GEAS: Kein guter Tag für das Europäische Asylrecht

Rat und Parlament haben sich auf eine Reform hin zu einem gemeinsamen europäischen Asylsystem geeinigt. Hier findet ihr eine Kurzübersicht zu zentralen Ergebnissen der Verhandlungen des GEAS-Pakets.

In fast allen relevanten Punkten hat sich der Rat mit seiner Position gegenüber dem Parlament durchgesetzt. Mit dieser Reform wurde so die Chance verpasst, die EU-Asylpolitik auf das richtige Gleis zu setzen. Stattdessen sollen bürokratische Verfahren und harte Asylrechtsverschärfungen Menschen jetzt plötzlich von der Flucht nach Europa abschrecken. Dieser Weg ist bereits in den letzten Jahren gescheitert. Uns droht nun mehr irreguläre Migration und eine Desintegrationskultur gegenüber Schutzsuchenden. Diese Abschreckungspolitik schwächt den Rechtspopulismus ja offensichtlich nicht, sondern stärkt ihn. 

Haftähnliche Bedingungen

Es wird ein System geschaffen, in dem sehr viele Menschen während ihrer Asylverfahren in haftähnlichen Bedingungen eingesperrt werden sollen, viel zusätzliche Bürokratie entsteht und deutlich längere Asylverfahren drohen. Der neue Solidaritätsmechanismus wird das dadurch entstehende zusätzliche Chaos und Leid nicht aufwiegen können.


Viele wichtige Details stehen schlicht noch nicht fest. Es fehlte die Zeit, alle Artikel zu verhandeln. Aufgrund der politischen Vorgabe, bis Ende des Jahres ein Ergebnis zu erlangen, wurde der Inhalt dem Ziel einer schnellen Einigung untergeordnet. So sollte Gesetzgebung nicht stattfinden.


Besonders in der polarisierten Diskussion um die Asylpolitik hätte Europa verdient, dass Rat und Parlament sich ausgeruht beraten und nicht übermüdet in Nachtsitzungen Stichpunkte beschließen, die viele Fragen offen lassen.

Spielräume für Verbesserungen


Parlament und Rat müssen noch über die Rechtsakte abstimmen. Wir werden uns dann für eine möglichst vernünftige Umsetzung der Rechtsakte einsetzen. Außerdem gilt es nun umso mehr, Spielräume für Verbesserungen abseits der aktuellen Reform zu nutzen, denn sie enthält viele Lücken. 

Fragen der Integration, der Zusammenarbeit mit Drittstaaten oder der Arbeitsmigration spielen in der aktuellen Asylreform keine Rolle. Wir werden  weiter für verbindliche Verteilung, bessere Standards an den Außengrenzen und effizientiere Asylverfahren streiten. Nur so wird eine faire Verteilung der Verantwortung für die großen Herausforderungen der Asyl- und Migrationspolitik gelingen. Zudem gilt, dass Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention weiterhin auch in Europa gelten. Für einen Abgesang auf das Asylrecht ist es heute zu früh, auch wenn das kein guter Tag für das Asylrecht ist.

Abstimmung über das Gemeinsame Europäische Asylsystem

Heute stimmten wir Mitglieder des Innenausschusses über die Parlamentspositionen zu vier Dossiers des im September 2020 von der Kommission vorgestellten Migrations- und Asylpakts ab. Alle vier wurden im Ausschuss angenommen. Konkret geht es um die Position des Europäischen Parlaments zur Screening-Verordnung, der geänderten Asylverfahrensverordnung, der Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement und der Krisenverordnung. 

Die Verhandlungen waren langwierig und haben gezeigt, dass die aufgeheizte Debatte zu Migrationsthemen eine Einigung auf lösungsorientierte Positionen erschwert. Leider gibt es keinen Anlass zu glauben, dass radikale Asylrechtsverschärfungen die Situation für Schutzsuchende oder die Mitgliedstaaten und Kommunen verbessern. Es besteht weiterhin die Gefahr, dass die Asylreform zu einer überbordenden Bürokratie, menschenrechtswidrigen Prozessen und einer stärkeren Überlastung der Aufnahmesysteme führt, als das aktuelle System.

Die Schaffung eines gemeinsamen Europäischen Asylsystems war eines der zentralen Projekte von Ursula von der Leyens bei ihrer Bewerbung zur Kommissionspräsidentin 2019. Damals habe ich diese Einschätzung des Paktes abgegeben. 

1 Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement (AMMR)

Die Kommission schlägt in der Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement vor, das derzeitige Dublin-System zu ersetzen und einen neuen Mechanismus zur Aufteilung der Verantwortung zwischen den Mitgliedstaaten einzuführen. Ein Schwerpunkt des Vorschlags liegt auf einer Steigerung der Rückführungen. Das zentrale Problem des Dublin-Systems soll nicht gelöst werden – das Ersteinreiseland soll weiterhin für die Asylverfahren zuständig sein. Für diese Verordnung hat Berichterstatter Thomas Tobé (EVP) seinen Berichtsentwurf im Oktober vergangenen Jahres im Innenausschuss (LIBE) des Europäischen Parlaments vorgestellt. 

Der Standpunkt des Parlaments enthält viele positive Elemente und erhebliche Verbesserungen im Vergleich zum Kommissionsvorschlag – und wenn er wie vom Parlament vorgeschlagen umgesetzt wird, auch deutliche Verbesserungen gegenüber dem Status quo. 

Nach der Ankunft und Registrierung wird festgelegt, welcher Mitgliedstaat für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig ist. Bei dieser  Zuweisung gibt es neue, zusätzliche Kriterien, durch welche die Staaten an den Außengrenzen entlastet werden sollen. Außerdem soll es ein verpflichtendes Solidaritätssystem geben, bei dem sich alle Staaten beteiligen. Die Kommission hat hier verschiedene Formen der “Solidarität” vorgeschlagen. Beim Solidaritätssystem in der Parlamentsversion werden Verbesserungen geschaffen, die dafür sorgen, dass eine Umsiedlung – also eine Aufnahme durch ein anderes EU-Land – als priorisiertes Verfahren angesehen wird.

Das wäre deutlich verlässlicher und effizienter als die Ad-hoc-Solidarität, die in den vergangenen Jahren wiederholt weitgehend scheiterte. Für uns Grüne ist die Forderung des Parlaments nach einer sofortigen Umverteilung der aus Seenot geretteten Menschen ein großer Erfolg. Dies könnte dazu beitragen, dass die grausame Verzögerung von Seenotrettung und Hafenblockaden beendet werden. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die AMMR die grundlegenden Probleme des Europäischen Asylsystems nicht ernsthaft löst, da es nach den Erfahrungen der letzten Jahre leider unrealistisch ist, dass EU-Staaten in der Asylpolitik Europa-, Menschen- oder Grundrechte so implementieren, dass man von einer schnellen Rückkehr zur Rechtstaatlichkeit ausgehen kann. Eine Implementierung des Parlamentsvorschlags zur AMMR würde aber zumindest einige praktische Verbesserungen bieten und hätte keine Nachteile. Deswegen habe ich dafür gestimmt. 

2. Asylverfahrensverordnung (APR)

2016 hat die Kommission einen Vorschlag für die Asylverfahrensverordnung veröffentlicht und obwohl das Parlament in 2018 seinen Bericht vorlegte, haben die Mitgliedstaaten keine Einigung erzielen können. Die 2020 vorgelegten Änderungen in der Asylverfahrensverordnung zielen nun darauf ab, die Mitgliedstaaten zur Anwendung von Grenzverfahren zu verpflichten und den Anwendungsbereich der Richtlinie deutlich zu erweitern. 

Der Kern des Vorschlags ist, dass ein großer Teil der Asylsuchenden für die Bearbeitung der Asylanträge in sogenannten Grenzverfahren an der Grenze bleiben soll. Diese Grenzverfahren sind keine Asylverfahren im eigentlichen Sinne. Dies kann, wie damals in Moria, zu Massenlagern an den Außengrenzen oder zur Schaffung von Haftzentren führen, wie sie in Griechenland auf den Inseln bereits als Pilotprojekte in Betrieb genommen wurden. 

Als Berichterstatter für Grenzverfahren habe ich einen Umsetzungsbericht für das Europäische Parlament geschrieben. Dabei wird deutlich, dass Grenzverfahren die Grund- und Verfahrensrechte von Asylsuchenden stark beschneiden und die angestrebten Ziele in den meisten Fällen nicht erreicht werden. Die Berichterstatterin für die Asylverfahrensverordnung, Fabienne Keller von den Liberalen hat ihre Position zur APR im Oktober 2021 im Innenausschuss vorgestellt. Gemeinsam mit den Sozialdemokraten und den Linken haben wir Grüne uns zu Beginn der parlamentarischen Beratungen klar gegen obligatorische Grenzverfahren ausgesprochen.

Der Standpunkt des Parlaments stellt zwar eine Verbesserung gegenüber dem Vorschlag der Kommission dar, enthält aber weiterhin Elemente, welche die Lage von Schutzsuchenden massiv verschlechtern würden. Vor allem die Anwendung einer Regelung zu Grenzverfahren könnte dazu führen, dass viele Menschen ohne angemessene Prüfung ihres Antrags an den Außengrenzen abgefertigt und zurückgeschickt werden. Ein aktuelles Beispiel aus Deutschland für die Problematik solcher Grenzverfahren ist der Fall des 35- Jährigen Mohammad D.,der aus Frankfurt am Main in den Iran abgeschoben wurde, obwohl man derzeit eigentlich nicht in den Iran abschieben darf.


Außerdem ist es schlicht nicht nachvollziehbar, wie so ein System vermeiden will, dass es zu einer Überlastung von Außengrenzstaaten kommt. Die Folge einer Umsetzung der Ausweitung von Grenzverfahren und Einführung zusätzlicher Verfahren würde deswegen dazu beitragen, dass die Außengrenzstaaten sich vom GEAS abwenden und vermutlich wieder zu Menschenrechtsverletzungen und anderen Abschreckungsmaßnahmen greifen.

Die Position des Parlaments widerspricht außerdem der Charta der Grundrechte und dem EuGH-Urteil in Fall Gnandi, da sie keine automatische aufschiebende Wirkung für erstinstanzliche Rechtsbehelfe vorsieht. Konkret besteht hier die Gefahr, dass Menschen in Drittländer abgeschoben werden, bevor ihr negativer Asylbescheid von einem Gericht geprüft wird. Damit besteht auch das Risiko, gegen den Grundsatz des Non-Refoulement zu verstoßen. Deswegen habe ich gegen die Asylverfahrensverordnung gestimmt. Zu beachten ist, dass ein Großteil des Verhandlungsmandats gegenüber dem Rat aus der Parlamentsposition von 2018 stammt. Damals haben wir für diese Position gestimmt.

3. Screening-Verordnung

Mit der Screening-Verordnung möchte die Kommission einen zusätzlichen Schritt für Asylsuchende einführen, bevor sie Zugang zum Asylsystem erhalten. Das Screening-Verfahren würde Mitgliedstaaten verpflichten, in einem kurzen Verfahren die Registrierung, Gesundheits- und Sicherheitsüberprüfungen durchzuführen. Außerdem sollte die Entscheidung am Ende des Screening-Verfahrens laut Kommissionsvorschlag nicht juristisch angefochten werden können, was der willkürlichen und ungerechten Behandlung von Schutzsuchenden Vorschub leisten würde. Mit dem oben beschriebenen Grenzverfahren in der Asylverfahrensverordnung bestünde die Gefahr, dass Schutzsuchende lange in einem rechtlichen Niemandsland gehalten und auch lange eingesperrt bleiben. 

Die Screening-Verordnung ist das einzige Dossier des Pakts, das zum Schengen-Besitzstand gehört, aber mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem verbunden ist. Das Parlament befasst sich mit dem Dossier, seitdem die Berichterstatterin Birgit Sippel von der S&D ihren Bericht im November 2021 im Innenausschuss vorgestellt hat. Der Rat hat eine Position zum Screening verabschiedet und ist bereit, in die interinstitutionellen Verhandlungen einzutreten.

Screening beinhaltet den Vorschlag eines Grundrechts-Monitoring-Mechanismus an der Außengrenze, was sehr wichtig ist, um die aktuellen systematischen Verletzungen der Menschenrechte von Menschen auf der Flucht zu verhindern. 

Die Mitgliedstaaten wären verpflichtet, die an den Außengrenzen ankommenden Personen zu überprüfen und auch besonders vulnerable Personen darunter ausfindig zu machen, um diese angemessen zu unterstützen. 

In Verbindung mit einem Überwachungsmechanismus mit einem breiten Anwendungsbereich und hohen Unabhängigkeitsstandards würde dieses Verfahren zu weniger Chaos und weniger Menschenrechtsverletzungen, aber auch zu mehr Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit an den Außengrenzen führen. Außerdem sollen Prüfungen stattfinden, um potentielle Gefahren für Geflüchtete zu vermeiden und zum Beispiel gegen Menschenhandel und organisierte Kriminalität vorzugehen.

Ein effektives Screening-System würde dabei helfen, Schutzsuchende schnell zu registrieren, schnell zu verteilen und die aktuellen Menschenrechtsverletzungen wie Pushbacks oder Verschwindenlassen zu bekämpfen. 

Der Standpunkt des Parlaments zum Screening stellt unter dem Strich eine Verbesserung gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission dar und würde, wenn er wie vom Parlament vorgesehen umgesetzt wird, zu einer schnelleren Registrierung, kürzeren Inhaftierungen und besseren Standards an den Außengrenzen führen. Außerdem würde die Verordnung aus meiner Sicht eine wichtige Antwort auf die systematischen Verbrechen an den Außengrenzen liefern. Deswegen habe ich zugestimmt, meine Fraktion hat sich enthalten. 

4. Krisenverordnung 

Dank der Richtlinie zur temporären Aufnahme (sog. “Massenzustromrichtlinie” / TPD) haben wir ein EU-Instrument, das sich bei der Aufnahme von Millionen Ukrainer:innen in der EU seit der russischen Invasion in der Ukraine weitgehend bewährt hat. Der Vorschlag der Kommission in der  Verordnung zur Bewältigung von Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt sieht vor, eben diese Richtlinie zur temporären Aufnahme abzuschaffen, was in der momentanen Situation massive Komplikationen mit sich brächte.

Aber auch sonst ist diese Verordnung problematisch, weil die Kommission damit erreichen möchte, dass in Krisensituationen verschiedene Abweichungen von den Mindeststandards möglich sind, mit denen das Asylrecht weiter ausgehöhlt werden würde. Dabei müsste ein Mitgliedstaat die Kommission darum bitten, festzustellen, dass eine solche Krisensituation vorliegt. Wann eine Krise bestehen könnte, wird nicht näher definiert, aber in den einleitenden Bemerkungen wird die Lage an der türkisch-griechischen Grenze im März 2020 wie auch die Corona-Pandemie genannt. Durch die unklare Definition besteht die Gefahr, dass Mitgliedstaaten die Verordnung instrumentalisieren könnten, um das Asylrecht zu beschneiden.

Seit der Berichterstatter Juan Fernando López Aguilar (S&D) seine Position zu der Krisenverordnung dem Innenausschuss im November 2021 vorgelegt hat, fanden viele Diskussionen statt, um ein Gleichgewicht zwischen Maßnahmen zur Stärkung der Solidarität in Krisensituationen (für uns Grüne vorrangig) und Ausnahmen von den Regeln des EU-Asylsystems unter normalen Umständen sicherzustellen.

Dank der Arbeit der progressiven Fraktionen finden sich in der Position des Parlaments einige gute Elemente: die verpflichtende Umverteilung von Schutzsuchenden im Krisenfall, die Beibehaltung der TPD, ein neues System der schnellen Anerkennung (prima-facie-Ansatz) für diejenigen, die mit klarem Schutzbedarf ankommen (wie Syrer:innen in den Jahren 2015-2016) und die zentrale Rolle für die Kommission bei der Einstufung als Krisensituation.

Im Standpunkt des Parlaments wurden jedoch auch schwerwiegende Ausnahmeregelungen von den Vorschriften festgelegt, die in einer Krisensituation eine lange Inhaftierung an der Außengrenze ermöglichen und die Situation der Asylbewerber:innen weiter verschlechtern. Obwohl ich die positiven Elemente sehe, habe ich mich der Stimme enthalten, weil die Ausnahmeregelungen meiner Meinung nach keine Lösung der jetzigen Situation an den EU-Außengrenzen darstellen, sondern das Problem verschlimmern.

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