Christdemokraten: Brandmauer fällt auch in der Entwicklungszusammenarbeit

Die Europäische Volkspartei (EVP) – einschließlich der Abgeordneten von CDU/CSU – hat heute gemeinsam mit rechten Fraktionen im Europäischen Parlament den Initiativbericht zur Entwicklungsfinanzierung scheitern lassen. Der Bericht sollte die Position des EU-Parlaments im Vorfeld der vierten internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung festlegen, die Ende Juni in Sevilla stattfindet. Angesichts der massiven Kürzungen der internationalen Gelder durch die Trump-Administration ist diese Konferenz wohl der Strohhalm, an dem die internationale Entwicklungsfinanzierung aktuell hängt.

Obwohl die EVP fast alle Abstimmungen zu dem Bericht gewann, stimmten sie am Ende mit Rechtskonservativen und Rechtsextremen dagegen und verhinderten so eine relevante inhaltliche Teilnahme des EU-Parlaments an der Konferenz.

Als Koordinator der Grünen/EFA im Entwicklungsausschuss (DEVE) habe ich dieses Verhalten deutlich kritisiert:

„Es ist traurig und beschämend, dass sich die Christdemokraten gegen die Entwicklungsfinanzierung stellen und dazu Mehrheiten mit der extremen Rechten bilden. Besonders angesichts der großen Krisen auf der Welt wäre es wichtig, dass die EU als starker Akteur auftritt, um Armut zu bekämpfen und Entwicklungsziele wieder in den Blick zu nehmen. Statt sich konstruktiv einzubringen, haben CDU und CSU gemeinsam mit Rechtsextremen den Bericht zu Fall gebracht. Was mit der Polemik gegen Fahrradwege in Peru begann, ist inzwischen ein ausgewachsener Kampf gegen die Entwicklungsfinanzierung, wie wir ihn auch in den USA beobachten. Millionen Leben hängen an dieser Finanzierung und es ist verheerend, wie man humanitäre Prinzipien einem Kulturkampf opfert.

Im EU-Parlament werden inzwischen bewusst Mehrheiten von CDU bis AfD in Kauf genommen. Dieses Verhalten sendet ein verheerendes Signal an unsere Partnerländer im Globalen Süden. Es untergräbt das Vertrauen in die EU in der Welt und schwächt die Rolle des Europäischen Parlaments.

Während sie in Berlin behaupten, sich für Multilateralismus einzusetzen, torpedieren sie multilaterale Entwicklungszusammenarbeit in Brüssel. Wer solche zentralen Prinzipien im Parlament aufgibt, verspielt die Glaubwürdigkeit europäischer Politik.“

Zum Berichtsentwurf.

Zu den Abstimmungsergebnissen (ab Seite 49).

40 Jahre Schengen-Abkommen: Ursula von der Leyen muss endlich handeln

Am Samstag jährt sich die Unterzeichnung des Schengener Abkommens zum 40. Mal – ein Meilenstein und vermutlich die größte Errungenschaft des europäischen Projekts. Doch statt diese Errungenschaft zu bewahren und zu schützen, wird sie zunehmend auf dem Altar der Symbolpolitik geopfert. Ob in der neuen Merz-Regierung, der EVP-Fraktion im Europaparlament oder an der Spitze der EU-Kommission – CDU-Politiker*innen missachten unseren freien Schengenraum und damit europäisches Recht. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht.

In meiner Pressemitteilung vom 14. Juni sendete ich folgende Stellungnahme an Journalist*innen:

Der Schengenraum ist die größte Errungenschaft des europäischen Projekts. Es ist tragisch, dass diese Errungenschaft zunehmend auf dem Altar der Symbolpolitik geopfert wird. Ursula von der Leyen muss endlich handeln. Seit Jahren schaut sie dabei zu, wie Mitgliedstaaten EU-Recht mit Füßen treten. Sie ist als Kommissionspräsidentin aber dafür verantwortlich, dass EU-Rechtsbrüche sanktioniert werden.

Man kann nicht immer wieder behaupten, andere EU-Staaten hielten sich nicht an EU-Recht und dann als deutscher Bundeskanzler nichts dagegen tun. Wenn die Bundesregierung Beweise für diese Rechtsverstöße hat, muss Merz seine Parteikollegin von der Leyen endlich zum Handeln auffordern. Die CDU hat doch Regierungsverantwortung in Europa. Stattdessen bricht die Merz-Regierung lieber selbst das Recht, indem sie Schutzsuchende illegal zurückweist.

Von der Kommission erwarte ich außerdem einen Aktionsgipfel zur Rettung des Schengenraums. Seit Jahren fordert man bessere Kontrollen an den Außengrenzen, aber in der Realität entsteht immer mehr Chaos und Leid. An den Binnengrenzen wird diese gescheiterte Pushback-Politik nun zunehmend kopiert. Es muss Schluss sein mit wirkungsloser Symbolpolitik und ein Plan her, wie endlich rechtsstaatliche Kontrollen an den Außengrenzen durchgesetzt und eine Rückkehr zu offenen Binnengrenzen umgesetzt werden kann. Dafür wäre ein Schengen-Gipfel der Staats- und Regierungschefs der richtige Ort.”

Gericht kassiert Zurückweisungen: Bundesregierung tritt EU-Recht mit Füßen

Das Berliner Verwaltungsgericht hat heute ein deutliches Urteil gefällt: Die Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Binnengrenzen verstoßen gegen geltendes Recht. Menschen, die bei Grenzkontrollen auf deutschem Staatsgebiet um Asyl bitten, dürfen nicht ohne ein ordnungsgemäßes Dublin-Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgewiesen werden. Es gibt keine rechtliche Grundlage für eine pauschale Ausnahme gemäß Artikel 72 AEUV – eine nationale Notlage liegt nicht vor.

Als asylpolitischer Sprecher und Delegationsleiter der deutschen Grünen im Europäischen Parlament habe ich das in einer Pressemitteilung deutlich kritisiert:

„Dieses Urteil ist eine schallende Ohrfeige des Rechtsstaats für die Bundesregierung. Gegen jeglichen Sachverstand wurde immer wieder populistisch behauptet, dass man das geltende Recht nicht beachten muss.

Es ist gut, dass hier ein rechtliches Stopp-Schild gesetzt wurde und dieser Angriff auf das EU-Recht nicht folgenlos bleibt. Wir haben schon lange davor gewarnt, dass dieser Rechtsbruch den Populisten weiter Auftrieb geben wird. Außerdem werden hier Polizeibeamte verheizt und potentiell zu Straftaten angehalten, für die sie wiederum verurteilt werden können.

Dass Spitzenfunktionäre der Deutschen Polizeigewerkschaft wie Manuel Ostermann diese Rechtsbrüche eingefordert haben und ihre Kollegen in rechtliche Gefahr gebracht haben, sollte aber ein ausreichender Rücktrittsgrund sein.


Alexander Dobrindt ist noch keine vier Wochen im Amt und ist bereits in einem zentralen Vorhaben vor Gericht gescheitert. Früher hätte man erwartet, dass für so eine Missachtung des Rechts jemand sofort politische und eigenständig Verantwortung übernimmt. Bei Alexander Dobrindt und seiner Geschichte ist aber vermutlich auszuschließen, dass er Verantwortung für sein Handeln übernimmt.

Statt Lösungen zu schaffen, betreibt die Regierung bislang offensichtlich rechtswidrige Symbolpolitik auf Kosten Schutzsuchender, der EU und des Rechtsstaats. Ein solches Verhalten ist unwürdig und untergräbt das Vertrauen in Deutschland als verlässlichen Partner in Europa.

Es braucht einen Sondergipfel zur Aufarbeitung dieses offensichtlich rechtswidrigen Vorgehens, bei dem ein rechtsstaatlicher Neustart der Asylpolitik dieser Regierung erarbeitet wird. Es kann nicht sein, dass Merz und seine Regierung sich folgenlos über das Recht stellen. Es wird aufzuarbeiten sein, wer hier die Verantwortung trägt und sich fahrlässig über die einhellige juristische Meinung hinweggesetzt hat.“

NOZ: Kommission baut Luftschloss aus Abschreckung

Nachdem bereits Länder wie Dänemark und Großbritannien am Ruanda-Modell gescheitert sind, will jetzt auch die EU-Kommission Asylsuchende in sichere Drittstaaten abschieben, zu denen sie keine persönliche Verbindung haben. Im Gespräch mit Katrin Pribyl konnte ich erklären, warum wir nicht ständig neue, schärfere Gesetze brauchen, sondern endlich die bestehenden Regeln umsetzen und Solidarität in Europa ernst nehmen müssen.

Neue Studie zu Auswirkungen von Binnengrenzkontrollen: „Teuer, herzlos, nutzlos“

In einer neuen Expertise im Auftrag der Grünen Europafraktion werden die Auswirkungen von deutschen Binnengrenzkontrollen analysiert. Dr. Marcus Engler, Lea Christinck und Dr. Norbert Cyrus stellen in ihrer 45-seitigen Expertise klar: Es fehlt an belastbaren Nachweisen für die behauptete Wirksamkeit der Grenzkontrollen zur Reduktion irregulärer Migration oder Bekämpfung von Schleusung. Gleichzeitig verursachen sie hohe Kosten, behindern den Binnenmarkt, belasten Grenzregionen und gefährden fundamentale Rechte.

Dazu sendeten Dr. Marcus Engler und ich folgende Stellungnahme an Journalist*innen:

Die stationären Binnengrenzkontrollen dienen nicht dem Schutz der Bevölkerung, sondern der politischen Symbolik. Sie sollen Härte demonstrieren, ohne Lösungen zu bieten – auf Kosten von Schutzsuchenden, der Wirtschaft und unserer europäischen Werte. Stationäre Binnengrenzkontrollen und die Zurückweisung von Asylsuchenden sind teuer, herzlos und nutzlos. 

Die Expertise zeigt, dass wir die Debatte wieder auf den Boden von Fakten und Grundrechten holen müssen. Offenbar versucht die neue Bundesregierung ja nicht einmal eine Rechtsgrundlage für ihre Blockadepolitik darzulegen. Sie wissen wohl, dass hier Recht gebrochen wird. 

In Zeiten, in denen der europäische Zusammenhalt wichtiger denn je ist, darf man Europa nicht mit Schlagbäumen an Binnengrenzen und Angriffen auf das EU-Recht spalten. Diese symbolpolitischen Maßnahmen helfen nicht, Migration besser zu organisieren, sondern schaffen nur neues Chaos. Wer nach Deutschland will, wird sich nicht von einer Kontrolle an den Grenzübergängen aufhalten lassen. Im Zweifel gehen die Menschen einfach durch den Wald oder warten, bis die Beamten Feierabend haben. 

Es ist eine Illusion, dass Asylmigration durch Binnengrenzkontrollen aufgehalten werden kann. Wir brauchen mehr EU-Kooperation in der Asylpolitik und nicht weniger.”

Dr. Marcus Engler, Sozialwissenschaftler und Migrationsforscher:

„Politische Entscheidungsträger*innen stellen Grenzkontrollen als wirksames Instrument zur „Bekämpfung“ irregulärer Migration und Schleusungskriminalität dar. Eindeutige Kausalitäten lassen sich aufgrund unzureichenden Datenmaterials und komplexer Einflussfaktoren nicht bestimmen.Insgesamt schätzen wir den Effekt der Binnengrenzkontrollen auf Migrationsbewegungen als gering ein.

Zugleich sind Grenzkontrollen mit erheblichen direkten und indirekten Kosten verbunden. Die negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft sind beachtlich. Für Millionen von Menschen in den Grenzregionen – sowohl in Deutschland als auch in den Nachbarstaaten – bringen die Kontrollen erhebliche Einschränkungen mit sich.

Ein großer Teil der als unerlaubte Grenzübertritte erfassten Einreisen betrifft Menschen, die anschließend einen Schutzstatus erhalten. Das Framing dieser Menschen als irreguläre oder illegale Migrant*innen führt dazu, den Schutzbedarf dieser Personen zu delegitimieren. Ausgeblendet wird auch, dass es für schutzsuchende Menschen in der Regel so gut wie keine legalen und sicheren Einreisewege nach Europa gibt.

Bei den nun angewiesenen Zurückweisungen von Schutzsuchenden handelt es sich nicht nur um eine offenkundige Verletzung des EU-Rechts, sondern auch um ein Zivilisationsbruch. Das Asylrecht wurde vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges entwickelt, um Menschen in Not zu schützen.

Im Zusammenspiel mit der internationalen politischen Lage führt diese zu einer dramatischen Schwächung des Globalen Flüchtlingsschutzregimes, in einer Zeit, in der dieses System dringend gebraucht wird und gestärkt werden sollten.”

Zentrale Befunde der Expertise:

  • Symbolpolitik statt Wirkung: Der Rückgang von Asylanträgen ist nicht kausal auf Grenzkontrollen zurückzuführen. Vielmehr sind saisonale Effekte und Entwicklungen in Transitländern entscheidend.
  • Rechtswidrigkeit: Die Kontrollen überschreiten vielfach die zulässigen Zeiträume nach dem Schengener Grenzkodex und wurden bereits vom Europäischen Gerichtshof als rechtswidrig eingestuft.
  • Verletzung des Asylrechts: Immer weniger Personen können an der Grenze ein Asylgesuch stellen – obwohl sie aus Ländern mit hoher Schutzquote wie Syrien, Afghanistan oder der Türkei stammen.
  • Stigmatisierung durch Racial Profiling: Binnengrenzkontrollen führen verstärkt zu diskriminierenden Maßnahmen gegen Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe und schüren Misstrauen in Polizei und Rechtsstaat.
  • Wirtschaftlicher Schaden: Neue Berechnungen beziffern die jährlichen Handelsverluste durch Grenzkontrollen auf bis zu 1,1 Milliarden Euro.

SZ: Am Rande der Legalität und jenseits unserer Werte

Die neue Bundesregierung plant, Asylsuchende an den Binnengrenzen ohne rechtsstaatliches Verfahren zurückzuweisen und stellt damit offen europäisches Recht infrage. Im Interview warne ich: Wenn das größte EU-Land ungestraft solche Schritte geht, setzt das einen gefährlichen Präzedenzfall. Die EU-Kommission muss jetzt genau hinschauen – und notfalls Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Sonst stehen wir bald ohne funktionierendes EU-Recht da.

RBB: Diplomatie mit der Türkei ist zu still geworden

Seit Wochen demonstrieren in der Türkei tausende Menschen gegen die autoritäre Politik von Präsident Erdoğan – die Polizei reagiert mit teils massiver Gewalt. Im RBB habe ich betont: Die EU-Kommission muss das antidemokratische Vorgehen Erdoğans klar verurteilen. Menschenrechtsverletzungen dürfen nicht hinter stiller Diplomatie verschwinden. Aus Angst vor neuen Fluchtbewegungen wegzusehen, wäre fatal – denn die Türkei entfernt sich zunehmend von rechtsstaatlichen Grundsätzen.

NDR: Lage in der Türkei – Leise Diplomatie ist gescheitert

Die Türkei entwickelt sich unter Präsident Erdoğan zunehmend in Richtung Autokratie – zuletzt sichtbar an der Verhaftung von Oppositionsführer İmamoğlu. Wir dürfen einer Regierung, die systematisch Oppositionelle ausschaltet, nicht weiterhin Blankoschecks in Millionenhöhe als Beitrittshilfe ausstellen. Stattdessen müssen wir Wege finden, gezielt die Zivilgesellschaft zu unterstützen – das habe ich im Interview mit dem NDR betont.

ZDF: Lieber Haftlager als humane Lösungen

Die Kommission will mit ihrem neuen Vorschlag zur Rückführungsverordnung “härter abschieben” – durch mehr Haft, Abschiebungen in Drittstaaten und weniger Einspruchsmöglichkeiten. Im Interview mit dem ZDF habe ich davor gewarnt, dass dies zur massenhaften Inhaftierung von Geflüchteten durch die Mitgliedstaaten führen könnte.

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