Warum sich die Kriminalstatistik nicht für politische Diskussionen eignet
Die Kriminalitätsstatistik für 2023 wird derzeit für populistische Stimmungsmache gegen Migrant:innen und Geflüchtete missbraucht. Der PKS zufolge sei die Zahl der ausländischen Tatverdächtigen gestiegen. CDU und CSU fordern deshalb mal wieder, die Zuwanderung zu begrenzen.
In Deutschland sind im vergangenen Jahr rund 5,94 Millionen Straftaten registriert worden. Das entspricht einem Anstieg um 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dies geht aus der polizeilichen Kriminalstatistik 2023 hervor, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Berlin vorstellte.
Auch die Aufklärungsquote stieg, so wurden laut Bericht 58,4 Prozent aller erfassten Straftaten aufgeklärt, etwas mehr als im Vorjahr. Gewaltkriminalität ist der PKS zufolge ein klar männliches Phänomen, für Aufregung sorgt aktuell aber vor allem die Herkunft der Tatverdächtigen. Demnach besaßen von den knapp 2,25 Millionen Verdächtigen 923 269 (plus 17,8 Prozent) keinen deutschen Pass. Die Union und andere rechte Meinungsmacher verknüpfen nun den vermeintlichen Anstieg der Kriminalität mit der Zuwanderung in Deutschland. So kann man das aber nicht stehen lassen.
Wie die Kriminalitätsforschung des BKA den Anstieg begründet
Was in der Debatte völlig untergeht ist die Begründung für den Anstieg den das BKA selbst dargelegt hat.
Zunächst ist festzustellen, dass das Kriminalitätsniveau nicht außergewöhnlich hoch ist, sondern in den Jahren 2009/2016 höher lag und das bei einer geringeren Gesamtbevölkerung als heute.
Insgesamt sticht die Zahl von fast sechs Millionen Straftaten bzw. Anzeigen von Straftaten im Jahr 2023 keinesfalls aus der Statistik heraus. Es ist aktuell also nicht gefährlicher als nicht schon in vergangenen Jahren, von einer Explosion der Kriminalität kann nicht die Rede sein.
Was real ist, ist der Anstieg zu den Vorjahren, dafür liefert das BKA rationale Begründungen.
- Nach dem Ende der Covid-19-Einschränkungen bewegen sich Menschen wieder mehr, besonders im öffentlichen Raum, was die Anzahl möglicher Straftaten erhöht. Das Ende der Pandemie-Maßnahmen sorgt für mehr Möglichkeiten und Interaktionen, die es während der Pandemie nicht gegeben hat.
- Inflation und psychische Belastungen, verstärkt durch die Pandemie, beeinflussen besonders Kinder und Jugendliche und erhöhen die Kriminalitätsanfälligkeit. Außerdem hatten wir zwischenzeitlich eine außergewöhnlich hohe Inflation die den Druck auf die Bevölkerung weiter erhöht hat und so weitere Anreize für Straftaten gesetzt hat.
- Die erhöhte Anzahl an eingewanderten Menschen und die damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen spiegeln sich logischerweise in einer Zunahme nichtdeutscher Tatverdächtiger wider.
Für den generellen Anstieg der Kriminalität sind also nicht Migrant:innen Schuld, sondern Rahmenbedingungen wie das Ende der Pandemie-Maßnahmen und erhöhte Inflation. Migration ist zwar ein Teilaspekt der Statistik, aber nicht ausschlaggebend.
Demnach ist die Argumentation, die Kriminalität sei so hoch, weil so viele Menschen eingewandert wären, nicht zulässig, weil sie die anderen Begründungen des BKA komplett ausblenden.
Anmerkungen zur Statistik
Oftmals wird in der Debatte der Anstieg der Delikte bei Nicht-Deutschen hervorgehoben. Erklären lässt sich dieser Anstieg unter anderem mit der erhöhten Zuwanderung. Denn dadurch ist auch der Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung in Deutschland insgesamt gestiegen, ergo steigt auch die Zahl der erfassten Delikte, weil es mehr zugewanderte Menschen gibt. Ein rein statistischer Effekt.
Zusätzlich ist die Anzahl bei Nicht-Deutschen höher, weil die Polizei hier öfter ermittelt und Nicht-Deutsche öfter angezeigt werden. Außerdem sind die Opfer in diesem Bereich oftmals selbst Menschen mit Migrationshintergrund, so zum Beispiel wenn man Gewaltdelikte in Asylheimen betrachtet. In die Statistik fallen zum Beispiel auch ausländerrechtliche Verstöße, die nur diese Gruppe begehen kann: etwa 93.158 Fälle von „unerlaubter Einreise“ oder 187.059 von „unerlaubtem Aufenthalt“, beide sind stark angewachsen.
Die PKS zeigt also, dass Ausländer in Deutschland nicht krimineller geworden sind.
Der Anstieg der erfassten Strafverdächtigen ohne deutschen Pass lässt sich primär durch die starke Zuwanderung erklären.
So kann man der Angstmacherei rund um die Kriminalitätsstatistik auch eine andere Statistik entgegensetzen. Laut dem kürzlich erschienenen Global Peace Index gehört Deutschland zu den sichersten Ländern der Welt. Es steht auf Platz 15 von 163 Ländern.
Global Peace Index: https://www.visionofhumanity.org/maps/#/
Was Expert:innen zur Kriminalitätsstatistik sagen
Der Professor für Strafrecht Tobias Singelnstein bezeichnet es als „bizarr“, wie sehr die Zahlen jedes Jahr überinterpretiert werden. Laut ihm ist die PKS ein Tätigkeitsbericht der Polizei, mehr nicht. Darin werden alle Verdachtssituationen erfasst, die der Polizei bekannt werden – in der Regel durch private Anzeigeerstattung. Die Statistik spiegelt also nur das wider, was die Polizei sehen kann und erfassen will.
Unter anderem vermeldet die PKS mehr Gewalttaten, 8,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Laut Singelnstein bedeutet das erst mal nur, dass die Polizei entsprechend mehr Fälle bearbeitet hat. Das kann auch daran liegen, dass mehr angezeigt wird. Aus der Forschung ist zum Beispiel bekannt, dass man eher Menschen anzeigt, die man als nicht zur eigenen Gruppe gehörend wahrnimmt.
Kriminologe Martin Thüne bezeichnet die PKS als „verzerrt und manipulierbar”. Die größte Aufmerksamkeit in der öffentlichen Debatte richtet sich darauf, dass der Anteil von Tatverdächtigen mit ausländischem Pass in der PKS gestiegen ist. Laut Thüne hat das wenig zu bedeuten, weil die PKS an dieser Stelle systematisch verzerrt ist und es aus der Logik der PKS heraus ganz normal ist, dass ausländische Tatverdächtige in dieser Statistik überrepräsentiert sind. Das kann bei genauer Betrachtung faktisch gar nicht anders sein.
Das liegt zum Beispiel daran, dass die Zahl von ausländischen Tatverdächtigen mit der ausländischen Wohnbevölkerung zusammengerechnet wird. Das sind reisende Tätergruppen dabei, Touristen, Stationierungskräfte oder Pendler. Die müsste man eigentlich einzeln betrachten. Darauf weist auch die Polizei selbst hin, das wird jedoch ignoriert.
Der Kriminalwissenschaftler André Schulz warnt vor voreiligen Schlüssen und Missinterpretationen der Daten. So kann die PKS nicht aufzeigen, ob jemand tatsächlich schuldhaft eine Tat begangen hat, noch ob das Verfahren später eingestellt wurde oder die Person nachweislich unschuldig war, die Statistik erfasst also alle Verdachtsfälle, jedoch nicht ob tatsächlich eine Straftat vorlag.
Außerdem betont Schulz, dass Herkunft, Ethnie oder Religion nichts damit zu tun haben, ob Menschen kriminell werden oder nicht, sondern die soziale Herkunft der entscheidende Faktor ist. Das betrifft Deutsche und Nicht-Ausländer gleichermaßen. Die getrennte Erfassung von deutschen und nichtdeutschen Tatverdächtigen ist „sinnlos und unheilvoll“, weil sie nur „Rassismus und Ausländerfeindlichkeit“ bediene.
Fazit: PKS ist nicht für Hetze gegen Migrant:innen geeignet
Für den generellen Anstieg der Kriminalität gibt es rationale Begründungen aus der Kriminalitätsforschung des BKA. Das Ende der Pandemie und die hohe Inflation führten zu mehr Anreizen und Möglichkeiten, Straftaten zu begehen. Der Anstieg bei nichtdeutschen Delikten ist damit zu begründen, dass die Zuwanderung generell Anstieg. Die Zahl nichtdeutscher Tatverdächtiger liegt etwa auf dem Niveau der Jahre 2015 und 2016. Insgesamt sticht die aktuelle Zahl der Delikte nicht heraus.
Eine Verknüpfung von gestiegener Kriminalität lässt sich nicht pauschal auf Migran:innen schieben, für den Anstieg gibt es verschiedene Gründe und es bleibt festzustellen, dass Kriminalität und die Ursachen generell stärker und gezielter bekämpft werden müssen. Union und rechte Medienmacher können weiter die PKS für Hetze gegen Minderheiten heranziehen, dies ist jedoch anhand der Faktenlage und Experteneinschätzungen höchst unseriös und milde ausgedrückt blanker fremdenfeindlicher Populismus.