Frankfurter Rundschau-Gastbeitrag zur Situation an der EU-Außengrenze
Ich habe für die Frankfurter Rundschau über den täglichen Rechtsbruch an der EU-Außengrenze geschrieben.
Hier könnt ihr den Gastbeitrag lesen.
Ich habe für die Frankfurter Rundschau über den täglichen Rechtsbruch an der EU-Außengrenze geschrieben.
Hier könnt ihr den Gastbeitrag lesen.
In dieser Episode spreche ich mit Hendrik Simon, dem bis zu 20 Jahre Haft drohen, weil er als Teil der Iuventa-Crew Menschenleben Im Mittelmeer gerettet hat. Und mit Sean Binder, der in Griechenland über drei Monate im Gefängnis saß, weil er Menschen in der Ägäis gerettet und ihnen geholfen hat.
Das ist der Europäischen Union nicht würdig. Deswegen habe ich die beiden und viele andere Aktivist*innen nach Brüssel eingeladen, damit wir uns darüber unterhalten wie wir die Kriminalisierung von Helfer*innen beenden. Ihnen gebührt unser Dank, nicht der Knast.
„Uns drohen bis zu 20 Jahren Haft und bis 15.000 € Strafe pro Person, die wir aus dem Mittelmeer gerettet haben.“
Henrik Simon
„Ich war über drei Monate im Gefängnis, weil ich probiert habe Menschen zu helfen.“
Sean Binder
Das „Migration Policy Center“ kommt in der Studie „Sea Rescue NGOs: a Pull Factor of Irregular Migration?” zu dem Ergebnis, dass Menschen nicht auf Schlauchboote im Mittelmeer steigen, weil dort Rettungsschiffe unterwegs sind. Damit bestätigt sie die Ergebnisse vorheriger Studien, wie „Death by Rescue“. Und Border Deaths in the Mediterranean.
Die nun vorliegende Studie hat für den Zeitraum von 2014 bis Oktober 2019 untersucht, ob zwischen der Präsenz von Seenotrettungs-NGOs und der Anzahl der Menschen, die sich in Libyen auf den Weg über das Mittelmeer in Richtung Italien begeben, ein Zusammenhang besteht. Das ist nicht der Fall. Die Auswertung fand Monat für Monat über den Zeitraum von fünf Jahren statt. In dieser Zeit hat sich die politische Lage auf dem Mittelmeer mehrmals gravierend verändert. Statt Menschen mit staatlichen Mitteln aus Seenot zu retten, mussten zivile Hilfsorganisationen diese Aufgabe in den letzten Jahren übernehmen. Doch ihnen wird die Arbeit nicht nur erschwert – oft werden sie für ihre humanitäre Arbeit inzwischen kriminalisiert und eingeschüchtert. Das wird oft mit dem Vorwurf verbunden, dass die Seenotrettung die Zahl der Menschen erhöhe, die aus Libyen fliehen. Doch die Studie zeigt erneut, dass dieser Zusammenhang nicht besteht.
Es sind nachvollziehbare Motive, die Menschen auf die gefährliche Überfahrt zwingen. Libyen ist ein politisch zerrütteter Staat, in dem Geflüchtete und Migrant*innen aus Subsahara-Afrika von Folter, Versklavung, sexuellem Missbrauch und existenzieller Armut bedroht sind. Die Menschen steigen nicht in die Schlauchboote, weil dort Schiffe sind, die sie retten. Es sterben aber mehr Menschen, wenn keine Schiffe dort sind, um sie zu retten.
In den meisten Fällen tragen die Menschen keine Schwimmwesten und sind nicht mit Kommunikations- oder Navigationsmitteln ausgestattet. Viele können nicht schwimmen. Die vollkommen überfüllten Boote sind meist nicht in der Lage, eigenständig den nächsten sicheren Ort zu erreichen. Schon dadurch sind Menschen in Seenot.
Für die Behauptung, dass Menschen ihre Flucht von der Anwesenheit von Rettungsbooten abhängig machen, gibt es keine Belege. Trotzdem werden solche Zusammenhänge immer wieder in die Diskussion gebracht. So behauptete zuletzt die FDP in einem Tweet vom 8. Oktober 2019, dass Seehofers Zusage, aus Seenot gerettete Menschen auch in Deutschland aufzunehmen, mehr Menschen auf das Mittelmeer treibe.
Spiegel Online schriebt unter dem Titel: „Mehr Retter, mehr Flüchtlinge – warum das so nicht stimmt“, was die Ergebnisse der bisherigen Studien aussagen, die nun von der neuen Studie bestätigt werden. Der Migrationswissenschaftler Matteo Villa sammelte Daten darüber, wie viele Migrant*innen von Anfang Januar bis Ende Juni 2019 von der libyschen Küste ablegten und an wie vielen dieser Tage Boote von privaten Seenotrettungs-NGOs im Einsatz waren. Sein Ergebnis lautet, dass an den 31 Tagen, an denen NGOs im Mittelmeer unterwegs waren, die Schlepper im Schnitt 32,8 Personen aufs Meer schickten; an den 150 Tagen, an denen keine NGOs präsent waren, schickten die Schlepper im Schnitt 34,6 Personen auf den Weg. Villas Fazit, so Spiegel Online: „Der Pull Faktor existiert nicht.“
Studien:
Ich habe mit der Süddeutschen Zeitung über die schrecklichen Verhältnisse auf der Balkanroute gesprochen. Hier könnt ihr das Interview lesen.
Anfang August habe ich die bosnische Stadt Bihać an der EU-Außengrenze besucht und dort Bedingungen gesehen, die absolut menschenunwürdig sind. Der Ort ist zu einem Flaschenhals für Schutzsuchende geworden, weil sie von hier aus nicht weiterkommen. In Bihać sieht man überall auf der Straße obdachlose Geflüchtete, weil es nicht ausreichend Platz in den Unterkünften gibt.
Noch schlimmer ist die Situation in dem informellen Lager Vučjak, dass sich auf einer ehemaligen Müllhalde mitten im Nirgendwo befindet. Die Menschen werden von der Polizei wie Vieh nach oben getrieben, umgeben von Moskitos und Landminen. In viel zu kleinen Zelten sind viel zu viele Männer zusammengepfercht, Selbst das Wasser wurde inzwischen dort abgestellt. Das rote Kreuz verteilt noch kleine Lunchpakete, aber die reichen nicht aus. Medizinische Versorgung gibt es dort nicht mehr, nachdem ein Team von Freiwilligen um den deutschen Fotografen Dirk Planert des Landes verwiesen wurde. Der Grund: Sie hatten keine Arbeitserlaubnis. Man kann aber auch keine Arbeitserlaubnis bekommen, weil es kein offizielles Lager ist. Die Bedingungen dort sind so schlecht, dass IOM und UNHCR nicht tätig werden wollen, weil sie sagen, das käme einer Anerkennung des Lagers gleich. Dabei sollte es dieses Lager überhaupt nicht geben.
Obwohl Minderjährige einen besonderen Schutz genießen, werden auch Kinder in Vučjak eingeschlossen. Ich habe mit einem Elfjährigen gesprochen, der mir erzählt hat, dass er mit Gewalt von der kroatischen Grenzpolizei nach Bosnien-Herzegowina zurückgebracht wurde. Was soll ich diesem elfjährigen Kind über die Wertegemeinschaft EU erzählen?
Die kroatische Polizei darf die Schutzsuchenden nicht einfach nach Bosnien-Herzegowina zurückschicken. Wer über die Grenze in die EU kommt, hat das Recht darauf, einen Asylantrag zu stellen. Doch dieses Recht wird im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten. Ein Bericht von Amnesty International dokumentiert, wie die kroatische Polizei die Menschen misshandelt. Außerdem wird ihnen ihr Geld abgenommen, ihre Handys zerstört und manchen werden auch die Schuhe weggenommen. Das sind keine Exzesse einzelner Polizeibeamter. Das ist systematische und von oben angeordnete Gewalt. Einzelne Polizeibeamte richteten sich bereits an kroatische Medien und sagten, dass ihnen mit Sanktionen gedroht wird, wenn sich weigern, mit dieser Brutalität gegen Geflüchtete vorzugehen.
Es wäre die Aufgabe der EU-Kommission, diesen täglichen Rechtsbruch klar und deutlich zu benennen und neben dem Grenzschutz auch für die Einrichtung einer unabhängigen Kontrollinstanz an der Grenze zu sorgen. Doch die Kommission verschließt bislang die Augen. Als Ursula von der Leyen kurz nach ihrer Wahl zur Kommissionspräsidentin nach Kroatien reiste, hat sie den täglichen Rechtsbruch an der EU-Außengrenze nicht angesprochen. Die Kommission sprach sich zudem dafür aus, Kroatien in den Schengenraum aufzunehmen. Auch ich möchte, dass Kroatien bald Mitglied des Schengenraums wird. Aber ich möchte auch, dass wir davor dafür sorgen, dass grundlegende Menschenrechte an der kroatischen EU-Außengrenze eingehalten werden. Kroatien wird am 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen und der harte Winter naht für die Menschen in Vučjak und Bihać.
Die Kritik habe ich mit anderen Abgeordneten in einem Brief an die Kommission zum Ausdruck gebracht. Wir haben sie aufgefordert, sich für eine Verbesserung der Situation einzusetzen.
Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um eine schnelle Lösung zu finden und zu verhindern, dass Menschen dort an unserer Außengrenze erfrieren. Diese Lage verdient mehr Aufmerksamkeit. Wir müssen Bosnien-Herzegowina dabei helfen, die Menschen menschenwürdig unterzubringen, wir müssen aber auch fordern, dass Bosnien-Herzegowina an einer nachhaltigen Lösung arbeitet. Außerdem müssen die rechtswidrigen und gewaltvollen Abschiebungen durch die kroatische Grenzpolizei aufhören.
Jeder Mensch verdient, unabhängig von seinem Pass, eine würdige Behandlung und in Europa hat jeder Mensch das Recht auf ein rechtstaatliches Asylverfahren.
Anfang dieser Woche veröffentlichte die UN eine Studie mit dem Titel „Scaling Fences“ (Zäune erklimmen). Dafür wurden rund 3000 Menschen aus 43 afrikanischen Staaten befragt, die in den vergangenen Jahren nach Europa gekommen sind.
Das Besondere an der Studie: Es geht nicht um Menschen, die Krieg und Verfolgung als Fluchtgrund angeben, sondern um solche, die ihre Heimat auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen haben, aber keine legalen Möglichkeiten zur Einreise hatten.
Die Erkenntnisse der Studie sind spannend. Diejenigen, die ihre Heimat verlassen, sind überdurchschnittlich gut gebildet. Sie verdienten 60 Prozent mehr als der Durschnitt in ihren Herkunftsländern.
Als Hauptgrund für ihre Migration geben die meisten an, dass sie nach einer besseren Arbeit suchen. Als zweithäufigster Grund werden die schlechte Regierungsführung und die Sicherheitslage in den Herkunftsländern angegeben. Es sind also oft junge und gut ausgebildete Menschen, die vor Korruption und Autokratie in demokratische Länder migrieren.
In Europa angekommen, arbeiten die meisten unter ihrer Qualifikation. Ein Fünftel der Männer als Obst- und Gemüsepflücker, ein Drittel der Frauen als Putzkräfte oder Haushaltshilfen. Viele sind informell beschäftigt und bekommen weniger als den Mindestlohn. Weil sie nicht arbeiten dürfen, aber arbeiten müssen, werden sie besonders häufig Opfer von Ausbeutung.
Die meisten der Befragten gaben an, von den Gefahren der Reise zu wissen. Trotzdem sagen 41 Prozent, es gebe nichts, was sie von der Reise hätte abbringen können. Nur zwei Prozent gaben an, sie hätten sich nicht auf den Weg gemacht, wenn sie vorher gewusst hätten, wie gefährlich die Reise wird. 91 Prozent der Befragten gaben an, über den Seeweg nach Europa gekommen zu sein.
Diese Zahlen zeigen auch, dass wir Migration endlich als Realität anerkennen müssen und anfangen müssen an einer besseren Migrationspolitik, statt an Abschottung zu arbeiten.
Ein weiteres Hauptmotiv für Migration ist der Wille, die Familien in den Herkunftsländern zu unterstützen. 78 Prozent unterstützen ihre Familien mit Rücküberweisungen, doch das hat für sie einen hohen Preis. Dazu gehören Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt, Rassismus und schlechte Wohnverhältnisse. Mehr als sieben Jahre nach ihrer Ankunft sind 12 Prozent der Befragten obdachlos.
Für mich zeigt diese Studie, dass wir aufhören müssen, Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben in überfüllte Schlauchboote zu zwingen. Wir brauchen Abkommen mit den Herkunftsländern und ein Kontingent für legale Migration für Menschen, die wir in unseren alternden Gesellschaften brauchen. Wir brauchen eine Ausweitung von Studienprogrammen, die es Menschen aus den afrikanischen Herkunftsstaaten ermöglichen, sich in Europa fortzubilden und in Europa zu studieren. Dazu gehören auch zeitlich befristete Arbeitsvisa, die es Menschen ermöglichen, legal einzureisen, legal zu arbeiten und später in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Viele Menschen werden mit neuem Know-How in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Andere werden in Europa bleiben und ihre Herkunftsstaaten mit Rücküberweisungen unterstützen. Auch das ist ein Weg hin zu einer nachhaltigen und effektiven Entwicklungszusammenarbeit, von denen die Staaten Europas und Afrikas profitieren können.
Das Schlechteste, was wir machen können, ist es die Realität der Migration zu ignorieren und verzweifelt zu versuchen, uns in einer „Festung Europa“ vom Rest der Welt abzuschotten.
Hier findet ihr meine erste Rede: Ich werde weiter für die Suche und Rettung auf See und für sichere und legale Wege für Asylsuchende und Migranten nach Europa kämpfen.
Vice hat dazu berichtet:
Ich habe im Tagesspiegel über die Diffamierungskampagne gegen Seenotrettung geschrieben. Hier könnt ihr den Beitrag lesen.