Menschenunwürdige Bedingungen an der kroatischen EU-Außengrenze

Anfang August habe ich die bosnische Stadt Bihać an der EU-Außengrenze besucht und dort Bedingungen gesehen, die absolut menschenunwürdig sind. Der Ort ist zu einem Flaschenhals für Schutzsuchende geworden, weil sie von hier aus nicht weiterkommen. In Bihać sieht man überall auf der Straße obdachlose Geflüchtete, weil es nicht ausreichend Platz in den Unterkünften gibt. 

Noch schlimmer ist die Situation in dem informellen Lager Vučjak, dass sich auf einer ehemaligen Müllhalde mitten im Nirgendwo befindet. Die Menschen werden von der Polizei wie Vieh nach oben getrieben, umgeben von Moskitos und Landminen. In viel zu kleinen Zelten sind viel zu viele Männer zusammengepfercht, Selbst das Wasser wurde inzwischen dort abgestellt. Das rote Kreuz verteilt noch kleine Lunchpakete, aber die reichen nicht aus. Medizinische Versorgung gibt es dort nicht mehr, nachdem ein Team von Freiwilligen um den deutschen Fotografen Dirk Planert des Landes verwiesen wurde. Der Grund: Sie hatten keine Arbeitserlaubnis. Man kann aber auch keine Arbeitserlaubnis bekommen, weil es kein offizielles Lager ist. Die Bedingungen dort sind so schlecht, dass IOM und UNHCR nicht tätig werden wollen, weil sie sagen, das käme einer Anerkennung des Lagers gleich. Dabei sollte es dieses Lager überhaupt nicht geben. 

Obwohl Minderjährige einen besonderen Schutz genießen, werden auch Kinder in Vučjak eingeschlossen. Ich habe mit einem Elfjährigen gesprochen, der mir erzählt hat, dass er mit Gewalt von der kroatischen Grenzpolizei nach Bosnien-Herzegowina zurückgebracht wurde. Was soll ich diesem elfjährigen Kind über die Wertegemeinschaft EU erzählen?

Geflüchteter zeigt uns sein zerstörtes Smartphone.

Die kroatische Polizei darf die Schutzsuchenden nicht einfach nach Bosnien-Herzegowina zurückschicken. Wer über die Grenze in die EU kommt, hat das Recht darauf, einen Asylantrag zu stellen. Doch dieses Recht wird im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten. Ein Bericht von Amnesty International dokumentiert, wie die kroatische Polizei die Menschen misshandelt. Außerdem wird ihnen ihr Geld abgenommen, ihre Handys zerstört und manchen werden auch die Schuhe weggenommen. Das sind keine Exzesse einzelner Polizeibeamter. Das ist systematische und von oben angeordnete Gewalt. Einzelne Polizeibeamte richteten sich bereits an kroatische Medien und sagten, dass ihnen mit Sanktionen gedroht wird, wenn sich weigern, mit dieser Brutalität gegen Geflüchtete vorzugehen. 

Es wäre die Aufgabe der EU-Kommission, diesen täglichen Rechtsbruch klar und deutlich zu benennen und neben dem Grenzschutz auch für die Einrichtung einer unabhängigen Kontrollinstanz an der Grenze zu sorgen. Doch die Kommission verschließt bislang die Augen. Als Ursula von der Leyen kurz nach ihrer Wahl zur Kommissionspräsidentin nach Kroatien reiste, hat sie den täglichen Rechtsbruch an der EU-Außengrenze nicht angesprochen. Die Kommission sprach sich zudem dafür aus, Kroatien in den Schengenraum aufzunehmen. Auch ich möchte, dass Kroatien bald Mitglied des Schengenraums wird. Aber ich möchte auch, dass wir davor dafür sorgen, dass grundlegende Menschenrechte an der kroatischen EU-Außengrenze eingehalten werden. Kroatien wird am 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen und der harte Winter naht für die Menschen in Vučjak und Bihać. 

Die Kritik habe ich mit anderen Abgeordneten in einem Brief an die Kommission zum Ausdruck gebracht. Wir haben sie aufgefordert, sich für eine Verbesserung der Situation einzusetzen.

Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um eine schnelle Lösung zu finden und zu verhindern, dass Menschen dort an unserer Außengrenze erfrieren. Diese Lage verdient mehr Aufmerksamkeit. Wir müssen Bosnien-Herzegowina dabei helfen, die Menschen menschenwürdig unterzubringen, wir müssen aber auch fordern, dass Bosnien-Herzegowina an einer nachhaltigen Lösung arbeitet. Außerdem müssen die rechtswidrigen und gewaltvollen Abschiebungen durch die kroatische Grenzpolizei aufhören.

Jeder Mensch verdient, unabhängig von seinem Pass, eine würdige Behandlung und in Europa hat jeder Mensch das Recht auf ein rechtstaatliches Asylverfahren.

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„Scaling Fences“: Migration nach Europa wissenschaftlich untersucht

Anfang dieser Woche veröffentlichte die UN eine Studie mit dem Titel „Scaling Fences“ (Zäune erklimmen). Dafür wurden rund 3000 Menschen aus 43 afrikanischen Staaten befragt, die in den vergangenen Jahren nach Europa gekommen sind. 

Das Besondere an der Studie: Es geht nicht um Menschen, die Krieg und Verfolgung als Fluchtgrund angeben, sondern um solche, die ihre Heimat auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen haben, aber keine legalen Möglichkeiten zur Einreise hatten.

Die Erkenntnisse der Studie sind spannend. Diejenigen, die ihre Heimat verlassen, sind überdurchschnittlich gut gebildet. Sie verdienten 60 Prozent mehr als der Durschnitt in ihren Herkunftsländern. 

Als Hauptgrund für ihre Migration geben die meisten an, dass sie nach einer besseren Arbeit suchen. Als zweithäufigster Grund werden die schlechte Regierungsführung und die Sicherheitslage in den Herkunftsländern angegeben. Es sind also oft junge und gut ausgebildete Menschen, die vor Korruption und Autokratie in demokratische Länder migrieren. 

In Europa angekommen, arbeiten die meisten unter ihrer Qualifikation. Ein Fünftel der Männer als Obst- und Gemüsepflücker, ein Drittel der Frauen als Putzkräfte oder Haushaltshilfen. Viele sind informell beschäftigt und bekommen weniger als den Mindestlohn. Weil sie nicht arbeiten dürfen, aber arbeiten müssen, werden sie besonders häufig Opfer von Ausbeutung. 

Die meisten der Befragten gaben an, von den Gefahren der Reise zu wissen. Trotzdem sagen 41 Prozent, es gebe nichts, was sie von der Reise hätte abbringen können. Nur zwei Prozent gaben an, sie hätten sich nicht auf den Weg gemacht, wenn sie vorher gewusst hätten, wie gefährlich die Reise wird. 91 Prozent der Befragten gaben an, über den Seeweg nach Europa gekommen zu sein. 

Diese Zahlen zeigen auch, dass wir Migration endlich als Realität anerkennen müssen und anfangen müssen an einer besseren Migrationspolitik, statt an Abschottung zu arbeiten. 

Ein weiteres Hauptmotiv für Migration ist der Wille, die Familien in den Herkunftsländern zu unterstützen. 78 Prozent unterstützen ihre Familien mit Rücküberweisungen, doch das hat für sie einen hohen Preis. Dazu gehören Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt, Rassismus und schlechte Wohnverhältnisse. Mehr als sieben Jahre nach ihrer Ankunft sind 12 Prozent der Befragten obdachlos. 

Für mich zeigt diese Studie, dass wir aufhören müssen, Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben in überfüllte Schlauchboote zu zwingen. Wir brauchen Abkommen mit den Herkunftsländern und ein Kontingent für legale Migration für Menschen, die wir in unseren alternden Gesellschaften brauchen. Wir brauchen eine Ausweitung von Studienprogrammen, die es Menschen aus den afrikanischen Herkunftsstaaten ermöglichen, sich in Europa fortzubilden und in Europa zu studieren. Dazu gehören auch zeitlich befristete Arbeitsvisa, die es Menschen ermöglichen, legal einzureisen, legal zu arbeiten und später in ihre Herkunftsländer zurückzukehren.  Viele Menschen werden mit neuem Know-How in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Andere werden in Europa bleiben und ihre Herkunftsstaaten mit Rücküberweisungen unterstützen. Auch das ist ein Weg hin zu einer nachhaltigen und effektiven Entwicklungszusammenarbeit, von denen die Staaten Europas und Afrikas profitieren können.

Das Schlechteste, was wir machen können, ist es die Realität der Migration zu ignorieren und verzweifelt zu versuchen, uns in einer „Festung Europa“ vom Rest der Welt abzuschotten. 

Seenotrettung – Meine erste Rede im Europäischen Parlament

Hier findet ihr meine erste Rede: Ich werde weiter für die Suche und Rettung auf See und für sichere und legale Wege für Asylsuchende und Migranten nach Europa kämpfen.

Vice hat dazu berichtet:

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