Neue Studie zu Auswirkungen von Binnengrenzkontrollen: „Teuer, herzlos, nutzlos“
In einer neuen Expertise im Auftrag der Grünen Europafraktion werden die Auswirkungen von deutschen Binnengrenzkontrollen analysiert. Dr. Marcus Engler, Lea Christinck und Dr. Norbert Cyrus stellen in ihrer 45-seitigen Expertise klar: Es fehlt an belastbaren Nachweisen für die behauptete Wirksamkeit der Grenzkontrollen zur Reduktion irregulärer Migration oder Bekämpfung von Schleusung. Gleichzeitig verursachen sie hohe Kosten, behindern den Binnenmarkt, belasten Grenzregionen und gefährden fundamentale Rechte.
Dazu sendeten Dr. Marcus Engler und ich folgende Stellungnahme an Journalist*innen:
„Die stationären Binnengrenzkontrollen dienen nicht dem Schutz der Bevölkerung, sondern der politischen Symbolik. Sie sollen Härte demonstrieren, ohne Lösungen zu bieten – auf Kosten von Schutzsuchenden, der Wirtschaft und unserer europäischen Werte. Stationäre Binnengrenzkontrollen und die Zurückweisung von Asylsuchenden sind teuer, herzlos und nutzlos.
Die Expertise zeigt, dass wir die Debatte wieder auf den Boden von Fakten und Grundrechten holen müssen. Offenbar versucht die neue Bundesregierung ja nicht einmal eine Rechtsgrundlage für ihre Blockadepolitik darzulegen. Sie wissen wohl, dass hier Recht gebrochen wird.
In Zeiten, in denen der europäische Zusammenhalt wichtiger denn je ist, darf man Europa nicht mit Schlagbäumen an Binnengrenzen und Angriffen auf das EU-Recht spalten. Diese symbolpolitischen Maßnahmen helfen nicht, Migration besser zu organisieren, sondern schaffen nur neues Chaos. Wer nach Deutschland will, wird sich nicht von einer Kontrolle an den Grenzübergängen aufhalten lassen. Im Zweifel gehen die Menschen einfach durch den Wald oder warten, bis die Beamten Feierabend haben.
Es ist eine Illusion, dass Asylmigration durch Binnengrenzkontrollen aufgehalten werden kann. Wir brauchen mehr EU-Kooperation in der Asylpolitik und nicht weniger.”
Dr. Marcus Engler, Sozialwissenschaftler und Migrationsforscher:
„Politische Entscheidungsträger*innen stellen Grenzkontrollen als wirksames Instrument zur „Bekämpfung“ irregulärer Migration und Schleusungskriminalität dar. Eindeutige Kausalitäten lassen sich aufgrund unzureichenden Datenmaterials und komplexer Einflussfaktoren nicht bestimmen.Insgesamt schätzen wir den Effekt der Binnengrenzkontrollen auf Migrationsbewegungen als gering ein.
Zugleich sind Grenzkontrollen mit erheblichen direkten und indirekten Kosten verbunden. Die negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft sind beachtlich. Für Millionen von Menschen in den Grenzregionen – sowohl in Deutschland als auch in den Nachbarstaaten – bringen die Kontrollen erhebliche Einschränkungen mit sich.
Ein großer Teil der als unerlaubte Grenzübertritte erfassten Einreisen betrifft Menschen, die anschließend einen Schutzstatus erhalten. Das Framing dieser Menschen als irreguläre oder illegale Migrant*innen führt dazu, den Schutzbedarf dieser Personen zu delegitimieren. Ausgeblendet wird auch, dass es für schutzsuchende Menschen in der Regel so gut wie keine legalen und sicheren Einreisewege nach Europa gibt.
Bei den nun angewiesenen Zurückweisungen von Schutzsuchenden handelt es sich nicht nur um eine offenkundige Verletzung des EU-Rechts, sondern auch um ein Zivilisationsbruch. Das Asylrecht wurde vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges entwickelt, um Menschen in Not zu schützen.
Im Zusammenspiel mit der internationalen politischen Lage führt diese zu einer dramatischen Schwächung des Globalen Flüchtlingsschutzregimes, in einer Zeit, in der dieses System dringend gebraucht wird und gestärkt werden sollten.”
Zentrale Befunde der Expertise:
- Symbolpolitik statt Wirkung: Der Rückgang von Asylanträgen ist nicht kausal auf Grenzkontrollen zurückzuführen. Vielmehr sind saisonale Effekte und Entwicklungen in Transitländern entscheidend.
- Rechtswidrigkeit: Die Kontrollen überschreiten vielfach die zulässigen Zeiträume nach dem Schengener Grenzkodex und wurden bereits vom Europäischen Gerichtshof als rechtswidrig eingestuft.
- Verletzung des Asylrechts: Immer weniger Personen können an der Grenze ein Asylgesuch stellen – obwohl sie aus Ländern mit hoher Schutzquote wie Syrien, Afghanistan oder der Türkei stammen.
- Stigmatisierung durch Racial Profiling: Binnengrenzkontrollen führen verstärkt zu diskriminierenden Maßnahmen gegen Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe und schüren Misstrauen in Polizei und Rechtsstaat.
- Wirtschaftlicher Schaden: Neue Berechnungen beziffern die jährlichen Handelsverluste durch Grenzkontrollen auf bis zu 1,1 Milliarden Euro.