Neues EU-Abkommen erleichtert Abschiebungen nach Afghanistan
Afghanistan gilt, noch vor Syrien, als das gefährlichste Land der Welt. Trotzdem wird nach Afghanistan abgeschoben, trotzdem hat die EU erneut ein Abkommen verabschiedet, das Abschiebungen nach Afghanistan weiter erleichtern soll. Dieses zwischen Kommission und Rat erarbeitete Dokument wurde Anfang Februar unterzeichnet, ohne dass dem EU-Parlament ein Mitspracherecht zugestanden hätte.
Neues Afghanistan-Abkommen
Das neue Rückführungsabkommen JDMC (Joint Declaration on Migration Cooperation) löst die 2016 ausgehandelte ‚Joint Way Forward‘-Vereinbarung (JWF) ab. Inhaltlich ist das neue Abkommen ein weiterer Rückschritt für die Schutzsuchenden aus dem von Krieg und Wirtschaftskrise gebeutelten Land. In meinem Artikel vom November habe ich das JWF und seine Bedeutung für Abschiebungen, sowie die Situation für Schutzsuchende aus Afghanistan erklärt. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen sprachen sich gegen die Verlängerung des JWF-Abkommens aus. Das neue Rückführungsabkommen basiert auf dem JWF-Abkommen, es gibt jedoch eine Reihe von Änderungen:
So wird die Definition von besonders schutzbedürftigen Gruppen enger gefasst. Abschiebungen von Kranken sollen von nun an nur für Menschen, die unter einer sehr ernsten Krankheit leiden und -diese Konkretisierung ist neu – in Afghanistan nicht behandelt werden können, ausgesetzt werden. Letzteres wird im konkreten Fall vermutlich sehr schlecht nachzuweisen sein. Auch die Möglichkeit für Abschiebungen wird erleichtert, da die Definition einer Familieneinheit auf Eltern und minderjährige Kinder beschränkt wird. Außerdem sollen sich alle EU-Mitgliedstaaten an Abschiebungen nach Afghanistan beteiligen, unabhängig von etwaigen bilateralen Abkommen mit dem Bürgerkriegsland. Das Abkommen ermöglicht Sammelabschiebungen mit bis zu 50 Personen pro Flug, insgesamt sollen künftig bis zu 500 Menschen monatlich abgeschoben werden können, wobei diese Zahl noch erhöht werden kann. Im vorherigen Abkommen gab es die inoffizielle Absprache, dass nicht mehr als ein Flug pro Woche aus Europa kommen soll. Das wird nun deutlich erhöht, es ist aber davon auszugehen, dass die afghanische Regierung keine Zahl über 500 pro Woche akzeptieren wird.
Während das JWF-Abkommen für zwei Jahre gilt, ist der neue Rahmen durch das JDMC zeitlich unbegrenzt. Stattdessen kann das neue Abkommen nur nach Konsultation und zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr ausgesetzt werden.
verschärfte Sicherheitslage
Nach dem Ende der ersten Verhandlungsrunde in Afghanistan im Dezember 2020 wurden die Friedensgespräche von Doha Ende Februar 2021 wieder aufgenommen, kommen jedoch nur sehr stockend voran. Es gibt keinen Waffenstillstand und die Sicherheitslage verschlechtert sich zunehmend. Die Gewalt befindet sich auf dem höchsten Level der letzten 20 Jahre, in den letzten Monaten kam es vermehrt zu gezielten Anschlägen auf Journalist:innen, Menschenrechtsaktivist:innen und Beamt:innen. Der EU-Kommissar für Konfliktmanagement Janez Lenarčič erklärte erst kürzlich in seinem Reisebericht in das durch den Bürgerkrieg geprägte Land, dass der Konflikt jeden Winkel des Landes durchdringe und dazu führe, dass Millionen Zivilist:innen vertrieben werden und innerhalb und außerhalb des Landes Schutz suchen. Afghanistan hat weltweit die zweitgrößte Anzahl von Flüchtenden und Binnenvertriebenen. Insgesamt ist fast die Hälfte der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen. Ohne diese wären 16,9 Millionen Menschen in Afghanistan vom Hungertod bedroht. Die Pandemie und Naturkatastrophen verschärfen die Situation noch zusätzlich. Das Land leidet unter einer der größten Lebensmittelkrisen der Welt.
EU-Staaten wollen weiterhin abschieben
Auch Kranke und Menschen in Behandlung sind nicht vor Abschiebungen geschützt. Erst im Februar führte Deutschland entgegen breiten Protestes eine weitere Sammelabschiebung von 26 Menschen nach Afghanistan durch, obwohl der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zuvor in einer Einzelfallentscheidung eine Abschiebung in das Land in Verbindung mit der aktuellen Coronalage für unrechtmäßig erklärte. Grund dafür sei die Unmöglichkeit, die elementarsten Grundbedürfnisse nach Nahrung, Unterkunft und Hygiene zu befriedigen. Doch die Abschiebungen gehen weiter. Die Anerkennungsquote von Asylantragssteller:innen aus Afghanistan lag 2020 bei etwa 53 %, sie unterscheidet sich jedoch stark zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten und gleicht so einer Lotterie für die Menschen, die es unter schwierigsten Bedingungen nach Europa geschafft haben. So lag sie beispielsweise in Bulgarien bei 1%, in den Niederlanden bei 42%. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan sind die Chancen auf erneute unmittelbare Vertreibung sehr hoch.
Was kann das Europäische Parlament tun?
Das Europäische Parlament hat keine Mitspracherechte bezüglich der Ausarbeitung und Verabschiedung des Abkommens und kann lediglich auf allgemeine Kontrollrechte zurückgreifen. Gleichzeitig ist hervorzuheben, dass Abschiebungen zumindest in Deutschland meist aufgrund eines bilateralen Abkommens mit Afghanistan vorgenommen werden. Trotzdem werde ich in den kommenden Wochen versuchen, das Thema auf die Tagesordnung des EPs zu bekommen und einen Austausch mit der Kommission zu organisieren. Ich möchte wissen, an welche Bedingungen die EU-Gelder für Afghanistan gekoppelt werden und wo das Geld hinfließt. Besonders Kettenabschiebungen, mit denen Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden, die gar nicht aus dem Land kommen, müssen verhindert werden. Nur ein Bruchteil der aus Afghanistan Geflüchteten kommt überhaupt nach Europa, ein Großteil wird von den Nachbarländern Pakistan (1,42 Millionen in 2020) und Iran (951000 in 2020) aufgenommen – von insgesamt 2,7 Mio Geflüchteten in 2020. Diese Länder müssen von der EU unterstützt werden, wir brauchen eine bessere Verteilung von Verantwortung, die auch im Globalen Pakt für Flüchtlinge gefordert wird. Progressive und menschenfreundliche Lösungsansätze sollten hervorgehoben und mobilisiert werden. Afghanistan ist und bleibt in näherer Zukunft nicht sicher, weshalb wir Abschiebungen in das Land weiter verhindern müssen.