Berlin klagt gegen Seehofer

Endlich geht es voran: Das Land Berlin klagt gegen das Bundesinnenministerium, damit Berlin endlich Geflüchtete aufnehmen kann. Die Klage ist erfolgsversprechend, denn Innenminister Horst Seehofer will die Aufnahme trotz rechtlichem Spielraum verhindern. Weitere Infos dazu findet ihr in der Pressemitteilung der Berliner Landesregierung.

Wer sich intensiver mit den rechlichen Rahmenbedingungen beschäftigen will: Ich habe ein Gutachten in Auftrag gegeben, das belegt, dass Seehofer nicht so einfach sein Einvernehmen für die Aufnahme verweigern darf.

25 Erfolge der EU, die unser Leben besser machen

Schaut man heute auf die EU, stechen einem oft die Missstände ins Auge: An den Außengrenzen gelten Menschenrechte zu oft nur noch auf dem Papier, es gibt Mitgliedstaaten, die sich der Europäischen Solidarität völlig verweigern und Berichte über komische Gesetze, die aus Brüssel kommen. Klar ist: Es muss vieles besser werden, aber keine EU ist auch keine Lösung. Die Alternative wäre der Rückzug ins nationale Unheil.

Und so sind die größten Verdienste der EU vielleicht diejenigen, die gar nicht aufzuzählen sind: Nicht auszudenken, wie die Welt ohne das Friedensprojekt Europa aussähe.

Doch neben der großen Vision und vielen Problemen gibt es auch einige Erfolge der EU. Hier sind einige aufgezählt:

Viel geschafft, noch viel zu tun

EU-Recovery-Plan: Unterstützung während der Corona-Krise

Corona hat in allen EU-Ländern wirtschaftlichen Schaden verursacht, aber nicht überall gleich stark: Zur Unterstützung der Mitgliedstaaten beim Wiederaufbau ihrer Wirtschaft sollen 750 Milliarden für die nächsten drei Jahre zur Verfügung stehen. Davon werden 500 Milliarden ohne Rückzahlung für besonders betroffene Regionen ausgegeben. Die restlichen 250 Milliarden sind wie Kredite zu behandeln.

Weiterlesen: Was bedeutet der EU-Aufbauplan für den Europäischen Green Deal?

Freizügigkeit innerhalb der EU

EU-Bürger*innen dürfen sich innerhalb der EU plus Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein frei bewegen, aufhalten und erwerbstätig werden. Ohne Grenzkontrolle von der Algarve nach Lappland reisen: Nach Jahrhunderten der Schlagbäume innerhalb Europas ist heute selbstverständlich, was früher undenkbar war. Das Freizügigkeitsgesetz beinhaltet auch, sich im Land des Wohnsitzes auch an den Kommunalwahlen beteiligen zu dürfen.

Weiterlesen: Freizügigkeit für EU-Bürger

Frieden innerhalb der EU – länger als jemals zuvor

Frieden unter den Mitgliedstaaten der EU ist heute selbstverständlich – das ist historisch einmalig. Zwar haben Bündnisse und gemeinsamer Handel schon immer dazu beigetragen, dass zwischen den Bündnispartnern der Frieden zeitweise aufrecht erhalten wurde, doch nie zuvor hielt dieser Frieden in Mitteleuropa so lange und breit wie dank der EU.

Deutsch-Französische Freundschaft

Nach Jahrhunderten der “Erbfeindschaft” und zahlloser Kriege bildet nun die gemeinsame Mitgliedschaft in der EU den Rahmen für die enge Verbindung der Nachbarländer. Vor mehr als 57 Jahren unterzeichneten Frankreich und Deutschland den Elysée-Vertrag und bekräftigten ihr Freundschaftsverständnis letztes Jahr mit dem Vertrag von Aachen. Durch Verständnis und Austausch sollen die deutsch-französischen Beziehungen vertieft bleiben. 

Weiterlesen: Die Förderung der deutsch-französischen Freundschaft ist gut für Europa – aber wir wollen mehr!

Ein paar Gesetze, die das Leben besser machen

Abschaffung der Roaming-Gebühren

Seit dem 15. Juni 2017 ist das Surfen und Telefonieren innerhalb der EU noch ein Stückchen leichter geworden. Durch die Abschaffung von Roaming-Gebühren sind mobiles Internet, Anrufe und SMS in den EU-Ländern nun zum Inlandspreis des Dienstleisters möglich. Schon zuvor wurden diese Gebühren schrittweise immer stärker von der EU gedeckelt, sodass die Zeiten, in denen ein einzelner Auslandsanruf die Monatsrechnung vervielfachte, zum Glück endgültig vorbei sind.

Weiterlesen: Roaming in der EU – wichtige Fragen und Antworten

Europäischer Datenschutz

Mit der seit Mai 2018 in Kraft getretenen ‘Europäischen Datenschutzgrundverordnung’ ist der EU ein Meilenstein bei der Verteidigung von Bürger*innenrechten gegen Konzerne gelungen. Das Gesetz setzt einheitliche Standards zum Datenschutz in der EU und nimmt darin eine weltweite Vorreiterrolle ein.

Details: DSGVO: EU-Datenschutzgrundverordnung

Ein Beispiel, wo die DSGVO konkret wirkt: Die DSGVO zeigt erste Zähne: 50-Millionen-Strafe gegen Google verhängt

Verbot einiger Einwegkunststoffartikel

Ein erster Schritt gegen die Plastikflut: 2019 wurde die Richtlinie zum EU-weiten Verbot von Einwegkunststoffartikeln beschlossen. Ab 2021 sollen Kunststoffbesteck (Gabeln, Messer, Löffel, Rühr- und Essstäbchen), Kunststoffteller, Kunststoff-Strohhalme, Wattestäbchen aus Kunststoff, Plastikballonstifte, oxodegradierbare Kunststoffe und Lebensmittelbehälter und Becher aus expandiertem Polystyrol aus unseren Supermärkten verschwinden.

Weiterlesen: EU-Einwegplastik-Richtlinie: Wichtiges Signal mit Schwächen – NABU

Nationale Umsetzung: Gesetzliche Regeln: Wie Deutschland Einwegplastik verbannen will

Transaktionen ohne zusätzliche Gebühren

Die EU garantiert, dass im europäischen Ausland keine zusätzliche Kosten anfallen: Überweisungen, Zahlungen, Abhebungen und Lastschriften an Konten in der Eurozone dürfen nicht mehr kosten als zuhause.

Weiterlesen: Zahlungen, Überweisungen und Schecks in der EU

Verbot von Antibiotika-Gebrauch an gesunden Tieren

Bereits 2005 verabschiedete das Europäische Parlament eine Verordnung, die die Verwendung von Antibiotika zur Wachstumsförderung bei Nutztieren verbot. Seitdem gab es bereits mehrere Neueinordnungen von Antibiotika, die die Vergabe weiter eindämmen sollen. 2018 wurde u.a. beschlossen, dass einige Antibiotika nur noch für den Menschen angewandt werden dürfen und importierte Ware den EU-Normen entsprechen muss. Ziel ist es, die Antibiotikaresistenz von Keimen zu unterbinden bzw. zu verlangsamen.

Weiterlesen: EU beschränkt Einsatz von Antibiotika bei Nutztieren

Kennzeichnung von Nährwerten und Allergenen auf Lebensmitteln

Durch die EU-Lebensmittelinformationsverordnung Nr. 1169/2011 werden Konsument*innen über den Nährstoffgehalt von Lebensmitteln und Getränken informiert. Seit 2016 können wir dadurch besser entscheiden, ob uns ein Produkt gut tut oder nicht: Es erleichtert uns, hinter der Werbung der Unternehmen den wahren Nährstoffgehalt oder mögliche allergieauslösende Bestandteile eines Produkts zu ermitteln. 

Weiterlesen: EU-Lebensmittel-Informationsverordnung: wichtige Änderungen im Überblick

Europäische Gelder, die das Leben besser machen

Europäisches Austauschprogramm Erasmus

Das europäische Erasmus-Programm ist das weltweit größte Förderprogramm von Auslandsaufenthalten an Universitäten. Es ermöglicht Studierenden, aber auch Fachkräften und Jugendlichen, an einem geförderten Austausch im europäischen Ausland teilzunehmen. Allein 2014 – ‘20 wurde das von Programm mit 14,8 Milliarden gefördert, sodass im Juni 2019 ein Meilenstein erreicht wurde: Insgesamt hatten bis dahin europaweit mehr als 10 Millionen Menschen an Erasmus+ bzw. dessen Vorgängerprogrammen teilgenommen.

Alle Möglichkeiten: Erasmus+: Startseite

Europäischer Fonds für regionale Entwicklung und Europäischer Sozialfonds

Die Fördermittel der EU unterstützen Regionen je nach struktureller Entwicklung und sorgen damit für eine Art europäischer Umverteilung. Im neuen Förderzeitraum 2021 – ‘27 soll verstärkt in ökologische und soziale Transformation investiert werden.

Weiterlesen: Kompaktinformation zur Strategie der EU-Förderung 2021-2027

Gemeinsame europäische Forschungsgelder

Im Finanzrahmen 2014-’20 standen 80 Milliarden Euro zur Förderung europäischer Forschungs- und Wissenschaftsprojekte zur Verfügung. Es ist das weltweit größte Einzelförderprogramm für Forschung und Innovation, gerade wird über den nächsten Zeitraum bis 2027 verhandelt.


Weiterlesen: EU-Forschungsförderung – zum Einstieg

Rechte und Sicherheiten, die das Leben besser machen

Europäische Menschenrechtskonvention

1950 beschloss der Europarat die Europäische Menschenrechtskonvention. Sie ist ein Katalog von Grund- und Menschenrechten, dessen Umsetzung von jedem Menschen einklagbar ist. Seine Einhaltung wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überwacht.

Weiterlesen: Europäische Menschenrechtskonvention 

Europäische Sozialcharta

Die Europäische Sozialcharta ist ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen, das vom Europarat beschlossen und von den meisten Mitgliedstaaten ratifiziert wurde. Es gewährleistet die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der EU-Bürger*innen.

Weiterlesen: Europäische Sozialcharta | bpb

Gemeinsame Lebensmittelstandards

Innerhalb der EU gelten gemeinsame Lebensmittelstandards. Mit solchen Verordnungen und Richtlinien werden europaweite Mindeststandards gesichert, die nicht unterschritten werden dürfen. Die EU konzentriert sich auf die Bereiche Lebensmittelhygiene, Tier- und Pflanzengesundheit und Kontamination und Rückstände. EU-Behörden überprüfen die Einhaltung der Standards.

Weiterlesen: Food safety in the EU | Europäische Union

Arztkosten im EU-Ausland werden von der eigenen Krankenkasse erstattet

Bei einem Unfall oder Krankheit deckt die Europäische Krankenversicherungskarte die Arztkosten im EU-Ausland ab. Erstattet werden alle Leistungen, die auch im Herkunftsland erstattet werden würden. Zum EU-Ausland gehören in diesem Fall alle EU-Mitgliedstaaten, Norwegen, Liechtenstein, Island, Schweiz sowie seit 2010 Ägypten, Algerien, Andorra, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Kosovo, Libyen, Marokko, Mazedonien, Monaco, Montenegro, San Marino, Serbien, Syrien, Tunesien, Türkei und der Vatikanstaat.

Weiterlesen: Krank im Ausland: Arztbesuche und Klinikaufenthalte

2-Jahre-Gewährleistung für alle Produkte in der gesamten EU

Die 2-Jahres-Gewährleistung ist allgemein bekannt. Tatsächlich ist sie erst durch EU-Recht auf mindestens 2 Jahre festgelegt worden. Käufer*innen können die kostenlose Reparatur oder den Ersatz der Ware innerhalb einer angemessenen Frist verlangen. Wenn das nicht möglich ist, muss der Kaufpreis rückerstattet oder vermindert werden. Wenn das Produkt repariert oder ersetzt wurde, beginnt danach eine neue Gewährleistungsfrist, wiederum mit einer Dauer von zwei Jahren.

Weiterlesen: Gewährleistung des Händlers

Widerrufsrecht beim Produktkauf in der EU

Auch das 14-Tage-Widerrufsrecht ist den meisten bekannt. Seit 2014 gilt es europaweit. Dabei wurde u.a. besonders auf die Informationspflicht geachtet.

Weiterlesen: EU-Verbraucherrichtlinie verändert Onlinehandel ab 13.6.2014 | Recht

EU-Fluggastrechte in allen EU-Mitgliedstaaten

Mit der Fluggastrechte-Verordnung aus dem Jahr 2004 werden Reisenden an allen Flughäfen innerhalb der EU gleiche Rechte bei Verspätungen, Annullierungen und bei Nichtbeförderung z.B,. wegen Überbuchung, gewährt. Auch bei Flügen von außerhalb der EU gelten diese Rechte. Entscheidend ist, dass die Fluggesellschaft eine Lizenz innerhalb der EU hat.

Weiterlesen: Fluggastrechte auf einen Blick

EU-Rechte von Bahnreisenden

Bahnreisende innerhalb der EU genießen die gleichen Rechte. Diese umfassen z.B. Verspätungen oder aber auch den Ausfall von Zügen. Zudem haben die Bahnen auch eine Informationspflicht, z.B. über barrierefreie Bahnhöfe. 

Weiterlesen: Rechte von Bahnreisenden – Ihr Europa

EU-Sicherheitsnetz für Verbraucher*innenprodukte

Ein EU-Schnellwarnsystem sorgt für Datenerfassung und Informationsteilung im europäischen Markt: Täglich gehen bei der Europäischen Kommission Meldungen über gefährliche Produkte im europäischen Markt ein. Das Schnellwarnsystem RAPEX ermöglicht den schnellen Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden. Auch für Einkäufe im Internet gibt es Sicherheitsvorkehrungen, wie z.B. ein Siegel, welches die Selbstverpflichtung zur Einhaltung der Produktsicherheit gewährleistet.

Weiterlesen: Safety Gate: the rapid alert system for dangerous non-food products

Reduzierung von gefährlichen Chemikalien in Produkten

Nicht nur die Gesundheit der Menschen liegt bei der REACH-Verordnung im Fokus. Auch die Reduzierung von Tierversuchen durch alternative Verfahren und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie werden berücksichtigt.


REACH garantiert eine einheitliche Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien. Die Verordnung garantiert zudem Auskunftsrechte über die Gefahren. Für Verbraucher*innen hat diese Verordnung großen Mehrwert, denn Chemikalien befinden sich überall im Alltag, so z.B. in Kleidung oder Elektrogeräten.

Weiterlesen: Reach Verordnung: Das bedeutet sie für dich als Konsument

Freier Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr

Freier Warenverkehr bedeutet die “Abschaffung von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen” innerhalb der EU. Dienstleistungen dürfen aufgrund des freien Dienstleistungsverkehrs vorübergehend in einem anderen EU-Mitgliedstaat erbracht werden. Mit dem Vertrag von Maastricht 2004 wurde außerdem die Beschränkung von Kapital- und Zahlungsverkehr innerhalb der EU verboten. 

Weiterlesen: Freier Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital (»vier Freiheiten«) | bpb

Und natürlich: Die gemeinsame Währung

Die Einführung des Euro ist nicht nur ein Wirtschaftsfaktor – die gemeinsame Währung erleichtert auch das Reisen in der EU enorm und lässt die Mitgliedstaaten weiter zusammenwachsen.

Weiterlesen: Ein kurzer geschichtlicher Überblick über den Euro

Gastbeitrag: Tear down Moria!

Die Berliner Zeitung hat mich gebeten, zu 30 Jahre Deutsche Einheit einen Gastbeitrag zu verfassen:
Der Mut von 1989 sollte wichtiger sein als die Angst vor 2015. Schauen wir nicht weg, wenn die EU an den Außengrenzen Leid erzeugt.

Ich schreibe diese Zeilen auf Lesbos, einem der schönsten Orte Europas, der in diesen Tagen eine seiner schrecklichsten Geschichten erzählt. Moria, das größte Flüchtlingslager Europas, ist vollständig abgebrannt. 13.000 Menschen, die schon vorher in unwürdigen Bedingungen lebten, sind jetzt obdachlos.

Tagelang hinderte die lokale Polizei die Hilfsorganisationen daran, die obdachlosen Opfer der Brandkatastrophe medizinisch zu versorgen und ihnen Essen zu geben. Viele aßen und tranken tagelang nichts, und Kinder löschten ihren Durst notgedrungen mit Abwasser, woraufhin sie mit schlimmem Durchfall zu kämpfen hatten. Die Polizisten setzten Tränengas gegen Männer, Frauen und sogar Kinder ein. Brandwunden blieben tagelang unterversorgt.

Die Berliner Mauer stand 28 Jahre lang als Symbol für Repression, Unfreiheit und das Einsperren der eigenen Bevölkerung. Die Lehren aus dieser Zeit sucht man an den europäischen Außengrenzen vergebens. Und auch weltweit haben Mauern Konjunktur. Es gibt inzwischen 70 Grenzmauern auf der Welt – etwa fünfmal so viele wie 1989. Die Berliner Mauer existiert nicht mehr. Doch der Gedanke, durch ein Bauwerk das Andere, das Fremde, das Feindliche abzuhalten, gedeiht an vielen Orten nach wie vor.

Das Glück der Freiheit scheint vergessen

Doch warum ist der Wunsch nach Freiheit heutzutage nicht stärker als der Wunsch nach neuen Mauern? Die Mauer ist ein Bauwerk, das schützen soll. Doch hält sie auch die eine Seite davon ab, die andere zu sehen. In einer immer komplexer werdenden Welt ist der Wunsch nach neuen Mauern dabei wohl nicht nur ein Wunsch nach Geborgenheit und Sicherheit, sondern auch der Wunsch danach, der steigenden Komplexität einen Schutzwall entgegenzusetzen, um der eigenen Überforderung durch das Unbekannte etwas entgegenzusetzen. Dabei sperrt die Mauer nicht nur das Unbekannte aus, sondern auch das Bekannte ein.
Nun gibt es ein neues Moria. Und die Zustände sind schlimmer denn je. Während kleine Kinder hinter Absperrbändern und Zäunen im Dreck spielen, suchen auf der anderen Seite Soldaten nach Minen und Munitionsresten. Menschen, die mit Corona infiziert sind, werden mit anderen, die als Verdachtsfälle gelten, hinter Stacheldraht eingesperrt. Das ist ein Verbrechen.

Als die Berliner Mauer fiel, war ich zwei Jahre alt. Ich konnte keine Texte schreiben, und ich hatte noch nie ein Geschichtsbuch gelesen. Mauer, Diktatur und Schießbefehl beraubten Millionen Menschen ihrer Freiheit. Die Mauer fiel, weil die Idee der Demokratie sie eingerissen hatte. Nun, 30 Jahre später, sitze ich hier, und einige Kilometer weiter sind demokratische Staaten für die Entwürdigung von Menschen verantwortlich. 30 Jahre später scheint vergessen zu sein, welches Glück es ist, dass wir Freiheit teilen dürfen.

Ich habe das Glück, dass ich die Diktatur in der DDR nicht mehr bewusst erleben musste. Ich habe das Glück, in dieser Zeit, in diesem Europa zu leben. Dieses Glück verdanke ich mutigen Bürgerinnen und Bürgern, die uns diese Freiheit erkämpft haben. Nicht mit Gewalt, sondern mit einer Idee. Der Idee, dass wir eine Gesellschaft auf einem Fundament aus Rechtsstaat, Menschenrechten und der Würde jedes einzelnen bauen müssen – weil wir nur so ein Haus bauen können, das niemand mehr einreißen kann. Die Menschen gingen mit dieser Idee auf die Straße und wussten nicht, ob sie zur Realität wird. Sie konnten nicht wissen, dass keine Schüsse fallen würden. Am 9. November 1989 war es dann endlich soweit. Die Mauer fiel und die Welt feierte. Doch heute steht die Berliner Mauer wieder – in Moria.

Moria ist ein Signal an die eigene Bevölkerung, aber auch an Menschen auf der Flucht: Wer es wagt, nach Europa zu fliehen, soll sich nicht auf die eigenen Erwartungen verlassen. Die Freiheit, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit, die viele in Europa suchen, sollen Schutzsuchende nicht mehr finden. Statt einer Seenotrettung im Mittelmeer für Menschen, die aus Libyen fliehen, errichten wir eine Mauer aus Ertrunkenen.

Diese Strategie der entwürdigenden Außengrenzen folgt dabei einer einfachen Logik: So lange das Mittelmeer und Moria nicht gefährlicher sind als der Bürgerkrieg in Libyen, steht die Mauer der Abschreckung nicht stabil. Wenn weniger Menschen ankommen sollen, müssen mehr leiden und sterben.

Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass wir mehr Angst vor uns selbst haben sollten als vor der anderen Seite jenseits der Mauer? Während wohl die meisten europäischen Staats- und Regierungschefs in Reden für Rechtsstaatlichkeit eintreten, sieht die Realität an den europäischen Außengrenzen düster aus. Statt in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu ermitteln, welche Gründe ein Mensch hat, auf ein überfülltes Schlauchboot zu steigen und sein Leben für die Freiheit zu riskieren, werden die Schutzsuchenden an den Außengrenzen mit Knüppeln, Tränengas und Warnschüssen erwartet. Mehrfach kam es zu Mauertoten, einige wurden erschossen. „Effizientes Grenzmanagement“ heißt der „antifaschistische Schutzwall“ heute.

Für viele sind Schlepper der einzige Weg

Weitere Kampfbegriffe sollen die Mauer stabilisieren: Im Oktober 2015, in der alle Welt über Flucht sprach, verlieh Manfred Weber als Vorsitzender der EVP-Fraktion die Robert-Schumann-Medaille an Wolfgang Welsch. Der Fluchthelfer Welsch hatte über 200 Menschen geholfen, aus der DDR in die Bundesrepublik zu kommen. Eine großartige Leistung.

Nach der Laudatio für den prämierten Fluchthelfer von gestern forderte Manfred Weber von der EVP in der öffentlichen Debatte, die „Schlepper-Mafia“ von heute im Mittelmeer zu bekämpfen.

Das Urteil der EU-Regierungen ist in seiner Geschichtsblindheit eindeutig: Die Fluchthelfer von früher haben für ihre Dienste auf dem Weg von der Diktatur in die Demokratie Medaillen verdient – heute wiederum sind die Fluchthelfer die Schuldigen für die Toten an unseren Mauern und gehören bekämpft. Eine erfolgreiche Flucht wird nicht mehr gefeiert. Eine erfolgreiche Flucht ist das Scheitern der Strategie der Abschottung. Hauptsache nie wieder 2015. Hauptsache keine neue „Flüchtlingswelle“.

Die Schlepper aus Libyen handeln sicherlich nicht aus humanen Motiven, sind jedoch für viele Geflüchtete der einzige Weg, um zu einem Asylverfahren in Europa zu kommen, in dem die Würde jedes einzelnen Menschen zu schützen eigentlich die Aufgabe aller staatlichen Gewalt ist.

Europa zeigt seine hässliche Seite

Doch staatliche Gewalt ist an den europäischen Außengrenzen zu einem wertlosen Zombie verkommen, der ausschließlich einem einzigen Ziel folgt: Weniger Menschen sollen nach Europa kommen – koste es, was es wolle. In vielen Reden wird besonders seit 2015 immer wieder betont, dass man Fluchtursachen bekämpfen müsse. Seit 2015 sind weltweit über 15 Millionen Menschen zusätzlich auf der Flucht.

Aber wie soll man denn nun damit umgehen, dass wir Menschenrechte schützen wollen, aber 80 Millionen Geflüchtete weltweit nun wahrlich nicht nach Berlin oder Thüringen kommen können? „Wie viele Millionen sollen denn noch kommen?“, werden immer wieder diejenigen gefragt, die sich für Menschenrechte von Geflüchteten einsetzen. Dabei lohnt es, zu überlegen, ob auf dem Weg zum neuen Mauerfall an den Außengrenzen nicht vorher einige der gedanklichen Mauern fallen müssen, die in den letzten Jahren in Köpfen errichtet wurden.

Als Anfang März 2020 Erdogan erklärte, die Grenzen nach Europa seien nun geöffnet und 15.000 Menschen an die Grenze gedrängt wurden, sah die Welt diesem vermeintlich friedlichen Europa dabei zu, wie es seine hässliche Seite zeigte. Erdogan missbrauchte die Menschen als Waffe. Doch wir entwaffneten ihn nicht durch eine demokratische Antwort. Europa schoss einfach zurück.

Gerechtfertigt wurde das Schießen mit Munition und Tränengas vor allem damit, dass das ja gar keine „richtigen Flüchtlinge aus Syrien“ seien. Abgesehen davon, dass man die Fluchtgründe in Asylverfahren und nicht in Grenzscharmützeln prüft, war vor allem die Abwesenheit von syrischen Geflüchteten bemerkenswert. Jahrelang wurde vor einem Andrang von Millionen von Menschen gewarnt, die in der Türkei auf gepackten Koffern säßen. Und dann kommen trotz der Grenzöffnung nur eine Handvoll der 3.500.000 syrischen Geflüchteten an die Grenze, vor denen wir uns fürchteten? Wie kann das sein?

Die Zukunft ist nie leicht

Die Antwort ist einfach: Es gibt diese Millionen von Menschen nicht, die nach Europa drängen. 3,5 Millionen Väter, Mütter und Kinder aus Syrien sind nicht auf der Flucht. Sie leben in der Türkei. Sie fliehen nicht nach Europa, weil sie nicht nach Europa fliehen wollen.

In der Realität ist die von Regierungen artikulierte Angst vor einem Kontrollverlust an den europäischen Außengrenzen eine Metapher für die Angst vor dem Kontrollverlust über die eigenen Wahlergebnisse. Diese Angst lähmt dabei zu oft und zu lange schon den Willen, Herausforderungen zu bewältigen. Doch wenn demokratische Regierungen – wie in der Asylpolitik – den Eindruck eines einsturzgefährdeten Hauses erzeugen, muss man sich nicht wundern, wenn sich die Bevölkerung nach einer anderen Wohnung umschaut.

Wer die Mauern an den Grenzen niederreißen will, der muss vor allem den Wunsch nach neuen Mauern niederreißen. Nicht mit Gewalt, sondern mit einem Gedanken. Wie damals mutige Menschen gegen einen Unrechtsstaat auf die Straßen gingen, müssen auch heute wieder unsere kraftvollen Ideen von Freiheit, Würde und Rechtsstaatlichkeit das Unrecht im eigenen Europa niederreißen. Dann fällt auch die Mauer.

Die Zukunft ist nie leicht, denn wir kennen sie nicht. Aber wir sollten in der Gegenwart alles dafür tun, damit wir später unseren Enkeln stolz von früher erzählen dürfen. Von damals, als wir im Jahr 2020 die Mutigen waren, die gegen die Mauer in unseren Köpfen und an unseren Außengrenzen aufbegehrten. Von damals, als wir endlich verstanden, dass wir unseren Wohlstand, die Freiheit und Sicherheit nicht schützen, indem wir anderen dies alles nehmen. Von damals, als Moria abbrannte und aus der Asche die Kraft entstand, zu lernen, was wir schon 1989 wussten. Von damals, als wir lernten, dass der Mut von 1989 wichtiger war als die Angst vor einem neuen 2015.


Dieser Artikel ist zum Tag der Deutschen Einheit in der Berliner Zeitung erschienen.

Migrationspakt – Warum der Vorschlag der EU-Kommission ein weiteres Moria nicht verhindert

Der Vorschlag der EU-Kommission für den Migrationspakt wird ein weiteres Moria nicht verhindern. Im Gegenteil, er würde das Modell der griechischen Massenlager in Gesetzesform gießen. Grenzverfahren und geschlossene Lager an den Außengrenzen würden in Europa zur Norm. Das Versagen des Dublin-Systems würde fortgeschrieben werden und eskaliert, weiterhin ohne eine verpflichtende solidarische Aufnahme von Flüchtlingen. Auch für Deutschland drohen erhebliche Verschärfungen des Asylrechts. Der Vorschlag der Kommission zu Asylverfahren verschärft das Asylpaket II von 2016 und gießt es in europäisches Recht.

Europäische Werte werden beschädigt

Die EU-Kommission hat sich mit dem Pakt als oberstes Ziel eine europäische Einigung um jeden Preis gesetzt. Dafür nimmt sie in Kauf, dass der Flüchtlingsschutz und unsere gemeinsamen europäischen Werte schwer beschädigt werden. Statt geordneter und fairer Verfahren überall in Europa wird der Pakt die Krise an den Außengrenzen verschärfen. Der Pakt muss jetzt im Europäischen Parlament und unter den Mitgliedsstaaten im Rat beraten und beschlossen werden. Wir Grüne werden uns bei den Verhandlungen dafür einsetzen, dass das systematische Leiden von Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen ein Ende hat. Aus der Asche von Moria muss ein faires und humanitäres Europäisches Asylsystem entstehen.

Unter diesem Link findet ihr unseren Vorschlag für ein faires Asylsystem in Europa.

Grenzverfahren: massenhafte Inhaftierung von Geflüchteten

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen alle Personen, die ohne gültige Papiere in die EU einreisen wollen oder aufgegriffen werden, in geschlossene Lager unter Haftbedingungen gebracht werden. Das gilt auch für aus Seenot Gerettete. Die Ankommenden müssen zunächst eine Vorprüfung durchlaufen, die innerhalb von fünf Tagen abgeschlossen sein muss. Das schließt die Registrierung sowie einen Gesundheitscheck und eine Sicherheitsabfrage in europäischen Grenz- und Sicherheitsdatenbanken ein.


Bei der Vorprüfung soll außerdem erfasst werden, welche Art von Verfahren die Ankommenden
durchlaufen müssen und ob sie weiter unter Haftbedingungen festgehalten werden:

– Ein normales Asylverfahren soll nur noch bekommen, wer aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von mehr als 20 Prozent kommt, wenn also mindestens jeder fünfte Asylsuchende aus diesem Land in der EU als Geflüchteter anerkannt wird.

– Ein Asylschnellverfahren unter Haftbedingungen an der Grenze (Grenzverfahren) muss durchlaufen, wer aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent kommt, wer ein Sicherheitsrisiko darstellt oder wer falsche Angaben zu seiner Identität macht.

– Auch Menschen aus einem bisher sicheren Herkunftsland (beispielsweise aus dem Balkan) oder aus einem sicheren Drittstaat (etwa Syrer, die über die Türkei einreisen) müssen ein Asylschnellverfahren durchlaufen, allerdings nicht zwingend an der Grenze.

– Wer kein Asyl beantragt, soll direkt aus dem Lager abgeschoben werden.


Die Kommission weitet damit die Inhaftierung von Geflüchteten deutlich aus. Nach den Plänen der Kommission sollen die meisten Schnellverfahren in geschlossenen Lagern an der Grenze durchgeführt werden. Davon ausgenommen sind nur unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sowie Kinder unter 12 Jahren und ihre Familien. Sie werden während ihres Asylschnellverfahrens in einer offenen Einrichtung untergebracht, genauso wie Asylsuchende, die ein normales Asylverfahren durchlaufen. nach diesem Verfahren hätte 2017 und 2018 mehr als die Hälfte der irregulär Ankommenden ein Grenzverfahren unter Haftbedingungen durchlaufen müssen, weil sie aus Ländern mit einer als niedrig definierten Anerkennungsquote kamen. In 2019 dagegen kamen mehr Schutzbedürftige aus Ländern mit höherer Anerkennungsquote an.

Haftdauer von Asylsuchenden soll verlängert werden

Die Kommission will mit ihrem Vorschlag ein Signal der Abschreckung senden. Dafür nimmt sie in Kauf, dass der Flüchtlingsschutz und die Menschenwürde von Geflüchteten unterminiert werden. Sie will die Haftdauer von jetzt 4 Wochen für Grenzverfahren auf künftig 12 Wochen drastisch verdreifachen. Nur wenn das Asylverfahren in dieser Zeit nicht abgeschlossen werden kann, kommen die Asylsuchenden in normale Flüchtlingsunterkünfte.

Wer abgelehnt wird, soll außerdem direkt aus den Grenzlagern abgeschoben werden, ohne europäischen Boden betreten zu dürfen. Wenn das bis 12 Wochen nach Ende des Asylverfahrens nicht möglich ist, sollen sie in der Regel in Abschiebehaftanstalten überführt werden. Die entscheidende Frage, nämlich wie die Verzahnung von Asyl- und Abschiebeverfahren zu einer Erhöhung der Abschiebequote führen soll, bleibt dabei genauso unbeantwortet wie die Frage, wie die Kommission erreichen will, dass die Mitgliedstaaten Asylverfahren effizienter durchführen als bisher. Die Kommission schafft mit den Grenzverfahren neue Lager. Aber sie hat keine Antwort darauf, wie ein zweites Moria verhindert werden soll.

Dublin und Flüchtlingsverteilung: überfüllte Lager bleiben

Die EU-Kommission hatte das Dublin-System für tot erklärt – und will es mit dem Pakt doch als Kernelement des europäischen Asylsystems beibehalten. Was sich mit dem Pakt ändert, ist vor allem der Titel. Dublin heißt jetzt „Migrationsmanagement“. Das Dublin-System ist ein System der Verantwortungsabwälzung auf Mitgliedstaaten an den südlichen Außengrenzen der EU. Der Mitgliedsstaat, in dem eine Geflüchteter zuerst europäischen Boden betritt, ist nach dem Dublin- System für Asylverfahren und Unterbringung zuständig. Anstatt das System der Verantwortungsabwälzung endlich durch ein System der gerechten Verantwortungsteilung für Schutzsuchende in Europa zu ersetzen, will es die Kommission mit dem Pakt zementieren.


Mitgliedsstaaten sollen künftig sehr viel länger als die bisherigen 18 Monate für eine Asylsuchenden zuständig sein. Erst drei Jahre nach der Anerkennung als Flüchtling erlischt das Recht der anderen Mitgliedstaaten, Geflüchtete zurückzuschicken, die irregulär in einen anderen Mitgliedsstaat weitergezogen sind. Die Kommission will es Mitgliedstaaten außerdem leichter machen, weitergezogene Asylsuchende wieder zurückzuschicken. Asylsuchende selbst sollen keinerlei Unterstützung und Unterkunft bekommen, wenn sie irregulär weiterziehen. Einer der wenige positiven Aspekte im Kommissionsvorschlag ist die Ausweitung der Familienzusammenführung auf
Geschwister.

Abschiebepatenschaften statt Lösungen – Südliche EU-Länder werden weiterhin im Stich gelassen

Der Vorschlag der Kommission verschärft die Verantwortung der südlichen EU-Länder wie Griechenland, Malta, Italien oder Spanien – ohne ihnen ausreichend Solidarität zu bieten. Das von der Kommission vorgeschlagene System der flexiblen Solidarität ist komplex. Es läuft darauf hinaus, dass die Mitgliedsstaaten eine ganze Palette von Ausweichmöglichkeiten haben, um Geflüchtete nicht aufnehmen zu müssen. Solidarität wird zwar im Fall eines „hohen Migrationsdrucks“ verpflichtend, aber nicht die Aufnahme von Geflüchteten. Mitgliedstaaten können nach dem Vorschlag der Kommission stattdessen:

– Kapazitätsaufbau leisten – etwa durch die Bereitstellung von Fingerabdruckscannern für die Registrierung der Ankommenden

– diese Länder operativ unterstützen – etwa durch die Entsendung von Grenzschützerinnen oder Asylexpertinnen

– durch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten darauf Einfluss nehmen, dass weniger Schutzsuchende kommen oder

– durch sogenannte Rückführungspartnerschaften oder auch Abschiebepatenschaften – etwa indem sie Griechenland dabei helfen, von dem Drittstaat, in den abgeschoben werden soll, die Reisedokumente zu besorgen, oder indem sie dafür sorgen, dass das Land in die Rückführung einwilligt. Nur wenn die Person auch nach acht Monaten nicht abgeschoben werden kann, muss der Mitgliedsstaat sie aufnehmen.

Falls die Lager überfüllt sind, kann die Kommission zwar darauf drängen, dass die Mitgliedsstaaten Geflüchtete aufnehmen. Mitgliedsstaaten können aber auch dann auf Rückführungspartnerschaften ausweichen. Mit diesem Vorschlag kommt die Kommission Ländern wie Ungarn oder Polen, die bisher jede Umverteilung boykottieren, weit entgegen – und nimmt dafür in Kauf, dass das europäische Asylsystem erneut scheitert. In vielen Fällen kann nicht abgeschoben werden, weil der betreffende Drittstaat nicht kooperiert. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex hat bereits die Aufgabe, Mitgliedsstaaten bei Abschiebungen zu unterstützen. Es ist völlig unklar, wie Rückführungspartnerschaften zusätzlich dazu beitragen sollen, Abschiebehindernisse abzubauen.

Der Vorschlag der Kommission wird ein weiteres Moria nicht verhindern. Die Lager an den Außengrenzen werden überfüllt bleiben, weil Mitgliedsstaaten nach eigenem Gusto aufnehmen können und Rückführungspartnerschaften nur in den wenigsten Fällen dazu führen werden, dass mehr Menschen ohne Bleiberecht zurückgeschickt werden können. Die Verlierer des Kommissionsvorschlags sind die Länder an den südlichen EU-Außengrenzen. Die Profiteure sind Mitgliedsstaaten wie Deutschland oder Schweden. Sie können wegen der Verschärfung der Dublin- Regeln damit rechnen, dass sie die Verantwortung für irregulär in ihr Land weitergezogene Geflüchtete stärker auf Länder wie Griechenland abschieben können.

Der Krisenmechanismus

Das Europäische Parlament hatte in seiner Positionierung zur letzten Dublin-Reform 2018 eine faire Verteilung von Asylsuchenden von Anfang an gefordert. Das findet sich jetzt nur noch im Vorschlag der Kommission für einen Krisenmechanismus. Sobald die Kommission den Mechanismus in Gang setzt, sind die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, Asylsuchende, anerkannte Flüchtlinge und Menschen ohne Bleiberecht aufzunehmen. Anders als in Situationen mit „hohem Migrationsdruck“ gilt das auch für die Aufnahme direkt aus den Grenzlagern.

Gleichzeitig jedoch werden die Grenzverfahren drastisch ausgeweitet auf alle Schutzsuchenden, die aus einem Land mit einer Schutzquote von weniger als 75 Prozent kommen. Die Inhaftierung in den Grenzlagern wird verlängert, ebenso wie die Inhaftierung von Menschen ohne Bleiberecht. Das kann dazu führen, dass Menschen ohne Bleibeperspektive mehr als ein Jahr an den Grenzen inhaftiert bleiben. Der Kommissionsvorschlag sieht außerdem vor, dass Geflüchtete, die offensichtlich schutzbedürftig sind, vorübergehend einen Schutzstatus ohne Asylprüfung bekommen. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Vorschlag im Rat eine politische Mehrheit findet. Nicht nur Länder wie Ungarn werden es nicht hinnehmen wollen, dass die Kommission entscheidet, wann der Krisenmechanismus getriggert wird und sie verpflichtet sind, Menschen von der Grenze aufzunehmen.

Was kommt mit dem Pakt auf Deutschland zu?

Der Vorschlag der Kommission wird auch in Deutschland dazu führen, dass mehr Asylsuchende inhaftiert werden. Geflüchtete, die die Registrierung an der Außengrenze umgangen und sich bis nach Deutschland durchgeschlagen haben, müssen nach dem Willen der Kommission auch hierzulande eine Vorprüfung durchlaufen – unter den gleichen haftähnlichen Bedingungen wie an den Außengrenzen. Der Paktvorschlag schließt außerdem nicht aus, dass auch Länder wie Deutschland ihre Sonderverfahren drastisch ausweiten. Deutschland hat mit dem Asylpaket II von 2016 bereits beschleunigte Verfahren in „besonderen Aufnahmeeinrichtungen“ eingeführt. Sie gelten bisher vor allem für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern, wie den Balkanländern, und werden bislang nur an zwei Standorten, in Manching/Ingolstadt sowie Bamberg, durchgeführt.

Mit dem Pakt, wie ihn die Kommission vorschlägt, könnte die Bundesregierung die Bedingungen in den „besonderen Aufnahmeeinrichtungen“ drastisch verschärfen und sie in geschlossene Einrichtungen wie an den Außengrenzen umwandeln. Sie hätte die Möglichkeit, Schutzsuchende, die irregulär aus einem Land mit einer Schutzquote von unter 20 Prozent nach Deutschland kommen, unter den gleichen haftähnlichen Bedingungen festzuhalten wie in Grenzverfahren.

– Bisher müssen Asylsuchende in Manching und Bamberg zwar in den Lagern wohnen und dürfen den Landkreis nicht verlassen, sie werden aber nicht eingesperrt.

– Mit der drastischen Ausweitung von de facto sicheren Herkunftsstaaten auf alle Länder mit einer Schutzquote von unter 20 Prozent wären erheblich mehr Asylsuchende als bisher betroffen.

– Die Frist für Asylschnellverfahren beträgt bislang eine Woche und könnte mit dem Pakt auf 12 Wochen ausgeweitet werden.

Schon die Kommissionvorschläge von 2016 zur Unterbringung von Asylsuchenden und zu Asylverfahren, die mit dem Pakt jetzt ebenfalls beschlossen werden sollen, laufen auf eine deutliche Verschärfung hinaus. Mit den neuen Vorschlägen droht der Flüchtlingsschutz weiter unterlaufen zu werden.

Seenotrettung wird nicht gestärkt

Die Kommission hat als Teil des Pakts zwei unverbindliche Empfehlungen zur Kriminalisierung von NGOs und zur Seenotrettung veröffentlicht. Die Rettung von Geflüchteten wird damit allerdings nicht gestärkt. Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten zwar, Seenotrettungs-NGOs nicht weiter dafür zu kriminalisieren, dass sie Menschenleben retten. Gleichzeitig sollen Seenotrettungs-NGOs aber stärker an die Kandare genommen werden.

Die Kommission will eine engere Kooperation von Küstenstaaten und Flaggstaaten wie Deutschland, unter deren Flagge NGO-Schiffe im Mittelmeer retten. Sie sollen dafür sorgen, dass die Sicherheit auf See erhöht und dass „relevant rules on migration management“ etwa gegen Menschenschmuggel eingehalten werden. Die Empfehlung der Kommission stößt damit in die gleiche Richtung wie die Bundesregierung.

Sie hatte die Sicherheitsanforderungen an NGO-Rettungsschiffe bereits vor einigen Monaten erhöht und damit kleinere NGO-Schiffe aus dem Verkehr gezogen. Geflüchtete, die aus Seenot gerettet werden, sollen nach dem Vorschlag der Kommission künftig genauso behandelt werden wie Asylsuchende an den Landgrenzen: Sie müssen eine Vorprüfung unter haftähnlichen Bedingungen durchlaufen und bleiben während des Asylverfahrens an der Grenze
festgesetzt, wenn sie aus einem Land kommen, dessen Anerkennungsquote unter 20 Prozent liegt.

Solange sie im Grenzlager sind, werden sie nicht auf andere Mitgliedstaaten umverteilt. Die solidarische Verteilung von Geretteten auf andere Mitgliedstaaten soll ähnlich laufen wie bei einem hohen „Migrationsdruck“. Mitgliedstaaten müssen Gerettete also nicht aufnehmen, sondern können stattdessen auch Abschiebepartnerschaften übernehmen oder Grenzbeamte schicken.

Schwimmende illegale Auffanglager in Malta – Meine Anfrage an die Kommission

Hier findet ihr meine Anfrage an die Kommission zu den schwimmenden illegalen Auffanglagern in Malta. Diese könnt ihr hier auf der Homepage des Europäischen Parlaments auch in allen 24 offiziellen Sprachen der Europäischen Union nachlesen. Die Kommission erklärt in ihrer Antwort, dass sie von Malta und anderen Mitgliedsstaaten erwartet sich an die europäischen Grundrechte und internationale Verpflichtungen zur Seenotrettung zu halten. Allerdings erklärt sich die Kommission auch nicht dafür zuständig, um konkret etwas dagegen zu unternehmen.

Meine Anfrage

Nachdem Malta seine Häfen für auf See gerettete Personen geschlossen hatte, wurden mehr als 400 Menschen auf der Flucht aus dem kriegszerrütteten Libyen an Bord von Schiffen, die von der Regierung gechartert worden waren, kurz vor den maltesischen Hoheitsgewässern festgehalten. Sie hatten keinen Zugang zu Asylverfahren und keinen Kontakt zu Kontrollinstanzen, Journalisten oder Anwälten. Sie wurden nicht darüber informiert, wie lange und warum sie festgenommen wurden. Auf politischen Druck hin gestattete die maltesische Regierung den Menschen schließlich nach Wochen an Bord, an Land zu gehen.

Es ist zu begrüßen, dass die Kommission den Antrag Maltas, die schwimmenden Auffanglager zu finanzieren, abgelehnt und stattdessen angeboten hat, die Verbringung dieser Menschen in andere Mitgliedstaaten zu unterstützen. Dennoch möchte ich der Kommission gerne folgende Fragen stellen:

1.    Ist die Kommission der Meinung, dass ein Mangel an Solidarität in der EU Malta von der Verpflichtung entbindet, das EU-Recht einzuhalten?

2.    Was wird die Kommission tun, um sicherzustellen, dass diese schwerwiegenden Verletzungen des EU-Asylrechts und der Grundrechte durch Malta nicht ungestraft bleiben?

3.    Welche Maßnahmen wird die Kommission ergreifen, um sicherzustellen, dass Malta Zugang zu den im EU-Recht vorgesehenen Asylverfahren gewährt und dass sich die Praxis der Festhaltung auf See nicht wiederholt?

Hier ist die Antwort von Ylva Johansson im Namen der Kommission

Die Kommission erkennt die besondere Situation Maltas an; vor allem den zusätzlichen Druck, dem das bereits stark belastete Aufnahmesystem aufgrund eines vermehrten Zustroms von Flüchtlingen und der COVID-19-Pandemie ausgesetzt ist. Gleichzeitig hat die Kommission wiederholt darauf hingewiesen, dass sie von allen Mitgliedsstaaten erwartet, dass diese ihren Verpflichtungen im Bereich der Grundrechte nachkommen, die Bestimmungen der Charta der Grundrechte der EU sowie alle einschlägigen EU- und Völkerrechtsvorschriften einhalten und zur Verhinderung des Verlusts von Menschenleben auf See gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren, einschließlich der zuständigen EU-Agenturen, koordinierte Maßnahmen ergreifen.

Die Durchführung von Such- und Rettungseinsätzen fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Die Kommission ist nicht befugt, Such- und Rettungseinsätze zu koordinieren oder Ausschiffungsorte anzugeben.

Die Kommission hat wiederholt gefordert, dass Personen an Bord ausgeschifft werden und dass diejenigen, die internationalen Schutz beantragen möchten, Zugang zum Asylverfahren bekommen.

Die Kommission wird weiterhin alles in ihrer Macht Stehende tun, um diejenigen Mitgliedsstaaten finanziell und operativ zu unterstützen, die am stärksten von Migrationsströmen betroffen sind. Im Rahmen dieser Maßnahmen hält sie die Mitgliedsstaaten dazu an, sich an freiwilligen Umsiedlungen zu beteiligen, um so ein konkretes Zeichen der Solidarität mit den Mitgliedsstaaten der Ausschiffung zu setzen. Die Kommission hat darüber hinaus Fachsitzungen abgehalten, um durch eine Beschleunigung und Koordinierung der Verfahren zur freiwilligen Umsiedlung und Rückkehr Unterstützung bei der Verringerung des Drucks auf das maltesische Aufnahmesystem zu leisten.

Die Kommission stellt derzeit abschließende Überlegungen dazu an, wie den Besonderheiten der Such- und Rettungseinsätze im neuen Pakt für Migration und Asyl am besten Rechnung getragen werden kann.

Auch in Coronazeiten muss die EU Menschen aus Seenot retten und aufnehmen

Die Covid-19-Pandemie führte zur Schließung der EU-Außengrenzen und wurde von Malta und Italien als Vorwand genutzt, um ihre Häfen für Rettungsschiffe zu schließen. Ein Boot mit 55 Menschen wurde im April auf Anordnung des maltesischen Rettungskoordinationszentrums (RCC) nach Libyen zurückgebracht. Dabei sind zwölf Menschen verdurstet oder ertrunken. Bereits im Februar 2020 erschien ein Gutachten der Heinrich-Böll-Stiftung, welches darlegte, dass es eindeutig rechtswidrig ist, Menschen nach Libyen zu bringen.

Prof. Dr. Anuscheh Farahat und Prof. Dr. Nora Markard haben nun ein Update der Studie mit dem Titel Closed Ports, Dubious Partners veröffentlicht. Die Ergebnisse wurden in einem Webinar vorgestellt, bei dem ich auch gesprochen habe und das ihr unter diesem Link findet.

Seit März 2019 sind weder EU- noch nationale Such- und Rettungsschiffe im Einsatz, um weitere Todesfälle im Mittelmeer zu verhindern. Nichtregierungsorganisationen, die versuchen, diese Lücke zu füllen, werden zunehmend kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt.

Libyen ist kein sicherer Hafen

In dem Update zu der Studie wird aufgezeigt, warum EU-Staaten auch in Pandemiezeiten nicht von ihrer Pflicht enthoben sind, Menschen in Seenot zu retten und ihnen einen sicheren Hafen zu bieten. Covid-19 darf nicht als Entschuldigung dafür dienen, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Libyen ist auch weiterhin kein sicherer Hafen und Rückführungen nach Libyen, wie von Malta angewiesen, verstoßen auch weiterhin gegen bestehendes Recht.

Wie die Fälle der Alan Kurdi und der Aita Mari zeigen, ist eine Quarantäne von zwei Wochen für die Überlebenden völlig ausreichend, um die öffentliche Gesundheit der Bevölkerung von Malta zu schützen.

Leider hat die deutsche Bundesregierung keinen Druck auf Malta ausgeübt, um dieses rechtswidrige Verfahren einzustellen. Im Gegenteil, das Innenministerium hat einen Brief an die Seenotrettungsorganisationen geschickt und sie darum gebeten, ihre Aktivitäten einzustellen. Außenminister Heiko Maas hat in einem Interview mit Tilo Jung sogar gerechtfertigt, dass Malta seine Häfen schließt und bat ebenfalls darum, von der Seenotrettung abzusehen (Video: ab 17.38 Minute).

Die Argumentation, dass man Menschen in Mittelmeer leider nicht retten kann, weil sie danach in schwierige Corona-Situationen kommen könnten, ist absurd. Die Pandemie wird leider auch von der deutschen Bundesregierung dafür genutzt, mit allen Mitteln zu versuchen, die Seenotrettung einzustellen, damit weniger Geflüchtete lebend Europa erreichen.

Andreas Scheuer ändert Verordnung, um Seenotrettung zu erschweren

Seit mehreren Jahren versuchen europäische Staaten, die Menschenrechtsbeobachtung und Seenotrettung an den EU-Außengrenzen zu erschweren und zu kriminalisieren. Auch Deutschland hat nun weitere Regeln erlassen, die das Ende für die Missionen einiger Hilfsorganisationen bedeuten könnten. Vorbild für dieses Vorgehen scheint die Niederlande zu sein, wo man im vergangenen Jahr mit ähnlichen Gründen die Seenotrettung behinderte.

Die Rechtsänderung folgte einem längeren Rechtsstreit. Nachdem das Bundesverkehrsministerium das Beobachtungsschiff „Mare Liberum“ im April 2019 festsetzte, klagte der Verein und erhielt im September 2019 vom Oberverwaltungsgericht Hamburg recht, sodass das Schiff weiter betrieben werden konnte.

Mit einer aktuellen Verordnung erschwert Verkehrsminister Andreas Scheuer gezielt humanitäre Hilfe an den europäischen Außengrenzen. Dieses Ziel verfolgt die Bundesregierung bereits seit längerem, unterlag jedoch bislang vor Gericht. Nun schafft sich das Verkehrsministerium sich neue Rechtsgrundlagen, um Schiffe legal festsetzen zu können, weil sie die neuen Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen können.

Sicherheitsbedenken sind nur Vorwand

Es werden immer neue Vorwände gesucht, um humanitäre Hilfe an den europäischen Außengrenzen zu verhindern. Inzwischen argumentiert der Gesetzgeber mit der Sicherheit der Menschen auf dem Wasser, um die Seenotrettung zu verhindern. Dass solche Argumente angesichts von tausenden Toten im Mittelmeer genutzt werden, ist mehr als zynisch.

Die Bundesregierung versucht hier offensichtlich, die Beobachtung der Menschenrechtslage auf dem Mittelmeer zu verhindern. In Reden betont man weiter die Relevanz von Menschenrechten und Seenotrettung, aber abseits der Öffentlichkeit tut man dann das Gegenteil. Wer so handelt, verspielt die Glaubwürdigkeit der Politik.

Verhinderung von Seenotrettung, scharfe Schüsse auf Schutzsuchende, unwürdige und lebenbedrohliche Bedingungen in europäischen Flüchtlingslagern: Wenn man auf die europäischen Außengrenzen und das Agieren europäischer Staaten schaut, fragt man sich leider, wann die EU-Mitgliedsstaaten moralische Insolvenz anmelden müssen.

Weitere Infos findet ihr auf der Homepage von Mare Liberum. Details und rechtliche Einschätzungen zu Änderung der Schiffssicherheitsverordnung, findet ihr hier.

Unser Vorschlag für ein gerechtes und effizientes Asylsystem in Europa

Mit diesem Papier präsentieren wir, die Grünen/EFA-Fraktion in Europäischen Parlament, unseren Vorschlag für das zukünftige Gemeinsame Europäische Asylsystem. 

Das halten wir für notwendig, weil wir in Europa Geflüchtete derzeit nicht mir der Würde behandeln, die ihnen zusteht.

Es darf nicht sein, dass die griechischen Inseln weiterhin für ein Hotspotsystem missbraucht werden, das zwangsläufig in eine humanitäre Katastrophe führt. Und es darf auch nicht sein, dass Menschen dort Jahre verbringen müssen, ehe über ihren Asylantrag entschieden wird. Wir brauchen stattdessen schnelle, faire und geordnete Verfahren an den EU-Außengrenzen.

So stellen wir uns ein gemeinsames und solidarisches europäisches Asylsystem vor:

Geflüchtete werden in gemeinsamen und offenen Zentren registriert und durchlaufen dort auch Sicherheitskontrollen. Asylanträge werden in einer gemeinsamen europäischen Datenbank registriert und bearbeitet.

Kurz nach ihrer Ankunft werden Asylsuchende angehört, um spezifische Bedürfnisse zu ermitteln und um den Aufnahme-Mitgliedstaat zu bestimmen. Die persönlichen Verbindungen und Präferenzen der Asylsuchenden sollen bei der Verteilung berücksichtigt werden.

Eine EU-Agentur für Asylfragen ist für die endgültige Entscheidung über die Verteilung auf andere Mitgliedstaaten und die Verwaltung des Verteilmechanismus zuständig.

Die Verteilung der Asylsuchenden soll nicht weiter auf dem Prinzips der Ersteinreise basieren, bei dem immer der Staat für Asylverfahren zuständig ist, in dem die Menschen das erste mal europäischen Boden betreten. Dieses System ist gescheitert.  

Freiwillige und verpflichtende Solidarität

Um Asylsuchende gerecht zu verteilen, möchten wir stattdessen ein zweistufiges System mit positiven Anreizen zur Stärkung der Solidarität schaffen.

Die erste Stufe beruht auf freiwilliger Solidarität. Sie stützt sich auf die Bereitschaft von Städten und Regionen, Geflüchtete aufzunehmen. Alleine in Deutschland haben sich über 150 Städte, Gemeinden und Kommunen zu sicheren Häfen erklärt. Die EU soll eine solche Aufnahmebereitschaft durch die Übernahme von Kosten weiter fördern.

Die zweite Stufe beruht auf verpflichtender Solidarität von allen EU-Mitgliedsstaaten: Falls die freiwillige Aufnahme an ihre Grenzen gerät, schaffen die Mitgliedstaaten neue Aufnahmeplätze oder leisten einen finanziellen Beitrag zu den Gesamtkosten für die Aufnahme. Falls auch das nicht ausreicht, löst die EU-Kommission mit einer Gelben Karte ein Warnsystem aus und ergreift, wenn nötig, weitere Maßnahmen.

Wer nicht helfen will, muss zahlen

Die Kommission sorgt mit einem transparenten Überwachungsmechanismus dafür, dass sich alle Mitgliedstaaten an die Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems halten und Asylsuchende überall anständige Bedingungen nach gemeinsamen Mindeststandards vorfinden.

Wir brauchen ein Asylsystem, das Solidarität belohnt und fördert und nicht bestraft. Die Zeiten, in denen sich Staaten dafür schämen, dass sie Menschen in Not helfen, müssen vorbei sein. Die Europäischen Werte werden abgeschafft, wenn es sich für EU-Mitglieder weiterhin lohnt, jede Solidarität zu verweigern. Wer helfen will, muss unterstützt werden. Wer nicht helfen will, soll dafür bezahlen.

#LeaveNoOneBehind – So könnt ihr helfen

Mich erreichen viele Nachfragen von Menschen, die sich fragen, wie sie in der gegenwärtigen Situation helfen können. Ich freue mich sehr über die große Hilfsbereitschaft und habe deswegen ein paar Ideen für euch zusammen getragen, was ihr jetzt tun könnt.


Bei der #LeaveNoOneBehind-Kampagne mitmachen

Schließt euch mehr als 330.000 Menschen an und unterstützt die Kampagne Leave No One Behind. Auf der Homepage findet ihr verschiedene Optionen zum Engagement. Weil #LeaveNoOneBehind ein gesamteuropäisches Projekt ist, haben wir die Petition in zwölf Sprachen übersetzt.


Spenden

Ihr könnt für #LeaveNoOneBehind spenden. Diese Spenden gehen zu 100% über einen Stiftungsfonds an Projekte, die Geflüchtete vor Ort unterstützen. Die Initiativen und Organisationen können für ihre Projekte unbürokratisch Mittel beantragen, so dass die Spenden direkt dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Allerdings kostet auch die Organisation der Kampagne etwas Geld. Wir würden gerne weiter machen und auf die Probleme aufmerksam machen, damit politischer Druck entsteht. Die Kampagnenkosten werden aber unabhängig vom Stiftungsfonds gesammelt. Wenn ihr für die Kampagnenkosten spenden wollt, könnt ihr das unter civilfleet.org/spenden tun. Wenn ihr eine Organisation seid, die Unterstützung benötigt, könnt ihr an kontakt@leavenoonebehind.de schreiben.

Bei der Aktion Scheiß auf Egoismus könnt ihr auch zu Wucherpreisen eine Rolle Klopapier bekommen.


Schreibe deinen Bundestagsabgeordneten

Mit diesem Link könnt ihr schnell und unkompliziert dem/der Bundestagsabgeordneten aus eurem Wahlkreis schreiben. Schreibt auch gerne in die Nachricht, was eure Beweggründe sind und warum ihr glaubt, dass man Geflüchteten jetzt helfen muss. Stellt ruhig Fragen, die euch interessieren. Oft gibt es Standardantworten, aber da kann man immer nochmal nachfragen.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man viel Einfluss entwickeln kann, wenn man vernünftige Mails an Abgeordnete schreibt und den Fraktionen klar wird, dass sich viele Menschen für ein Thema interessieren. Leider bekommt man viele Nachrichten von Rechten und wenige von vernünftigen Leuten. Ich kann euch nur empfehlen, ein bisschen Zeit zu investieren und den Abgeordneten zu schreiben. Ihr müsst natürlich nicht nur den Bundestagsabgeordneten schreiben, sondern könnt auch den Europaabgeordneten und Landtagsabgeordneten schreiben.

Beschwerde bei der Europäischen Kommission

Dir fällt auf, dass man sich bei dir zuhause nicht an europäisches Recht hält? Hier kannst du dich bei der Europäischen Kommission beschweren. Einfach ein paar Fragen beantworten, dann bekommst du Kontakt zur zuständigen Stelle.

Europäische Bürgerinitiative

Falls ihr es dann ganz groß aufziehen wollt, geht es hier zur europäischen Bürgerinitiative (EBI). Eine EBI ist eine Petition, die von einer Million Menschen aus mindestens 7 EU-Mitgliedstaaten unterschrieben werden muss. Ist die EBI erfolgreich eingereicht, muss sich das Europäische Parlament damit befassen.


Teilen, liken, kommentieren!

Rechtspopulistische Thesen, Inhalte und Meinungen sind in den sozialen Medien (besonders bei Facebook und Twitter) viel präsenter als in der analogen Welt. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Rechten gezielt versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass sie in der Mehrheit sind. Dem müssen wir uns auch online entgegenstellen. Das könnt ihr machen, indem ihr selbst politische Beiträge kommentiert, sie teilt oder liked. Dann werden die Beiträge mehr Menschen angezeigt. Viele Hilfsorganisationen, wie zum Beispiel die Seenotrettungsorganisationen Sea-Eye oder Sea-Watch, freuen sich natürlich auch, wenn ihre Inhalte geteilt werden und bei mehr Menschen auftauchen.


Alles immer weitersagen!

Das Wichtigste ist meiner Meinung nach, dass ihr nicht nur selbst etwas macht, sondern andere Leute einbindet und sie bittet, alles auch immer weiter zu sagen. Ein Beispiel: Wenn ihr selbst eine Petition unterschreibt, hat diese Petition eine Unterschrift mehr. Wenn ihr selbst unterschreibt und 3 Leute motiviert, die wieder jeweils wieder 3 Leute motivieren, die wieder 3 Leute motivieren, sind es schon 28 Unterschriften. Wenn die Leute dann wieder 3 Leute motivieren, die wieder 3 Leute motivieren, sind es schon 244.


Kann man vor Ort helfen oder Hilfsgüter schicken?

Grundsätzlich kann man in normalen Zeiten wohl leichter vor Ort helfen, als man denkt! Voraussetzung ist oft, dass man mindestens 4 Wochen Zeit hat. Momentan ist es aber ohne Vorerfahrung nicht einfach möglich, vor Ort zu helfen. Besonders auf den griechischen Inseln muss alles dafür getan werden, dass das Virus nicht in Camps wie Moria ankommt. Deswegen sollte man natürlich vermeiden, auf die Insel zu kommen. Aktuell ist das sowieso wegen der Reisebeschränkungen nicht so leicht möglich. Ich kann aber empfehlen, dass man sich einfach selbst informiert. Es gibt diverse Facebook-Gruppen (einfach mal nach „volunteers“ suchen) ´und vielleicht für das nächste oder übernächste Jahr bei Hilfsorganisationen fragen, ob sie auf der Suche nach Freiwilligen sind. Ich kann auch empfehlen, dass man sich dabei nicht nur auf die Hotspots konzentriert, die momentan in den Medien präsent sind. Wenn man auf den griechsichen Inseln helfen will, ist es zum Beispiel so, dass andere griechische Insel wie Samos, Kos, Chios, oder Leros zwar nicht so viel Medienaufmerksamkeit wie Lesbos haben, es dort oft aber ähnliche Probleme gibt. Teilweise ist der Bedarf an Hilfsgütern oder ehrenamtlicher Hilfe dort noch größer.

Hilfsgüter werden vor Ort gebraucht, aber in den allermeisten Fällen sollte man das am aktuellen Bedarf orientieren und in größere Aktionen einbinden. Wenn man ein paar alte T-Shirts oder Schuhe hat, die man nicht mehr tragen will, weil sie kaputt sind, kann damit auch auf Lesbos niemand etwas anfangen.

Es gibt also viele Möglichkeiten, wie man trotz allem sehr viel bewirken kann. Vielen Dank für all eure großartige Hilfe!

Europa darf die Seenotrettung nicht an Libyen auslagern

Das Gutachten “Places of Safety in the Mediterranean: The EU’s Policy of Outsourcing Responsibility“ der Heinrich Böll Stiftung zeigt auf, dass die nordafrikanischen Mittelmeeranrainerstaaten nicht als „sichere Häfen“ betrachtet werden können und dass die EU die Seenotrettung daher nicht an diese Staaten auslagern kann. Dies gilt vor allem für das Bürgerkriegsland Libyen.

Seit 2014 sind über 20.000 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken. Die Mitgliedsstaaten der EU schaffen es nicht, sich auf ein gemeinsames Programm zur Seenotrettung zu einigen und akzeptieren den Tod dieser Menschen, damit so wenige von ihnen wie möglich Europa erreichen. Sie kooperieren mit kriminellen Milizen in Libyen und nehmen bewusst Grundrechtsverletzungen in Kauf. Manche Politiker*innen schlagen sogar vor, die Geflüchteten direkt nach Nordafrika, auch ins libysche Kriegsgebiet, abzuschieben.

Vor diesem Hintergrund hat diese Studie wichtige politische Implikationen. Sie stellt fest, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten sich ihrer Verantwortung zur Rettung von Menschen im Mittelmeer nicht entziehen können.

Italien und Malta dürfen Häfen nicht schließen

Die Politik von EU-Staaten wie Italien und Malta, ihre Häfen zu schließen und NGO-Schiffen den Zugang zu ihren Häfen zu verweigern, kostet Menschen das Leben und ist ebenso illegal wie die Verlagerung der Rettung auf Libyen.

Die Mitgliedsstaaten und die EU müssen Geflüchtete und Migrant*innen retten und in europäische Häfen bringen. Nicht nur aus moralischen Gründen, sondern auch aus rechtlichen. Ihre Häfen müssen für Rettungsschiffe offenbleiben.

Tödlichste Route der Welt

Die Route von Libyen nach Europa ist die tödlichste Migrationsroute der Welt. Der Hauptgrund hierfür ist, dass die EU ihre Rettungsaktivitäten im Mittelmeer eingestellt hat. Die Marineoperation Sophia, die mehr als 40.000 Migrant*innen und Geflüchteten das Leben rettete, beendete den Einsatz. Es gibt derzeit kein einziges staatliches Rettungsschiff im Mittelmeer.

Zivile Organisationen, die versuchen, diese Lücke zu schließen, werden häufig behindert, strafrechtlich verfolgt oder ihre Schiffe werden beschlagnahmt. Indem Europa jegliche Seenotrettung einstellt und auch aktiv die NGOs daran hindert, Leben zu retten, ist sie für den Tod von tausenden Menschen im Mittelmeer mitverantwortlich.

Diese Studie macht deutlich, dass sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten dieser Verantwortung nicht dadurch entziehen können, dass sie die Seenotrettung an Libyen oder andere nordafrikanische Mittelmeeranrainer auslagern.

Libyen und andere Staaten in Nordafrika sind keine sicheren Häfen

Libyen ist einer der unsichersten und gefährlichsten Orte für Geflüchtete weltweit. Von der libyschen Küstenwache abgefangene Personen werden in Lager gebracht, in denen sie unmenschlichen Bedingungen, Folter, Vergewaltigung, Ausbeutung und sogar willkürlichen Tötungen ausgesetzt sind.

Die derzeitige europäische Politik, diese libysche Küstenwache zu unterstützen und sie zum Türsteher Europas zu machen, ist zutiefst unmenschlich und verstößt gegen das Völkerrecht. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben die Pflicht, die Menschen an einen sicheren Ort zu bringen, an dem ihr Leben und ihre Sicherheit nicht bedroht sind und wo sie vor Verfolgung sicher sind. 

Die Studie belegt, dass es diese sicheren Häfen nur in Europa gibt. Daraus ergeben sich folgende sieben konkreten politische Forderungen:

1. Wir brauchen eine europäische Seenotrettungsmission!

Die Mitgliedsstaaten müssen proaktiv Seenotrettungseinsätze betreiben und dafür Schiffe und Ressourcen zur Verfügung stellen. Die Europäische Kommission muss diese koordinieren und finanzielle Unterstützung für die Mitgliedsstaaten leisten, damit diese ihre Möglichkeiten verbessern, Menschenleben auf See zu retten. 

2. Die Zusammenarbeit der EU mit der libyschen Küstenwache muss beendet werden

Europa darf sich seinen Verpflichtungen in der Seenotrettung nicht dadurch entziehen, dass es die Verantwortung auf ein Land abwälzt, dass unter keinen Umständen als sicherer Ort betrachtet werden kann. Die EU muss die Zusammenarbeit mit Libyen einstellen. Statt die libysche Küstenwache zu finanzieren, die auch ein Zusammenschluss von Warlords ist, sollte die EU in ihre eigenen Kapazitäten zur Seenotrettung investieren.

3. Menschen, die im Mittelmeer aus Seenot gerettet wurden, müssen nach Europa gebracht werden

Die Studie belegt, dass keiner der nordafrikanischen Mittelmeeranrainer generell als sicherer Hafen eingestuft werden kann. Für gefährdete Gruppen wie LGBTI oder andere Minderheiten sind diese Staaten nicht sicher. Da es an Bord der Rettungsschiffe nicht durchführbar ist, festzustellen, welche Territorien für die Menschen sicher wären und welche nicht, kann sich Europa seiner Verantwortung nicht entziehen und muss die Menschen in sichere Häfen nach Europa bringen. Dies gilt auch für NGO-Schiffe. Die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache stellt eine Verletzung des Völkerrechts dar.

4. Die Kriminalisierung und Einschüchterung der NGOs muss enden

Schiffskapitän*innen und Besatzungsmitglieder dürfen für die Rettung von Personen in Seenot nicht strafrechtlich verfolgt werden. Diese Menschen sind Lebensretter*innen, keine Kriminellen. Die Europäische Kommission muss beschließen, dass humanitäre Hilfe nicht von den Mitgliedsstaaten kriminalisiert werden darf.

5. Die EU muss eng mit den NGOs zusammenarbeiten

Zivile Organisationen können die Mitgliedsstaaten nicht von ihrer Pflicht befreien, selbst Menschen in Seenot zu retten. Doch sie können dabei helfen, Leben zu retten. Die EU sollte die NGOs bei der Rettung unterstützen, indem sie ihre Häfen für sie öffnet, die Registrierung von Schiffen zur Seenotrettung vereinfacht und sie über Notfälle informiert.

6. Europa braucht einen zuverlässigen Umverteilungsmechanismus

Die EU-Kommission muss eine solidarische und humanitäre Alternative des Dublin-Systems entwickeln, in dem die Rechte und Wünsche der Geflüchteten beachtet werden. Eine hohe Solidarität und Aufnahmebereitschaft müssen auch finanziell gefördert werden. Dabei sollte vor allem auch die Bereitschaft von Kommunen und Regionen berücksichtigt und mit EU-Mitteln gefördert werden.

7. Die EU muss aufhören, Entwicklungsgelder für Migrationsabwehr zu missbrauchen 

Die EU unterstützt die libysche Küstenwache über den EU-Treuhandfonds für Afrika. Das ist ein Missbrauch von Geldern, die eigentlich der Entwicklungszusammenarbeit dienen. Das Ziel der Entwicklungszusammenarbeit ist die Bekämpfung von Armut, nicht die Bekämpfung von Migration. Allgemein muss viel transparenter gemacht werden, wofür EU-Gelder in Drittländern verwendet werden.

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