Ein Schritt zur globalen Impfgerechtigkeit oder fauler Kompromiss?
Indien, Südafrika, die USA und die EU haben sich beim TRIPS-Waiver auf einen Kompromissvorschlag geeinigt. Wie der genau aussieht, was das TRIPS-Abkommen überhaupt ist und welche Position die Grüne Fraktion im Europaparlament einnimmt, erfahrt ihr in diesem Beitrag.
Das TRIPS-Abkommen (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) wurde 1994 im Rahmen der Uruguay-Runde der GATT-Verhandlungen (General Agreement on Tarifs and Trade) verabschiedet. Das TRIPs-Abkommen wurde damals geschaffen, um die Ausgestaltung geistiger Eigentumsrechte und deren Durchsetzbarkeit in den Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) zu gewährleisten. Das Ziel des Abkommens ist es, das geistige Eigentum zu schützen, ohne dabei Schranken für den legitimen Handel zu setzen. Das Abkommen schafft allerdings kein einheitliches internationales materielles Recht, sondern richtet sich nach dem Territorialitätsprinzip, was bedeutet, dass das TRIPS-Abkommen nur einen Mindestschutzstandard bezüglich dem Gewähren und Durchsetzen von Rechten an geistigem Eigentum schafft, an den die Mitgliedsstaaten sich halten müssen und auch jeweils nur im Mitgliedstaat selbst gilt. Zusätzlich müssen die Regeln aus dem TRIPS-Abkommen in nationale Gesetze implementiert werden, um überhaupt Anwendung zu finden.
Pandemie und der unter Verschluss gehaltene Impfstoff
Ein Impfstoff fällt unter den Anwendungsbereich des TRIPS-Abkommen bzw. des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten, weil es geistiges Eigentum ist und ein Patent ausgestellt wurde. Das sorgt aber auch dafür, dass bestimmte Medikamente unter Verschluss gehalten werden und weniger Menschen zugänglich sind. Aus diesem Grund haben sich Indien und Südafrika schon im Oktober 2020 zusammengeschlossen um einen „waiver“ einzufordern. Mittlerweile haben sich über 100 Staaten angeschlossen, auch das Europäische Parlament unterstützte diese Forderung mit einer im letzten Sommer angenommenen Entschließung. Ziel ist es eine Ausnahmeregelung im TRIPS-Abkommen für den Covid-19-Impfstoff und weitere medizinische Produkte und Technologien zur Pandemiebekämpfung zu erwirken. Momentan ist die Lage so, dass weltweit nur 10 Staaten 75% des hergestellten Impfstoffes für sich behalten haben. 17 Monate nach dem Vorschlag für einen „waiver“, im März 2022 haben sich die EU, USA, Indien und Südafrika (die “Quad”) auf einen möglichen Kompromiss geeinigt, der inzwischen auch veröffentlicht wurde. Der vorläufige Gesetzestext kommt in seiner jetzigen Fassung jedoch dem ursprünglich vorgeschlagenen Waiver nicht mal ansatzweise nahe.
Unsere Kritik und Position
Wir Grünen im Europäischen Parlament begrüßen grundsätzlich, dass es Fortschritte bei der Ausarbeitung eines Waivers gibt, haben aber noch erhebliche Punkte an dem Text auszusetzen. Er ist zu eng gefasst, hat maßgebliche Beschränkungen und wird letztendlich wahrscheinlich für weniger Rechtssicherheit sorgen aufgrund mehrdeutiger Auslegungsmöglichkeiten. Zudem befürchten wir, dass der Text in der jetzigen Fassung einen Negativpräzedenzfall für künftige globale Gesundheitskrisen setzen wird.
Unsere Hauptkritikpunkte an der jetzigen Fassung:
1. Der Text macht die Auslegung des TRIPS-Abkommens zeitgebunden, nur anwendbar für Covid-19-Impfstoffe und nur für gewisse Mitgliedstaaten der WTO, die sich selbst als “Entwicklungsländer” einstufen
2. Therapeutika und Diagnostika sind von der Patentaussetzung nicht betroffen
3. Die problematischen Förderkriterien und die völlige Nichtberücksichtigung der Situation der Importländer können zahlreiche Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen von der Herstellung, Lieferung, Ausfuhr und Einfuhr von Impfstoffen ausschließen und eine Spaltung und Ausgrenzung legitimieren, wodurch die Zugangsmöglichkeiten für alle Menschen eingeschränkt werden
4. Die bestehenden TRIPS-Flexibilitäten können untergraben und eingeschränkt werden, außerdem können zusätzliche bislang nicht existierende “TRIPS+” Anforderungen eingeführt werden
Neueste Entwicklungen
Am 10. Mai, bei der letzten Sitzung des „General Council“ stimmten die WTO-Mitglieder darin überein, dass der vorläufige Gesetzestext, welcher aus dem informellen Prozess mit dem „Quad“ (USA, EU, Indien und Südafrika) hervorgegangen ist, die Aussicht auf Verhandlungen über eine Antwort zum Thema geistiges Eigentum und COVID-19-Impfstoffe eröffnet. Die Mitglieder begrüßten den Vorschlag als positive Entwicklung. Aus genannten Gründen sehen wir als grüne Fraktion im EU-Parlament die Entwicklungen jedoch skeptisch. Darüber hinaus befürchten wir erneute Schwierigkeiten und Stoff für Verhandlungen, falls neue Varianten von Covid-19 aufkommen. Es ist unklar, welche die weiteren Schritte innerhalb der WTO sein werden, aber der finale Text muss vom WTO-Rat normalerweise mit Konsensus (mindestens jedoch ¾ Mehrheit) verabschiedet werden, bevor er in Kraft treten kann. Als grüne Europaabgeordnete fordern in diesem Zusammenhang, dass die EU die Gewährung einer befristeten Ausnahmeregelung von bestimmten Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens für COVID-19 unterstützt, um den rechtzeitigen weltweiten Zugang zu erschwinglichen COVID-19-Impfstoffen, -Therapeutika und -Diagnostika zu verbessern, indem globale Produktionsbeschränkungen und Versorgungsengpässe angegangen werden.