs nahmen in den letzten vier Jahren zwei [!] Grenzbeamt:innen teil.
Wie weiter?
Existierende Programme müssen evaluiert und überarbeitet werden. EU-Mitgliedstaaten, Frontex und CEPOL sollten Menschenrechten einen größeren Platz in ihren Ausbildungsprogrammen zukommen lassen. Ein Schwerpunkt sollte auf die Antidiskriminierung, Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen und auf den Schutz der Grundrechte gelegt werden. Die Ausbildung sollte durch Expert:innen erfolgen.
Auch die Lehrmethoden sollten überarbeitet werden und das Fachwissen und die Perspektiven von NGOs in die Ausbildung einbezogen werden. Eine Verbesserung der Menschenrechtsbildung in der Ausbildung schützt die Beamt:innen davor in rechtlichen Grauzonen Straftaten zu begehen und selbst zum Ziel von Strafverfolgung zu werden.
Wie wichtig das ist, belegt die Studie anhand zahlreicher Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch Grenzbeamt:innen. Es liegt der Verdacht nahe, dass diese systematisch stattfinden. Dass Frontex Menschenrechtsexpert:innen nicht einstellt, obwohl die Agentur dazu verpflichtet ist, veranschaulicht, welche Bedeutung dem zugesprochen wird. Frontex ist die größte Agentur der EU und wird beständig ausgebaut. In einer Union, die sich als demokratische Gemeinschaft versteht und die vorgibt, Menschenrechte zu verteidigen, muss sichergestellt werden, dass dies auch in der Praxis geschieht.
Ausblick
Die genaue Analyse der verschiedenen Programme der Mitgliedstaaten und Agenturen bietet spezifische Verbesserungsmöglichkeiten, angepasst an die jeweilige Situation und auf Grundlage des CCC. Da Grenzpolitik zunehmend europäisch koordiniert wird, müssen wir diese im Parlament genauer untersuchen. Die Diskussion um Grenzpolitik und die Wahrung der Menschenrechte muss verstärkt geführt werden, um weitere Pushbackskandale und weiteres rechtswidriges Verhalten an den Grenzen zu unterbinden und vorzubeugen.
Exkurs nach Deutschland: Rassismus bleibt strukturelles Problem
Nicht nur bei Grenzpolizist:innen ist fehlendes Bewusstsein über Diskriminierung und diskriminierungsarme Praxis zu verzeichnen. Viele Polizeischüler:innen berichten über eine dominante rechte und autoritäre Kultur innerhalb der Ausbildungsstrukturen. Es gibt zahlreiche „Einzelfälle“ faschistischer Chatgruppen bei der deutschen Polizei, unzählige Fälle von Racial Profiling, rechte Terrornetzwerke in deutschen Sicherheitsbehörden, unaufgeklärte Todesfälle in deutschen Zellen und mehr. Der Innenminister weigert sich, eine Studie über Rassismus in der Polizei durchzuführen. Weil er Angst vor dem Ergebnis hat und weil er weiß, dass Rassismus ein strukturelles Problem ist.
Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften der Akademie der Polizei in Hamburg, plädiert für mehr politische Bildung in der Polizei und eine aufmerksamere Umgebung. Auch Polizeiforscher Hans-Gert Jaschke fordert eine offene Kultur mit mehr Fortbildungsmöglichkeiten innerhalb der Polizei.
Eine schlechte Ausbildung kann nicht durch erweitertes Monitoring kompensiert werden. Monitoring ist wichtig, um von Grundrechtsverletzungen zu erfahren. Im ersten Schritt muss aber dafür gesorgt werden, dass es zu keinen Missachtungen der Grundrechte kommt. Daher sollte man an der Ausbildung ansetzen. Gegen vorurteilsbehaftetes Agieren hilft die aktive Auseinandersetzung damit, besonders innerhalb der Aus- und Weiterbildungsprogramme.
Die ganze Studie könnt ihr hier auf Deutsch und Englisch nachlesen. Die Zusammenfassung und die wichtigsten Kapitel der Studie sind auch auf Französisch verfügbar.
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