EU-Staaten kaschieren Entrechtung von Schutzsuchenden mit Mini-Aufnahmeprogramm

Pressemitteilung von Erik Marquardt vom 10.06.2022

Heute treffen sich die Innenminister:innen der EU-Staaten in Luxemburg, um über die Reaktion auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, Frontex, die Schengen-Reform und Asyl und Migration zu sprechen. Dabei droht eine massive Beschneidung des Asylrechts. Im Windschatten der Ukraine-Krise sollen die Rechte von Schutzsuchenden an den Außengrenzen weiter ausgehöhlt werden. Die fortdauernden massiven Menschenrechtsverbrechen an den EU-Außengrenzen werden erneut nicht deutlich angesprochen. Der im Gegenzug angedachte Solidaritätsmechanismus wird dabei nicht in der Lage sein, der weitgehenden Entrechtung von Schutzsuchenden etwas entgegenzusetzen.

Erik Marquardt, asylpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, kommentiert:

“Die kleinen Erfolge bei den Änderungen im Schengener Grenzkodex hinsichtlich der Binnengrenzkontrollen werden im Rat zu Lasten einer deutlichen Asylrechtsverschärfung erkauft. Die konservativen Hardliner unter den EU-Regierungen setzen sich durch, indem die Praxis von systematischen Menschenrechtsverletzungen durch Gesetzesänderungen normalisieren wollen.

Inzwischen werden auch syrische Geflüchtete oder türkische Oppositionelle an den Außengrenzen entrechtet und allzu oft misshandelt. Durch die angedachten Änderungen im Schengener Grenzkodex wird Mitgliedsstaaten wie Polen, Griechenland oder Kroatien nun eine weitere Rechtfertigung für diese Verbrechen gegeben. Eine “Instrumentalisierung von Migration” soll rechtfertigen, dass Menschen wie an der belarussischen Grenze keinen Zugang mehr zu Asylverfahren haben. Man kann nur hoffen, dass das Europäische Parlament der zunehmenden Rechtlosigkeit an den Außengrenzen einen Riegel vorschiebt.

Koalitionsvertag muss auch auf europäischer Ebene vertreten werden

Vom Kanzleramt und dem Bundesinnenministerium erwarte ich, dass die Inhalte des Koalitionsvertrags auf europäischer Ebene vertreten werden. Im Moment entsteht der Eindruck, dass eine Verstetigung des Leids an den Außengrenzen hingenommen wird, statt Menschenrechtsverletzungen offen zu kritisieren. Eine Koalition der Willigen darf nicht durch eine Entwürdigung von Schutzsuchenden an den Außengrenzen erkauft werden.

Auch wenn man offenbar erreicht hat, dass einige EU-Staaten einem Relocation-Verfahren zustimmen und eine geringe Anzahl von Asylberechtigten umverteilt wird, kann das die vom Rat beabsichtigten Asylrechtsverschärfungen nicht aufwiegen. Durch ein Mini-Aufnahmeprogramm wird die massive Entrechtung von Schutzsuchenden kaschiert. Das gescheiterte Dublin-System wird durch die heutigen Beschlüsse verstetigt – eine ernsthafte Reform wird immer unwahrscheinlicher. Wenn immer weniger Menschen Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren bekommen, hilft auch keine Umverteilung einer kleinen Minderheit der Schutzberechtigten, um das auszugleichen.

Umverteilung bleibt hinter Malta-Mechanismus zurück

Allein im letzten Jahr sind über 30.000 anerkannte Schutzsuchende aus Griechenland nach Deutschland gekommen und mussten erneut Asyl beantragen, weil sie aus Griechenland vertrieben wurden. Deutschland will nun 3.500 Personen geordnet aufnehmen. Das bleibt hinter der Regelung zurück, die unter der Großen Koalition im sogenannten Malta-Mechanismus vereinbart wurde – und das obwohl im Koalitionsvertrag eine Weiterentwicklung des Mechanismus vereinbart wurde.

Im Gegenzug zum Solidaritätsmechanismus sollen nun auch noch Vorprüfungen an den Außengrenzen eingeführt werden, die den Zugang zu Asylverfahren weiter erschweren. Man kann die Tropfen auf den heißen Stein nur loben, wenn parallel kein Feuer unter dem Stein entfacht wird. Heute könnte ein schwarzer Tag für das Europäische Asylrecht sein, hoffentlich kann das Europaparlament die Normalisierung des Unrechts an den Außengrenzen noch verhindern.”