Anfrage: Vorläufige Maßnahmen zu Asylbewerbern in Polen, Lettland und Litauen
Gemeinsam mit sieben anderen Abgeordneten aus unserer Fraktion haben ich die Kommission am 1. Oktober 2021 gefragt, ob sie das Verhängen eines Ausnahmezustandes durch Polen und die Weigerung Asylverfahren an der Grenze zu ermöglichen, für kompatibel mit EU-Recht hält. Außerdem fragten wir, welche Maßnahmen die Kommission bezüglich illegaler Pushbacks ergreift und ob sie prüfe, ob der Einsatz von EU-Agenturen in Lettland und Litauen mit dem Rechtsrahmen vereinbar sind. Die Kommission antwortet, dass sie das Vorgehen Belarus verurteile, was aber gar nicht in Frage stand. Außerdem erklärt die Kommission, dass sich die Mitgliedsstaaten natürlich an EU-Recht halten müssten, die Kommission aber nicht befugt sei, bei Verstößen gewisse Maßnahmen auch durchzusetzen. Eine Verurteilung der klaren Menschenrechtsverstoße durch Mitgliedsstaaten durch die Kommission findet nicht statt, aber zumindest erklärt Frau Johansson, dass der Grundsatz der Nichtzurückweisung gilt, auch wenn nicht ausgesprochen wird, dass Staaten wie Polen sich offensichtlich nicht daran halten.
Die gesamte Anfrage mit Antworten in mehreren Sprachen findet ihr auch hier.
Unsere Anfrage
Betrifft: Vorläufige Maßnahmen in Bezug auf die Lage der Asylbewerber in Polen, Lettland und Litauen
Nach einer Reihe von Gesetzesänderungen in Polen, Lettland und Litauen haben die dortigen Sicherheitskräfte Berichten zufolge Dutzende von Asylsuchenden an der EU-Grenze zu Belarus daran gehindert, in diese Länder einzureisen und Asylanträge zu stellen, was zu mehreren Todesfällen geführt hat. Am 8. September 2021 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine vorläufige Entscheidung, in dem Litauen aufgefordert wurde, fünf afghanische Asylbewerber nicht nach Belarus zurückzuführen. Laut Reuters wurde gegen diese Entscheidung am 9. September 2021 verstoßen. Am 27. September 2021 weitete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine vorangegangenen einstweiligen Anordnungen aus, indem Polen und Lettland verpflichtet wurden, den betroffenen Personen Nahrung, Betreuung und eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen sowie ihnen den Zugang zu Rechtsanwälten zu ermöglichen.
1. Ist die Kommission der Auffassung, dass der in den jeweiligen Ländern verhängte Ausnahmezustand, die Gesetzesänderungen und die anschließenden von Polen, Lettland und Litauen ergriffenen Maßnahmen mit dem Schengen-Besitzstand und dem EU-Asylrecht und insbesondere mit den Bestimmungen in Einklang stehen, nach denen die Mitgliedstaaten auch an der Grenze Zugang zu Asylverfahren gewähren müssen?
2. Welche Maßnahmen hat die Kommission im Anschluss an die einstweiligen Maßnahmen, insbesondere im Hinblick auf die Zurückschiebung von Personen durch die litauischen Behörden am 9. September 2021, ergriffen?
3. Hat die Kommission geprüft, ob die Präsenz von EU-Agenturen in Lettland und Litauen mit den Rechtsrahmen vereinbar ist, denen gemäß die Agenturen tätig sein müssen?
Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 3.12.2021:
Die Kommission verurteilt aufs Schärfste die Instrumentalisierung von Migranten für politische Zwecke durch Belarus. Sie steht im kontinuierlichen Dialog mit den nationalen Behörden Litauens, Lettlands und Polens, unter anderem über die nationalen Notstandsgesetze und deren Vereinbarkeit mit dem EU-Recht.
Der Kommission sind verschiedene einstweilige Maßnahmen bekannt, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Zusammenhang mit der außergewöhnlichen Lage an der Grenze zu Belarus in mehreren Fällen gegen Litauen, Lettland und Polen erlassen hat.
Die Kommission ist nicht befugt, einstweilige Maßnahmen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durchzusetzen. Beim Management der Außengrenzen und bei der Anwendung der Bestimmungen des Schengener Grenzkodexes[1] sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, das Recht auf Zugang zu einem Verfahren des internationalen Schutzes zu gewährleisten und den Grundsatz der Nichtzurückweisung im Einklang mit dem Besitzstand der Union im Asylbereich und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu achten.
Die Kommission steht zudem in engem Kontakt mit internationalen Menschenrechtsorganisationen und den EU-Agenturen, um sicherzustellen, dass jede Agentur im Rahmen ihres jeweiligen Mandats den betroffenen Mitgliedstaaten die erforderliche Unterstützung leistet.
[1] Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1).