Anfrage: Frontex und Zurückweisungen auf See
Um als Europaabgeordneter meine parlamentarische Kontrollfunktion ausüben zu können, habe ich die Möglichkeit, Anfragen an die EU-Kommission stellen. Die Kommission muss diese Fragen beantworten.
Ich habe ich der Kommission folgende Fragen gestellt:
Betrifft: Zurückweisungen auf See und die Forderung von Frontex nach laxeren Regeln für die Ausschiffung von Geretteten in Drittstaaten
Als Reaktion auf Medienrecherchen, wonach die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) in illegale Zurückweisungen auf See in der Ägäis verwickelt war, will Frontex einen „Evaluierungsausschuss“ unter dem Vorsitz der Kommission einsetzen[1]. Der Ausschuss soll sich vor allem mit der Seeaußengrenzenverordnung[2] beschäftigen. Darin sind Frontex-Einsätze auf See geregelt und wird das Verbot der Zurückweisung auf See umgesetzt, das sich aus dem Hirsi-Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs[3] ergibt. Die Agentur hatte sich bereits in ihrem Jahresbericht über die Seeaußengrenzenverordnung vom 27. August 2020 darüber beklagt, dass die Regeln für Frontex-Einsätze auf See zu strikt seien, vor allem was Ausschiffungen von aus Seenot Geretteten in Drittstaaten angehe[4]. Das mache Frontex-Einsätze für die Mitgliedstaaten unattraktiv. Nach der Verordnung ist es Frontex strikt verboten, sich an Zurückweisungen auf See zu beteiligen.
1. Hält die Kommission die Einrichtung eines solchen Ausschusses für eine angemessene Reaktion auf die mögliche Beteiligung von Frontex an Zurückweisungen auf See?
2. Sofern die Kommission beabsichtigt, den Vorsitz des Ausschusses zu übernehmen, welche Zielsetzung verfolgt sie dabei?
3. Kann die Kommission ausschließen, dass die Seeaußengrenzenverordnung aufgeweicht werden soll, um die Zurückweisung oder Ausschiffung von Geretteten in Drittstaaten zu erleichtern?
Antwort von Kommissarin Ylva Johansson im Namen der Europäischen Kommission am 25.02.2021:
Die Kommission unterstützt die Einrichtung eines solchen Ausschusses nicht, da der Verwaltungsrat der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) bereits eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat, die derzeit eine Untersuchung aller Aspekte im Zusammenhang mit der Angelegenheit durchführt. Diese befasst sich mit den mutmaßlichen Vorfällen, den von Frontex ergriffenen Maßnahmen, den Bestimmungen über die Seeeinsätze von Frontex und der Angemessenheit des Berichterstattungssystems der Agentur. Die Kommission ist in dieser Arbeitsgruppe vertreten.
Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres und das Generalsekretariat des Europäischen Parlaments sind eng in diesen Prozess eingebunden.
Alle relevanten Fragen zur praktischen Umsetzung des auf die operativen Tätigkeiten von Frontex anwendbaren Unionsrechts könnten im Rahmen der laufenden Beratungen auf Ebene des Verwaltungsrats mit der Maßgabe behandelt werden, dass eine verbindliche Auslegung des Unionsrechts nur durch den Europäischen Gerichtshof erfolgen kann.
Die Kommission ist nach wie vor entschlossen, den wirksamen Schutz unserer Außengrenzen unter uneingeschränkter Einhaltung der geltenden Bestimmungen des Unionsrechts, einschließlich jener zum Schutz der Grundrechte, sicherzustellen. Unbeschadet des in den Verträgen vorgesehen Initiativrechts der Kommission im Hinblick auf die einschlägigen Politikbereiche der Union ist anzumerken, dass die Überarbeitung der Verordnung (EU) Nr. 656/2014[5] nicht im Legislativprogramm der Kommission enthalten ist.
[1] https://frontex.europa.eu/media-centre/news-release/frontex-calls-for-committee-to-consider-questions-related-to-sea-surveillance-BMieC8
[2] Verordnung (EU) Nr. 656/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung von Regelungen für die Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union koordinierten operativen Zusammenarbeit.
[3] Hirsi Jamaa u. a. gegen Italien.
[4] Frontex: Annual report on the implementation of Regulation (EU) No 656/2014 of the European Parliament and of the Council of 15 May 2014 establishing rules for the surveillance of the external sea borders in the context of operational cooperation coordinated by Frontex 2019, 27/8/2020 (noch nicht veröffentlicht).
[5] ABl. L 189 vom 27.6.2014, S. 93