Wir dürfen niemanden zurücklassen!

Wir brauchen jetzt eine substantielle Evakuierung der Lager auf den griechischen Inseln, damit sich die Geflüchteten vor dem Corona-Virus schützen können.

Als ich Ende Februar auf Lesbos ankam, hätte ich nicht gedacht, dass die Situation viel schlimmer werden könnte. Ich wollte die sitzungsfreie Woche hier verbringen, um mir anzuschauen wie sich die Lage auf Moria entwickelt hat. Ein Lager in Europa, in dem die Bearbeitung eines Antrags schon mal über ein Jahr dauern kann und Kinder in der Zeit keine Schule besuchen können. Ein Lager, in dem Menschen seit vier Wintern auf dem feuchten Boden oder in Sommerzelten schlafen.

Das Menschen in der EU so leben müssen, ist eine Schande für uns alle. Die Situation hier ist nicht so schlecht, weil die EU es nicht besser organisieren könnte. Sie ist so schlecht, weil das politisch gewollt ist. Es ist politisch gewollt, dass die Verhältnisse so schlimm sind, weil man abschrecken will. Aber das Ziel kann es doch nicht sein, dass in den Lagern an den Außengrenzen schlimmere Verhältnisse herrschen, als in einem Bürgerkrieg, nur damit keiner mehr auf die Idee kommt, nach Europa zu fliehen.  

Erdoğans Grenzöffnung und Rechtsextreme auf Lesbos

Mit der Vermutung, dass es kaum schlimmer kommen könne, habe ich mich leider geirrt. Nachdem Erdoğan eine Grenzöffnung verkündete und plötzlich ein paar Tausend Menschen an der Außengrenze standen, reagierte Griechenland mit Gewalt und setzte einfach das Grundrecht auf Asyl aus. Ich habe ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, welches darlegt, dass die griechische Regierung rechtswidrig gehandelt hat. Die griechische Küstenwache begann in Richtung von Schlauchbooten voller Menschen zu schießen, statt diese zu retten. Man ließ Boote stundenlang in Seenot verharren, statt sofort einzugreifen. Ein Mädchen ertrank bei dem Versuch nach Lesbos zu gelangen, obwohl man sie hätte retten können.

Rechtextreme aus ganz Europa mobilisierten den Mob nach Lesbos. An manchen Tagen kamen mehr Nazis als Flüchtlinge auf Lesbos an. Rechte Banden übernahmen die Straßen und patrouillierten mit Eisenketten in der Stadt. Rechtsradikale konnten hier tagelang Jagd auf Hilfsorganisationen, Geflüchtete und JournalistInnen machen, ohne dass die Polizei eingriff. Eine Hilfseinrichtung wurde sogar in Brand gesteckt. Da hat der griechische Rechtsstaat einfach völlig versagt.

Das Corona-Virus ist eine Gefahr für die Menschen in den griechischen Lagern

Und dann kam es noch einmal schlimmer. Der Corona-Virus breitet sich sehr schnell in Europa aus. Das Virus unterscheidet nicht nach Hautfarbe, Religion oder Geschlecht. Während überall in Europa Kontaktverbote und Ausgangssperren verhängt werden, leben hier 20.000 Menschen zusammengepfercht in einem Lager, das für 3000 Menschen errichtet wurde. Auf 1300 Menschen kommt ein einziger Wasserhahn und selbst der fällt ständig aus. Man kann sich hier kaum die Hände waschen, geschweige denn, sich in Social Distancing üben. Wenn das Corona-Virus nach Moria kommt, dann wird es nicht so schnell aufzuhalten sein.

Die Mitgliedsstaaten haben Möglichkeiten, die Corona-Katastrophe in überfüllten Flüchtlingslagern zu verhindern. Es ist doch in unserem Interesse, dass wir keine Orte in Europa zulassen, in denen sich das Virus ungehindert ausbreiten kann. Man muss die Lager nicht trotz, sondern wegen Corona schnell evakuieren.

#Leavenoonebehind

Die Menschen müssen jetzt an Orten Quarantänemöglichkeiten bekommen, wo sie vor dem Virus geschützt sind. Die Kommission muss den Prozess koordinieren, aber Mitgliedstaaten müssen vorangehen und Griechenland beim Kampf gegen die Verbreitung des Corona-Virus unterstützen. Dafür braucht es auch finanzielle Hilfen, aber vor allem den politischen Willen, Probleme zu lösen, statt immer zu erzählen, was wir alles nicht tun können. Das griechische Festland braucht dabei Unterstützung, ebenso wie die Menschen auf den griechischen Inseln. Viel zu lange haben wir diese Bürger im Stich gelassen.

Um mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen, habe ich die Kampagne „Leave no One behind“ mit ins Leben gerufen. Es ist eine Initaitive, in der es darum geht, dass Bürger*innen aus ganz Europa in der Coronakrise zusammenstehen und sich für jene einsetzen, die unsere Solidarität brauchen. Dazu gehören die Flüchtlinge an unseren Außengrenzen, die Obdachlosen, die Alten und Kranken. Wenn wir jetzt nicht handeln, machen wir uns mitschuldig an der Katastrophe, die diese Menschen bedroht.