Anfrage: Verwendung der EU-Hilfe für Griechenland und Italien im Asylbereich

Um als Europaabgeordneter meine parlamentarische Kontrollfunktion ausüben zu können, habe ich die Möglichkeit, Anfragen an die EU-Kommission stellen. Die Kommission muss diese Fragen beantworten.
Am 04.03.2020 habe ich von der Kommission Antworten auf folgende Fragen bekommen:

Anfrage zur schriftlichen Beantwortung E-004414/2019 an die Kommission

Betrifft: Fragen zur Verwendung der EU-Hilfe für Griechenland und Italien im Asylbereich im Anschluss an den Bericht Nr. 24/2019 des Europäischen Rechnungshofs

In seinem Prüfungsbericht vom 13. November 2019 über die Unterstützung der Europäischen Union für Griechenland und Italien im Asylbereich wies der Europäische Rechnungshof auf eine erhebliche Diskrepanz zwischen den angegebenen Zielen und den erzielten Ergebnissen hin, insbesondere in Bezug auf dringende Umsiedlungen und langwierige Asylverfahren Die von der EU bereitgestellten Mittel scheinen unangemessen verteilt zu sein, was zu menschenunwürdigen Lebensbedingungen in den Hotspots führt

  1. Wie erklärt die Kommission die Diskrepanzen zwischen Zielen und Ergebnissen und wie beabsichtigt sie, hier Abhilfe zu schaffen?
  2. Wie erklärt sie, warum Frontex-Bedienstete in unterbesetzte Hotspots entsandt werden, während es anderen in erheblichem Umfang an Ressourcen mangelt, und wie erklärt sie, dass das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) unterbesetzt ist, während Frontex über genügend Personal verfügt oder sogar überbesetzt ist?
  3. Trotz ihres Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments wurde mehreren Abgeordneten der Zugang zu den griechischen Hotspots verwehrt, obwohl diese aus dem EU-Haushalt finanziert wurden, für den das Parlament zuständig ist. Wie erklärt die Kommission, warum es den Mitgliedern des Europäischen Parlaments nicht möglich ist, die Situation vor Ort und die Verwendung von EU-Mitteln festzustellen, und was wird sie vorschlagen, damit alle Mitglieder des Europäischen Parlaments Zugang zu allen Aufnahmeeinrichtungen haben, die EU-Mittel erhalten?

E-004414/2019 (04.03.2020)
Antwort von Kommissarin Ylva Johansson
im Namen der Europäischen Kommission:

Die Kommission kann den Schlussfolgerungen der Damen und Herren Abgeordneten zum Bericht Nr. 24/2019 des Europäischen Rechnungshofs vom 13. November 2019 nicht zustimmen und verweist auf ihre schriftliche Stellungnahme zu einzelnen Punkten des Berichts[1].

Während das Management der Außengrenzen und der Asylverfahren in erster Linie in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, war und ist die Unterstützung der Kommission und der EU-Agenturen seit 2015 von entscheidender Bedeutung für die Verbesserung der Migrationssteuerung in Griechenland und Italien.

Wie in der Antwort der Kommission dargelegt, hat das Hotspot-Konzept dazu beigetragen, die Registrierung, Identifizierung und Sicherheitsüberprüfung der Migranten unter schwierigsten und sich ständig ändernden Umständen zu verbessern. Die Umverteilung von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien (unter Beteiligung von 25 Mitgliedstaaten), in deren Rahmen nahezu 100 % der für eine Umsiedlung in Betracht kommenden und registrierten Personen umgesiedelt wurden, war ein Zeichen europäischer Solidarität[2].

Die Kommission ist nun für die Bereitstellung operativer und finanzieller Unterstützung der unter Druck stehenden Mitgliedstaaten besser gerüstet und hat Griechenland und Italien in beispielloser Weise unterstützt[3].

Die Kommission schließt sich den Empfehlungen des EuRH in seinem Bericht an und arbeitet bereits an ihrer Umsetzung.

Mit der Entsendung von Beamten der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) unterstützt die Kommission eine flexible Kombination aus ständigen und mobilen Teams, damit Ausschiffungen effizient abgedeckt werden können[4]. Das Personal des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) wird seit 2015 erheblich verstärkt und in den kommenden Jahren auf bis zu 500 Mitarbeiter aufgestockt, sofern die Agentur gemäß der vorgeschlagenen Verordnung über die Asylagentur vergrößert wird[5].

[1] Sonderbericht Nr. 24/2019: Zeit für raschere Maßnahmen zur Beseitigung der Unterschiede zwischen Zielen und Ergebnissen siehe die Antwort der Kommission, veröffentlicht auf der Website des Rechnungshofs unter https://www.eca.europa.eu/de/Pages/DocItem.aspx?did=52087.
[2] Siehe Antwort der Kommission, S. 10 ff.
[3] Siehe https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/homeaffairs/files/what-we-do/policies/european-agenda-migration/201909_managing-migration-eu-financial-support-to-greece_en.pdf und https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/homeaffairs/files/what-we-do/policies/european-agenda-migration/201905_managing-migration-eu-financial-support-to-italy_en.pdf.
[4] Siehe Antwort der Kommission, S. 3 f.
[5] Siehe auch EASO-Pressemitteilung vom 7. Januar 2020: https://www.easo.europa.eu/news-events/easo-operations-double-size-year.  

Pushbacks in Spanien: EGMR fällt realitätsfernes Urteil

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Abschiebung zweier Flüchtlinge ohne Asylverfahren als rechtmäßig eingestuft. Mit diesem Urteil hatte kaum jemand gerechnet, denn die Kleine Kammer des EGMR hatte 2017 völlig anders entschieden.

Die Große Kammer des EGMR behauptet in der Urteilsbegründung, dass es legale Alternativen zum gewaltvollen, illegalen Grenzübertritt gäbe, die es in der Realität für Subsahara-Afrikaner*innen aber gar nicht gibt. Das Überwinden der Grenzanlagen ist real die einzige Möglichkeit, um Zugang zum spanischen Asylsystem zu bekommen.

Das ist der Großen Kammer des EGMR wohl auch zumindest in Teilen bewusst gewesen, weswegen sie argumentierten, dass der Zugang zu den legalen Wegen von Marokko, nicht von Spanien eingeschränkt wird. Dadurch könne Spanien dafür nicht verurteilt werden. Auch das verwundert, da beispielsweise das UNHCR im Verfahren detailliert dargestellt hat, dass es spanischen Einfluss auf diese Rückweisungspraxis in Marokko gibt.

Auch ein anderer Teil des Urteils führt zu Unverständnis bei Fachjurist*innen: Die Richter argumentieren, dass sich die Antragsteller selbst in eine unrechtmäßige Lage gebracht hätten, da sie die Größe ihrer Gruppe und Gewalt genutzt hätten, um die Grenze zu überwinden. Das führe dazu, dass sie keinen Anspruch mehr auf ein rechtsstaatliches Asylverfahren in Spanien hätten.
In Verbindung mit dem Verweis auf legale Zugangswege, entrechtet das die Antragsteller unabhängig von ihren Asylgründen grundlegend.

Auch von Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und in Kommentaren gibt es Kritik am Urteil: „Das Urteil argumentiert mit einer Realität, die es nicht gibt“, schreibt Tim Röhn in der Welt und bezeichnet das als „Armutszeugnis der Straßburger Richter“. In der „Süddeutschen Zeitung“ bezeichnet Wolfgang Janisch es als „weltfremd“.

Das Urteil ist jedoch kein Freibrief für die sogenannten Pushbacks. Die Kammer entschied nicht pauschal, dass illegale Grenzübertritte dazu führen, dass keine Asylanträge mehr gestellt werden dürfen. Vielmehr verwies es mehrmals auf den gewalttätigen Übertritt und die Gruppengröße der Antragsteller, die sie nutzten, um sich Zugang zum spanischen Territorium zu verschaffen.Solch eine Situation ist beispielsweise an der grünen kroatisch-bosnischen Grenze nicht gegeben, da es dort weder Gewalt noch Gruppengröße braucht, um auf das kroatische Territorium zu kommen. Außerdem bezieht sich das Urteil auf das Grenzgebiet. In Slowenien oder Kroatien halten sich die Menschen oft schon tagelang im Hoheitsgebiet auf, bevor sie ohne Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren wieder nach Bosnien gebracht werden.Der legale Zugang zu Asylverfahren existiert an vielen EU-Grenzen nicht einmal theoretisch, wodurch das Urteil auch dort so nicht anwendbar ist. An der türkisch-griechischen Grenze handelt es sich in vielen Fällen um eine Seegrenze. Darauf ist das Urteil nicht anwendbar, vielmehr greift hier das bekannte Hirsi-Urteil (Info dazu auf Migrationsrecht.net). Außerdem fliehen viele Menschen direkt aus der Türkei. Für einen illegalen Grenzübertritt sollen Geflüchtete nach § 31 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nicht bestraft werden, wenn ihnen im Nachbarland direkte Gefahr droht.

Aber auch das letzte Wort zu den Pushbacks an der spanischen Außengrenze ist noch nicht gesprochen. Beim spanischen Verfassungsgericht ist noch ein Fall anhängig, der durchaus anders entschieden werden könnte und der bis zur EGMR-Entscheidung ausgesetzt worden war.

Eventuell ist die EGMR-Entscheidung aber auch im Kontext eines weiteren anhängigen Verfahrens zu humanitären Visa (LINK) zu sehen: Wenn das Gericht die reale Existenz der legalen Zugänge zu Asylverfahren jetzt stark hervorhebt, könnte das auch dazu führen, dass der EGMR einen Anspruch auf Zugang zu humanitäre Visa in bestimmten Fällen einfordert. Das Urteil wird voraussichtlich auch im ersten Halbjahr 2020 fallen.

Das Urteil ist dennoch besorgniserregend, da es viele Menschen auf den noch gefährlicheren Weg über das Wasser nach Europa treiben könnte. Außerdem könnten Staaten wie Kroatien und Griechenland das Urteil bewusst fehlinterpretieren und ihre Pushbackpraxis ausweiten.


Dabei sollten Europäische Staaten dem Urteil eigentlich dahingehend gerecht werden, dass sie endlich legale reale Zugangswege zu rechtsstaatlichen Asylverfahren an Grenzübergängen und zu humanitären Visa in Botschaften öffnen.

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