Geschichte der europäischen Asylpolitik seit 1997

In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind wir einer humanen und progressiven Asylpolitik leider kaum näher gekommen. Im Folgenden findet ihr eine Übersicht vom Amsterdamer Vertrag über den Vertrag von Lissabon bis hin zum aktuell vorliegenden Kommissionsvorschlag für ein gemeinsames europäisches Asylsystem (GEAS), an dem Kommission, Rat und Parlament aktuell arbeiten.

Der Amsterdamer Vertrag wird 1997 von den Staats- und Regierungschef:innen der EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet und tritt zwei Jahre später in Kraft. Er stellt die Weichen für eine gemeinsame europäische Asylpolitik: Teile der Asylpolitik werden zu einem gemeinsamen Politikfeld der Europäischen Union erklärt, indem sie in die supranationale erste Säule der Gemeinschaft integriert wurden. Das Ziel ist die Angleichung der Asylpolitik und des Asylrechts in den Mitgliedstaaten. Mit dem Amsterdamer Vertrag tritt auch das erste Dublin-Abkommen in Kraft. Dieses legt fest, dass nur ein EU-Mitgliedstaat pro Asylverfahren zuständig ist. 

Sondergifpfel von Tampere 1999

Der Sondergipfel von Tampere findet im Oktober 1999 in Finnland statt. Der Europäische Rat verabschiedet hier ein Programm zur innen- und justizpolitischen Zusammenarbeit für die folgenden fünf Jahre. In diesem Rahmen werden die Leitlinien eines gemeinsamen europäischen Asylrechts (GEAS) erarbeitet. Es werden gemeinsame Kriterien für die Erteilung des Flüchtlingsstatus auf Basis der Genfer Flüchtlingskommission beschlossen. Abkommen mit Herkunftsländern von Schutzsuchenden und weitere Maßnahmen sollen eine weitergehende Kontrolle von Migrationsbewegungen ermöglichen.

2003 wird das Dublin-Abkommen überarbeitet. Es wird festgelegt, dass grundsätzlich das Ersteinreiseland das Asylverfahren durchführt und damit auch die Anträge prüfen muss. Dies stellt europäische Grenzstaaten wie Griechenland und Italien vor Herausforderungen, während sich die europäischen Staaten ohne EU-Außengrenze im Rahmen des Abkommens weitgehend aus der Verantwortung ziehen können. Außerdem wird mit Dublin II die EURODAC-Datenbank eingeführt. Mit dieser werden Fingerabdrücke von Schutzsuchenden gesammelt und abgeglichen. Auch Grenzkontrollen werden erweitert. Dublin II hatte das Ziel die europäische Asylpolitik zu harmonisieren, verschärfte aber auch die Situation für Schutzsuchende in Europa. 

Haager Programm 2004

2004 beschließen die Regierungen der EU auf einem Sondergipfel für weitere fünf Jahre das Haager Programm. Grundlage ist das Tampere Programm, als dessen Nachfolger es gilt. Ziel des Programms ist es, Einwanderung weiter einzuschränken. Dies soll mithilfe von Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern realisiert werden. Ein Fokus wird auf die Abschiebung von Menschen mit abgelehnten Anträgen gelegt. Gleichzeitig sollen Maßnahmen für legale Migration und zur Integration von Drittstaatenangehörigen geschaffen werden. 

Darüber hinaus wird die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex ins Leben gerufen. Ein gemeinsames Visainformationssystem (VIS) sammelt und teilt Informationen zu Asylanträgen und biometrische Daten auf EU-Ebene. 2005 verfassen die Staats- und Regierungschef:innen der EU den Gesamtansatz zur Migration, der die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern außerhalb der EU zum Ziel hat, um irreguläre Migration zu verhindern. 

Asylverfahrensrichtlinie 2006 und Vertrag von Lissabon 2009

Ein Jahr später tritt die vom Rat beschlossene Asylverfahrensrichtlinie in Kraft. Sie legt Grundsätze und Mindeststandards von Asylverfahren fest. Damit soll der Zugang zu Asylverfahren in der EU zwischen den Mitgliedsstaaten harmonisiert werden. Die Asylverfahrensrichtlinie definiert, wer als Flüchtling oder als subsidiär schutzbedürftige Person anerkannt wird. Die genauen Beschlüsse sind hier nachzulesen. Praktisch scheitert eine Harmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten aber, was schon an den enorm unterschiedlichen Anerkennungraten in den Mitgliedstaaten abzulesen ist. 

Der Vertrag von Lissabon tritt 2009 in Kraft und stärkt die Befugnisse des Europäischen Parlamentes, das nun faktisch als Mitgesetzgeber mit dem Rat der Europäischen Union (Ministerrat) gilt. Trotzdem verfügt das Parlament weiterhin über kein automatisches Initiativrecht. Gleichzeitig werden die Rechte der Mitgliedstaaten strukturell erhalten, die über ein Vetorecht im Europäischen Rat verfügen. Außerdem können sie weiterhin frei entscheiden wie vielen Menschen sie Einreise- und Arbeitserlaubnis erteilen. Mit dem Vertrag werden zentrale Bereiche einer gemeinsamen EU-Migrationspolitik festgelegt: Die Festlegung von Voraussetzungen für legale Einreise und Aufenthalt und der Rechte von Menschen aus Drittstaaten, sowie die Bekämpfung von Menschenhandel und “irregulärer” Migration.

Stockholmer Programm 2010

Mit dem Stockholmer Programm von 2010-2014, dass das Haager Programm ablöst, folgt der Ausbau von Frontex und die verstärkte Zusammenarbeit von Europol und Eurojust mit der Grenzagentur . Es wird das „Einreise-Ausreise-System“ (EES) geschaffen, das Nicht-EU-Bürger:innen, die sich in der EU aufhalten, registriert. Dies ist ein weiterer Schritt zur Schaffung “intelligenter” Grenzen. Außerdem werden weitere Rücknahmeabkommen mit Herkunftsländern geschlossen. Zeitgleich wird Arbeitsmigration als Teil der Lösung des Fachkräftemangels in Europa wohlwollender betrachtet. 

2011 verabschiedet die Kommission den Gesamtansatz für Migration und Mobilität (GAMM), der den 2005 verfassten Ansatz aktualisiert. Im Vergleich zum GAMM werden Rahmenbedingungen für legale Migration verbessert und das Recht auf Asyl gestärkt. Besonders Arbeitsmigration soll erleichtert werden. Zeitgleich werden die Grenzkontrollen verschärft und restriktivere Maßnahmen eingeführt. Es wird verstärkt auf Rücknahmeabkommen mit Herkunftsstaaten gesetzt. Auch bleiben zentrale Kompetenzen bei der Vergabe von Visa und Asyl bei den Mitgliedstaaten. Der GAMM stellt eine  Strategie mit Wirkung auf die europäische Außenpolitik dar.

Dublin III ab 2014

Dublin III tritt 2014 in Kraft. Neben der Kernfamilie gelten nun auch Onkel, Tanten und Großeltern als Familienangehörige und das Recht auf Familienzusammenführung wird auf Menschen mit subsidiärem Schutzstatus ausgedehnt. Außerdem werden verpflichtende Interviews mit den Antragsteller:innen eingeführt. Einsprüche gegen Ablehnungsbescheide können von nun an Abschiebungen und Zurückweisungen in ein anderes Mitgliedsland aufschieben. Auch ein Vorwarn- und Krisenmanagement wird verabschiedet. Das Dublin-Verfahren wird auf Menschen, die subsidiären Schutz beantragen, ausgedehnt und betrifft nicht mehr nur Menschen, die den Flüchtlingsstatus beantragen. Menschen, von denen “akute Fluchtgefahr” ausgeht, können ab jetzt inhaftiert werden. Dublin III sieht beschleunigte Verfahren für Menschen in Haft vor. 

2013 beginnt die EU unter der Zustimmung des Rates im Rahmen der EU Border Assistance Mission mit libyschen Institutionen zusammenzuarbeiten, vorgeblich um Menschen- und Waffenschmuggel zu bekämpfen und Migration in die EU weiter zu verhindern. Ziel ist es, Menschen in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken. Dafür rüstet die EU die Libysche Küstenwache aus, trainiert diese und schafft so eine paramilitärische Einheit. Dabei handelt es sich teilweise um Warlords, die oft selbst Menschen geschmuggelt haben.

Anfang und Ende von Mare Nostrum und staatlich organisierter Seenotrettung

Im gleichen Jahr ruft die EU mit Unterstützung des Parlaments und des Rates das Überwachungssystem EUROSUR ins Leben, um anhand von Satellitendaten Europas Außengrenzen überwachen zu können. Nationale Behörden müssen ihre Aktionen von nun untereinander und mit Frontex koordinieren. Außerdem startet die italienische Küstenwache die Operation Mare Nostrum, die in nur einem Jahr 130.000 Menschen leben im Mittelmeer rettet.

Die Regierungschef:innen der EU weigern sich jedoch, die Operation mit Umsiedlungen zu unterstützen. Daher bleibt eine europäisch koordinierte Seenotrettung aus. Mare Nostrum wird im Oktober 2014 beendet und von der Frontex-Operation Triton abgelöst. Statt auf die Rettung von Menschen in Seenot wird auf Abschottung gesetzt. In der Folge wurden weniger Menschen auf dem Mittelmeer gerettet. 

Khartoum-Prozess 2014 und die Zusammenarbeit mit brutalen Diktaturen

Der sogenannte Khartoum-Prozess von 2014 sorgt für Aufsehen, da die EU-Staaten hier mit Militärdiktatoren aus Eritrea, dem Sudan und dem Südsudan zusammen arbeiten. Auch Äthiopien, Somalia, Djibouti, Kenia, Libyen, Ägypten und Tunesien sind in den Prozess involviert. Mit der Begründung Fluchtursachen verhindern zu wollen arbeitet die EU-Kommission hier mit repressiven Diktatoren zusammen, vor denen Menschen fliehen und die zum Teil sehr hohe Anerkennungsquoten in EU-Staaten haben.

Nach Katastrophen im Mittelmeer wird 2015 auf einem Sondergipfel Kommission mit den Staats- und Regierungschef:innen der EU ein 10-Punkte-Plan verabschiedet. Mittel zur Seenotrettung durch Frontex werden aufgestockt, um auf die zunehmende Anzahl von Flüchtenden in Seenot zu reagieren. Es werden weitere Maßnahmen gegen Schlepperei verabschiedet und Frontex mit weiteren Kompetenzen ausgestattet. Auch das Einsatzgebiet der Agentur wird vergrößert. Menschen sollen mithilfe von Frontex schneller abgeschoben werden. Auch die Zusammenarbeit der EU-Sicherheitsbehörden wird forciert. 

Europäische Migrationsagenda 2015 und Errichtung von „Hotspots“

Die Europäische Migrationsagenda wird 2015 von der Kommission vorgestellt. Um legale Migration in die EU zu erleichtern, wird in den folgenden Jahren beispielsweise die “Blaue Karte EU” für Hochqualifizierte überarbeitet. Genaueres zu der EU Blue Card und weiteren legalen Migrationsmöglichkeiten in die EU habe ich auf meinem Blog zusammengefasst. Auch die Zusammenarbeit mit Herkunftsländern wird nochmal verstärkt.

Die Überwachung der europäischen Außengrenzen wird voran getrieben; Schlepperboote sollen zerstört werden. Ziel ist auch hier, bei einer Erleichterung legaler Migration irreguläre Migration schneller zu unterbinden und zu bekämpfen. Somit reiht sich die Agenda ein in die im Gesamtansatz für Migration verfasste Politik der EU. Die Externalisierung wird  zunehmend ausgebaut und damit die Grenzpolitik der EU in Drittstaaten verlagert. 

Außerdem wird die Errichtung von “Hotspots”, also geschlossenen Zentren, in denen Schutzsuchende registriert werden und Sicherheitsüberprüfungen stattfinden, beschlossen. Im gleichen Jahr werden innereuropäische Mauern und Zäune, wie in Ungarn, Slowenien und Österreich, errichtet und viele Menschen an der Weiterreise gehindert. Viele Länder schließen ihre Grenzen und gehen mit offensiverer Gewalt gegen Schutzsuchende vor. Flüchtende auf der Balkanroute werden mit Stacheldraht, Hundestaffeln, Pfefferspray, Tränengas und Wasserwerfern an der Weiterreise gehindert. 

Operation Sophia

Seit 2016 bildet die European Union Naval Force Mediterranean (EUNAVOR MED) im Rahmen der Operation Sophia die sogenannte libysche Küstenwache weiter aus. Selbsterklärtes Ziel ist die Bekämpfung von Schleuserei und Menschenhandel. Dies geht auf einen Beschluss des Europäischen Rates zurück. Auch bewaffnete Soldaten aus Deutschland sind daran beteiligt. Vorgesehen ist auch die Rettung von Menschen aus Seenot, die ohnehin verpflichtend ist.

Im gleichen Jahr ändert die Kommission ihre Strategie in Bezug auf Migration und im Umgang mit Drittstaaten: Im Rahmen der Partnership Frameworks wird der Fokus auf Abschiebung gelegt. Bei fehlender Kooperation der Drittstaaten bei der Rücknahme von Migrant:innen droht die Kommission mit Konsequenzen, etwa in Bezug auf Handels- und Entwicklungspolitik. Somit werden entscheidende Hilfeleistungen der EU an Kooperation in der Migrationspolitik geknüpft. 

EU-Türkei Deal 2016

Am 20. März 2016 tritt der EU-Türkei-Deal in Kraft. Seitdem werden Schutzsuchende systematisch auf den Inseln festgehalten und in die Türkei zurückgeschoben. Syrische Schutzsuchende, die “irregulär” die griechischen Inseln erreichen, sollen zurück in die Türkei gebracht werden. Für jede dieser Personen soll eine andere syrische Person aus der Türkei  in die EU umgesiedelt werden. Auch wenn Menschen aus Syrien in die EU umgesiedelt werden, ignoriert das Statement Geflüchtete aus anderen Ländern, wie Iran oder Afghanistan, die in der Türkei oft Not leiden müssen.

Es kommt zu zahlreichen Pushbacks in die Türkei, von wo aus vielen Menschen eine Abschiebung nach Syrien droht. Mehr zu dem Abkommen erfahrt ihr in einem Gespräch mit Gerald Knaus, Maximilian Pichl und mir. Im September desselben Jahres wird ohne Einbeziehung des Parlaments eine Vereinbarung mit Afghanistan zur Rückführung von Geflüchteten getroffen, um Abschiebungen in das seit Jahrzehnten zerrüttete Land in großem Stil zu vollziehen. Mehr zu dem JWF-Abkommen, findet ihr hier

Erklärung von Malta 2017 und Zusammenarbeit mit libyschen Milizen

Die Erklärung von Malta wurde am 03. Februar 2017 von den europäischen Regierungschef:innen unterzeichnet. In der Folge wird mit EU-Geldern die libysche Küstenwache aufgebaut und unterstützt, eine libysche SAR-Zone festgelegt und eine Koordinierungsstelle in Libyen eingerichtet. Damit ist nicht mehr die italienische Seenotrettungsleitstelle für die Koordination von Sennotrettungsaktivitäten in internationalen Gewässern vor der libyschen Küste verantwortlich. Stattdessen liegt diese Aufgabe jetzt bei der Libyschen Küstenwache. Dies führt u.a. dazu, dass Menschen zurück in das Bürgerkriegsland geschickt werden (sogenannte Pullbacks) anstatt zu einem sicheren Hafen gebracht zu werden.

So werden auch zivile Seenotrettungsschiffe angewiesen, gerettete Menschen zurück nach Libyen zu bringen, wo ihnen Folter, Haft, Zwangsarbeit und Mord drohen. Mitnichten kann ein Hafen in Libyen als sicher für Schutzsuchende bezeichnet werden. Hier macht sich die EU mit für die unmenschliche Behandlung von Menschen verantwortlich. SOS-MEDITERRANEE erklärt dazu: „Mit der Malta-Erklärung hat die Europäische Union den Grundstein für einen massiven Bruch des Völkerrechts gelegt, der mit europäischen Steuergeldern finanziert wird.“ 

Neuer Migrations- und Asylpakt

Derzeit wird an einem neuen Migrations- und Asylpakt gearbeitet: Im September 2020 schlägt die Kommission einen Entwurf vor, der es Mitgliedstaaten ermöglichen soll, Abschiebungen zu unterstützen anstatt Schutzsuchende aufzunehmen: Bevor der Vorschlag für den Pakt veröffentlicht wurde, hat das vorherige Parlament 2019 mit dem Rat eine Reform des Mandats von Frontex beschlossen. Die sogenannte Verordnung über die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache II erweitert das Mandat von Frontex weitgehend: Von 1700 Grenzbeamt:innen im Jahr 2019 soll die Agentur bis 2027 auf 10.000 Grenzbeamte aufgestockt werden. Grenzverfahren, also Asylverfahren unter Haftbedingungen an der Grenze, sollen zur Norm werden.

Wir Grünen haben einen Alternativvorschlag ausgearbeitet, der auf echte und verpflichtende Solidarität setzt. Wir sind für offene Asylverfahren, die die Präferenzen der Schutzsuchenden und die Aufnahmebereitschaft der Kommunen berücksichtigen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass Menschenrechte nicht weiter eingeschränkt werden und Zugang zu fairen Asylverfahren gewährleistet wird. Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, wo wir hinwollen, welche Ziele wir mit der europäischen Migrationspolitik verfolgen, wie wir nach außen und innen wirken wollen. Dabei dürfen wir nie vergessen, dass die Zukunft Europas nur auf Menschenwürde und Gleichheit beruhen kann.  

Weitere Quellen:

Dr. P. Bendel, M. Haase: Dritte Phase: Migrationspolitik als Gemeinschaftsaufgabe (seit 1999). In bpb, 29.1.2008. Online verfügbar unter https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration-ALT/56531/seit-1999

J. Grosser: Supranationalisierung von Amsterdam bis Lissabon (1997-2007). In: Treffpunkt Europa, 13.06.2020. Online verfügbar unter Supranationalisierung von Amsterdam bis Lissabon (1997-2007) – treffpunkteuropa.de

M. Haase, J.C. Jugl: Asyl- und Flüchtlingspolitik der EU. In bpb, 27.11.2007. Online verfügbar unter https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration-ALT/56551/asyl-fluechtlingspolitik?p=all

Englischsprachige Fachliteratur:

Bialasiewicz, Luiza (2012): Off-shoring and Out-sourcing the Borders of EUrope. Libya and EU Border Work in the Mediterranean. In: Geopolitics 17 (4), S. 843–866.

Crépeau, Francois (2015): Report of the Special Rapporteur on the human rights of migrants. UN Doc. A/HRC/29/36. Report presented at the Human Rights Council, 29th Session. Geneva.

Gaibazzi, Paolo; Dünnwald, Stephan; Bellagamba, Alice (Hg.) (2017): EurAfrican Borders and Migration Management. Political Cultures, Contested Spaces, and Ordinary Lives. New York, s.l.: Palgrave Macmillan US (Palgrave Series in African Borderlands Studies).

Papagianni, Georgia (2013): Forging an External EU Migration Policy. From Externalisation of Border Management to a Comprehensive Policy? In: European Journal of Migration and Law 15 (3), S. 283–299.

Wierich, Andrea (2011): Solving Problems Where They Are Made? The European Neighbour-hood Policy and Its Effects on the Context of Other Migration-Related Policies of the European Union. In: Perspectives on European Politics and Society 12 (3), S. 225–241

Anfrage: Situation der Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln

Am 12. März habe ich der Kommission eine Anfrage gesendet, um zu erfahren, was konkret geplant ist, um die Lage auf den griechischen Inseln zu verbessern. In der Antwort heißt es, die Unterkünfte seien seit dem Brand in Moria besser geworden. Davon merken die Bewohner:innen aber auch acht Monate nach dem Brand nicht viel. Die Situation ist weit davon entfernt menschenwürdig zu sein und EU-Standards zu entsprechen. Die Kommission schreibt: „Die griechischen Behörden haben bestätigt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner des neuen Zentrums in der Lage sein werden das Lager nach Belieben zu betreten und zu verlassen.“ Momentan dürfen die Menschen sich nicht frei bewegen und werden eingesperrt. Die Kommission behauptet hier, dass das in den neuen Lagern anders sein soll, aber die griechische Regierung spricht öffentlich weiterhin von geschlossenen Lagern, die dort gebaut werden sollen. Hier scheint die griechische Regierung der Öffentlichkeit andere Versprechungen zu machen als der Kommission.

Meine gesammelten Anfragen an die Kommission und die Antworten findet ihr hier.

Meine Anfrage

Die Situation der Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln entspricht immer noch nicht den europäischen Mindeststandards. Tausende Menschen wurden in Zelten einem Rekordwinter ausgesetzt. Auf Lesbos gibt es nach wie vor kein fließendes Wasser, und lediglich 23 der Duschen wurden im Januar – bei Minusgraden und Schnee – mit warmem Wasser versorgt. In einem Bericht der EU-Taskforce Lesbos von Anfang Februar spricht die Kommission davon, dass alle Zelte winterfest gemacht worden seien. Außerdem sei das Wetter im Winter über weite Strecken trocken, und die Temperaturen auf der Insel lägen selten unter 10 Grad Celsius. Gleichzeitig treibt die griechische Regierung die Errichtung geschlossener und bewachter Zentren mithilfe von EU-Mitteln weiter voran.

1. Welche Verbesserungen hinsichtlich der erforderlichen humanitären Mindeststandards und der Bewegungsfreiheit gibt es im Verhältnis zum Lager Moria im neuen Lager Kara Tepe?

2. Das Kommunalparlament in Mytilini fasste am 3. Februar 2021 einen Beschluss, der die Errichtung eines EU-finanzierten geschlossenen und bewachten Lagers für insgesamt 3500 Menschen vorsieht. Welche Maßnahmen gedenkt die Kommission zu ergreifen, damit ihr Versprechen gegenüber dem Parlament umgesetzt wird, dass die Lager an den Außengrenzen keine geschlossenen Lager werden?

3. Es gibt vermehrt Anzeichen, dass das unwürdige temporäre Lager auch im nächsten Winter noch bestehen wird. Wie ist der Zeitplan für die Errichtung menschenwürdiger Unterkünfte, und wie stellt die Kommission sicher, dass er eingehalten wird?

Antwort von Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 19.05.2021

Das Lager Mavrovouni wurde provisorisch errichtet, um den Menschen nach den Bränden in Moria umgehend Unterkünfte bereitzustellen. Die Kommission und die griechischen Behörden arbeiten seitdem an der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Zu diesem Zweck stellt die Kommission Finanzmittel sowie operative und technische Unterstützung bereit. Die Arbeiten an der Wasser- und Stromversorgung, der Abwasserentsorgung sowie an der Schotterung werden Bereich für Bereich fortgeführt. Duschen mit warmem Wasser und Toiletten wurden installiert. Der medizinische Bereich wird ausgebaut und medizinische Versorgung wird bereitgestellt. Die Kommission und die griechischen Behörden werden weiter an zusätzlichen Verbesserungen arbeiten.

Der Schutz und die Verbesserung der Lebensbedingungen für Asylsuchende in Griechenland stellt eine Priorität für die Kommission dar. Die bestehenden Zentren auf den Inseln werden im Einklang mit dem Besitzstand und den Normen der EU durch multifunktionale Aufnahme- und Identifizierungszentren ersetzt. Die Kommission stellt eine erhebliche finanzielle Unterstützung zur Verfügung, unter der Voraussetzung, dass die neuen Zentren dem einschlägigen Besitzstand entsprechen. Die griechischen Behörden haben bestätigt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner des neuen Zentrums in der Lage sein werden, das Lager nach Belieben zu betreten und zu verlassen. Die Einrichtung eines Systems von Zugangsausweisen soll die Sicherheit der Zentren sicherstellen. Die Vereinbarung über das gemeinsame Pilotprojekt auf Lesbos sieht vor, dass die Kommission zu den Verfahren des Zentrums konsultiert wird.

Die Arbeiten auf den Inseln befinden sich in unterschiedlichen Planungs- und Bauphasen. Die griechischen Behörden bekräftigten ihre Entschlossenheit, die Zentren bis Ende 2021 fertigzustellen. Über eine spezielle Taskforce arbeitet die Kommission mit den griechischen Behörden zusammen und überwacht – unter anderem im Rahmen monatlicher Sitzungen des Lenkungsausschusses unter Beteiligung aller einschlägigen Interessenträger – den Fortschritt der Arbeiten.

Anfrage: Neue Belege für Push-Backs an der kroatischen Grenze

Es gibt immer neue Beweise für die unrechtmäßige und gewaltvolle Zurückweisung von Asylsuchenden an der kroatisch-bosnischen Grenze. Zusammen mit anderen Abgeordneten habe ich die EU-Kommission gefragt, wann sie endlich reagiert.

Betrifft: Neue Belege für Push-Back-Maßnahmen an der kroatischen Grenze – wird die Kommission nun endlich reagieren?

Am 18. November 2020 veröffentlichte die deutsche Wochenzeitschrift Der Spiegel einen Bericht über illegale Rückführungen an der kroatischen Grenze. In dem Bericht wird dokumentiert, wie kroatische Grenzbeamte Asylsuchende unter Anwendung von Gewalt über die Grenze nach Bosnien und Herzegowina abschieben. Darüber hinaus hat Frontex Videos an der kroatischen Außengrenze aufgezeichnet, wo Push-back-Maßnahmen und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen stattgefunden haben.

1.    Wird die Kommission angesichts der Zuverlässigkeit der Quelle und des vorgelegten Videomaterials unverzüglich eine Untersuchung der Vorwürfe gegen kroatische Grenzbeamte und Frontex einleiten und dabei die vorhandenen Aufzeichnungen von Frontex berücksichtigen?

2.    Die kroatischen Grenzbeamten handeln offensichtlich nicht im Einklang mit dem Schengener Grenzkodex. Was bedeutet das für einen künftigen Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum?

3.    Kroatische Grenzbeamte haben gegen internationales und EU-Recht verstoßen. Zu diesen Verstößen gehören unter anderem Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union, Artikel 13 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 und Artikel 21 der Richtlinie 2011/95/EU. Welche Schritte wird die Kommission angesichts dieser Verstöße – neben der möglichen Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die kroatische Regierung – als Reaktion auf diese Ereignisse ergreifen?

Antwort von Kommissarin Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 19.4.2021:

Die Kommission nimmt alle Berichte über mutmaßliche Zurückweisungen von Migranten sehr ernst. Sie ist zwar nicht befugt, mutmaßliches Fehlverhalten der Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten zu untersuchen, überwacht jedoch aufmerksam, in welchem Maße die Grundrechte eingehalten werden, und erwartet von den Mitgliedstaaten, dass sie Untersuchungen durchführen und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen ergreifen. An den Landaußengrenzen Kroatiens werden weder Personal noch Einsatzmittel von Frontex eingesetzt.

Die Achtung der Grundrechte ist ein wichtiger Bestandteil des Schengen-Besitzstands. In ihrer Mitteilung[1] von 2019 gelangte die Kommission zu dem Schluss, dass Kroatien die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die für die Anwendung des Schengen-Besitzstands erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Damit dies auch weiterhin der Fall ist, sollte Kroatien weiterhin konsequent an der Umsetzung aller laufenden Maßnahmen arbeiten. Am 17. November 2020 führte die Kommission gemeinsam mit der Agentur für Grundrechte einen Kontrollbesuch in Kroatien durch. Dessen Hauptzweck bestand darin, die derzeitige Lage zu bewerten und die Einrichtung eines wirksamen und unabhängigen Überwachungsmechanismus zu erörtern, mit dem auf kohärente und transparente Weise gegen gemeldete und mögliche künftige Grundrechtsverletzungen an der Grenze vorgegangen werden soll.

Darüber hinaus unterhält die Kommission regelmäßige bilaterale Kontakte mit Kroatien, um Informationen über die Vorwürfe und die von den Behörden durchzuführenden Untersuchungen einzuholen. Ferner finden regelmäßige Treffen mit der kroatischen Bürgerbeauftragten sowie internationalen und nichtstaatlichen Organisationen statt, um aktuelle Informationen über Zwischenfälle zu erhalten.

Die Kommission führt intensive Gespräche mit Kroatien und den einschlägigen Akteuren über die Einrichtung eines unabhängigen Überwachungsmechanismus und um für mehr Transparenz bei der Weiterverfolgung von Vorfällen zu sorgen.


[1] COM(2019) 497 vom 22. Oktober 2019, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=COM:2019:0497:FIN.

Anfrage zum „temporären“ Lager Mavrovouni auf Lesbos

Geflüchtete dürfen das neue Moria auf Lesbos nicht mehr einfach verlassen. Zu den Zuständen habe ich der Kommission Fragen gestellt.

Die Kommissarin schreibt in ihrer Antwort auf meine parlamentarische Anfrage, die sich nach Push-Backs an der griechisch-türkischen Seegrenze und der Rolle der EU-Grenz- und Küstenwache Frontex erkundigt: „Eine effektive und gut funktionierende Agentur für das Außengrenzmanagement, die den Schutz der Grundrechte bei der Ausübung ihrer Funktionen garantiert, gehört zu den Prioritäten der Kommission.
Und dennoch tun die Kommission, Frontex und die EU-Mitgliedstaaten ihr Möglichstes, um jede Verantwortung für die systematischen und schwerwiegenden Grundrechtsverletzungen zu vermeiden, die Asylsuchende jeden Tag aufs Neue gefährden.

Hier findet ihr die vollständige Anfrage auf der Homepage des Europäischen Parlaments.

Ich habe der EU-Kommission folgende Frage am 1. Februar gestellt:

Betrifft: Lebensbedingungen im „temporären“ Lager Mavrovouni auf Lesbos.

Seit Anfang November dürfen Geflüchtete das neue Lager Kara Tepe (Mavrovouni) auf Lesbos nicht verlassen, außer für besonders wichtige Termine. Begründet wird dies mit der Notwendigkeit, die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern. Die Schutzsuchenden sind nun de facto eingesperrt.

Nach einem Besuch am 28.11.2020 hat Minister Mitarakis die Maßnahmen, um das Lager winterfest zu machen, für abgeschlossen erklärt, obwohl die Lebensbedingungen noch völlig unzureichend sind.

Das Lager befindet sich auf einem stillgelegten Schießplatz, weshalb ernsthaft zu vermuten ist, dass das Gelände mit Blei verseucht ist. Die Kommission vertraut hier offenbar den unbestätigten Angaben der griechischen Behörden, die auch drei Monate nach Eröffnung des Lagers keine unabhängigen Laboruntersuchungen des Bodens vorlegen konnten. Zusätzlich spricht die griechische Regierung bei den neuen Lagern von „closed controlled structures“, und Journalistinnen und Journalisten wird seit Monaten der Zugang zum Lager untersagt.

1.    Bewertet die Kommission den Zustand eines Lagers, in dem nur in Ausnahmefällen Ausgangsmöglichkeiten bestehen, als geschlossenes Lager oder als Haft?

2.    Wie begründet die Kommission die Nichteinhaltung der Aufnahmerichtlinie im Lager, und welche Maßnahmen wurden ergriffen, um gesundheitliche Gefahren auf dem Schießplatz auszuschließen?

3.    Wie stellt die Kommission sicher, dass EU-Gelder nicht für geschlossene Lager verwendet werden?

Antwort von Kommissarin Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 19.4.2021:

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie haben die griechischen Behörden restriktive Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erlassen, die landesweit gelten und die Aufnahmezentren miteinschließen. Die Bewohner der Aufnahme- und Unterbringungseinrichtungen dürfen diese nur aus bestimmten Gründen betreten und verlassen. Zu diesen Gründen zählen die Deckung der Grundbedürfnisse oder laufende Asylverfahren.

Bei den mit Unterstützung der Taskforce der Kommission für das Migrationsmanagement durchgeführten Arbeiten zur Verbesserung der Aufnahmebedingungen im provisorischen Aufnahme- und Identifizierungszentrum (RIC) Mavrovouni werden Fortschritte gemacht. Die Hellenic Survey of Geology and Mineral Exploration entnahm Bodenproben und untersuchte diese auf Bleikontamination, um zu überprüfen, ob die Unterbringung in diesem Aufnahme- und Identifizierungszentrum ungefährlich ist. Die Ergebnisse und Einzelheiten der Untersuchungen sind öffentlich zugänglich. Von den 12 entnommenen Bodenproben lag eine Probe, die in der Nähe eines Verwaltungsbereichs entnommen wurde, über dem Grenzwert. Die griechischen Behörden haben das Gebiet eingezäunt, neue Erde aufgetragen, ein Betonfundament im Verwaltungsbereich gegossen und auf dem gesamten Gebiet einen Meter Erde zusätzlich aufgetragen. Nach Abschluss der Arbeiten wird erneut kontrolliert.

Das neue Zentrum auf Lesbos wird ein multifunktionales Zentrum mit technischen Vorkehrungen, die es den Bewohnern ermöglichen, das Zentrum mit Zugangsausweisen zu betreten und zu verlassen.

Über dieses Programm erhalten Geflüchtete in Griechenland Geld von der EU

Um die Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln zu unterstützen, hat das UNHCR ein Cash Assistance Programme aufgelegt. Dabei wird den Schutzsuchenden monatlich ein fester Betrag auf ein Konto überwiesen, über den sie dann frei verfügen können. 

Grundsätzlich soll das Cash Assistance Programme Schutzsuchenden die Möglichkeit bieten, Grundversorgung nach ihren individuellen Bedürfnissen zu gestalten. Es soll ihnen ein Stück Autonomie geben, in einer Situation, in der sie ihre Lebensumstände sonst nicht selbst gestalten können. Gleichzeitig wird versucht, so Beziehungen zur Bevölkerung aufzubauen, das Einleben zu erleichtern und die lokale Wirtschaft zu unterstützen. 

Es ist nicht vergleichbar mit einem Einkommen oder einer Sozialhilfe, auf die rechtlicher Anspruch besteht, sondern soll Menschen darin unterstützen, ihre Möglichkeiten zur eigenen Grundversorgung selbst zu gestalten. 

Wer bekommt Geld? 

Um zu bestimmen, wer Anspruch auf die Zahlung hat, hat sich die griechische Regierung gemeinsam mit der “European Union Civil Protection and Humanitarian Aid” auf eine Liste von Kriterien geeinigt: 

  • Nach dem 1. Januar 2015 in Griechenland angekommen 
  • Registriert von den griechischen Behörden und sich in Griechenland aufhaltend
  • Vorläufige oder abgeschlossene Registrierung durch die Asylbehörde
  • Offiziell von der griechischen Regierung ausgestelltes Dokument über ihre Identität und Aufenthaltsstatus
  • Über 18 Jahre alt 
  • Leben in Lagern oder sonstigen Unterbringungen (Schutzsuchende in privater Unterkunft werden ausgeschlossen) 
  • Nicht angestellt bei einer NGO oder UN Agentur
  • Nicht angestellt und ohne Einkommen 

Wie wird das Geld verteilt?

Das Geld, das zu 99,80% von der Europäischen Union kommt, wird von einem Konsortium namens “Greece Cash Alliance” (GCA) in Kooperation des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik verteilt. Die GCA besteht aus dem UNHCR, Catholic Relief Services, International Rescue Committee, Mercy Corps, International Federation of the Red Cross und Samaritan’s Purse. 

Die Menschen, die unterstützt werden, bekommen eine “UNHCR Greece Cash Alliance Card”, die wie jede andere Girokarte in Griechenland funktioniert. Damit kann also sowohl Geld abgehoben, als auch mit Karte in den Geschäften bezahlt werden. Die Karten funktionieren nur in Griechenland und werden bei versuchter Benutzung außerhalb permanent deaktiviert. Die Schutzsuchenden sind dazu verpflichtet regelmäßig bei einem der GCA Partner ihre Anwesenheit im Land und ihre aktuelle Qualifikation zur Inanspruchnahme zu bescheinigen.

Wie lange werden die Schutzsuchende unterstützt? 

Es gibt keine Mindest- oder Maximallaufzeit. Schutzsuchende werden solange unterstützt bis sie die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen. Das heißt, die Schutzsuchenden sind eigentlich immer nur bis zu dem nächsten Termin bei dem GCA Partner sicher, dass es weiterläuft. Selbstverständlich ist eine Änderung der Voraussetzungen möglich und führt auch dazu, dass Gelder an bestimmte Personen nicht mehr ausgezahlt werden. Auch möglich ist es, dass sich die Höhe des Geldes ändert. Hier ist unklar an welchen Richtgrößen die Höhe bemessen wird und auf welcher Basis, wer Änderungen festlegt. Aktuell wird in Griechenland zum Beispiel die Anzahl der erhaltenen Mahlzeiten im Lagern von den monatlichen Beträgen abgezogen. 

Wieviel und woher kommt das Geld? 

Insgesamt wurden im Jahr 2020 83 779 826,13 € verteilt. Aufgeschlüsselt auf den Februar 2021 haben in Griechenland 64 726 Personen Cash Assistance bezogen, insgesamt waren 37245 Karten im Umlauf. Das macht für den Februar 2021 einen Gesamtbetrag von knapp 7.3 Millionen Euro. 

Aktuell sind die Beträge so hoch: 

Betragshöhe an Orten, wo regelmäßige Mahlzeiten gestellt werden 

Einzelne Person über 18 90€
Paar, Elternteil und Kind140€
3-köpfige Familie190€
4-köpfige Familie240€
5-köpfige Familie290€
6-köpfige Familie310€
7-köpfige oder mehr Familie330€

Betragshöhe an Orten, wo regelmäßige Mahlzeiten nicht gestellt werden 

Einzelne Person über 18 150€
Paar, Elternteil und Kind280€
3-köpfige Familie340€
4-köpfige Familie400€
5-köpfige Familie450€
6-köpfige Familie500€
7-köpfige oder mehr Familie550€

Studie zeigt: EU-Kommission darf Seenotrettung finanzieren

Ich habe eine Studie in Auftrag gegeben ( Deutsch / Englisch), die untersucht welche rechtlichen Pflichten und Kompetenzen die Europäische Union in der Seenotrettung hat. Das gilt auch für militärische Einsätze der EU.

Im März 2020 beschloss die EU die Marinemission Irini, um Waffenschmuggel nach Libyen anhand von Satelliteninformationen, auf See und aus der Luft zu überwachen. Diese Militäroperation findet im östlichen Mittelmeer, weit entfernt der zentralen Fluchtroute über das Mittelmeer, statt. Diese extrem tödliche Route ist für viele Schutzsuchende der einzige Weg, die EU zu erreichen. 

Irini hat bisher keinen einzigen Menschen aus Seenot gerettet. Die Vorgängermisson Sophia rettete hingegen ab 2015 rund 45.000 Menschen. Auf Druck von EU-Staaten umfahren die Schiffe nun allerdings die Migrationsrouten, um keine Menschen retten zu müssen. Trotzdem befürwortet die Bundesregierung eine Fortsetzung von Irini. Aktuell sind an der Mission 19 deutschen Soldat:innen beteiligt. In der Vergangenheit sind auch Zweifel aufgekommen, ob durch die Mission das Ziel das Waffenembargo nach Libyen durchzusetzen, überhaupt erreicht werden kann.

Menschen ertrinken weiterhin im Mittelmeer

Obwohl immer weniger Menschen über das zentrale Mittelmeer fliehen, ist ein kontinuierlicher Anstieg der Todes- und Vermisstenraten zu verzeichnen. Alleine in den ersten drei Monaten 2021 sind bereits über 300 Menschen im Mittelmeer ertrunken. 

Oft wird argumentiert, dass Menschen sich nicht mehr in Gefahr bringen würden, wenn es keine Seenotrettung gäbe. Doch in der Realität sind die Bedingungen insbesondere für Menschen aus Subsahara-Afrika in Libyen so umenschlich, dass weiterhin Menschen fliehen müssen. Auch ohne Seenotrettung besteigen Menschen die seeuntauglichen Boote in der Hoffnung eigenständig Land zu erreichen. Auch ohne Seenotrettung ist es für viele Menschen – zwar noch lebensgefährlicher als ohnehin – aber eben dennoch möglich mit den Schlauchbooten Malta oder Italien zu erreichen. Der verbreitete Vorwurf eines Pull-Effekts durch zivile Seenotrettungsmissionen wurde zudem bereits in vorherigen Studien widerlegt.

Seenotrettung wird kriminalisiert, statt unterstützt 


Bislang sind es also hauptsächlich zivile Organisationen, die Seenotrettung betreiben. Sie werden dabei zunehmend von EU-Staaten kriminalisiert, da das politische Interesse vor allem darauf ausgerichtet ist, dass Menschen nicht aus den unmenschlichen Bedingungen in Libyen fliehen können. Dafür wird die libysche Küstenwache finanziert, die Menschen auf See von der Flucht mit Hilfe von Frontex-Aufklärungsflugzeugen nach Libyen zurückbringt und dort in Lagern interniert. Diese Praxis ist in mehreren Gutachten als völkerrechtswidrig beschrieben worden.

Die Europäische Kommission behauptet, dass Seenotrettung außerhalb ihres Kompetenzbereichs läge, was auch vom Europäischen Rat bekräftigt wird. Es sei die Aufgabe der Anrainerstaaten, Seenotrettungsoperationen durchzuführen. Eine staatliche EU-Seenotrettungsmission unter Beteiligung der Mitgliedstaaten ist leider in den nächsten Jahren nicht realistisch, obwohl absehbar ist, dass weiterhin Menschen im Mittelmeer ertrinken. Die Mitgliedstaaten werden sich nicht auf eine Mission einigen und es wäre zu einfach, immer wieder Dinge zu fordern, die nicht passieren werden.

EU-Kommission kann einspringen und Seenotrettung finanzieren

Doch es gäbe einen Ausweg. Wenn die EU-Kommission ihre immer wieder bekundeten Absichten zur Unterstützung von Seenotrettung ernst meint, könnte sie nichtstaatliche Organisationen finanziell unterstützen und so eine zivile Europäische Seenotrettungsmission aufbauen. Die Zustimmung der Mitgliedstaaten ist dafür nicht erforderlich. So legt es auch das von mir bei der Kanzlei Redeker/Dahs/Sellner in Auftrag gegebene Gutachten dar: “Nach aktueller Rechtslage ist gemäß Art. 214 Abs. 3 AEUV i.V.m. der Verordnung über die humanitäre Hilfe (Verordnung (EG) Nr. 1257/96) insbesondere eine finanzielle Hilfe an nichtstaatliche Organisationen und internationale Einrichtungen möglich, die sich für die Rettung von in Seenot geratenen Flüchtenden einsetzen.”

Kurzum: Die Europäische Kommission könnte eine nichtstaatliche Seenotrettungsmission finanzieren und so die effektive Seenotrettung sicherstellen. Das ist nun auch durch das umfangreiche Rechtsgutachten belegt.

Neues EU-Abkommen erleichtert Abschiebungen nach Afghanistan

Afghanistan gilt, noch vor Syrien, als das gefährlichste Land der Welt. Trotzdem wird nach Afghanistan abgeschoben, trotzdem hat die EU erneut ein Abkommen verabschiedet, das Abschiebungen nach Afghanistan weiter erleichtern soll. Dieses zwischen Kommission und Rat erarbeitete Dokument wurde Anfang Februar unterzeichnet, ohne dass dem EU-Parlament ein Mitspracherecht zugestanden hätte. 

Neues Afghanistan-Abkommen

Das neue Rückführungsabkommen JDMC (Joint Declaration on Migration Cooperation) löst die 2016 ausgehandelte ‚Joint Way Forward‘-Vereinbarung (JWF) ab. Inhaltlich ist das neue Abkommen ein weiterer Rückschritt für die Schutzsuchenden aus dem von Krieg und Wirtschaftskrise gebeutelten Land. In meinem Artikel vom November habe ich das JWF und seine Bedeutung für Abschiebungen, sowie die Situation für Schutzsuchende aus Afghanistan erklärt.  Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen sprachen sich gegen die Verlängerung des JWF-Abkommens aus. Das neue Rückführungsabkommen basiert auf dem JWF-Abkommen, es gibt jedoch eine Reihe von Änderungen:

So wird die Definition von besonders schutzbedürftigen Gruppen enger gefasst. Abschiebungen von Kranken sollen von nun an nur für Menschen, die unter einer sehr ernsten Krankheit leiden und -diese Konkretisierung ist neu – in Afghanistan nicht behandelt werden können, ausgesetzt werden.  Letzteres wird im konkreten Fall vermutlich sehr schlecht nachzuweisen sein. Auch die Möglichkeit für Abschiebungen wird erleichtert, da die Definition einer Familieneinheit auf Eltern und minderjährige Kinder beschränkt wird. Außerdem sollen sich alle EU-Mitgliedstaaten an Abschiebungen nach Afghanistan beteiligen, unabhängig von etwaigen bilateralen Abkommen mit dem Bürgerkriegsland. Das Abkommen ermöglicht Sammelabschiebungen mit bis zu 50 Personen pro Flug, insgesamt sollen künftig bis zu 500 Menschen monatlich abgeschoben werden können, wobei diese Zahl noch erhöht werden kann. Im vorherigen Abkommen gab es die inoffizielle Absprache, dass nicht mehr als ein Flug pro Woche aus Europa kommen soll. Das wird nun deutlich erhöht, es ist aber davon auszugehen, dass die afghanische Regierung keine Zahl über 500 pro Woche akzeptieren wird. 

Während das JWF-Abkommen für zwei Jahre gilt, ist der neue Rahmen durch das JDMC zeitlich unbegrenzt. Stattdessen kann das neue Abkommen nur nach Konsultation und zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr ausgesetzt werden.

verschärfte Sicherheitslage

Nach dem Ende der ersten Verhandlungsrunde in Afghanistan im Dezember 2020 wurden die Friedensgespräche von Doha Ende Februar 2021 wieder aufgenommen, kommen jedoch nur sehr stockend voran. Es gibt keinen Waffenstillstand und die Sicherheitslage verschlechtert sich zunehmend. Die Gewalt befindet sich auf dem höchsten Level der letzten 20 Jahre, in den letzten Monaten kam es vermehrt zu gezielten Anschlägen auf Journalist:innen, Menschenrechtsaktivist:innen und Beamt:innen. Der EU-Kommissar für Konfliktmanagement Janez Lenarčič erklärte erst kürzlich in seinem Reisebericht in das durch den Bürgerkrieg geprägte Land, dass der Konflikt jeden Winkel des Landes durchdringe und dazu führe, dass Millionen Zivilist:innen vertrieben werden und innerhalb und außerhalb des Landes Schutz suchen. Afghanistan hat weltweit die zweitgrößte Anzahl von Flüchtenden und Binnenvertriebenen. Insgesamt ist fast die Hälfte der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen. Ohne diese wären 16,9 Millionen Menschen in Afghanistan vom Hungertod bedroht. Die Pandemie und Naturkatastrophen verschärfen die Situation noch zusätzlich. Das Land leidet unter einer der größten Lebensmittelkrisen der Welt.

EU-Staaten wollen weiterhin abschieben

Auch Kranke und Menschen in Behandlung sind nicht vor Abschiebungen geschützt. Erst im Februar führte Deutschland entgegen breiten Protestes eine weitere Sammelabschiebung von 26 Menschen nach Afghanistan durch, obwohl der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zuvor in einer Einzelfallentscheidung eine Abschiebung in das Land in Verbindung mit der aktuellen Coronalage für unrechtmäßig erklärte. Grund dafür sei die Unmöglichkeit, die elementarsten Grundbedürfnisse nach Nahrung, Unterkunft und Hygiene zu befriedigen. Doch die Abschiebungen gehen weiter. Die Anerkennungsquote von Asylantragssteller:innen aus Afghanistan lag 2020 bei etwa 53 %, sie unterscheidet sich jedoch stark zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten und gleicht so einer Lotterie für die Menschen, die es unter schwierigsten Bedingungen nach Europa geschafft haben. So lag sie beispielsweise in Bulgarien bei 1%, in den Niederlanden bei 42%.   Bei einer Rückkehr nach Afghanistan sind die Chancen auf erneute unmittelbare Vertreibung sehr hoch.

Was kann das Europäische Parlament tun?

Das Europäische Parlament hat keine Mitspracherechte bezüglich der Ausarbeitung und Verabschiedung des Abkommens und kann lediglich auf allgemeine Kontrollrechte zurückgreifen. Gleichzeitig ist hervorzuheben, dass Abschiebungen zumindest in Deutschland meist aufgrund eines bilateralen Abkommens mit Afghanistan vorgenommen werden. Trotzdem werde ich in den kommenden Wochen versuchen, das Thema auf die Tagesordnung des EPs zu bekommen und einen Austausch mit der Kommission zu organisieren. Ich möchte wissen,  an welche Bedingungen die EU-Gelder für Afghanistan gekoppelt werden und wo das Geld hinfließt. Besonders Kettenabschiebungen, mit denen Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden, die gar nicht aus dem Land kommen, müssen verhindert werden. Nur ein Bruchteil der aus Afghanistan Geflüchteten kommt überhaupt nach Europa, ein Großteil wird von den Nachbarländern Pakistan (1,42 Millionen in 2020) und Iran (951000 in 2020) aufgenommen – von insgesamt 2,7 Mio Geflüchteten in 2020. Diese Länder müssen von der EU unterstützt werden, wir brauchen eine bessere Verteilung von Verantwortung, die auch im Globalen Pakt für Flüchtlinge gefordert wird. Progressive und menschenfreundliche Lösungsansätze sollten hervorgehoben und mobilisiert werden. Afghanistan ist und bleibt in näherer Zukunft nicht sicher, weshalb wir Abschiebungen in das Land weiter verhindern müssen.

Das Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungs- und Internationale Zusammenarbeit wird auf den Weg gebracht

Ich bin Schattenberichterstatter für das zukünftige Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungs- und Internationale Zusammenarbeit. NDICI steht für Neighbourhood, Development and International Cooperation Instrument. Mit einem Gesamtvolumen von knapp 80 Milliarden Euro, gekoppelt an den Mehrjährigen Finanzrahmen 2021 – 2027, wird über das Instrument ein Großteil der externen Finanzierungsmittel der EU verwaltet werden. 

Am Donnerstag, dem 18. März 2021, wurde bei einer gemeinsamen Abstimmung des Ausschusses für Entwicklung und des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten der Weg für das Finanzinstrument mit einer komfortablen Mehrheit geebnet. Auch ich habe nach längerem Abwägen für die Annahme gestimmt, wenn auch mit Vorbehalten. Der letzte Schritt für die Annahme wird die Abstimmung im Plenum im Juni oder Juli sein, womit unter aller Voraussicht ein drei Jahre andauernder Verhandlungsprozess zu Ende gebracht werden wird – der erste Entwurf der Kommission für die Verordnung wurde bereits am 14. Juni 2018 veröffentlicht.

Politische Einigung 

Eine politische Einigung erzielten wir bereits im letzten Trilog am 15. Dezember 2020, bei dem jeweils die zuständigen Abgeordneten, der Rat der Europäischen Union, vertreten durch die jeweilige Ratspräsidentschaft (zu diesem Zeitpunkt die deutsche) und die Europäische Kommission, vertreten durch die Kommissarin für internationale Partnerschaften Jutta Urpilainen, zusammentrafen, um einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Mandaten zu verhandeln. 

NDICI – Global Europe besteht aus drei Säulen. Die größte ist die geografische Säule, welche 60 Mrd. € umfasst. Sie soll für die Erreichung langfristiger Ziele genutzt werden, um die Bedürfnisse und Prioritäten von Drittländern im Einklang mit den Prioritäten des Instruments zu unterstützen. Die zweite, thematische Säule, besteht aus dem Menschenrechts- und Demokratieprogramm, und den Programmen für Zivilgesellschaft, für Frieden, Stabilität und Konfliktprävention sowie für globale Herausforderungen. Die dritte, “Rapid-Response-Säule”, soll die Kontinuität der humanitären Programme gewährleisten, indem eine Brücke zu den langfristigen Entwicklungsbemühungen geschlagen wird. Weitere Gelder können über ein Flexibilitätspolster für unvorhergesehene Herausforderungen auf die Säulen verteilt werden. 

Lange Verhandlungen 

Nach dem Vorschlag der Europäischen Kommission, das externe Handeln durch die Schaffung dieses globalen Fonds für Entwicklungszusammenarbeit und Außenpolitik zu bündeln, war es für das Parlament sehr wichtig, sowohl die Unterstützung für thematische Prioritäten wie Klima und Gender als auch die Zuweisung von Mitteln für Regionen wie Subsahara-Afrika, die Nachbarschaft der EU oder den Karibischen und Pazifischen Raum sicherzustellen. Die Verhandlungen haben ungewöhnlich lange gedauert. Nach Verabschiedung einer ersten Position des Parlaments, bei der sich die Grünen enthalten hatten, wurde in regelmäßig stattfindenden Treffen an einem Kompromiss gearbeitet. 

Uneinigkeit zwischen Rat, Parlament und Kommission herrschte vor allem bezüglich Governance des Instruments, spezifischen Haushaltszuweisungen für Regionen und dem kontroversen Thema Migration. Die Priorität lag für uns dabei, eine parlamentarische Kontrollfunktion bei der Zuteilung und Prüfung von EU-Mitteln zu gewährleisten, um ein Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit einer demokratischen, transparenten Finanzierung und dem Ziel, unsere Partner schnell und flexibel unterstützen zu können, herzustellen. Dies ist schlussendlich gelungen, das Parlament wird künftig ein Mitspracherecht bei Kooperation und Intervention sowie der Festlegung von Prioritäten hinsichtlich der geografischen Säulen haben. Zudem wird zweimal jährlich ein geopolitischer Dialog zwischen dem Vizepräsidenten/Hohen Vertreter, den anderen zuständigen Kommissionsmitgliedern und dem EP über die strategischen Ausrichtungen der NDICI, einschließlich der Programmierung, des Polsters, zu Migration und den Mittelzuweisungen stattfinden. Der erste im September 2021. Es bleibt abzuwarten, wie Kontrollfunktion des Parlaments in der Praxis ausgestaltet wird, auch bezüglich der Kompetenzaufteilung zwischen den beiden zuständigen Ausschüssen. 

Errungenschaften des Parlaments 

Weitere wichtige Errungenschaften des Parlaments bei den Verhandlungen sind die Festlegung eines festen Prozentsatzes von 93% des Instruments für öffentliche Entwicklungshilfe (official development assistance, ODA), die gemäß den relevanten Codes des OECD-Entwicklungshilfeausschusses gemeldet wird, sowie eine Reihe weiterer fester Prozentsätze, die größtenteils den vertraglichen Verpflichtungen der EU entsprechen. Das bedeutet, dass in Übereinstimmung mit dem Beschluss über den mehrjährigen Finanzrahmen 30 % dieses Instruments für den Klimawandel und weitere 10 % schrittweise für die biologische Vielfalt und Maßnahmen in Zusammenhang mit Entwaldung verwendet werden. 85 % der von diesem Instrument unterstützten Projekte werden Gender als Kriterium haben, weitere 5 % der Projekte als primäres Ziel. 20 % des Instruments werden die menschliche Entwicklung unterstützen, während 10 % Projekte im Zusammenhang mit Migration zugewiesen werden. Einzelne Projekte können auch  mehrere Ziele unterstützen.  Für das Parlament und insbesondere uns Grüne wäre eine höhere Zuweisung für Klima und Umwelt wünschenswert gewesen, allerdings konnten wir eine Klausel verankern die dafür sorgt, dass Maßnahmen nicht die Ziele des Pariser Abkommens unterlaufen können.  Auch bei anderen Themen, wie dem Gesamtvolumen des Instruments und der Mitwirkungsrolle des Parlaments, hätten wir uns mehr gewünscht. 

Entwicklungszusammenarbeit sollte der Bekämpfung von Armut dienen, nicht der Migrationsabwehr 

Besonders kritisch, und der Grund für meine Vorbehalte bei der Zustimmung zu diesem Finanzinstrument, ist jedoch die Widerspiegelung der migrationspolitischen Ziele der EU, die oft entwicklungspolitischen Zielen entgegenstehen. Knackpunkt ist hier vor allem die Migrationskonditionalität, also die Verknüpfung von Zusammenarbeit der Drittstaaten im Bereich der Migration mit Mittelzuweisungen für andere Prioritäten. In der ursprünglichen Stellungnahme des Parlaments konnte eine Mehrheitsposition gegen diese Konditionalität erreicht werden, dies war die Verhandlungsbasis für die Triloge. 

Entwicklungszusammenarbeit soll laut Definition nicht den strategischen Interessen der Geberländer dienen, sondern der Bekämpfung von Armut. Leider war der Rat als Vertreter der Mitgliedsstaaten hier zu wenig Zugeständnissen bereit, zudem wurde die Verhandlungsposition des Europäischen Parlaments durch die konservativen Kräfte im Parlament torpediert, die eine solche Konditionalität befürworten. Nur durch die unermüdlichen Bemühungen einer Gruppe von Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen ist es zu verdanken, dass größtmögliche Schadensbegrenzung stattgefunden hat. In der finalen Fassung besteht zwar eine Verknüpfung zwischen der Zusammenarbeit im Bereich Migration und Entwicklungshilfegeldern, zumindest jedoch nur innerhalb der 10%, die dem Thema Migration zugewiesen werden. Außerdem haben wir es geschafft, den Begriff der „Migration“ möglichst weit zu fassen, damit es möglich ist, dass Projekte eher auf eine Bekämpfung von Migrationsursachen abzielen als auf Migrationsmanagement. 

In den Bestimmungen zu Migration wird außerdem ein „flexibler Finanzierungsmechanismus“ erwähnt, der zur Unterstützung der Ziele der EU-Migrationspolitik eingesetzt werden kann, was bedeutet, dass migrationsbezogene Treuhandfonds eingerichtet/erweitert werden können. Hier werde ich mich bemühen, die aktuellen Treuhandfonds, die im Dezember 2021 auslaufen sollen genau im Auge zu behalten und eine klare Aufsicht und Kontrolle durch das EP sicherstellen. 

Ein schwieriger Kompromiss 

Dies ist kein Kompromiss in meinem Sinne, ich hätte mir keine Konditionalität und eine geringere Mittelzuweisung für Migration, die sich an tatsächlichen Bedürfnissen misst, gewünscht. Trotzdem habe ich mich dafür entschieden, letzten Endes für das Instrument zu stimmen. Der fehlende politische Wille zu einer progressiven Ausgestaltung des Instruments lässt sich nicht erzwingen, nur dank des Einsatzes des Parlaments ist es überhaupt gelungen, wesentliche Verbesserungen im Vergleich zu den Vorschlägen von Kommission und Rat zu erzielen. Jetzt eine Verabschiedung des Instruments und ein möglichst schnelles Anlaufen von Projekten zu verhindern, wäre ein falsches Signal. Vor allem in Zeiten einer globalen Pandemie, unter der vor allem die Menschen im globalen Süden noch lange leiden werden.  

Fünf Jahre EU-Türkei-Deal: Wie man sich Zeit erkaufte und sie nicht nutzte

Vor fünf Jahren einigten sich der Europäische Rat und die Kommission mit der Türkei auf einen Deal. 

Mit diesem Deal sollte verhindert werden, dass Menschen aus der Türkei in größerer Anzahl nach Europa fliehen können. Der Zenit der Krise von 2015, in der hunderttausende nach Europa kamen, war dabei längst überschritten und die Ankunftszahlen gingen bereits deutlich zurück. Trotzdem wollte man verhindern, dass Menschen weiterhin über die Türkei nach Europa fliehen können. 

Der Deal war ein Präzedenzfall für eine Politik, die versucht, die Grenzen der EU zu externalisieren: Die Grenze zur EU soll nicht mehr an den EU-Außengrenzen verlaufen, sondern bereits in der Türkei oder in Nordafrika. Auf ein robustes Asylsystem für die EU konnten sich die Staatschef:innen bis heute nicht einigen. Einig ist man sich bislang nur, dass schon außerhalb der EU Menschen aufgehalten werden sollen. Und jene die ankommen, werden seither oft in unwürdigen Massenlagern wie in Moria untergebracht.

Was wurde im EU-Türkei-Deal vereinbart?

Die Türkei erklärte sich bereit, Maßnahmen zu ergreifen, um irreguläre Migration zu verhindern. Im Gegenzug wurden dem Land Milliardenhilfen zugesagt. Der Deal sah außerdem vor, dass syrische Geflüchtete, die dennoch irregulär von der Türkei auf die griechischen Inseln gelangten, wieder in die Türkei zurückgebracht werden. Für jede zurückgeführte Person sollte jeweils eine aus Syrien geflüchtete Person aus der Türkei in die EU umgesiedelt werden. Dieser Teil des Deals wurde nie wirklich umgesetzt. Zwischen dem ersten Quartal 2016 und dem ersten Quartal 2020 wurden rund 27.000 syrische Geflüchtete aus der gesamten Türkei in EU-Staaten umgesiedelt. Besonders im letzten Jahr wurden kaum noch Menschen umgesiedelt. In den letzten Jahren hatten also weniger als 1% der syrischen Geflüchteten in der Türkei die Möglichkeit, legal nach Europa zu kommen.

Im Gegenzug für die Verhinderung der Flucht aus der Türkei sollte Ankara auch ebeschleunigte Visaerleichterungen für ihre Bürger:innen erhalten. Diese Visa-Erleichterungen gibt es aber bis heute nicht, worauf die Türkei regelmäßig hinweist. Tatsächlich hat die Türkei nie alle Bedingungen für die Visa-Erleichterungen erfüllt. Da das Einhalten der Regeln allerdings auch schon vor fünf Jahren nicht realistisch war, kann man davon ausgehen, dass die Türkei die Erleichterungen als Bonus abseits des üblichen Verfahrens erwartet.

Der wichtigste und teuerste Punkt des Abkommens war die Zahlung von insgesamt 6 Milliarden Euro für diverse Projekte zur Unterstützung von syrischen Geflüchteten in der Türkei. Entgegen einiger Behauptungen floss das Geld tatsächlich und kam auch bereits zu großen Teilen an. 


Die damaligen Zusagen zeigen vor allem, dass die Staats- und Regierungschef:innen bereit waren, sehr große Zugeständnisse zu machen, damit der Deal wirksam wird. Das Europäische Parlament wurde in die Aushandlung des Deals nicht eingebunden. 

Rechtlich fragwürdige Entscheidungen

Dabei waren schon die Umsetzungsentscheidungen des EU-Türkei-Deals rechtlich fragwürdig. Die damalige griechische Regierung unter Alexis Tsipras wurde dazu gedrängt, ein schlechtes Gesetz durch ihr Parlament zu bringen, damit der Deal umgesetzt werden kann. Griechenland erkannte die Türkei als “sicheren Drittstaat” an, damit man Menschen leichter dorthin abschieben kann. Dabei flohen und fliehen auch aus der Türkei selbst tausende Menschen aufgrund von politischer Verfolgung. Die Türkei ist nicht nur kein sicheres Land für alle Geflüchteten. Sie ist noch nicht mal ein sicheres Land für viele ihrer eigenen Bürger:innen. Griechenland hatte damals kaum eine andere Wahl, denn ihnen wurde damit gedroht, dass sie durch die Schließung der nordmazedonischen Grenze mit den Geflüchteten durch Europa allein gelassen werden.

Die EU unterstützt mit den Rückführungen von Syrer:innen in die Türkei außerdem eine Politik, die am Ende auf Abschiebungen nach Syrien hinausläuft, weil sie von der Türkei erwartet, dass diese “alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um zu verhindern, dass sich neue See- oder Landrouten für illegale Migration öffnen“.

Menschen werden inzwischen auch durch europäische Behörden systematisch aus Griechenland in die Türkei gepushbackt oder auch illegal abgeschoben. Damit versucht man auf Kosten der Menschenrechte und -würde weniger Abhängigkeit von der Türkei zu erprügeln und die Zahl der Schutzsuchenden in Europa zu dezimieren.  In der Türkei wiederum droht Kriegsflüchtlingen aus Syrien eine Abschiebung in ihr Heimatland. Das ist für viele lebensgefährlich. Den Menschen droht nicht nur Gefahr durch die Kriegshandlungen, sondern auch durch die Foltergefängnisse des Assad-Regimes, in denen zehntausende Menschen verschwunden sind. Darunter auch Menschen, die nach Syrien zurückkehrten, beziehungsweise zu einer Rückkehr gezwungen wurden. 

Dass derzeit tatsächlich weniger Menschen kommen, liegt nicht nur am EU-Türkei-Deal. Es liegt an der Pandemie und an den systematischen Pushbacks durch die griechischen Behörden. Es kommen nicht weniger Menschen wegen des Deals, sondern weil EU-Staaten fundamentale Menschenrechte mit Füßen treten.

In der Folge des Deals schottete die Türkei zudem auch die syrische Grenze ab, sodass der EU-Türkei-Deal auch dazu beiträgt, dass die Flucht aus dem syrischen Bürgerkrieg immer schwieriger wurde.

Europa macht sich erpressbar 

In den letzten fünf Jahren hat man in der Türkei die Erpressbarkeit der Europäischen Union vielfach mitbekommen. Die Türkei inhaftierte Oppositionelle und Journalist:innen, marschierte mit deutschen Leopard-2 Panzern in Syrien ein und bekämpft Minderheiten im eigenen Land. Insbesondere zum Einmarsch in Syrien war von vielen EU-Verantwortlichen vor allem Schweigen zu vernehmen. Kritik an schweren Menschenrechtsverletzungen wird zwar geäußert, sie hat aber selten reale politische Folgen – aus Angst, die Türkei könnte die Grenzen zu Griechenland und Bulgarien öffnen. 

Dass die Europäische Union auch Jahre, nachdem sie sich durch den Türkei-Deal Zeit erkaufte, immer noch kein robustes rechtsstaatliches Asylsystem hatte, rächte sich im März 2020. Ich selbst habe das vor einem Jahr vor Ort auf Lesbos erfahren. 

Nachdem Erdoğan eine Grenzöffnung verkündete und plötzlich einige Tausend Menschen an der Außengrenze standen, reagierte Griechenland mit Gewalt und setzte einfach das Grundrecht auf Asyl aus. Das war rechtswidrig. Die griechische Küstenwache begann in Richtung von Schlauchbooten voller Menschen zu schießen, statt diese zu retten. Man ließ Boote stundenlang in Seenot verharren, statt sofort einzugreifen. Ein Mädchen ertrank bei dem Versuch nach Lesbos zu gelangen, obwohl man sie hätte retten können. Die griechische Polizei schoß mit scharfer Munition auf Menschen und tötete dabei sehr wahrscheinlich mehrere Personen, zum Beispiel Muhammad Gulzar. 

Diese Handlungen wurden damals mit einer militärischen Rhetorik gerechtfertigt. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete Griechenland als “Schutzschild Europas.” 

Die Regierung in Ankara hat damals sehr genau mitbekommen, dass sie die EU erpressen kann, indem sie einige wenige Tausend Menschen in Richtung EU-Grenze passieren lässt oder diese sogar in Bussen dort hinbringt. Man muss sich nicht wundern, dass auf dem internationalen Parkett niemand mehr eine Staatengemeinschaft ernst nimmt, die sich durch die Ankunft von Geflüchteten auf ein paar Schlauchbooten erpressbar machen lässt. 

In der EU wird versucht, diese Politik zu rechtfertigen, weil man sich vor einem neuen 2015 fürchtet. Aber die vielen Millionen Menschen, die in der Türkei auf gepackten Koffern sitzen um in die EU zu kommen – es gibt sie nicht. Als Erdoğan vor einem Jahr die Grenzen öffnete, kamen nicht Hunderttausende, sondern nur wenige Tausend. Unter ihnen war kaum jemand aus Syrien, obwohl in der Türkei mehr als 3,5 Millionen Syrer:innen leben. Die meisten Geflüchteten in der Türkei leben nahe der syrischen Grenze. Sie wünschen sich eine Rückkehr oder haben sich in den vergangenen Jahren in der Türkei eingelebt. Viele haben die Sprache gelernt und Arbeit gefunden. Die meisten dieser Menschen wollen überhaupt nicht in die EU. 

Nicht alles ist schlecht am Deal

Nicht alles an dem Deal ist schlecht. Und natürlich ist es gut, wenn die EU den Geflüchteten in der Türkei hilft. Der EU-Türkei-Deal enthält eine Liste wichtiger Zusagen, von denen einige gut und notwendig sind. Dazu gehören die finanzielle Unterstützung, um syrischen Geflüchteten Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Die Vergabe der hierfür notwendigen Mittel wurde erleichtert. Ein Großteil der zugesagten sechs Milliarden Euro wurde inzwischen auf den Weg gebracht. 

Mit diesen Geldern wurde hunderttausenden Kindern aus Syrien der Schulbesuch ermöglicht, Menschen konnten zum Arzt gehen oder ihnen wurde geholfen, die Sprache zu lernen. Ein Großteil der Gelder ging direkt an Hilfsorganisationen, auch wenn die türkische Regierung darauf drängte, mehr Gelder an staatliche Stellen in der Türkei zu überweisen. Auch die Finanzierung des türkischen Gesundheits- und Bildungsministeriums ist nicht per se zu verurteilen.

Eines der Probleme des Deals ist jedoch, dass durch die mangelnde parlamentarische Kontrolle und Rechenschaftspflicht nicht klar ist, welche Projekte wie erfolgreich waren.

Leider wurden einige sinnvolle Aspekte des EU-Türkei-Deals, wie die Schaffung von legalen Fluchtwegen, nicht angemessen umgesetzt. Und trotz der Gelder aus der EU entsprechen die Aufnahmebedingungen für Geflüchtete oft nicht den humanitären Standards und ein wirklicher Zugang zu staatlichen Dienstleistungen oder dem Arbeitsmarkt besteht für viele nur auf dem Papier, aber nicht in der Realität. 

Und wie sollte es weiter gehen?

Es wird viel von Fluchtursachen geredet, doch im Zentrum der Maßnahmen stehen sie selten. Stattdessen wird die Europäische Asylpolitik zu oft von kurzfristigen Zielen geprägt. Für ein künftiges Abkommen wäre es sinnvoll, dass man die Zusagen legaler Fluchtwege und Umverteilung einhält und sich statt auf dysfunktionale Rückführungsmechanismen auf die Ursachen der Flucht aus der Türkei konzentriert. Es muss das Ziel sein, dass Menschen, die in die Türkei geflohen sind, nicht erst nach Europa fliehen müssen, um endlich in Sicherheit zu sein. Das erreichen wir jedoch nicht durch Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen, sondern dadurch, dass wir die Türkei unterstützen, Perspektiven für Geflüchtete zu schaffen. 

Deswegen sollten die erfolgreichen Programme in der Türkei fortgesetzt und ausgebaut werden. Wichtig wäre, dass sie nicht nur Menschen aus Syrien erreichen, sondern auch die vielen Hunderttausend anderen Geflüchteten, die zum Beispiel aus Afghanistan kommen. Man hat sich mit dem Deal als Europa vor allem auf Kosten der Menschenrechte, Zeit gekauft. Tragischerweise hat man diese Zeit nicht genutzt, sondern steht fünf Jahre später schlechter da als vorher: Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen haben inzwischen System und die Massenlager an den Außengrenzen dienen eher der Abschreckung, als der menschenwürdigen Unterbringung von Schutzsuchenden. Auch ein System zur Umverteilung von Schutzsuchenden in der EU oder die Schaffung von legalen Fluchtwegen ist seit 2016 nicht erreicht worden. Weltweit ist die Zahl der Geflüchteten nach UN-Angaben in den letzten 5 Jahren um ca. 15 Millionen Menschen gestiegen – aller Beteuerung zur Bekämpfung von Fluchtursachen zum Trotz.

Diese legalen Migrationsmöglichkeiten in die EU gibt es

Es gibt zu wenige legale Migrationsmöglichkeiten in die EU. Das ist vor allem für Flüchtende ein Problem, die oft ihr Leben riskieren müssen, um Asyl zu beantragen. 

Weil die EU daran scheitert, legale Flucht- und Migrationswege zu schaffen, sterben Menschen bei dem Versuch, Europa zu erreichen. Die Externalisierungspolitik der EU ist darauf ausgerichtet, Menschen schon weit vor den Grenzen Europas davon abzuhalten, europäischen Boden zu betreten. Das macht es Schutzsuchenden sehr schwer, in der EU Asyl zu beantragen. Trotz einiger Beteuerungen, vermehrte Möglichkeiten der legalen Einreise zu schaffen, hat sich hier wenig getan. Welche Optionen Menschen haben, die auf legalem Weg in die EU migrieren möchten, will ich im Folgenden erklären. 

Grundsätzlich gibt es die Möglichkeit, mit der “EU Blue Card” oder einem gültigen Visum einzureisen. Wer über kein gültiges Visum oder die EU Blue Card verfügt, kann einen Asylantrag stellen. 

Im Jahr 2019 wurden 2,9 Millionen Menschen aus Drittstaaten Aufenthaltsgenehmigungen gewährt. 41% von ihnen erlangten eine Arbeitsgenehmigung, 27% kamen aus familiären Gründen und 14% der Menschen für Bildungszwecke in die EU. Dazu kommen 631 579 Asylanträge. Legale Migration macht den größten Teil der Migration in die EU aus. Die Zahl der illegalisierten Grenzüberschreitungen beträgt dagegen nur 141 700 Fälle.  

In der Migrationspolitik teilen sich die EU und die Mitgliedstaaten einige Verantwortlichkeiten, was die Einführung von EU-weiten Regelungen zu Migration erschwert. Während die EU Einreisevoraussetzungen und Aufenthaltsbedingungen für Menschen aus Drittstaaten festlegen kann, liegt es an den Mitgliedstaaten, diese umzusetzen. Sie können bestimmen, wie vielen Menschen aus Drittstaaten sie Einreise- und Arbeitsgenehmigungen erteilen. Die EU kann die Aufnahme und Integration von Drittstaatsangehörigen durch geeignete Rahmenbedingungen und Anreize fördern, doch es gelten die jeweils nationalen Bestimmungen. 

Die EU Blue Card 

Die EU Blue Card wurde 2008 eingeführt und nach einigen Mängeln 2017 angepasst. Dieses beschleunigte Verfahren soll attraktive Bedingungen für Hochqualifizierte aus Drittstaaten schaffen. Hochqualifizierte mit einem Universitätsabschluss und einem Arbeitsvertrag in Deutschland mit einem jährlichen Mindesteinkommen von 50.800€ können mit der EU Blue Card in die EU einreisen und hier arbeiten, gleiches gilt für Hochqualifizierte eines Gebiets, in dem es in der EU an Fachkräften mangelt, mit einem Arbeitsvertrag mit einem jährlichen Mindestgehalt von 39.624€.
Mehr Informationen zur Blue Card gibt es bei Infomigrants und im Visaguide.

Visa

Wer ein gültiges Visum besitzt, kann mit dem Flugzeug einreisen und sich nach dem Schengener Grenzkodex im Schengenraum bewegen. In diesem Fall kann ein Wunsch nach Asyl mündlich geäußert werden. Wer ohne gültigen Pass einreisen konnte, muss ein Flughafenverfahren durch die Polizei im Transitbereich durchlaufen. Im Falle einer Ablehnung wird ein Einreiseverbot ausgesprochen. Gegen dieses kann Widerspruch eingelegt werden. Wenn das Flughafenverfahren oder ein dagegen eingelegter Widerspruch positiv ausfällt, wird ein Asylverfahren eingeleitet.

Humanitäre Visa

Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten humanitäre Visa für Menschen, die noch nicht als Geflüchtete anerkannt sind, ausstellen. Diese können legal in den Mitgliedstaat einreisen und hier einen Asylantrag stellen. Einen gemeinsamen europäischen Rahmen hierfür gibt es bislang nicht.

Bei positiv entschiedenen Asylanträgen im Sinne der Genfer Flüchtlingskommission oder dem subsidiären Schutz können Menschen von einem Mitgliedstaat in einen anderen umgesiedelt werden. Hier stehen Menschen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, ähnliche Rechte zu wie im Ersteinreiseland. Dieses Verfahren ist als Relocation bekannt.  

Eine Übersicht der Möglichkeiten für Schutzsuchende in Deutschland eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, findet ihr hier. Infomigrants beschreibt die legalen Migrationsmöglichkeiten in die EU auf Englisch.

Arbeitsmigration

Für Hochqualifizierte, Studierende und Wissenschaftler:innen, Saisonarbeiter:innen und Menschen, die innerbetrieblich den Standort wechseln, gibt es legale Richtlinien, die die Migration erleichtern sollen. 

Für die rund 100.000 Saisonarbeiter:innen in der EU regelt die Richtlinie 2014/36/EU  die Einreise- und Aufenthaltsbedingungen von Drittstaatsangehörigen. Diese sind besonders im Tourismus- und Landwirtschaftssektor beschäftigt. Für einen Zeitraum zwischen fünf und neun Monaten dürfen sie sich legal in der EU aufhalten, um saisonal zu arbeiten. Auch in dieser Zeit muss sich ihr Hauptwohnsitz jedoch im jeweiligen Drittstaat befinden. 

Die Richtlinie 2014/66/EU regelt die Einreise- und Aufenthaltsbedingungen für Drittstaatsangehörige im Rahmen eines unternehmensinternen Transfers. Wer außerhalb der EU in einem internationalen Unternehmen beschäftigt ist, kann in eine Niederlassung oder Tochtergesellschaft innerhalb der EU versetzt werden. 

Für internationale Auszubildende, Studierende und Wissenschaftler:innen, sowie für Austauschschüler:innen und Freiwillige, Au-Pairs und Bildungsreisende gilt die Richtlinie (EU) 2016/801. Diese ermöglicht Studierenden und Wissenschaftler:innen auch nach Abschluss von Studium oder Forschung weitere neun Monate in der EU zu bleiben, um Arbeit zu finden oder ein Unternehmen zu gründen. Forschende dürfen auch Familienangehörige in die EU mitbringen.  Am Programm Erasmus+ können auch Nicht-EU-Bürger:innen teilnehmen. 

Familienzusammenführung

Wenn sich ein Familienmitglied bereits legal in der EU aufhält, dürfen Familienmitglieder nachziehen. Die Richtlinie 2003/86/EG legt dafür den Rahmen fest. So können Ehepartner:in, minderjährige Kinder und die Kinder des Ehepartners bzw. der Ehepartnerin nach kommen. Mitgliedstaaten können auch die Zusammenführung unverheirateter Partner:innen, erwachsener Kindern und unterhaltsberechtigter Eltern und Großeltern erlauben. Die nachgezogenen Familienmitglieder erhalten eine Aufenthaltserlaubnis entsprechend des bereits migrierten Familienmitglieds und können nach maximal fünf Jahren eine eigenständige Erlaubnis beantragen. 

Allerdings können Mitgliedstaaten bestimmte Kriterien festlegen, um die Familienzusammenführung zu genehmigen. So kann die Zusammenführung an finanzielle Mittel, eine geeignete Unterkunft und eine Krankenversicherung, sowie „Integrationsmaßnahmen“ geknüpft sein. Zudem kann es zu einer maximal zweijährigen Wartezeit kommen. Wenn aus Sicht der Behörden eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Gesundheit zu befürchten ist, kann der Antrag abgelehnt werden. Betrugsfälle wie Scheinadoption oder Scheinheirat können geahndet werden. Wenn die antragstellende Person als Flüchtling anerkannt wurde, sind die Kriterien zur Gewährung von Familienzusammenführung etwas milder. 

Nachzulesen sind die Regelungen hier

Neuansiedlung (Resettlement)

Neuansiedlung bedeutet, dass Drittstaatsangehörige, die internationalen Schutz benötigen, aus einem Drittstaat in einen EU-Mitgliedstaat transferiert werden, der sie aufnimmt und ihnen Schutz gewährt.

Voraussetzung für eine Neuansiedlung ist, dass das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) entscheidet, dass die Person nach der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtling gilt und eine Neuansiedlung das geeignetste Verfahren ist. Auch staatenlose Menschen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht als Flüchtlinge gelten, können neu angesiedelt werden. Nach der Auswahl durch UNHCR werden die Fälle potenziellen Aufnahmestaaten vorgelegt, die über die Bewilligung oder Ablehnung der Neuansiedlungen entscheiden. Die Kriterien der einzelnen Mitgliedstaaten und die Zeit für eine Neuansiedlung variieren.

Wer mit dem Neuansiedlungsverfahren in die EU kommt, ist vor Zurückweisung (refoulement) in Drittstaaten geschützt und verfügt über ähnliche Rechte wie Staatsbürger:innen. Gleiches gilt für Familienmitglieder. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, selbst die Staatsbürgerschaft zu bekommen. 

Das European-Resettlement-Network erklärt die einzelnen Schritte im Neuansiedlungsverfahren und zeigt Möglichkeiten auf, über das Verfahren eine Aufenthaltsgenehmigung innerhalb der EU zu erlangen. 

Eine Übersicht über das Neuansiedlungsverfahren von dem wissenschaftlichen Dienst des Europäischen Parlaments könnt ihr bei EPRS nachlesen.

ARAPs (active refugee admission policies)

Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, dass Staaten eigene aktive Richtlinien für die Aufnahme von Schutzsuchenden verabschieden. So werden derzeit neue Aufnahmeinstrumente wie private Partnerschaften und Notfallevakuierungen erprobt. Private Partnerschaften  basieren auf privater Unterstützung und Finanzierung von Schutzsuchenden. Notfallevakuierungen sind an flexiblere Bedingungen als traditionelle Neuansiedlungsverfahren gekoppelt und führen eher zu vorübergehendem Schutzstatus. Außerdem gibt es die Möglichkeit, über Stipendienprogramme nach Europa zu kommen.

Diese ARAPS (active refugee admission policies) sind freiwillig. Es besteht die Gefahr, dass hier über die Aufnahme von hilfsbedürftigen Menschen mehr nach funktionalen Kriterien als nach humanitären Notsituationen entschieden wird und Menschen potenziell Diskriminierung erfahren. Andererseits können ARAPs dazu führen, dass Schutzsuchenden auf sicherem und legalem Weg Schutz erhalten. Darüber hinaus bietet die Internationale Organisation für Migration (IOM) Schulungen vor und nach der Ankunft an, um die Aufnahme und Integration zu fördern. 

Der Fluchtforschungsblog gibt einen Überblick über ARAPs und potenzielle Schwachstellen sowie Forschungslücken.

Wichtige Rechte, Möglichkeiten und Abläufe zu Asyl in der EU findet ihr hier.

Wer in die EU migrieren möchte, um zu arbeiten, zu studieren oder die Familie zusammen zu führen, kann sich auf dem EU-Immigration-Portal informieren. 

Was wir fordern

Die legalen Wege in die EU müssen ausgebaut und Menschen darüber informiert werden. Wir Grüne fordern legale und sichere Migrationswege in die EU und flexible Regelungen, um Familienzusammenführungen sowie Arbeit und Studium innerhalb der EU für Drittstaatenangehörige zu erleichtern.

Daher setzen wir uns für die Gestaltung eines EU-weiten Visasystems für humanitäre Visa ein. So sollen Schutzsuchende verstärkt die Möglichkeit haben, in Botschaften und Konsulaten außerhalb der EU Visa zu beantragen, sodass sie legal und sicher in die EU einreisen können. 

Darüber hinaus fordern wir einen europäischen Migrationskodex. Dieser soll die Rechte von Migrant:innen in der EU schützen. Hierfür müssen die Rechte innerhalb der EU angeglichen und neue und sichere legale Wege für Migration in die EU geschaffen werden – und zwar unabhängig von der Qualifikation und dem Einkommen der Migrant:innen. Besonders die Rechte von Migrant:innen mit geringem Einkommen und geringer Qualifikation müssen ausgebaut werden, denn der Wert von Menschen misst sich nicht in ihrer ökonomischen Verwertbarkeit.

Außerdem braucht es Abkommen mit Drittstaaten, um Fachkräfteabwanderung in diesen Ländern zu vermeiden. Stattdessen sollten ausgewogene Partnerschaften geschlossen werden. Dafür müssen sie von weiteren Maßnahmen zur Migrationskontrolle und Rücknahmeabkommen abgekoppelt sein. Partnerschaften könnten zum Beispiel Mehrfacheinreisevisa erleichtern und Pilotprojekte ausweiten.

Das ganze Positionspapier der grünen Fraktion im Europäischen Parlament zum Thema Arbeitsmigration aus Drittstaaten könnt ihr hier nachlesen. 

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