Anfrage: Menschenrechtsverstöße durch griechische Behörden

Um als Europaabgeordneter meine parlamentarische Kontrollfunktion ausüben zu können, habe ich die Möglichkeit, Anfragen an die EU-Kommission stellen. Die Kommission muss diese Fragen beantworten.
Gemeinsam mit weiteren Abgeordneten habe ich der Kommission folgende Fragen gestellt:

Betrifft: Systematische und koordinierte Push-Backs durch die griechischen Behörden

Am 17. August 2020 veröffentlichte die New York Times einen Artikel mit dem Titel „Taking Hard Line, Greece Turns Back Migrants by Abandoning Them at Sea“ (Harter Kurs: Griechenland drängt Migranten zurück, indem es sie auf dem Meer aussetzt). Darin wird dokumentiert, wie Migranten, die auf griechischem Boden anlandeten, von den griechischen Beamten mehrfach auf unsichere Rettungsinseln gezwungen und an der Seegrenze zwischen der Türkei und Griechenland ausgesetzt wurden. Dort wurden sie treiben gelassen, bis sie von der türkischen Küstenwache gerettet wurden. Andere wurden zurück an die türkische Seegrenze geschleppt und dort zurückgelassen, nachdem die Beamten ihre Motoren deaktiviert hatten, wurden auf einer unbewohnten Insel zurückgelassen oder über den Fluss Evros ohne die Möglichkeit des Rechtsbehelfs ausgewiesen.

Sind der der Kommission diese Vorkommnisse bekannt, und kann sie bestätigen, dass sich solche Vorfälle ereignen?

In Anbetracht der Seriosität der Zeitung sind wir der Ansicht, dass die griechischen Behörden beispiellose, ausgesprochen aggressive und systematische Push-Backs durchführen und somit gegen Unionsrecht verstoßen, insbesondere gegen Artikel 78 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 3 und 4 des Schengener Grenzkodex der EU, Artikel 9 der Asylverfahrensrichtlinie, Artikel 5 der Rückführungsrichtlinie, Artikel 18, Artikel 19 Absatz 2 und Artikel 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Asyl und Migration fallen in die geteilte Verantwortung der Union. Gedenkt die Kommission in Anbetracht dieser Tatsache ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die griechische Regierung einzuleiten?

Antwort von Kommissarin Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 06.11.2020:

Die Kommission verfolgt die Situation aufmerksam und hat Berichte wie die von den Damen und Herren Abgeordneten zitierten zur Kenntnis genommen.

Sie hat gegenüber den griechischen Behörden Bedenken hinsichtlich dieser Berichte geäußert und betont, dass die Mitgliedstaaten für die Aufgaben der Grenzüberwachung gemäß der Verordnung (EU) 2016/399 zum Schengener Grenzkodex[1] verantwortlich sind. Dabei sind die Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Grundrechten, der Gewährleistung des Zugangs zu internationalem Schutz und sowie dem Grundsatz der Nichtzurückweisung nach Unions- und Völkerrecht uneingeschränkt einzuhalten.

Unbeschadet der Befugnisse der Kommission als Hüterin der Verträge sind in erster Linie die nationalen Behörden für die ordnungsgemäße Umsetzung und Anwendung des EU-Rechts verantwortlich. Daher hat die Kommission die griechischen Behörden nachdrücklich aufgefordert, etwaiges Fehlverhalten zu untersuchen.

Mit dem neuen Migrations- und Asylpaket[2] – insbesondere dem Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines Screenings von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen[3] – hat die Kommission angeregt, dass die Mitgliedstaaten, mit Unterstützung der Agentur für Grundrechte, einen unabhängigen Überwachungsmechanismus einrichten. Dieser würde während des Screenings die Einhaltung des EU- und des Völkerrechts, einschließlich der Charta der Grundrechte, gewährleisten. Gleichzeitig wäre sichergestellt, dass etwaige Verletzungen der Grundrechte – auch im Zusammenhang mit dem Zugang zum Asylverfahren und der Nichteinhaltung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung – wirksam und unverzüglich untersucht werden.


[1] Verordnung (EU 2016/399 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) ABl. L 77 vom 23.3.2016.

[2] COM(2020)609 final vom 23. September 2020.

[3] COM(2020)612 final vom 23. September 2020.