Gutachten: Ratsposition zum GEAS wird menschenrechtlichen Ansprüchen nicht gerecht
Dieses Kurzgutachten analysiert exemplarisch, warum ausgewählte Neuregelungen zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, wie sie auch die Bundesregierung vertritt, grund-, menschen- und unionsrechtlichen Ansprüchen nicht genügen. Dabei werden die Regelungen zum Rechtsschutz und zum Konzept sicherer Drittstaaten den Vorgaben nicht gerecht. Ein Grenzverfahren an der Binnengrenze ist nicht möglich, auch an der Außengrenze geht ein solches stets mit Inhaftierungen einher und macht Grund- und Menschenrechtsverletzungen auch darüber hinaus fast unvermeidbar. Das Kurzgutachten findet ihr hier.
Die Hauptergebnisse im Überblick
- Soweit ein unionsrechtlicher Regelungsbereich harmonisiert ist, misst auch das Bundesverfassungsgericht ein mitgliedstaatliches Verhalten an der Grundrechtecharta der Europäischen Union und nicht am Grundgesetz. Das Verwerfungsmonopol für Unionsrecht obliegt dem Europäischen Gerichtshof.
- Dass der im Neuentwurf zur Asylverfahrensverordnung geplante Rechtsbehelf gegen die Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz teilweise keine aufschiebende Wirkung hat, verletzt Vorgaben aus Art. 13 EMRK und Art. 47 Grundrechtecharta der Europäischen Union, die in ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Gerichtshofs der Europäischen Union einen Rechtsbehelf mit automatischer aufschiebender Wirkung zwingend voraussetzen.
- Die Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaats muss stets einer Prüfung im Einzelfall folgen.
- Ein Drittstaat kann nicht als sicher gelten, wenn Garantien, die in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verbürgt sind, nur in einem Teilgebiet gelten, denn die Konvention erfordert gerade die schrittweise Inklusion in das Rechtssystem des Unterzeichnerstaates im gesamten Staatsgebiet im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes und verlangt insbesondere die Freizügigkeit auf dessen gesamten Territorium.
- Eine Entsprechung der GFK-Standards allein “im Wesentlichen” bei der Klassifizierung eines sicheren Drittstaats ist mit dem Schutzkonzept der GFK unvereinbar, da die Statusrechte nach der GFK rechtlich zwingend sind und nicht unterschritten werden dürfen.
- Im Grenzverfahren sind Mitgliedstaaten vollumfänglich an Grund- und Menschenrechte gebunden, denn sie üben effektive Kontrolle über Personen aus.
- Sowohl das Screening-Verfahren als auch das Grenzverfahren setzen eine Einreiseverweigerung voraus, weil sie vor der Einreise stattfinden müssen. Eine solche Einreiseverweigerung ist an der Binnengrenze nicht möglich, weshalb auch die Nichteinreisefiktion und mit ihr das Grenzverfahren ausgeschlossen sind.
- Ein Grenzverfahren findet notwendigerweise vor der Einreise statt, deshalb sind die möglichen Orte, an denen ein solches stattfinden kann, begrenzt. Daher müssen Verfahren an einem örtlich eng begrenzten Bereich stattfinden, sodass Grenzverfahren ohne Freiheitsentziehung (= Inhaftierung) nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht möglich sein dürften. Davon geht auch das Regelungssystem des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
- Selbst da, wo Grenzverfahren nicht unmittelbar Grund- und Menschenrechte verletzen, machen sie Rechtsverletzungen besonders wahrscheinlich, weil grundlegende Standards wie Rechtsschutz und menschenwürdige Unterbringung in Lagern an der Außengrenze nicht eingehalten werden können.
- Auch die Grundrechteagentur der EU hält die menschenrechtlichen Herausforderungen in Außengrenzlagern für „fast unüberwindbar“.
- Effektiver Rechtsschutz ist nach Ansicht des Gerichtshof der Europäischen Union und im Lichte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einerseits zum Schutz des Einzelnen erforderlich, andererseits auch notwendig, um das Funktionieren des Systems zu gewährleisten und eine rechtsrichtige Umsetzung der rechtlichen Vorgaben – und im Ergebnis den Rechtsstaat – sicherzustellen.