Verheerender Frontex-Bericht: Untersuchungskommission zur Seenotrettung muss kommen
Nach dem Schiffsunglück von Pylos mit über 600 Toten vor der griechischen Küste leitete die Europäische Ombudsfrau Emily O’Reilly eine Untersuchung ein. Dabei konzentrierte sie sich mandatsbedingt auf die Rolle von Frontex.
Der nun von ihr vorgestellte Bericht zeigt, dass Frontex die eigenen europa- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht erfüllt. Das hängt beispielsweise damit zusammen, dass Frontex bei Seenotrettungsfällen zu stark von der Kooperation der Mitgliedstaaten abhängig ist, die Menschen in Seenot nicht immer retten.
Die Untersuchung identifiziert systemische Probleme und Mangel an einer unabhängigen Kontrolle der Einsätze. O’Reilly appelliert an das EU-Parlament, Rat und Kommission, eine öffentliche Untersuchungskommission einzurichten, um die Ursachen der Mittelmeer-Todesfälle aufzuklären und künftig zu verhindern.
Die Pressemitteilung der Bürgerbeauftragten ist hier zu finden.
Bürgerbeauftragte veröffentlicht verheerenden Bericht – “Untersuchungskommission zur Seenotrettung muss kommen”
Der Bericht ist erschreckend und das Urteil der Bürgerbeauftragten verheerend. Frontex kommt grundlegenden rechtlichen Verpflichtungen nicht nach. So wurden offenbar Seenotrettungsfälle durch Frontex gefunden, dann aber nicht die Schiffe im Umfeld darüber informiert. So auch bei dem Schiffsunglück von Pylos, bei der über 600 Menschen beim Untergang des Fischkutters Adriana gestorben sind, obwohl man viele Stunden lang von dem Seenotfall wusste. Solche Fälle dürfen sich nicht wiederholen.
Frontex bot zwar Hilfe bei der Adriana-Luftüberwachung an, erhielt jedoch keine Antwort von Griechenland. Die Untersuchung identifiziert systematische Probleme, weil immer wieder Seenotfälle ignoriert werden, wodurch es zu vielen vermeidbaren Toten kommt.
Acht Monate nach dem Unglück wurden allerdings immer noch keine Schritte eingeleitet, um zu verhindern, dass eine solche Katastrophe sich wiederholt. Auch auf Seiten der griechischen Behörden scheint es kein Interesse daran zu geben, ernstzunehmende rechtsstaatliche Untersuchungen durchzuführen. Unsere Außengrenzen dürfen nicht länger ein rechtsfreier Raum sein, indem man straflos Menschen ertrinken lassen kann.
Deswegen unterstütze ich die Forderung der Europäischen Bürgerbeauftragten Emily O’Reilly, eine öffentliche Untersuchungskommission einzurichten, um das tausendfache Sterben auf dem Mittelmeer aufzuarbeiten und in Zukunft zu verhindern.
Hintergrund zu der Untersuchung
Am 14. Juni 2023 sank das überfüllte Fischerboot Adriana vor der Küste von Pylos, Griechenland, wobei über 600 Menschen ertranken. Die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, bezeichnete das Ereignis als eines der schlimmsten Schiffswracks dieses Jahrhunderts und forderte eine gründliche Untersuchung.
Die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly leitete eine Untersuchung ein. Dabei konzentriert sie sich auf die Rolle von Frontex und dessen Interaktion mit den nationalen Behörden bei Seenotfällen. Die Untersuchung ergab, dass Frontex‘ Möglichkeiten zur Seenotrettung stark von den Mitgliedstaaten und ihren Maßnahmen in der Seenotrettung abhängig sind. Oft gibt es ein Wirrwarr an Zuständigkeiten, die es erleichtern, sich bei Rettungsmaßnahmen aus der Verantwortung zu ziehen und Menschen ertrinken zu lassen.
Die Bürgerbeauftragte schlug vor, dass die Kommission, der Rat und das Parlament eine unabhängige Untersuchungskommission zur Bewertung der Situation und zum Schutz der Grundrechte bei Seenotfällen einrichten.
Das Adriana-Unglück steht sinnbildlich für das Unterlassen von geeigneten Hilfsmaßnahmen, denn auch hier wurden trotz eindeutiger Zeichen für einen Seenotfall Schiffe nicht zur Rettung alarmiert.
Auch wenn der Fall noch juristisch aufgearbeitet wird, ist klar, dass durch angemessene Seenotrettungsmaßnahmen über 600 Menschen noch am Leben sein könnten.
Hier ein Auszug aus den Empfehlungen der EU-Bürgerbeauftragen O’Reilly:
Unabhängigere operative Entscheidungen durch Frontex: Frontex bindet sich in operativen Entscheidungen zu stark an die Mitgliedstaaten. So mangelt es Frontex an der Fähigkeit, seinen Grundrechtsverpflichtungen nachzukommen. Möglicherweise muss eine Überarbeitung der operativen Pläne und Verfahren, um sicherzustellen, dass die Agentur besser auf Seenotfälle reagieren kann, selbst wenn nationale Behörden keine konkreten Anweisungen zur Rettung oder zum Melden von Rettungsfällen geben.
Reaktion auf Seenotfälle: Frontex muss die operativen Protokolle die Reaktion auf Seenotfälle überarbeiten, insbesondere im Hinblick auf die Ausgabe von Mayday-Relais – also die Meldung von Seenotfällen an umliegende Schiffe. Die Agentur sollte prüfen, ob ihre Kriterien für die Bewertung von Seenotfällen und die Entscheidung zur Ausgabe von Mayday-Relais ausreichend sind, um die besonderen Umstände von Booten zu berücksichtigen und den Tod auf See zu verhindern.
Umgang mit Informationen von Dritten: Frontex sollte seine Praktiken zur Bewertung und Integration von Informationen, die von Nichtregierungsorganisationen und anderen inoffiziellen Quellen bereitgestellt werden, verbessern. Insbesondere sollten gemeldete Gefahren für Kinder oberste Priorität haben.
Beziehung zu nationalen Behörden: Die Untersuchung unterstreicht die Notwendigkeit für Frontex, seine Beziehungen zu den nationalen Behörden zu überdenken, insbesondere in Fällen, in denen Zweifel an der Einhaltung der Grundrechte durch einen Mitgliedstaat bestehen. Frontex sollte bereit sein, seine Aktivitäten mit einem Mitgliedstaat einzustellen, zurückzuziehen oder auszusetzen, wenn der Schwellenwert für ernsthafte Grundrechtsverletzungen erreicht wurde. Hier wird explizit Bezug auf Griechenland genommen.
Rechtsrahmen für Such- und Rettungsaktionen verbessern: Es besteht Bedarf an einem klaren EU-Rechtsrahmen für Such- und Rettungsmaßnahmen, der die Rollen und Verantwortlichkeiten von Frontex und den Mitgliedstaaten klar definiert und die Agentur in die Lage versetzt, ihren Grundrechteverpflichtungen effektiver nachzukommen. Das Seerecht wurde in einer Zeit geschaffen, in der man sich nicht vorstellen konnte, dass sich Staaten weigern, Menschen aus Seenot zu retten. Da diese Zeiten sich leider geändert haben, sollte man den Rechtsrahmen europäisch überarbeiten.
Diese Vorschläge zielen darauf ab, Frontex‘ Einsätze zur Rettung von Menschenleben zu verbessern und sicherzustellen, dass die Grund- und Menschenrechtseverpflichtungen im Rahmen der Such- und Rettungseinsätze zukünftig eingehalten werden.