Anfrage: Menschenrechtsverstöße durch griechische Behörden

Um als Europaabgeordneter meine parlamentarische Kontrollfunktion ausüben zu können, habe ich die Möglichkeit, Anfragen an die EU-Kommission stellen. Die Kommission muss diese Fragen beantworten.
Gemeinsam mit weiteren Abgeordneten habe ich der Kommission folgende Fragen gestellt:

Betrifft: Systematische und koordinierte Push-Backs durch die griechischen Behörden

Am 17. August 2020 veröffentlichte die New York Times einen Artikel mit dem Titel „Taking Hard Line, Greece Turns Back Migrants by Abandoning Them at Sea“ (Harter Kurs: Griechenland drängt Migranten zurück, indem es sie auf dem Meer aussetzt). Darin wird dokumentiert, wie Migranten, die auf griechischem Boden anlandeten, von den griechischen Beamten mehrfach auf unsichere Rettungsinseln gezwungen und an der Seegrenze zwischen der Türkei und Griechenland ausgesetzt wurden. Dort wurden sie treiben gelassen, bis sie von der türkischen Küstenwache gerettet wurden. Andere wurden zurück an die türkische Seegrenze geschleppt und dort zurückgelassen, nachdem die Beamten ihre Motoren deaktiviert hatten, wurden auf einer unbewohnten Insel zurückgelassen oder über den Fluss Evros ohne die Möglichkeit des Rechtsbehelfs ausgewiesen.

Sind der der Kommission diese Vorkommnisse bekannt, und kann sie bestätigen, dass sich solche Vorfälle ereignen?

In Anbetracht der Seriosität der Zeitung sind wir der Ansicht, dass die griechischen Behörden beispiellose, ausgesprochen aggressive und systematische Push-Backs durchführen und somit gegen Unionsrecht verstoßen, insbesondere gegen Artikel 78 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 3 und 4 des Schengener Grenzkodex der EU, Artikel 9 der Asylverfahrensrichtlinie, Artikel 5 der Rückführungsrichtlinie, Artikel 18, Artikel 19 Absatz 2 und Artikel 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Asyl und Migration fallen in die geteilte Verantwortung der Union. Gedenkt die Kommission in Anbetracht dieser Tatsache ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die griechische Regierung einzuleiten?

Antwort von Kommissarin Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 06.11.2020:

Die Kommission verfolgt die Situation aufmerksam und hat Berichte wie die von den Damen und Herren Abgeordneten zitierten zur Kenntnis genommen.

Sie hat gegenüber den griechischen Behörden Bedenken hinsichtlich dieser Berichte geäußert und betont, dass die Mitgliedstaaten für die Aufgaben der Grenzüberwachung gemäß der Verordnung (EU) 2016/399 zum Schengener Grenzkodex[1] verantwortlich sind. Dabei sind die Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Grundrechten, der Gewährleistung des Zugangs zu internationalem Schutz und sowie dem Grundsatz der Nichtzurückweisung nach Unions- und Völkerrecht uneingeschränkt einzuhalten.

Unbeschadet der Befugnisse der Kommission als Hüterin der Verträge sind in erster Linie die nationalen Behörden für die ordnungsgemäße Umsetzung und Anwendung des EU-Rechts verantwortlich. Daher hat die Kommission die griechischen Behörden nachdrücklich aufgefordert, etwaiges Fehlverhalten zu untersuchen.

Mit dem neuen Migrations- und Asylpaket[2] – insbesondere dem Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines Screenings von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen[3] – hat die Kommission angeregt, dass die Mitgliedstaaten, mit Unterstützung der Agentur für Grundrechte, einen unabhängigen Überwachungsmechanismus einrichten. Dieser würde während des Screenings die Einhaltung des EU- und des Völkerrechts, einschließlich der Charta der Grundrechte, gewährleisten. Gleichzeitig wäre sichergestellt, dass etwaige Verletzungen der Grundrechte – auch im Zusammenhang mit dem Zugang zum Asylverfahren und der Nichteinhaltung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung – wirksam und unverzüglich untersucht werden.


[1] Verordnung (EU 2016/399 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) ABl. L 77 vom 23.3.2016.

[2] COM(2020)609 final vom 23. September 2020.

[3] COM(2020)612 final vom 23. September 2020.

Ein Monat nach dem Brand: Zur Lage auf Lesbos

Nach der Katastrophe Anfang September bin ich nach Lesbos gereist, um mir vor Ort ein Bild zu verschaffen. Für die Menschen aus dem abgebrannten Lager Moria ist seitdem alles nur noch schlimmer geworden – allen Versprechungen zum Trotz.
Im Interview mit Radio eins (RBB) spreche ich über die Situation vor Ort, und was jetzt zu tun wäre.
Das Gespräch könnt ihr hier nachhören.

Gastbeitrag: Tear down Moria!

Die Berliner Zeitung hat mich gebeten, zu 30 Jahre Deutsche Einheit einen Gastbeitrag zu verfassen:
Der Mut von 1989 sollte wichtiger sein als die Angst vor 2015. Schauen wir nicht weg, wenn die EU an den Außengrenzen Leid erzeugt.

Ich schreibe diese Zeilen auf Lesbos, einem der schönsten Orte Europas, der in diesen Tagen eine seiner schrecklichsten Geschichten erzählt. Moria, das größte Flüchtlingslager Europas, ist vollständig abgebrannt. 13.000 Menschen, die schon vorher in unwürdigen Bedingungen lebten, sind jetzt obdachlos.

Tagelang hinderte die lokale Polizei die Hilfsorganisationen daran, die obdachlosen Opfer der Brandkatastrophe medizinisch zu versorgen und ihnen Essen zu geben. Viele aßen und tranken tagelang nichts, und Kinder löschten ihren Durst notgedrungen mit Abwasser, woraufhin sie mit schlimmem Durchfall zu kämpfen hatten. Die Polizisten setzten Tränengas gegen Männer, Frauen und sogar Kinder ein. Brandwunden blieben tagelang unterversorgt.

Die Berliner Mauer stand 28 Jahre lang als Symbol für Repression, Unfreiheit und das Einsperren der eigenen Bevölkerung. Die Lehren aus dieser Zeit sucht man an den europäischen Außengrenzen vergebens. Und auch weltweit haben Mauern Konjunktur. Es gibt inzwischen 70 Grenzmauern auf der Welt – etwa fünfmal so viele wie 1989. Die Berliner Mauer existiert nicht mehr. Doch der Gedanke, durch ein Bauwerk das Andere, das Fremde, das Feindliche abzuhalten, gedeiht an vielen Orten nach wie vor.

Das Glück der Freiheit scheint vergessen

Doch warum ist der Wunsch nach Freiheit heutzutage nicht stärker als der Wunsch nach neuen Mauern? Die Mauer ist ein Bauwerk, das schützen soll. Doch hält sie auch die eine Seite davon ab, die andere zu sehen. In einer immer komplexer werdenden Welt ist der Wunsch nach neuen Mauern dabei wohl nicht nur ein Wunsch nach Geborgenheit und Sicherheit, sondern auch der Wunsch danach, der steigenden Komplexität einen Schutzwall entgegenzusetzen, um der eigenen Überforderung durch das Unbekannte etwas entgegenzusetzen. Dabei sperrt die Mauer nicht nur das Unbekannte aus, sondern auch das Bekannte ein.
Nun gibt es ein neues Moria. Und die Zustände sind schlimmer denn je. Während kleine Kinder hinter Absperrbändern und Zäunen im Dreck spielen, suchen auf der anderen Seite Soldaten nach Minen und Munitionsresten. Menschen, die mit Corona infiziert sind, werden mit anderen, die als Verdachtsfälle gelten, hinter Stacheldraht eingesperrt. Das ist ein Verbrechen.

Als die Berliner Mauer fiel, war ich zwei Jahre alt. Ich konnte keine Texte schreiben, und ich hatte noch nie ein Geschichtsbuch gelesen. Mauer, Diktatur und Schießbefehl beraubten Millionen Menschen ihrer Freiheit. Die Mauer fiel, weil die Idee der Demokratie sie eingerissen hatte. Nun, 30 Jahre später, sitze ich hier, und einige Kilometer weiter sind demokratische Staaten für die Entwürdigung von Menschen verantwortlich. 30 Jahre später scheint vergessen zu sein, welches Glück es ist, dass wir Freiheit teilen dürfen.

Ich habe das Glück, dass ich die Diktatur in der DDR nicht mehr bewusst erleben musste. Ich habe das Glück, in dieser Zeit, in diesem Europa zu leben. Dieses Glück verdanke ich mutigen Bürgerinnen und Bürgern, die uns diese Freiheit erkämpft haben. Nicht mit Gewalt, sondern mit einer Idee. Der Idee, dass wir eine Gesellschaft auf einem Fundament aus Rechtsstaat, Menschenrechten und der Würde jedes einzelnen bauen müssen – weil wir nur so ein Haus bauen können, das niemand mehr einreißen kann. Die Menschen gingen mit dieser Idee auf die Straße und wussten nicht, ob sie zur Realität wird. Sie konnten nicht wissen, dass keine Schüsse fallen würden. Am 9. November 1989 war es dann endlich soweit. Die Mauer fiel und die Welt feierte. Doch heute steht die Berliner Mauer wieder – in Moria.

Moria ist ein Signal an die eigene Bevölkerung, aber auch an Menschen auf der Flucht: Wer es wagt, nach Europa zu fliehen, soll sich nicht auf die eigenen Erwartungen verlassen. Die Freiheit, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit, die viele in Europa suchen, sollen Schutzsuchende nicht mehr finden. Statt einer Seenotrettung im Mittelmeer für Menschen, die aus Libyen fliehen, errichten wir eine Mauer aus Ertrunkenen.

Diese Strategie der entwürdigenden Außengrenzen folgt dabei einer einfachen Logik: So lange das Mittelmeer und Moria nicht gefährlicher sind als der Bürgerkrieg in Libyen, steht die Mauer der Abschreckung nicht stabil. Wenn weniger Menschen ankommen sollen, müssen mehr leiden und sterben.

Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass wir mehr Angst vor uns selbst haben sollten als vor der anderen Seite jenseits der Mauer? Während wohl die meisten europäischen Staats- und Regierungschefs in Reden für Rechtsstaatlichkeit eintreten, sieht die Realität an den europäischen Außengrenzen düster aus. Statt in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu ermitteln, welche Gründe ein Mensch hat, auf ein überfülltes Schlauchboot zu steigen und sein Leben für die Freiheit zu riskieren, werden die Schutzsuchenden an den Außengrenzen mit Knüppeln, Tränengas und Warnschüssen erwartet. Mehrfach kam es zu Mauertoten, einige wurden erschossen. „Effizientes Grenzmanagement“ heißt der „antifaschistische Schutzwall“ heute.

Für viele sind Schlepper der einzige Weg

Weitere Kampfbegriffe sollen die Mauer stabilisieren: Im Oktober 2015, in der alle Welt über Flucht sprach, verlieh Manfred Weber als Vorsitzender der EVP-Fraktion die Robert-Schumann-Medaille an Wolfgang Welsch. Der Fluchthelfer Welsch hatte über 200 Menschen geholfen, aus der DDR in die Bundesrepublik zu kommen. Eine großartige Leistung.

Nach der Laudatio für den prämierten Fluchthelfer von gestern forderte Manfred Weber von der EVP in der öffentlichen Debatte, die „Schlepper-Mafia“ von heute im Mittelmeer zu bekämpfen.

Das Urteil der EU-Regierungen ist in seiner Geschichtsblindheit eindeutig: Die Fluchthelfer von früher haben für ihre Dienste auf dem Weg von der Diktatur in die Demokratie Medaillen verdient – heute wiederum sind die Fluchthelfer die Schuldigen für die Toten an unseren Mauern und gehören bekämpft. Eine erfolgreiche Flucht wird nicht mehr gefeiert. Eine erfolgreiche Flucht ist das Scheitern der Strategie der Abschottung. Hauptsache nie wieder 2015. Hauptsache keine neue „Flüchtlingswelle“.

Die Schlepper aus Libyen handeln sicherlich nicht aus humanen Motiven, sind jedoch für viele Geflüchtete der einzige Weg, um zu einem Asylverfahren in Europa zu kommen, in dem die Würde jedes einzelnen Menschen zu schützen eigentlich die Aufgabe aller staatlichen Gewalt ist.

Europa zeigt seine hässliche Seite

Doch staatliche Gewalt ist an den europäischen Außengrenzen zu einem wertlosen Zombie verkommen, der ausschließlich einem einzigen Ziel folgt: Weniger Menschen sollen nach Europa kommen – koste es, was es wolle. In vielen Reden wird besonders seit 2015 immer wieder betont, dass man Fluchtursachen bekämpfen müsse. Seit 2015 sind weltweit über 15 Millionen Menschen zusätzlich auf der Flucht.

Aber wie soll man denn nun damit umgehen, dass wir Menschenrechte schützen wollen, aber 80 Millionen Geflüchtete weltweit nun wahrlich nicht nach Berlin oder Thüringen kommen können? „Wie viele Millionen sollen denn noch kommen?“, werden immer wieder diejenigen gefragt, die sich für Menschenrechte von Geflüchteten einsetzen. Dabei lohnt es, zu überlegen, ob auf dem Weg zum neuen Mauerfall an den Außengrenzen nicht vorher einige der gedanklichen Mauern fallen müssen, die in den letzten Jahren in Köpfen errichtet wurden.

Als Anfang März 2020 Erdogan erklärte, die Grenzen nach Europa seien nun geöffnet und 15.000 Menschen an die Grenze gedrängt wurden, sah die Welt diesem vermeintlich friedlichen Europa dabei zu, wie es seine hässliche Seite zeigte. Erdogan missbrauchte die Menschen als Waffe. Doch wir entwaffneten ihn nicht durch eine demokratische Antwort. Europa schoss einfach zurück.

Gerechtfertigt wurde das Schießen mit Munition und Tränengas vor allem damit, dass das ja gar keine „richtigen Flüchtlinge aus Syrien“ seien. Abgesehen davon, dass man die Fluchtgründe in Asylverfahren und nicht in Grenzscharmützeln prüft, war vor allem die Abwesenheit von syrischen Geflüchteten bemerkenswert. Jahrelang wurde vor einem Andrang von Millionen von Menschen gewarnt, die in der Türkei auf gepackten Koffern säßen. Und dann kommen trotz der Grenzöffnung nur eine Handvoll der 3.500.000 syrischen Geflüchteten an die Grenze, vor denen wir uns fürchteten? Wie kann das sein?

Die Zukunft ist nie leicht

Die Antwort ist einfach: Es gibt diese Millionen von Menschen nicht, die nach Europa drängen. 3,5 Millionen Väter, Mütter und Kinder aus Syrien sind nicht auf der Flucht. Sie leben in der Türkei. Sie fliehen nicht nach Europa, weil sie nicht nach Europa fliehen wollen.

In der Realität ist die von Regierungen artikulierte Angst vor einem Kontrollverlust an den europäischen Außengrenzen eine Metapher für die Angst vor dem Kontrollverlust über die eigenen Wahlergebnisse. Diese Angst lähmt dabei zu oft und zu lange schon den Willen, Herausforderungen zu bewältigen. Doch wenn demokratische Regierungen – wie in der Asylpolitik – den Eindruck eines einsturzgefährdeten Hauses erzeugen, muss man sich nicht wundern, wenn sich die Bevölkerung nach einer anderen Wohnung umschaut.

Wer die Mauern an den Grenzen niederreißen will, der muss vor allem den Wunsch nach neuen Mauern niederreißen. Nicht mit Gewalt, sondern mit einem Gedanken. Wie damals mutige Menschen gegen einen Unrechtsstaat auf die Straßen gingen, müssen auch heute wieder unsere kraftvollen Ideen von Freiheit, Würde und Rechtsstaatlichkeit das Unrecht im eigenen Europa niederreißen. Dann fällt auch die Mauer.

Die Zukunft ist nie leicht, denn wir kennen sie nicht. Aber wir sollten in der Gegenwart alles dafür tun, damit wir später unseren Enkeln stolz von früher erzählen dürfen. Von damals, als wir im Jahr 2020 die Mutigen waren, die gegen die Mauer in unseren Köpfen und an unseren Außengrenzen aufbegehrten. Von damals, als wir endlich verstanden, dass wir unseren Wohlstand, die Freiheit und Sicherheit nicht schützen, indem wir anderen dies alles nehmen. Von damals, als Moria abbrannte und aus der Asche die Kraft entstand, zu lernen, was wir schon 1989 wussten. Von damals, als wir lernten, dass der Mut von 1989 wichtiger war als die Angst vor einem neuen 2015.


Dieser Artikel ist zum Tag der Deutschen Einheit in der Berliner Zeitung erschienen.

Migrationspakt – Warum der Vorschlag der EU-Kommission ein weiteres Moria nicht verhindert

Der Vorschlag der EU-Kommission für den Migrationspakt wird ein weiteres Moria nicht verhindern. Im Gegenteil, er würde das Modell der griechischen Massenlager in Gesetzesform gießen. Grenzverfahren und geschlossene Lager an den Außengrenzen würden in Europa zur Norm. Das Versagen des Dublin-Systems würde fortgeschrieben werden und eskaliert, weiterhin ohne eine verpflichtende solidarische Aufnahme von Flüchtlingen. Auch für Deutschland drohen erhebliche Verschärfungen des Asylrechts. Der Vorschlag der Kommission zu Asylverfahren verschärft das Asylpaket II von 2016 und gießt es in europäisches Recht.

Europäische Werte werden beschädigt

Die EU-Kommission hat sich mit dem Pakt als oberstes Ziel eine europäische Einigung um jeden Preis gesetzt. Dafür nimmt sie in Kauf, dass der Flüchtlingsschutz und unsere gemeinsamen europäischen Werte schwer beschädigt werden. Statt geordneter und fairer Verfahren überall in Europa wird der Pakt die Krise an den Außengrenzen verschärfen. Der Pakt muss jetzt im Europäischen Parlament und unter den Mitgliedsstaaten im Rat beraten und beschlossen werden. Wir Grüne werden uns bei den Verhandlungen dafür einsetzen, dass das systematische Leiden von Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen ein Ende hat. Aus der Asche von Moria muss ein faires und humanitäres Europäisches Asylsystem entstehen.

Unter diesem Link findet ihr unseren Vorschlag für ein faires Asylsystem in Europa.

Grenzverfahren: massenhafte Inhaftierung von Geflüchteten

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen alle Personen, die ohne gültige Papiere in die EU einreisen wollen oder aufgegriffen werden, in geschlossene Lager unter Haftbedingungen gebracht werden. Das gilt auch für aus Seenot Gerettete. Die Ankommenden müssen zunächst eine Vorprüfung durchlaufen, die innerhalb von fünf Tagen abgeschlossen sein muss. Das schließt die Registrierung sowie einen Gesundheitscheck und eine Sicherheitsabfrage in europäischen Grenz- und Sicherheitsdatenbanken ein.


Bei der Vorprüfung soll außerdem erfasst werden, welche Art von Verfahren die Ankommenden
durchlaufen müssen und ob sie weiter unter Haftbedingungen festgehalten werden:

– Ein normales Asylverfahren soll nur noch bekommen, wer aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von mehr als 20 Prozent kommt, wenn also mindestens jeder fünfte Asylsuchende aus diesem Land in der EU als Geflüchteter anerkannt wird.

– Ein Asylschnellverfahren unter Haftbedingungen an der Grenze (Grenzverfahren) muss durchlaufen, wer aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent kommt, wer ein Sicherheitsrisiko darstellt oder wer falsche Angaben zu seiner Identität macht.

– Auch Menschen aus einem bisher sicheren Herkunftsland (beispielsweise aus dem Balkan) oder aus einem sicheren Drittstaat (etwa Syrer, die über die Türkei einreisen) müssen ein Asylschnellverfahren durchlaufen, allerdings nicht zwingend an der Grenze.

– Wer kein Asyl beantragt, soll direkt aus dem Lager abgeschoben werden.


Die Kommission weitet damit die Inhaftierung von Geflüchteten deutlich aus. Nach den Plänen der Kommission sollen die meisten Schnellverfahren in geschlossenen Lagern an der Grenze durchgeführt werden. Davon ausgenommen sind nur unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sowie Kinder unter 12 Jahren und ihre Familien. Sie werden während ihres Asylschnellverfahrens in einer offenen Einrichtung untergebracht, genauso wie Asylsuchende, die ein normales Asylverfahren durchlaufen. nach diesem Verfahren hätte 2017 und 2018 mehr als die Hälfte der irregulär Ankommenden ein Grenzverfahren unter Haftbedingungen durchlaufen müssen, weil sie aus Ländern mit einer als niedrig definierten Anerkennungsquote kamen. In 2019 dagegen kamen mehr Schutzbedürftige aus Ländern mit höherer Anerkennungsquote an.

Haftdauer von Asylsuchenden soll verlängert werden

Die Kommission will mit ihrem Vorschlag ein Signal der Abschreckung senden. Dafür nimmt sie in Kauf, dass der Flüchtlingsschutz und die Menschenwürde von Geflüchteten unterminiert werden. Sie will die Haftdauer von jetzt 4 Wochen für Grenzverfahren auf künftig 12 Wochen drastisch verdreifachen. Nur wenn das Asylverfahren in dieser Zeit nicht abgeschlossen werden kann, kommen die Asylsuchenden in normale Flüchtlingsunterkünfte.

Wer abgelehnt wird, soll außerdem direkt aus den Grenzlagern abgeschoben werden, ohne europäischen Boden betreten zu dürfen. Wenn das bis 12 Wochen nach Ende des Asylverfahrens nicht möglich ist, sollen sie in der Regel in Abschiebehaftanstalten überführt werden. Die entscheidende Frage, nämlich wie die Verzahnung von Asyl- und Abschiebeverfahren zu einer Erhöhung der Abschiebequote führen soll, bleibt dabei genauso unbeantwortet wie die Frage, wie die Kommission erreichen will, dass die Mitgliedstaaten Asylverfahren effizienter durchführen als bisher. Die Kommission schafft mit den Grenzverfahren neue Lager. Aber sie hat keine Antwort darauf, wie ein zweites Moria verhindert werden soll.

Dublin und Flüchtlingsverteilung: überfüllte Lager bleiben

Die EU-Kommission hatte das Dublin-System für tot erklärt – und will es mit dem Pakt doch als Kernelement des europäischen Asylsystems beibehalten. Was sich mit dem Pakt ändert, ist vor allem der Titel. Dublin heißt jetzt „Migrationsmanagement“. Das Dublin-System ist ein System der Verantwortungsabwälzung auf Mitgliedstaaten an den südlichen Außengrenzen der EU. Der Mitgliedsstaat, in dem eine Geflüchteter zuerst europäischen Boden betritt, ist nach dem Dublin- System für Asylverfahren und Unterbringung zuständig. Anstatt das System der Verantwortungsabwälzung endlich durch ein System der gerechten Verantwortungsteilung für Schutzsuchende in Europa zu ersetzen, will es die Kommission mit dem Pakt zementieren.


Mitgliedsstaaten sollen künftig sehr viel länger als die bisherigen 18 Monate für eine Asylsuchenden zuständig sein. Erst drei Jahre nach der Anerkennung als Flüchtling erlischt das Recht der anderen Mitgliedstaaten, Geflüchtete zurückzuschicken, die irregulär in einen anderen Mitgliedsstaat weitergezogen sind. Die Kommission will es Mitgliedstaaten außerdem leichter machen, weitergezogene Asylsuchende wieder zurückzuschicken. Asylsuchende selbst sollen keinerlei Unterstützung und Unterkunft bekommen, wenn sie irregulär weiterziehen. Einer der wenige positiven Aspekte im Kommissionsvorschlag ist die Ausweitung der Familienzusammenführung auf
Geschwister.

Abschiebepatenschaften statt Lösungen – Südliche EU-Länder werden weiterhin im Stich gelassen

Der Vorschlag der Kommission verschärft die Verantwortung der südlichen EU-Länder wie Griechenland, Malta, Italien oder Spanien – ohne ihnen ausreichend Solidarität zu bieten. Das von der Kommission vorgeschlagene System der flexiblen Solidarität ist komplex. Es läuft darauf hinaus, dass die Mitgliedsstaaten eine ganze Palette von Ausweichmöglichkeiten haben, um Geflüchtete nicht aufnehmen zu müssen. Solidarität wird zwar im Fall eines „hohen Migrationsdrucks“ verpflichtend, aber nicht die Aufnahme von Geflüchteten. Mitgliedstaaten können nach dem Vorschlag der Kommission stattdessen:

– Kapazitätsaufbau leisten – etwa durch die Bereitstellung von Fingerabdruckscannern für die Registrierung der Ankommenden

– diese Länder operativ unterstützen – etwa durch die Entsendung von Grenzschützerinnen oder Asylexpertinnen

– durch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten darauf Einfluss nehmen, dass weniger Schutzsuchende kommen oder

– durch sogenannte Rückführungspartnerschaften oder auch Abschiebepatenschaften – etwa indem sie Griechenland dabei helfen, von dem Drittstaat, in den abgeschoben werden soll, die Reisedokumente zu besorgen, oder indem sie dafür sorgen, dass das Land in die Rückführung einwilligt. Nur wenn die Person auch nach acht Monaten nicht abgeschoben werden kann, muss der Mitgliedsstaat sie aufnehmen.

Falls die Lager überfüllt sind, kann die Kommission zwar darauf drängen, dass die Mitgliedsstaaten Geflüchtete aufnehmen. Mitgliedsstaaten können aber auch dann auf Rückführungspartnerschaften ausweichen. Mit diesem Vorschlag kommt die Kommission Ländern wie Ungarn oder Polen, die bisher jede Umverteilung boykottieren, weit entgegen – und nimmt dafür in Kauf, dass das europäische Asylsystem erneut scheitert. In vielen Fällen kann nicht abgeschoben werden, weil der betreffende Drittstaat nicht kooperiert. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex hat bereits die Aufgabe, Mitgliedsstaaten bei Abschiebungen zu unterstützen. Es ist völlig unklar, wie Rückführungspartnerschaften zusätzlich dazu beitragen sollen, Abschiebehindernisse abzubauen.

Der Vorschlag der Kommission wird ein weiteres Moria nicht verhindern. Die Lager an den Außengrenzen werden überfüllt bleiben, weil Mitgliedsstaaten nach eigenem Gusto aufnehmen können und Rückführungspartnerschaften nur in den wenigsten Fällen dazu führen werden, dass mehr Menschen ohne Bleiberecht zurückgeschickt werden können. Die Verlierer des Kommissionsvorschlags sind die Länder an den südlichen EU-Außengrenzen. Die Profiteure sind Mitgliedsstaaten wie Deutschland oder Schweden. Sie können wegen der Verschärfung der Dublin- Regeln damit rechnen, dass sie die Verantwortung für irregulär in ihr Land weitergezogene Geflüchtete stärker auf Länder wie Griechenland abschieben können.

Der Krisenmechanismus

Das Europäische Parlament hatte in seiner Positionierung zur letzten Dublin-Reform 2018 eine faire Verteilung von Asylsuchenden von Anfang an gefordert. Das findet sich jetzt nur noch im Vorschlag der Kommission für einen Krisenmechanismus. Sobald die Kommission den Mechanismus in Gang setzt, sind die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, Asylsuchende, anerkannte Flüchtlinge und Menschen ohne Bleiberecht aufzunehmen. Anders als in Situationen mit „hohem Migrationsdruck“ gilt das auch für die Aufnahme direkt aus den Grenzlagern.

Gleichzeitig jedoch werden die Grenzverfahren drastisch ausgeweitet auf alle Schutzsuchenden, die aus einem Land mit einer Schutzquote von weniger als 75 Prozent kommen. Die Inhaftierung in den Grenzlagern wird verlängert, ebenso wie die Inhaftierung von Menschen ohne Bleiberecht. Das kann dazu führen, dass Menschen ohne Bleibeperspektive mehr als ein Jahr an den Grenzen inhaftiert bleiben. Der Kommissionsvorschlag sieht außerdem vor, dass Geflüchtete, die offensichtlich schutzbedürftig sind, vorübergehend einen Schutzstatus ohne Asylprüfung bekommen. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Vorschlag im Rat eine politische Mehrheit findet. Nicht nur Länder wie Ungarn werden es nicht hinnehmen wollen, dass die Kommission entscheidet, wann der Krisenmechanismus getriggert wird und sie verpflichtet sind, Menschen von der Grenze aufzunehmen.

Was kommt mit dem Pakt auf Deutschland zu?

Der Vorschlag der Kommission wird auch in Deutschland dazu führen, dass mehr Asylsuchende inhaftiert werden. Geflüchtete, die die Registrierung an der Außengrenze umgangen und sich bis nach Deutschland durchgeschlagen haben, müssen nach dem Willen der Kommission auch hierzulande eine Vorprüfung durchlaufen – unter den gleichen haftähnlichen Bedingungen wie an den Außengrenzen. Der Paktvorschlag schließt außerdem nicht aus, dass auch Länder wie Deutschland ihre Sonderverfahren drastisch ausweiten. Deutschland hat mit dem Asylpaket II von 2016 bereits beschleunigte Verfahren in „besonderen Aufnahmeeinrichtungen“ eingeführt. Sie gelten bisher vor allem für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern, wie den Balkanländern, und werden bislang nur an zwei Standorten, in Manching/Ingolstadt sowie Bamberg, durchgeführt.

Mit dem Pakt, wie ihn die Kommission vorschlägt, könnte die Bundesregierung die Bedingungen in den „besonderen Aufnahmeeinrichtungen“ drastisch verschärfen und sie in geschlossene Einrichtungen wie an den Außengrenzen umwandeln. Sie hätte die Möglichkeit, Schutzsuchende, die irregulär aus einem Land mit einer Schutzquote von unter 20 Prozent nach Deutschland kommen, unter den gleichen haftähnlichen Bedingungen festzuhalten wie in Grenzverfahren.

– Bisher müssen Asylsuchende in Manching und Bamberg zwar in den Lagern wohnen und dürfen den Landkreis nicht verlassen, sie werden aber nicht eingesperrt.

– Mit der drastischen Ausweitung von de facto sicheren Herkunftsstaaten auf alle Länder mit einer Schutzquote von unter 20 Prozent wären erheblich mehr Asylsuchende als bisher betroffen.

– Die Frist für Asylschnellverfahren beträgt bislang eine Woche und könnte mit dem Pakt auf 12 Wochen ausgeweitet werden.

Schon die Kommissionvorschläge von 2016 zur Unterbringung von Asylsuchenden und zu Asylverfahren, die mit dem Pakt jetzt ebenfalls beschlossen werden sollen, laufen auf eine deutliche Verschärfung hinaus. Mit den neuen Vorschlägen droht der Flüchtlingsschutz weiter unterlaufen zu werden.

Seenotrettung wird nicht gestärkt

Die Kommission hat als Teil des Pakts zwei unverbindliche Empfehlungen zur Kriminalisierung von NGOs und zur Seenotrettung veröffentlicht. Die Rettung von Geflüchteten wird damit allerdings nicht gestärkt. Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten zwar, Seenotrettungs-NGOs nicht weiter dafür zu kriminalisieren, dass sie Menschenleben retten. Gleichzeitig sollen Seenotrettungs-NGOs aber stärker an die Kandare genommen werden.

Die Kommission will eine engere Kooperation von Küstenstaaten und Flaggstaaten wie Deutschland, unter deren Flagge NGO-Schiffe im Mittelmeer retten. Sie sollen dafür sorgen, dass die Sicherheit auf See erhöht und dass „relevant rules on migration management“ etwa gegen Menschenschmuggel eingehalten werden. Die Empfehlung der Kommission stößt damit in die gleiche Richtung wie die Bundesregierung.

Sie hatte die Sicherheitsanforderungen an NGO-Rettungsschiffe bereits vor einigen Monaten erhöht und damit kleinere NGO-Schiffe aus dem Verkehr gezogen. Geflüchtete, die aus Seenot gerettet werden, sollen nach dem Vorschlag der Kommission künftig genauso behandelt werden wie Asylsuchende an den Landgrenzen: Sie müssen eine Vorprüfung unter haftähnlichen Bedingungen durchlaufen und bleiben während des Asylverfahrens an der Grenze
festgesetzt, wenn sie aus einem Land kommen, dessen Anerkennungsquote unter 20 Prozent liegt.

Solange sie im Grenzlager sind, werden sie nicht auf andere Mitgliedstaaten umverteilt. Die solidarische Verteilung von Geretteten auf andere Mitgliedstaaten soll ähnlich laufen wie bei einem hohen „Migrationsdruck“. Mitgliedstaaten müssen Gerettete also nicht aufnehmen, sondern können stattdessen auch Abschiebepartnerschaften übernehmen oder Grenzbeamte schicken.

Fire in Moria – call for emergency evacuation and relocation

169 MEPs signed the call for immideate action on Moria. This is the letter:

To:
Vice-President Margaritis Schinas
Commissioner for Home Affairs, Ylva Johansson
Federal Minister for the Interior, Horst Seehofer

Brussels, 11 September 2020


Dear Vice-President Schinas,
Dear Commissioner Johansson,
Dear Minister Seehofer,

The fire in the EU’s biggest refugee camp Moria is a humanitarian disaster and a disaster for Europe as a whole. For far too long, Europe has ignored that the camp was heavily overcrowded and that people had to stay in Moria for years under slum-like circumstances. They had no access to proper sanitary facilities nor to appropriate accommodation. When Covid-19 broke out, not just the infected persons were put under quarantine, but the entire camp. More than 12.000 people were locked in a place where they had no possibility to protect themselves from the virus. The catastrophe was predictable. It is a shame for Europe that it was not prevented.

After Moria burnt down, more than 12.000 people are now stranded without even a tent or a roof over their heads. They urgently need our help. We, the undersigning MEPs urge you to provide immediate humanitarian and medical help, to evacuate the people as swiftly as possible and to provide a sustainable solution for the people of Moria by relocating them to other Member States.

We call on you to support Greece with corona tests of all asylum seekers and locals on the island and with medical personnel and equipment for people with severe disease progression.

Many of us, including the President of our House, have already at the beginning of the Covid-19 crisis called for an evacuation of the camp and the relocation of asylum seekers from Moria to avoid an outbreak. We acknowledge that it is a challenge to evacuate now more than 12.000 persons at once and encourage you to look into all possibilities. People who cannot be immediately transferred to the mainland could also preliminarily be accommodated in cruise ships, which due to Covid-19 are currently out of operation, before they are relocated. In any case, we call on you to support Greece in providing emergency accommodation for the people of Moria where they can protect themselves from the virus.

We further urge you to ensure the relocation of asylum seekers from Moria to other Member States. Taking care of the people of Moria is not just the responsibility of Greece. Moria is a European refugee camp, and Europe has to stand by its responsibility. Many municipalities and regions in Europe have long declared their willingness to receive asylum seekers from Greece.

Since Wednesday night, thousands of people went on the streets to show their solidarity with the people of Moria and to call for their swift relocation. We fully support their call. We call on you to uphold our common European values and to relocate the people of Moria to places where they can find safety and dignified living condition.

Reconstructing Moria is not a solution, nor is it as solution to create similar conditions in other camps. It will only lead to the same problems that have caused the catastrophe.

We call on you to ensure that the upcoming Pact on Migration and Asylum will be based on solidarity and the fair sharing of responsibilities among Member States. We must make sure that a humanitarian disaster like in Moria will never happen again.

We urge you to do everything possible to help the people of Moria and to show European solidarity!

Sincerely yours,

Erik MARQUARDT (Greens/EFA), initiator of the letter
Ska KELLER, Co-President of the Greens/EFA
Philippe LAMBERTS, Co-President of the Greens/EFA
Iratxe GARCÍA-PEREZ, President of the S&D group
AUBRY MANON, Co-President of GUE/NGL
Martin SCHIRDEWAN, Co-President of GUE/NGL
Juan Fernando LÓPEZ AGUILAR, Chair of the LIBE Committee
Maria ARENA, Chair of the DROI Committee
Younous OMARJEE (GUE/NGL)
Abir AL-SAHLANI (Renew)
Adriana MALDONADO LÓPEZ (S&D)
Agnes JONGERIUS (S&D)
Alexandra GEESE (Greens/EFA)
Alexis GEORGOULIS (GUE/NGL)
Alice KUHNKE (Greens/EFA)
Alviina ALAMETSÄ (Greens/EFA)
Andreas SCHIEDER (S&D)
Anna CAVAZZINI (Greens/EFA)
Anna DEPARNAY-GRUNENBERG (Greens/EFA)
Anne-Sophie PELLETIER (GUE)
Aurore LALUCQ (S&D)
Bas EICKHOUT (Greens/EFA)
Benoit BITEAU (Greens/EFA)
Bernard GUETTA (Renew)
Bernd LANGE (S&D)
Bettina VOLLATH (S&D)
Billy KELLEHER (Renew)
Brando BENIFEI (S&D)
Carlos ZORRINHO (S&D)
Caroline ROOSE (Greens/EFA)
Chris MACMANUS (GUE/NGL)
Ciaran CUFFE (Greens/EFA)
Clare DALY (GUE/NGL)
Claude GRUFFAT (Greens/EFA)
Claudia GAMON (Renew)
Cornelia ERNST (GUE/NGL)
Cristina MAESTRE MARTÍN DE ALMAGRO (S&D)
Damian BOESELAGER (Greens/EFA)
Damien CARÈME (Greens/EFA)
Daniel FREUND (Greens/EFA)
Danuta HUEBNER (EPP)
David CORMAND (Greens/EFA)
Deirdre CLUNE (EPP)
Delara BURKHARDT (S&D)
Diana RIBA I GINER (Greens/EFA)
Dietmar KÖSTER (S&D)
Dimitrios PAPADIMOULIS (GUE/NGL)
Domenec RUIZ DEVESA (S&D)
Eider GARDIAZÁBAL RUBIAL (S&D)
Elena KOUNTOURA (GUE/NGL)
Elena YONCHEVA (S&D)
Ernest URTASUN (Greens/EFA)
Evelyn REGNER (S&D)
Fabienne KELLER (Renew)
Francisco GUERREIRO (Greens/EFA)
Francois ALFONSI (Greens/EFA)
Gabriele BISCHOFF (S&D)
Grace O’SULLIVAN (Greens/EFA)
Gwendoline DELBOS-CORFIELD (Greens/EFA)
Hannah NEUMANN (Greens/EFA)
Hannes HEIDE (S&D)
Heidi HAUTALA (Greens/EFA)
Helmut GEUKING (ECR)
Helmut SCHOLZ (GUE/NGL)
Henrike HAHN (Greens/EFA)
Hildegard BENTELE (EPP)
Idoia VILLANUEVA (GUE/NGL)
Inmaculada RODRÍGUEZ-PIÑERO (S&D)
Irena JOVEVA (Renew)
Isabel CARVALHAIS (S&D)
Isabel CARVALHAIS (S&D)
Isabel GARCÍA MUÑOZ (S&D)
Isabel SANTOS (S&D)
Ismail ERTUG (S&D)
Jakop DALUNDE (Greens/EFA)
Jan-Christoph OETJEN (Renew)
Janina OCHOJSKA (EPP)
Jarosław DUDA (EPP)
Javier MORENO SÁNCHEZ (S&D)
Jerzy BUZEK (EPP)
João FERREIRA (GUE/NGL)
Jordi SOLÉ (Greens/EFA)
José GUSMÃO (GUE/NGL)
Jutta PAULUS (Greens/EFA)
Karen MELCHIOR (Renew)
Karima Delli (Greens/EFA)
Katarina BARLEY (S&D)
Kathleen VAN BREMPT (S&D)
Kati PIRI (S&D)
Katrin LANGENSIEPEN (Greens/EFA)
Kim VAN SPARRENTAK (Greens/EFA)
Klemen GROSELJ (Renew)
Konstantinos ARVANITIS (GUE/NGL)
Lara WOLTERS (S&D)
Laura FERRARA (NI)
Leila CHAIBI (GUE/NGL)
Lina GALVEZ MUÑOZ (S&D)
Lukasz KOHUT (S&D)
Magdalena ADAMOWICZ (EPP)
Malin BJÖRK (GUE/NGL)
Manu PINEDA (GUE/NGL)
Marc BOTENGA (GUE/NGL)
Marcos ROS SEMPERE (S&D)
Margarete AUKEN (Greens/EFA)
Margarida MARQUES (S&D)
Maria Eugenia RODRÍGUEZ PALOP (GUE/NGL)
Maria NOICHL (S&D)
Maria WALSH (EPP)
Maria-Manuel Leitão-Marques (S&D)
Marie TOUSSAINT (Greens/EFA)
Marisa MATIAS (GUE/NGL)
Markéta GREGOROVÁ (Greens/EFA)
Martin HÄUSLING (Greens/EFA)
Martin SONNEBORN (NI)
Massimiliano SMERIGLIO (S&D)
Michael BLOSS (Greens/EFA)
Michèle RIVASI (Greens/EFA)
Mick WALLACE (GUE/NGL)
Miguel URBÁN CRESPO (GUE/NGL)
Milan BRGLEZ (S&D)
Monica Silvana GONZALEZ (S&D)
Monika VANA (Greens/EFA)
Mounir SATOURI (Greens/EFA)
Nico SEMSROTT (Greens/EFA)
Nicolae STEFANUTA (Renew)
Niklas NIENAß (Greens/EFA)
Nikolaj VILLUMSEN (GUE/NGL)
Özlem DEMIREL (GUE/NGL)
Pär HOLMGREN (Greens/EFA)
Pascal ARIMONT (EPP)
Patricia GUEGUEN (Greens/EFA)
Patrick BREYER (Greens/EFA)
Paul TANG (S&D)
Pernando BARRENA (GUE/NGL)
Peter VAN DALEN (EPP)
Petra DE SUTTER (Greens/EFA)
Petros KOKKALIS (GUE/NGL)
Pierfrancesco MAJORINO (S&D)
Pierrette HERZBERGER-FOFANA (Greens/EFA)
Pina PICIERNO (S&D)
Raphaël GLUCKSMANN (S&D)
Rasmus ANDRESEN (Greens/EFA)
Reinhard BÜTIKOFER (Greens/EFA)
Robert BIEDROŃ (S&D)
Romeo FRANZ (Greens/EFA)
Rosa D’AMATO (NI)
Salima YENBOU (Greens/EFA)
Samira RAFAELA (Renew)
Sandra PEREIRA (GUE/NGL)
Sara CERDAS (S&D)
Sarah WIENER (Greens/EFA)
Saskia BRICMONT (Greens/EFA)
Sergey LAGODINSKY (Greens/EFA)
Silvia MODIG (GUE/NGL)
Sira REGO (GUE/NGL)
Sophie IN’T VELD (Renew)
Stelios KOULOGLOU (GUE/NGL)
Sven GIEGOLD (Greens/EFA)
Sylwia SPUREK (S&D)
Tanja FAJON (S&D)
Terry REINTKE (Greens/EFA)
Thomas WAITZ (Greens/EFA)
Tiemo WÖLKEN (S&D)
Tilly METZ (Greens/EFA)
Tineke STRIK (Greens/EFA)
Udo BULLMANN (S&D)
Vera TAX (S&D)
Ville NIINISTÖ (Greens/EFA)
Viola VON CRAMON-TAUBADEL (Greens/EFA)
Yannick JADOT (Greens/EFA)

Anhaltende Menschenrechtsverletzungen auf der Balkanroute

Auch wenn inzwischen weniger darüber berichtet wird, gibt es immer noch Menschen, die versuchen, über die westliche Balkanroute in die EU zu flüchten. Ihre Situation verschlimmert sich, ihre Grundrechte werden mit Füßen getreten. Ich habe hier aktuelle Entwicklungen in der Region zusammengefasst.

Bosnien-Herzegowina 

Die meisten Geflüchteten in Bosnien-Herzegowina wollen nicht in dem Land bleiben, sondern versuchen von dort aus nach Kroatien, und dann in andere EU-Staaten, zu gelangen. Derzeit wird in Bosnien-Herzegowina die Bewegungsfreiheit von Geflüchteten stark eingeschränkt und Kantone und Entitäten in ein und demselben Land versuchen die Menschen in den je anderen Teil Bosnien-Herzegowinas zu drängen.

So verhindert die Polizei des Una-Sana-Kantons durch Checkpoints, dass Geflüchtete den Kanton über die Landstraßen betreten. Jedoch können sie auch nicht zurückkehren, weil sie von der Grenzpolizei der Republika Srpska zurückgewiesen werden. Im Ergebnis sitzen die Menschen dann im Niemandsland fest und haben dort keinen Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln. Es ist unwürdig, wie diese Menschen zu Opfern der politischen Spielereien in Bosnien-Herzegowina werden, wo mehrere Seiten versuchen, die Geflüchteten, in die je andere Richtung in die anderen Landesteile zu drängen. 

Bisher werden sie notdürftig vom lokalen Roten Kreuz, aber auch von No Name Kitchen versorgt. Hunderte Menschen sind dort gestrandet. 

Es kommt vermehrt zu Gewalt gegen Geflüchtete. Auf privaten Facebookseiten sammeln sich tausende Menschen, um dort die Standorte von Geflüchteten und Helfer*innen zu teilen und zu Gewalt gegen diese aufzurufen.

Mitte August blockierten Einwohner den Zugang zum Miral-Camp, damit dort keine weiteren Geflüchteten aufgenommen werden. Ende August kam es in Bihać zu Protesten gegen Geflüchtete, an denen Hunderte Menschen teilnahmen.

Kroatien

In Kroatien erleben wir seit Jahren, wie Geflüchtete systematisch misshandelt und illegal nach Bosnien-Herzegowina und Serbien geprügelt werden. Nun mehren sich auch Berichte von Folter durch Polizeibeamte. Zwei kroatische Polizeibeamte wurden wegen Gewalt gegen Geflüchtete festgenommen, weil sie 16 Personen aus Pakistan und Afghanistan gefesselt und schwer gefoltert haben.

Meine irische Kollegin im Europaparlament, Clare Daly, hat zudem recherchiert, dass Kroatien die Gelder, die zur Einrichtung eines unabhängigen Mechanismus zur Grenzüberwachung gedacht waren, missbrauchte und dieser Mechanismus gar nicht erst eingerichtet wurde. Dieser unabhängige Mechanismus ist aber eine Bedingung dafür, dass Kroatien dem Schengenraum beitreten kann. Die EU-Kommission kündigte eine Untersuchung nach der Aufhebung der Corona-Einschränkungen an.

Serbien errichtet Zaun zu Nordmazedonien

Die serbische Regierung lässt einen neuen Zaun zu Nordmazedonien errichten, um die Einreise von Geflüchteten zu verhindern. Die meisten Menschen, die jetzt über Nordmazedonien nach Serbien kommen, wollen schnell weiter in Richtung Bosnien-Herzegowina und Kroatien. In serbischen Flüchtlingslagern selbst befinden sich derzeit rund 4800 Personen. Während 2015 noch keine Zäune und Mauern zwischen den Westbalkanstaaten und ihren Nachbarn existierten, haben wir heute überall in der Region diese Zäune und Mauern.

Schwimmende illegale Auffanglager in Malta – Meine Anfrage an die Kommission

Hier findet ihr meine Anfrage an die Kommission zu den schwimmenden illegalen Auffanglagern in Malta. Diese könnt ihr hier auf der Homepage des Europäischen Parlaments auch in allen 24 offiziellen Sprachen der Europäischen Union nachlesen. Die Kommission erklärt in ihrer Antwort, dass sie von Malta und anderen Mitgliedsstaaten erwartet sich an die europäischen Grundrechte und internationale Verpflichtungen zur Seenotrettung zu halten. Allerdings erklärt sich die Kommission auch nicht dafür zuständig, um konkret etwas dagegen zu unternehmen.

Meine Anfrage

Nachdem Malta seine Häfen für auf See gerettete Personen geschlossen hatte, wurden mehr als 400 Menschen auf der Flucht aus dem kriegszerrütteten Libyen an Bord von Schiffen, die von der Regierung gechartert worden waren, kurz vor den maltesischen Hoheitsgewässern festgehalten. Sie hatten keinen Zugang zu Asylverfahren und keinen Kontakt zu Kontrollinstanzen, Journalisten oder Anwälten. Sie wurden nicht darüber informiert, wie lange und warum sie festgenommen wurden. Auf politischen Druck hin gestattete die maltesische Regierung den Menschen schließlich nach Wochen an Bord, an Land zu gehen.

Es ist zu begrüßen, dass die Kommission den Antrag Maltas, die schwimmenden Auffanglager zu finanzieren, abgelehnt und stattdessen angeboten hat, die Verbringung dieser Menschen in andere Mitgliedstaaten zu unterstützen. Dennoch möchte ich der Kommission gerne folgende Fragen stellen:

1.    Ist die Kommission der Meinung, dass ein Mangel an Solidarität in der EU Malta von der Verpflichtung entbindet, das EU-Recht einzuhalten?

2.    Was wird die Kommission tun, um sicherzustellen, dass diese schwerwiegenden Verletzungen des EU-Asylrechts und der Grundrechte durch Malta nicht ungestraft bleiben?

3.    Welche Maßnahmen wird die Kommission ergreifen, um sicherzustellen, dass Malta Zugang zu den im EU-Recht vorgesehenen Asylverfahren gewährt und dass sich die Praxis der Festhaltung auf See nicht wiederholt?

Hier ist die Antwort von Ylva Johansson im Namen der Kommission

Die Kommission erkennt die besondere Situation Maltas an; vor allem den zusätzlichen Druck, dem das bereits stark belastete Aufnahmesystem aufgrund eines vermehrten Zustroms von Flüchtlingen und der COVID-19-Pandemie ausgesetzt ist. Gleichzeitig hat die Kommission wiederholt darauf hingewiesen, dass sie von allen Mitgliedsstaaten erwartet, dass diese ihren Verpflichtungen im Bereich der Grundrechte nachkommen, die Bestimmungen der Charta der Grundrechte der EU sowie alle einschlägigen EU- und Völkerrechtsvorschriften einhalten und zur Verhinderung des Verlusts von Menschenleben auf See gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren, einschließlich der zuständigen EU-Agenturen, koordinierte Maßnahmen ergreifen.

Die Durchführung von Such- und Rettungseinsätzen fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Die Kommission ist nicht befugt, Such- und Rettungseinsätze zu koordinieren oder Ausschiffungsorte anzugeben.

Die Kommission hat wiederholt gefordert, dass Personen an Bord ausgeschifft werden und dass diejenigen, die internationalen Schutz beantragen möchten, Zugang zum Asylverfahren bekommen.

Die Kommission wird weiterhin alles in ihrer Macht Stehende tun, um diejenigen Mitgliedsstaaten finanziell und operativ zu unterstützen, die am stärksten von Migrationsströmen betroffen sind. Im Rahmen dieser Maßnahmen hält sie die Mitgliedsstaaten dazu an, sich an freiwilligen Umsiedlungen zu beteiligen, um so ein konkretes Zeichen der Solidarität mit den Mitgliedsstaaten der Ausschiffung zu setzen. Die Kommission hat darüber hinaus Fachsitzungen abgehalten, um durch eine Beschleunigung und Koordinierung der Verfahren zur freiwilligen Umsiedlung und Rückkehr Unterstützung bei der Verringerung des Drucks auf das maltesische Aufnahmesystem zu leisten.

Die Kommission stellt derzeit abschließende Überlegungen dazu an, wie den Besonderheiten der Such- und Rettungseinsätze im neuen Pakt für Migration und Asyl am besten Rechnung getragen werden kann.

Weltweit sind 79,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Das sind die Ursachen

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR veröffentlichte am Donnerstag den Jahresbericht „Global Trend“. Es handelt sich um die wichtigste Übersicht zu Flucht und Vertreibung weltweit.

Aus dem aktuellen Bericht geht hervor, dass sich derzeit 79,5 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Das sind 8,7 Millionen mehr als im Vorjahr, mehr als doppelt so viele wie noch vor acht Jahren und drei mal so viele wie nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Etwa jeder hundertste Mensch auf der Welt befindet sich auf der Flucht. Rund 40 Prozent von ihnen sind unter 18 Jahre alt. 

46 Millionen Menschen sind Binnenvertriebene, die in anderen Regionen ihres Landes unterkommen. Die meisten Geflüchteten aus dem Ausland hat die Türkei (3,6 Millionen) aufgenommen. Gefolgt von Kolumbien (1,8 Millionen), Pakistan (1,4 Millionen) und Uganda (1,4 Millionen). In Deutschland leben laut UNHCR derzeit 1,1 Millionen Geflüchtete. Weniger als zehn Prozent aller Geflüchteten leben in Europa. 

Die meisten Geflüchteten, die sich außerhalb ihres Herkunftslandes befinden, kommen aus Syrien (6,6 Millionen), Venezuela (3,7 Millionen), Afghanistan (2,7 Millionen), dem Südsudan (2,2 Millionen) und Myanmar (1,1 Millionen). Alleine diese fünf Staaten stellen laut UNHCR 68 Prozent aller außerhalb ihres Heimatlandes lebenden Geflüchteten.

Die Fluchtursachen lassen sich grob in die vier Kategorien Krieg und Gewalt, Menschenrechte, Armut und Klimaflucht unterteilen. Zu jedem dieser Punkte habe ich hier noch kurz etwas aufgeschrieben.

Krieg und Gewalt

Krieg und Gewalt sind der Hauptgrund dafür, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen. In Syrien befindet sich nach nunmehr neun Jahren Krieg ein großer Teil der Bevölkerung auf der Flucht, während ein nachhaltiger Frieden nicht in Sicht ist. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Seid Ra’ad al-Hussein bezeichnete den Syrienkrieg im März 2017 als „die schlimmste von Menschen gemachte Katastrophe seit dem Ende des zweiten Weltkriegs.“

Die meisten syrischen Flüchtlinge befinden sich im Land selbst und in den Nachbarstaaten. Sie bleiben also in der Nähe ihrer Heimat. Die schlechten Bedingungen in den Flüchtlingslagern, die Kälte, die mangelnde Ernährung und auch die geringe Aussicht auf schnelle Rückkehr, brachte dann einige dazu, sich auch auf den Weg in die EU zu machen.

Die meisten Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Deutschland kommen aus Syrien, Afghanisten und dem Irak – also Staaten, in denen weiterhin bewaffnete Konflikte herrschen. Dabei handelt es sich um Menschen, deren Leben in ihrer Heimat bedroht ist oder die sich beispielsweise dem Militärdienst für menschenverachtende Regime entziehen. Darunter sind auch wohlhabende Menschen, die alles zurücklassen, um woanders in Frieden leben zu können.

Deutsche Unternehmen profitieren teilweise direkt von Krieg und Zerstörung. Deutschland exportiert jedes Jahr für mehrere Milliarden Euro Waffen und Rüstungsgüter, darunter auch an Diktaturen. Laut dem aktuellen Jahresbericht von SIPRI war Deutschland in den Jahren 2015 bis 2019 der viertgrößte Exporteuer von Waffen und Rüstung weltweit. Deutschland exportiert dabei auch Waffen an Staaten wie die Türkei, die deutsche Leopard-2-Panzer bei ihrem völkerrechtswidrigen Einmarsch in Syrien einsetzten. Der ehemalige deutsche Entwicklunsminister Dirk Niebel (FDP) wechselte direkt nach Amtsende als Berater zum deutschen Rüstungsunternehmen Rheinmetall.

Armut

Rund 2,2 Milliarden Menschen haben laut Unicef keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Zahl von Menschen, die in extremer Armut leben, wird sich aufhrund der durch Corona hervorgerufenen weltweiten Wirtschaftskrise laut UNO und Weltbank um bis zu 60 Millionen erhöhen. Das Erreichen der UN-Entwicklungsziele rückt damit wieder in unnereichbare Ferne.

Das viele Menschen ihre Heimat verlassen müssen, hängt auch mit unserem Wirtschaftssystem zusammen. So kommen besonders viele Menschen aus dem kleinen Gambia nach Europa und Deutschland. Dort wiederum können viele Fischer ihren Lebensunterhalt nicht mehr sichern sichern, weil die Küsten von europäischen Unternemen leer gefischt werden.

Menschenrechte

Viele Menschen leben in Staaten, die nicht frei sind und in denen sie politischer Verfolgung oder Verfolgung aufgrund ihrer Meinung oder ihrer ethnischen, religiösen, kulturellen oder sexuellen Identität ausgesetzt sind. In dutzenden Staaten wird Homosexualität kriminalisiert und in mindestens zwölf Staaten steht auf Homosexualität die Todesstrafe. In 69 Staaten steht es laut Reporter ohne Grenzen „schlecht“ oder „sehr schlecht“ um die Pressefreiheit.

Minderheiten wie Jesid*innen im Irak, Kurd*innen in der Türkei, Rohingya in Myanmar, aber auch Roma in Europa, werden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe grundlegene Menschenrechte aberkannt. Verhältnismäßig viele Geflüchtete kommen aus Eritrea, wo sie vor dem sogennanten „Militärdienst“ fliehen, der oft nichts anderes als Zwangsarbeit darstellt. Absurd ist derweil, dass mit EU-Geldern Projekte zur Fluchtursachenbekämpfung in Eritrea finanziert werden, in denen aber Zwangsarbeiter eingesetzt werden.

Klimaflucht

Durch den Klimawandel werden viele Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Manche, weil ihr zu Hause überflutet wird, andere, weil ihr Felder vertrocknen. Die Häufung von Naturkatastrophen führt dazu, dass noch mehr Menschen dauerhaft aus ihrer Heimat vertrieben werden.

Die Weltbank rechnet mit 140 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2050, bei gleichbleibenden sonstigen Bedingungen. Die IOM schätzte bereits im Jahr 2008 die Anzahl der Klimaflüchtlinge 2050 auf bis zu 200 Millionen. Und selbst, wenn die Begrenzung der Erderwärmung auf „nur“ zwei Grad gelingt, schätzt der Klimarat IPCC, dass es zu 280 Millionen Klimaflüchtlinge bis zum Jahr 2100 kommt.

Im Januar 2020 hat der Menschenrechtsausschuss der UN erstmals festgestellt, dass die Klimakrise ein Asylgrund sein kann und Menschen nicht abgeschoben werden dürfen, wenn ihnen klimabedingt Gefahr droht. Bisher erkennen in der Regel weder internationale noch nationale Asylregeln Klimawandel als Fluchtgrund an.

Die am stärksten betroffenen Länder gehören zu den ärmsten der Welt. Eine positive Entwicklung wird für die Menschen dort kaum möglich sein, wenn die Klimakatastrophe sie am stärksten trifft. Daraus entsteht in der Folge Instabilität, welche weitere Fluchtursachen herbeiführen kann und es somit zu weiteren indirekten Klimaflüchtlingen kommt. So leiden gerade instabile Regionen auch unter Wassermangel, was zu weiteren Konflikten führt, weswegen noch mehr Menschen fliehen.

Auch in Coronazeiten muss die EU Menschen aus Seenot retten und aufnehmen

Die Covid-19-Pandemie führte zur Schließung der EU-Außengrenzen und wurde von Malta und Italien als Vorwand genutzt, um ihre Häfen für Rettungsschiffe zu schließen. Ein Boot mit 55 Menschen wurde im April auf Anordnung des maltesischen Rettungskoordinationszentrums (RCC) nach Libyen zurückgebracht. Dabei sind zwölf Menschen verdurstet oder ertrunken. Bereits im Februar 2020 erschien ein Gutachten der Heinrich-Böll-Stiftung, welches darlegte, dass es eindeutig rechtswidrig ist, Menschen nach Libyen zu bringen.

Prof. Dr. Anuscheh Farahat und Prof. Dr. Nora Markard haben nun ein Update der Studie mit dem Titel Closed Ports, Dubious Partners veröffentlicht. Die Ergebnisse wurden in einem Webinar vorgestellt, bei dem ich auch gesprochen habe und das ihr unter diesem Link findet.

Seit März 2019 sind weder EU- noch nationale Such- und Rettungsschiffe im Einsatz, um weitere Todesfälle im Mittelmeer zu verhindern. Nichtregierungsorganisationen, die versuchen, diese Lücke zu füllen, werden zunehmend kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt.

Libyen ist kein sicherer Hafen

In dem Update zu der Studie wird aufgezeigt, warum EU-Staaten auch in Pandemiezeiten nicht von ihrer Pflicht enthoben sind, Menschen in Seenot zu retten und ihnen einen sicheren Hafen zu bieten. Covid-19 darf nicht als Entschuldigung dafür dienen, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Libyen ist auch weiterhin kein sicherer Hafen und Rückführungen nach Libyen, wie von Malta angewiesen, verstoßen auch weiterhin gegen bestehendes Recht.

Wie die Fälle der Alan Kurdi und der Aita Mari zeigen, ist eine Quarantäne von zwei Wochen für die Überlebenden völlig ausreichend, um die öffentliche Gesundheit der Bevölkerung von Malta zu schützen.

Leider hat die deutsche Bundesregierung keinen Druck auf Malta ausgeübt, um dieses rechtswidrige Verfahren einzustellen. Im Gegenteil, das Innenministerium hat einen Brief an die Seenotrettungsorganisationen geschickt und sie darum gebeten, ihre Aktivitäten einzustellen. Außenminister Heiko Maas hat in einem Interview mit Tilo Jung sogar gerechtfertigt, dass Malta seine Häfen schließt und bat ebenfalls darum, von der Seenotrettung abzusehen (Video: ab 17.38 Minute).

Die Argumentation, dass man Menschen in Mittelmeer leider nicht retten kann, weil sie danach in schwierige Corona-Situationen kommen könnten, ist absurd. Die Pandemie wird leider auch von der deutschen Bundesregierung dafür genutzt, mit allen Mitteln zu versuchen, die Seenotrettung einzustellen, damit weniger Geflüchtete lebend Europa erreichen.

Andreas Scheuer ändert Verordnung, um Seenotrettung zu erschweren

Seit mehreren Jahren versuchen europäische Staaten, die Menschenrechtsbeobachtung und Seenotrettung an den EU-Außengrenzen zu erschweren und zu kriminalisieren. Auch Deutschland hat nun weitere Regeln erlassen, die das Ende für die Missionen einiger Hilfsorganisationen bedeuten könnten. Vorbild für dieses Vorgehen scheint die Niederlande zu sein, wo man im vergangenen Jahr mit ähnlichen Gründen die Seenotrettung behinderte.

Die Rechtsänderung folgte einem längeren Rechtsstreit. Nachdem das Bundesverkehrsministerium das Beobachtungsschiff „Mare Liberum“ im April 2019 festsetzte, klagte der Verein und erhielt im September 2019 vom Oberverwaltungsgericht Hamburg recht, sodass das Schiff weiter betrieben werden konnte.

Mit einer aktuellen Verordnung erschwert Verkehrsminister Andreas Scheuer gezielt humanitäre Hilfe an den europäischen Außengrenzen. Dieses Ziel verfolgt die Bundesregierung bereits seit längerem, unterlag jedoch bislang vor Gericht. Nun schafft sich das Verkehrsministerium sich neue Rechtsgrundlagen, um Schiffe legal festsetzen zu können, weil sie die neuen Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen können.

Sicherheitsbedenken sind nur Vorwand

Es werden immer neue Vorwände gesucht, um humanitäre Hilfe an den europäischen Außengrenzen zu verhindern. Inzwischen argumentiert der Gesetzgeber mit der Sicherheit der Menschen auf dem Wasser, um die Seenotrettung zu verhindern. Dass solche Argumente angesichts von tausenden Toten im Mittelmeer genutzt werden, ist mehr als zynisch.

Die Bundesregierung versucht hier offensichtlich, die Beobachtung der Menschenrechtslage auf dem Mittelmeer zu verhindern. In Reden betont man weiter die Relevanz von Menschenrechten und Seenotrettung, aber abseits der Öffentlichkeit tut man dann das Gegenteil. Wer so handelt, verspielt die Glaubwürdigkeit der Politik.

Verhinderung von Seenotrettung, scharfe Schüsse auf Schutzsuchende, unwürdige und lebenbedrohliche Bedingungen in europäischen Flüchtlingslagern: Wenn man auf die europäischen Außengrenzen und das Agieren europäischer Staaten schaut, fragt man sich leider, wann die EU-Mitgliedsstaaten moralische Insolvenz anmelden müssen.

Weitere Infos findet ihr auf der Homepage von Mare Liberum. Details und rechtliche Einschätzungen zu Änderung der Schiffssicherheitsverordnung, findet ihr hier.

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