Studie zeigt: EU-Kommission darf Seenotrettung finanzieren

Ich habe eine Studie in Auftrag gegeben ( Deutsch / Englisch), die untersucht welche rechtlichen Pflichten und Kompetenzen die Europäische Union in der Seenotrettung hat. Das gilt auch für militärische Einsätze der EU.

Im März 2020 beschloss die EU die Marinemission Irini, um Waffenschmuggel nach Libyen anhand von Satelliteninformationen, auf See und aus der Luft zu überwachen. Diese Militäroperation findet im östlichen Mittelmeer, weit entfernt der zentralen Fluchtroute über das Mittelmeer, statt. Diese extrem tödliche Route ist für viele Schutzsuchende der einzige Weg, die EU zu erreichen. 

Irini hat bisher keinen einzigen Menschen aus Seenot gerettet. Die Vorgängermisson Sophia rettete hingegen ab 2015 rund 45.000 Menschen. Auf Druck von EU-Staaten umfahren die Schiffe nun allerdings die Migrationsrouten, um keine Menschen retten zu müssen. Trotzdem befürwortet die Bundesregierung eine Fortsetzung von Irini. Aktuell sind an der Mission 19 deutschen Soldat:innen beteiligt. In der Vergangenheit sind auch Zweifel aufgekommen, ob durch die Mission das Ziel das Waffenembargo nach Libyen durchzusetzen, überhaupt erreicht werden kann.

Menschen ertrinken weiterhin im Mittelmeer

Obwohl immer weniger Menschen über das zentrale Mittelmeer fliehen, ist ein kontinuierlicher Anstieg der Todes- und Vermisstenraten zu verzeichnen. Alleine in den ersten drei Monaten 2021 sind bereits über 300 Menschen im Mittelmeer ertrunken. 

Oft wird argumentiert, dass Menschen sich nicht mehr in Gefahr bringen würden, wenn es keine Seenotrettung gäbe. Doch in der Realität sind die Bedingungen insbesondere für Menschen aus Subsahara-Afrika in Libyen so umenschlich, dass weiterhin Menschen fliehen müssen. Auch ohne Seenotrettung besteigen Menschen die seeuntauglichen Boote in der Hoffnung eigenständig Land zu erreichen. Auch ohne Seenotrettung ist es für viele Menschen – zwar noch lebensgefährlicher als ohnehin – aber eben dennoch möglich mit den Schlauchbooten Malta oder Italien zu erreichen. Der verbreitete Vorwurf eines Pull-Effekts durch zivile Seenotrettungsmissionen wurde zudem bereits in vorherigen Studien widerlegt.

Seenotrettung wird kriminalisiert, statt unterstützt 


Bislang sind es also hauptsächlich zivile Organisationen, die Seenotrettung betreiben. Sie werden dabei zunehmend von EU-Staaten kriminalisiert, da das politische Interesse vor allem darauf ausgerichtet ist, dass Menschen nicht aus den unmenschlichen Bedingungen in Libyen fliehen können. Dafür wird die libysche Küstenwache finanziert, die Menschen auf See von der Flucht mit Hilfe von Frontex-Aufklärungsflugzeugen nach Libyen zurückbringt und dort in Lagern interniert. Diese Praxis ist in mehreren Gutachten als völkerrechtswidrig beschrieben worden.

Die Europäische Kommission behauptet, dass Seenotrettung außerhalb ihres Kompetenzbereichs läge, was auch vom Europäischen Rat bekräftigt wird. Es sei die Aufgabe der Anrainerstaaten, Seenotrettungsoperationen durchzuführen. Eine staatliche EU-Seenotrettungsmission unter Beteiligung der Mitgliedstaaten ist leider in den nächsten Jahren nicht realistisch, obwohl absehbar ist, dass weiterhin Menschen im Mittelmeer ertrinken. Die Mitgliedstaaten werden sich nicht auf eine Mission einigen und es wäre zu einfach, immer wieder Dinge zu fordern, die nicht passieren werden.

EU-Kommission kann einspringen und Seenotrettung finanzieren

Doch es gäbe einen Ausweg. Wenn die EU-Kommission ihre immer wieder bekundeten Absichten zur Unterstützung von Seenotrettung ernst meint, könnte sie nichtstaatliche Organisationen finanziell unterstützen und so eine zivile Europäische Seenotrettungsmission aufbauen. Die Zustimmung der Mitgliedstaaten ist dafür nicht erforderlich. So legt es auch das von mir bei der Kanzlei Redeker/Dahs/Sellner in Auftrag gegebene Gutachten dar: “Nach aktueller Rechtslage ist gemäß Art. 214 Abs. 3 AEUV i.V.m. der Verordnung über die humanitäre Hilfe (Verordnung (EG) Nr. 1257/96) insbesondere eine finanzielle Hilfe an nichtstaatliche Organisationen und internationale Einrichtungen möglich, die sich für die Rettung von in Seenot geratenen Flüchtenden einsetzen.”

Kurzum: Die Europäische Kommission könnte eine nichtstaatliche Seenotrettungsmission finanzieren und so die effektive Seenotrettung sicherstellen. Das ist nun auch durch das umfangreiche Rechtsgutachten belegt.