Wir sind nicht sicher vor Covid-19, bis alle sicher sind
Die Mutationen des Coronavirus zeigen, dass auch wir betroffen sind, wenn wir den globalen Süden aus unseren Impfkampagnen ausschließen.
Der internationale Gesundheitsnotstand, der vor einem Jahr (am 30.01.2020) von der WHO ausgerufen wurde, hält an. Mittlerweile werden weltweit deutlich mehr als 2 Millionen Todesfälle gezählt. In unserer globalisierten Welt zeigt sich besonders deutlich, dass sich wenig von nationalen Alleingängen erwarten lässt. Da das Virus nicht an Ländergrenzen Halt macht, bedarf es einer globalen Impfstrategie, die Solidarität und Nachhaltigkeit vor Profit setzt und zur Steigerung der Produktionskapazitäten für Impfstoff weltweit führt.
Die globale Impfstrategie war Thema in der ersten Plenarsitzung des Jahres im Europaparlament. Da hierbei jedoch – vor allem in Hinblick auf entwicklungspolitische Zusammenhänge – noch einige Fragen offen geblieben waren, hatte ich angeregt, den Punkt außerdem im Entwicklungsausschuss noch einmal aufzugreifen. Am 4. Februar hatten wir Abgeordnete deswegen noch einmal die Gelegenheit zu einer einstündigen Aussprache mit der Kommissarin für Entwicklungszusammenarbeit Jutta Urpilainen.
Gemeinsame europäische Impfstrategie
Die EU-Kommission hat sich gemeinsam mit den Mitgliedstaaten (als sogenanntes “Team Europe”) auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt, um Impfstoffe für alle Mitgliedstaaten in ausreichender Anzahl zu guten Bedingungen sicher zu stellen und diese fair zu verteilen. Solch ein gemeinsames Agieren ist begrüßenswert, wenn auch noch ausbaufähig – zum Beispiel in Hinblick auf weitere, aufeinander abgestimmte Maßnahmen zur Eindämmung des Virus.
Dass die EU momentan beim Impfen im Vergleich beispielsweise zum Vereinigten Königreich hinterher ist, hat verschiedene Gründe: Verspätungen im Produktionsprozess der Impfungen, bürokratische Hürden und schlechte Planung vieler Mitgliedsstaaten, aber schlichtweg auch die deutlich höhere Bevölkerungszahl.
Fehlende Transparenz
In Reaktion auf wiederholte Kritik meiner Kolleg:innen aus dem Europäischen Parlament hinsichtlich fehlender Transparenz bei den zwischen Kommission und Pharmakonzernen abgeschlossenen Verträgen hat sich zumindest etwas bewegt. Inzwischen sind drei der sechs Verträge öffentlich zugänglich, ein weiterer liegt im EP vor, jedoch bleiben Schlüsselinformationen geschwärzt. Eine der Kernaufgaben des Europäischen Parlaments ist die Kontrolle der Ausgabe von öffentlichen Geldern. Dafür ist Transparenz, möglichst schon während der Vertragsverhandlungen, dringend nötig.
Deutscher Alleingang?
Deutschland ist das Land der EU, das bisher die meisten Menschen geimpft hat. Entgegen der europäischen Strategie kaufte Deutschland 30 Mio. zusätzliche Impfdosen von BioNTech/Pfizer und 20 Mio. bei CureVac. In diesem Zusammenhang erntet Deutschland auf europäischer Ebene viel Kritik, auch da die europäische Impfstrategie unter Kommissionschefin von der Leyen und unter deutscher Ratspräsidentschaft entwickelt wurde, Deutschland also deutlich früher Einfluss auf die geringen Bestellmengen gehabt hätte. Mit diesem nationalen Alleingang hat Deutschland möglicherweise einen Vertragsbruch begangen. Ein Rückfall zu nationalistischen Reflexen wird uns bei einer gemeinsamen Bekämpfung der Coronapandemie nicht voranbringen, zumal die 50 Millionen Dosen wohl erst geliefert werden dürfen, wenn die EU-Bestellungen abgeschlossen sind.
Globale Impfstrategie
Auch wenn die Länder des globalen Südens bislang vergleichsweise weniger hohe Covid-19-Todeszahlen aufzuweisen haben, sind die Entwicklungen seit Ausbruch der zweiten Welle besorgniserregend. Der starke Anstieg von Todesfällen, das Auftauchen von Mutationen des Virus unter anderem in Südafrika und die Überlastung von Gesundheitssystemen, vor allem in Krisengebieten, verlangen ein schnelles Eingreifen durch Impfkampagnen. Ein Lösungsansatz ist dabei COVAX, der zentrale Mechanismus der WHO, Gavi (Vaccine Alliance) und der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), der die globale Impfstrategie realisieren soll und von der EU bislang zu einem Hauptanteil finanziert wurde. Das Ziel ist, bis Ende 2021 20% der Weltbevölkerung zu impfen. Während COVAX für 2021 noch hohe Finanzierungssummen fehlen, eine ausreichende Versorgung mit Impfstoffen wegen Produktionsengpässen nicht sichergestellt werden kann und eine 20%-ige Impfrate bei weitem nicht zur Herdenimmunität reicht, hat sich die EU hingegen bei einer Gesamtbevölkerung von 450 Millionen Menschen mindestens 2,3 Milliarden Impfdosen gesichert.
COVAX kann ein wichtiger Mechanismus sein, um eine globale Verteilung des Impfstoffes zu garantieren, doch dafür dürfen ärmere Länder nicht auf das Wohlwollen reicherer Staaten angewiesen sein. Hersteller müssen COVAX die nötigen Mengen der Impfstoffe zusichern, während sich reichere Regionen wie die EU nicht mehr Dosen sichern sollten, als nötig. Außerdem muss eine ausreichende Finanzierung für COVAX umgehend sichergestellt werden.
Der Gamechanger: Aussetzung des Patentrechts und globale Verteilung
Der Vorschlag der WHO, initiiert von Indien und Südafrika, Patente im Rahmen des Agreement of Trade-Related Intellectual Property Rights (TRIPS) auf Impfstoffe gegen das Coronavirus temporär aufzuheben, blieb bisher erfolglos. Dabei wäre das in vielerlei Hinsicht eine wichtiger Schritt: Impfstoffe werden vermehrt in reicheren Staaten entwickelt. Wenn hier sowohl die Patente, als auch der Großteil der Impfdosen bestehen, so verschärft das globale Ungerechtigkeiten in Pandemiezeiten. Während sich bisher über 100 Staaten für den Vorschlag aussprachen, fehlte es bisher an Zustimmung durch unter anderem die EU, USA und Kanada. Selbst der Impfhersteller CureVac sprach sich kürzlich für die Aufhebung von Patenten aus, um die Krise global zu lösen. Das könnte helfen, globale Produktionskapazitäten zu erhöhen, um sichere und günstige Impfstoffe für alle zur Verfügung stellen zu können. Die Aussetzung von Patenten würde auch die Forschung in anderen Bereichen der Pandemiebekämpfung erleichtern, beispielsweise bei der Entwicklung von Medikamenten für Personen, die sich etwa wegen Vorerkrankungen nicht impfen lassen können. Hier muss das Europäische Parlament unbedingt Position beziehen.
Solange das Virus weiter grassiert und die Impfstoffproduktion gleichzeitig durch Patente künstlich verknappt und nur einem Teil der Welt zugänglich gemacht wird, solange werden wir der Pandemie hinterherlaufen: Wenn sich neue Mutationen schneller ausbreiten, als wir Impfstoffe dagegen produzieren können, droht ein Rennen, das wir nie gewinnen können. Deshalb müssen wir die globale Produktion und Verteilung von Impfstoffen jetzt mit aller Kraft hochfahren.