Brexit: Auswirkungen auf Flucht und Migration
Mit dem Brexit wird die allgemeine Bewegungsfreiheit zwischen der EU und UK eingeschränkt, ohne dass bisher ein genaues Regelwerk dazu verabschiedet wurde. Seit dem 01.01.2021 unterliegen alle Grenzübertretungen den bestehenden Einwanderungsgesetzen der EU und Großbritanniens. Von letzteren wird es Visa für Kurzzeitaufenthalte geben, sowie Regelungen für die vorübergehende Freizügigkeit von natürlichen Personen zu Geschäftszwecken.
Arbeitsmigration und dienstliche Grenzübertritte
Ein neues, punktebasiertes Migrationssystem Großbritanniens regelt Einreisekriterien für Fach- und Grenzarbeiter:innen sowie Menschen ohne Staatsbürgerschaft, die schon lange in UK leben. Das neue Migrationssystem unterscheidet zwischen Facharbeiter:innen und Geringqualifizierten. Während erstere bestimmte Kriterien erfüllen müssen, gibt es keinerlei Visaerleichterungen für letztere. Deren Arbeit soll von nun an nur noch von britischen oder irischen Staatsbürger:innen ausgeübt werden können oder von Menschen, die bereits einen (pre-)settled Status genießen.
Als settled gilt, wer bereits über 5 Jahre in UK gelebt hat. Betroffene erhalten eine uneingeschränkte Aufenthaltserlaubnis. Wer weniger als 5 Jahre im Vereinigten Königreich lebte, gilt als pre-settled und kann mit Erreichen der 5-Jahres-Marke den settled-Status beantragen. Anträge, um einen jeweiligen Status zu erhalten, müssen bis zum 30.06.21 beim EU Settlement Scheme gestellt werden.
EU-Bürger:innen nicht mehr bevorzugt
EU-Bürger:innen werden durch das neue System nicht mehr bevorzugt. Für alle Menschen ohne britischer Staatsangehörigkeit gelten von nun an die gleichen Regeln. Profitieren werden davon besonders Facharbeiter:innen außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums. Im Vergleich zum vorherigen Tier 2 (General) Visum ist das neue Skilled Worker Visum einfacher zu bekommen, die Mindestqualifikation und das nötige Mindestgehalt wurden gesenkt, die jährliche Obergrenze für die Anzahl der Arbeitsvisa ausgesetzt sowie die Arbeitsmarktprüfung abgeschafft. Letztere verlangte die Bevorzugung von Arbeitenden aus dem europäischen Wirtschaftsraum gegenüber anderen selbst bei besserer Qualifikation. Von nun sollen alle Bewerbenden unabhängig ihrer Herkunft und ihres Einwanderungsstatus bei der Vergabe von Arbeitsplätzen gleichberechtigt werden.
Seit dem 01.01.2021 gelten die EU und Großbritannien als jeweilige Drittstaaten, wobei die Situation von Grenzgänger:innen und EU-Bürger:innen, die schon länger in Großbritannien leben und andersherum durch das Withdrawal Agreement geschützt sind. Dieses garantiert EU-Bürger:innen, die sich rechtmäßig im Vereinigten Königreich aufhalten und britischen Staatsbürger:innen, die sich am Ende der Übergangszeit rechtmäßig in einem der 27 EU-Mitgliedstaaten aufhalten, sowie ihren Familienmitgliedern weitgehend die gleichen Rechte, die sie vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU hatten: Sie können weiterhin frei zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU leben, studieren, arbeiten und reisen.
Grenzgänger:innen, die aus der EU, der Schweiz, Norwegen, Island oder Liechtenstein kommen, außerhalb Großbritanniens leben, bis zum 31.12.20 in Großbritannien arbeiteten und mindestens einmal jährlich in Großbritannien arbeiten, können online eine kostenlose Grenzarbeitserlaubnis (Frontier Worker Permit) beantragen. Familienmitglieder werden hier nicht mit abgedeckt.
Um offene Fragen zu Reise- und Arbeitsregelungen zu beantworten, hat die britische Regierung einen Brexit-Checker eingerichtet.
Die Situation für Geflüchtete
Das neue System bezieht sich jedoch nicht auf Schutzsuchende und klammert wichtige Fragen aus. Für Unsicherheit sorgt besonders das Ausscheiden Großbritanniens aus dem Dublin-System und das Fehlen eines Post-Dublin-Abkommens, da sich das Vereinigte Königreich weiterhin weigert, die bisherigen Punkte zu übernehmen. UK und Frankreich einigten sich bereits im November 2020 auf Maßnahmen, um unkontrollierte Überquerungen des Ärmelkanals zu verhindern. Falls es zu keinen Einigungen zwischen der EU und UK kommen sollte, werden weitere bilaterale Abkommen erwartet, insbesondere bezüglich Familienzusammenführungen und der Verhinderung illegalisierter Migration.
Das wird besonders für Asylsuchende und ihre Familien in der EU und in Großbritannien problematisch: Die aktuell herrschende Unklarheit wegen fehlender Abmachungen zwischen der EU und UK würde durch bilaterale Abkommen noch vergrößert. Auch wenn wir das Dublin-System und die damit einhergehende Verantwortung des Ersteinreiselandes ablehnen und stattdessen ein faires europäisches Asylsystem fordern: Ohne Dublin wäre ein Großteil der Familienzusammenführungen im Vereinigten Königreich unmöglich gewesen. Laut Infomigrants sind diese ab jetzt nur noch möglich, wenn der Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutz bereits gewährt wurde. Die Zusammenführung für unbegleitete Minderjährige sind nur noch mit ihren Eltern möglich. Um Großbritannien zu erreichen, bleibt für viele Schutzsuchende höchstwahrscheinlich kein anderer Weg als der über Menschenhändler und gefährliche Versuche, das Meer zu überqueren, wo bereits jetzt zahlreiche Menschen ertrinken.
Parlament muss auf legale Einreisemöglichkeiten für Schutzsuchende drängen
Daher muss das Parlament darauf drängen, dass umgehend Abmachungen getroffen werden, die legale Möglichkeiten für Schutzsuchende und ihre Angehörigen bieten, Großbritannien zu erreichen. Offene Fragen zum Familiennachzug müssen umgehend und unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Betroffenen beantwortet werden. Zusätzlich muss Klarheit zu noch offenen Dublin-Verfahren geschaffen werden.
Außerdem muss die Situation von Schutzsuchenden in Großbritannien weiter verfolgt werden. Schon zuvor wurden Klagen über ineffiziente Asylverfahren im Vereinigten Königreich laut. Nun wird befürchtet, dass es zu weiteren Verzögerungen in den Verfahre sowiezu Inhaftierungen und Ablehnungen der Anträge von Asylsuchenden in UK kommen wird. Ziel der Regierung ist es, durch Abschreckungen Migration nach Großbritannien zu verhindern: So soll der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Arbeit und sogar Unterkünften begrenzt werden. Der Integration von Schutzsuchenden wird keine Bedeutung zugemessen, um ‚freiwillige Rückkehr‘ zu befördern. Hierbei setzt die Regierung auf die Implementierung eines eigenen, von der EU weitgehend unabhängigen Programms. Statt faire Einreisebedingungen für Schutzsuchende zu gestalten, liegt der Fokus auf der fachlichen Spezialisierung der Menschen und ihrem Nutzen für den britischen Arbeitsmarkt. Eine zunehmende Verletzbarkeit von Betroffenen und die Missachtung fundamentaler Menschenrechte wird befürchtet.